Sowohl die Gesundheitsuntersuchung "Check-up 35" als auch Krebsfrüherkennungsuntersuchungen wie das Hautkrebsscreening, der Test auf okkultes Blut im Stuhl zur Früherkennung von Darmkrebs sowie die Untersuchung zur Früherkennung von Prostatakrebs gehören zum "täglich Brot" in deutschen Hausarztpraxen. Der Nutzen der Bestimmung des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) ist allerdings umstritten.

Die Bestimmung des Prostata-spezifischen Antigens im Blut (PSA) zur Früherkennung von Prostatakrebs ist in Deutschland keine Kassenleistung, wird aber von vielen Männern als individuelle Gesundheitsleistung in Anspruch genommen [1].

Leitlinienempfehlungen

Evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen zum PSA-Screening sind international und auch national uneinheitlich. Während sich die United States Preventive Services Task Force in ihrer aktualisierten Empfehlung nach wie vor gegen ein generelles PSA-Screening ausspricht, wird in der 2018 aktualisierten deutschen S3-Leitlinie (federführende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Urologie) eine ausführliche Information aller Männer ab 45 Jahre empfohlen, die eine mutmaßliche Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren haben [2, 3].

Ein solches systematisches Ansprechen von Männern ab 45 (unabhängig vom Beratungsanlass) wird von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) explizit nicht empfohlen [4]. Ein entsprechendes Sondervotum in der S3-Leitlinie sowie eine DEGAM-Praxisempfehlung wird damit begründet, dass der Nutzen des PSA-Screenings in der Hausarztpraxis nach aktueller Studienlage aus Sicht der DEGAM nicht ausreichend belegt ist [3]. Ausführungen von Dubben zufolge wird ein Nutzen auch zukünftig kaum belegbar sein [5].

Der Schaden durch PSA-Screening infolge von falsch positiven Befunden sowie Überdiagnosen/Übertherapie (Diagnose und Therapie von Prostatakrebs, der ohne das PSA-Screening nie klinisch auffällig geworden wäre) ist jedoch aus Sicht der DEGAM ausreichend gut belegt, um von einem proaktiven Ansprechen von Männern auf diese Früherkennungsuntersuchung abzuraten [4].

Beratung von Männern in der Hausarztpraxis

Vonseiten der Patienten kommt es in deutschen Hausarztpraxen, gerade auch im Zusammenhang mit anderen präventiven Beratungsanlässen, mutmaßlich recht oft zur expliziten Frage nach PSA-Screening. In dieser Situation ist eine fundierte, ergebnisoffene und patientenverständliche Beratung durch den Hausarzt notwendig und sinnvoll. In diesem Punkt sind sich auch die weiter oben zitierten Leitlinien einig: Männer sollen über die Vor- und Nachteile der Früherkennung mittels PSA-Bestimmung individuell informiert werden.

Vorteile einer PSA-Bestimmung

Eine Zusammenfassung aller randomisierten kontrollierten Studien zum PSA-Screening durch die Cochrane-Collaboration zeigte keinen Einfluss des Screenings auf die krankheitsspezifische und die Gesamtmortalität. Betrachtet man nur die mit Abstand größte randomisierte kontrollierte Studie (ERSPC-Studie [6]) und blendet man die Ergebnisse der ebenfalls großen, aber aufgrund von methodischen Mängeln zuletzt in Kritik geratenen PLCO-Studie [7] aus, dann zeigt sich in dem untersuchten Kollektiv von knapp 250.000 Männern eine Reduktion der Prostatakarzinom-spezifischen Sterblichkeit. Die Größenordnung dieses Effektes liegt bei ca. einem verhinderten Todesfall an Prostatakarzinom pro 1.000 gescreenten Männern. Allerdings zeigt sich in den Daten der ERSPC-Studie kein Einfluss eines Screenings auf die Gesamtmortalität [6]. Um eine mögliche Verschlechterung der Gesamtmortalität durch ein Screening, z. B. durch die Überdiagnostik und Übertherapie bedingt, ausschließen zu können, wären Studien mit mehreren Millionen Teilnehmern nötig [5].

Ein für den Patienten relevanter Nutzen der PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs gilt daher aus wissenschaftlicher Sicht als nicht belegbar.

