Im Frühjahr 2018 hatte der Deutsche Ärztetag das Fernbehandlungsverbot gekippt. Zuvor schon war in Baden-Württemberg der Anbieter TeleClinic an den Start gegangen, um die Fernbehandlung von Privatpatienten durchzuführen. Welche Erfahrungen hat man bisher damit gemacht? Antworten gibt jetzt eine erste Evaluation – und die Beteiligten ziehen für sich eine positive Bilanz.

Im Oktober 2017 startete das erste Fernbehandlungsprojekt Deutschlands: Die Landesärztekammer Baden-Württemberg erteilte TeleClinic die Genehmigung zur Fernbehandlung. Das Land war Vorreiter, denn seinerzeit untersagte die Musterberufsordnung der Ärzte noch Fernbehandlungen. Fernbehandlung heißt: Patienten können sich von Ärzten über die Ferne, beispielsweise per Telefon oder Videosprechstunde, behandeln lassen.

Fernbehandlung auch für Kassenpatienten

TeleClinic steht sowohl Privat- als auch Kassenpatienten offen und operiert bundesweit. Damit Patienten für ärztliche Fernbehandlungen nicht selbst aufkommen müssen, kooperiert das Unternehmen mit Kostenträgern: Aktuell übernehmen 8 private Krankenversicherungen in Baden-Württemberg die Kosten. Seit April 2018 kooperiert TeleClinic zudem mit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg im Projekt docdirekt für baden-württembergische Kassenpatienten. Inzwischen bietet TeleClinic bundesweit Fernbehandlungen an. Hier übernehmen bisher 12 private und gesetzliche Krankenversicherungen die Kosten.

Die Allgemeinmedizin liegt an der Spitze

Aufgrund des längeren Erfahrungszeitraums bezieht sich diese Evaluation allerdings vor allem auf die Fernbehandlung von Privatpatienten. Dort dürfen auch bereits elektronische Rezepte ausgestellt werden, welche ein essenzieller Baustein der Fernbehandlung sind. Im Rahmen der Auswertung wurden anonymisiert alle privatärztlichen Fernbehandlungen über einen Zeitraum von 453 Tagen deutschlandweit ausgewertet.

KV zieht positive Bilanz
Mit docdirekt hat die KV Baden-Württemberg im April 2018 als erste Kassenärztliche Vereinigung in Deutschland ein Telemedizinprojekt gestartet. Nach einem Jahr zieht auch sie eine erste, positive Bilanz.

Rund 3.000 Nutzer hätten im Lauf des Jahres die App von docdirekt heruntergeladen. "Wir haben schnell gemerkt, dass docdirekt sowohl technisch als auch medizinisch funktioniert. Die Nutzerzahlen steigen stetig an und unsere Patienten sind mit dem Service sehr zufrieden, erklärt Dr. Johannes Fechner, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVBW. Die insgesamt 40 Tele-Ärzte würden berichten, dass sie die meisten Fälle per Video und Telefon abschließend klären können. In vielen Fällen sei es um Beratung gegangen, wenn Patienten unsicher sind.

Interessant sei, dass alle Altersklassen relativ gleichmäßig vertreten sind. Bei den 20- bis 40-Jährigen gebe es zwar einen Schwerpunkt, aber auch eine Menge deutlich älterer Menschen würden das Angebot nutzen. Fechner sieht nach wie vor eine große Chance für die Telemedizin als eine Maßnahme, dem drohenden Arztmangel zu begegnen. Und er fordert: "Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollten diejenigen sein, die telemedizinische Lösungen anbieten. Wir dürfen das Feld nicht den gewinnorientierten Unternehmen überlassen."

Docdirekt steht Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr zur Verfügung. Der Patient kann per App, online oder telefonisch Kontakt mit dem docdirekt-Center aufnehmen. Eine speziell geschulte Medizinische Fachangestellte (MFA) erfasst Personalien, Krankheitssymptome und klärt die Dringlichkeit. Danach erstellt die MFA ein "Ticket", das ein Tele-Arzt online über eine webbasierte Plattform aufrufen kann. Der Tele-Arzt ruft zurück, spricht mit dem Patienten über seine Beschwerden und gibt eine Empfehlung für die Behandlung. Im Idealfall kann der Tele-Arzt den Patienten abschließend telemedizinisch beraten. Ist eine taggleiche persönliche Vorstellung des Patienten bei einem Arzt notwendig, wird der Patient an eine dienstbereite Haus- oder Facharztpraxis weitergeleitet.

Beim Wettbewerb "Ausgezeichnete Gesundheit 2019" hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) kürzlich docdirekt mit dem ersten Preis in der Rubrik "Versorgung digital" ausgezeichnet.

Die Zahlen zeigen: Besonders stark nutzen die 30- bis 49-Jährigen die Fernbehandlung (63 %). Auch ältere Patienten sind offen: Rund 25 % der Nutzer sind zwischen 50 und 69 Jahre alt (vgl. Tabelle 1). Im Hinterkopf behalten muss man dabei allerdings, dass Privatpatienten durchschnittlich älter sind als GKV-Versicherte. Der überwiegende Teil der erfolgten Fernbehandlungen fällt laut der Analyse in den Bereich der Allgemeinmedizin (44 %), gefolgt von Kinder- und Jugendmedizin mit 16 % (vgl. Tabelle 2).

Nachfrage nach E-Rezepten steigt

Laut Statistik wurden pro Patient 1,3 Rezepte ausgestellt. Dabei stieg die Nachfrage nach Rezepten kontinuierlich an: TeleClinic verzeichnet über die Quartale hinweg ein durchschnittliches Wachstum von 20 % hinsichtlich Rezeptausstellung. Besonders häufig wurden Nasensprays, Antirheumatika, Diabetesmedikamente, Asthmasprays, Augentropfen oder Salben verschrieben. 63 % der ausgestellten E-Rezepte fallen in den Bereich der Allgemeinmedizin, gefolgt von Dermatologie (14 %) und Kinder- und Jugendheilkunde (6 %). Auch in den Bereichen Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Urologie und Augenheilkunde wurden Rezepte ausgestellt (jeweils 5 %).

An den Verschreibungen lasse sich erkennen, dass insbesondere bei Patienten mit Bagatell-
erkrankungen oder chronischen Erkrankungen abschließende Diagnosen und damit elektronische Rezepte möglich seien, so die Initiatoren. Außer bei Erkältungen, Ekzemen oder Bindehautentzündungen seien insbesondere bei Diabetes oder Allergien wie Heuschnupfen häufig Rezepte ausgestellt worden.

Wiederkehrende Nutzung

Im Evaluationszeitraum hätten die Patienten die Fernbehandlung durchschnittlich 1,5-mal genutzt. Diese wiederholte Nutzung belege, dass die Patienten mit der Fernbehandlung gute Erfahrungen gemacht hätten und zufrieden mit der Qualität seien, kommentiert TeleClinic diese Auswertung.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (9) Seite 30-32