Nachteile einer PSA-Bestimmung

Wenn man die invasive Prozedur der Blutentnahme, eine mögliche seelische Belastung in der Wartezeit auf das Ergebnis und die Kosten für die Untersuchung ausklammert, sind als Nachteile einer PSA-Bestimmung im Wesentlichen die Wahrscheinlichkeit falsch positiver und falsch negativer Befunde, das Risiko von Folgeuntersuchungen sowie das Risiko für das Entdecken und die Therapie von Tumoren, die ansonsten weder klinisch auffällig geworden wären noch das Leben des Mannes verkürzt hätten, zu nennen. Vergleicht man durch Autopsie ermittelte Prävalenzdaten mit der Häufigkeit von Prostatakarzinomen als Todesursache, fällt eine erhebliche Diskrepanz gerade in höheren Altersgruppen auf [5]. Der überwiegende Anteil aller Männer stirbt also mit einem (unentdeckten) Prostatakarzinom, die wenigsten sterben daran. Ein akribisches Suchen nach Tumoren, z. B. im Rahmen von Screeningprogrammen, führt zwangsläufig zum Finden auch solcher Tumoren, die das Leben der betroffenen Patienten ohne das Screening nie negativ beeinflusst hätten. Solche Überdiagnosen und die konsekutive Übertherapie in Form von Operationen, Chemo- und Strahlentherapien, damit verbundene Komplikationen, weitere Diagnostik etc. sind also für Betroffene ausschließlich als Schaden zu werten. Pro Mann, der durch eine PSA-Bestimmung vor einem Tod an Prostatakarzinom bewahrt wird, erhalten ca. 15 Männer eine in jeglicher Hinsicht unnötige Krebsdia-
gnose und ggf. eine Krebstherapie (Abb. 1) [6].

Auch das Risiko von Folgeuntersuchungen wie vor allem der Prostatabiopsie bei auffälligem PSA-Wert ist als Nachteil der PSA-Bestimmung zu nennen: Pro Mann, der durch eine PSA-Bestimmung vor einem Tod an Prostatakarzinom bewahrt wird, erleiden 45 Männer Diagnostik-bedingte Komplikationen wie u. a. Schmerz, Fieber, Blutung, Infektion und vorübergehende Miktionsbeschwerden. Einer davon erleidet eine schwere Komplikation, die zu einer Krankenhauseinweisung führt [6, 8].

Individuelle Entscheidungsfindung

Eine Herausforderung bei der Beratung von Männern bezüglich PSA-Screening stellt die starke Altersabhängigkeit der Prävalenz und damit auch der prädiktiven Werte des PSA-Tests dar. Pauschale Darstellungen der o. g. Zahlen werden damit den meisten Männern nicht gerecht. Auch gelten diese Zahlen nicht für Männer mit erhöhtem Risiko, bspw. wenn Verwandte ersten Grades von einem Prostatakarzinom betroffen sind. Für diese komplexe Situation könnte der neu entwickelte Risikorechner arriba-PSA (https://bit.ly/2OXHMN8) eine Hilfe für die hausärztliche Beratung darstellen [9]. Mittels patientenverständlicher Smiley-Grafiken können die Vor- und Nachteile eines PSA-Screenings individuell erarbeitet und gemeinsam eine informierte Antwort auf die Frage "PSA-Wert ja oder nein" gefunden werden.

Das Dilemma, dass ein patientenrelevanter Nutzen der PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs nicht belegt und auch nicht belegbar ist, ein Schaden jedoch schon, wird auch der Risikorechner nicht auflösen können. Diese Tatsachen sollten umso mehr allen Männern, die nach der Untersuchung fragen, klar vermittelt werden.


Literatur
1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. DEGAM-Zukunftspositionen: Allgemeinmedizin - spezialisiert auf den ganzen Menschen. 2012; Verfügbar unter: https://bit.ly/2NCUb8U (zuletzt überprüft am 21.11.2018)
2. Kassenärztliche Bundesvereinigung. Übersicht Früherkennungsuntersuchung. 2018; Verfügbar unter: https://bit.ly/2qWsqil (zuletzt überprüft am 21.11.2018)
1. Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen. IGeL Monitor. 2018; Verfügbar unter: https://bit.ly/2BnThtz (zuletzt überprüft am 21.11.2018)
2. U.S. Preventive Services Task Force. Prostate Cancer: Screening. 2018; Verfügbar unter: https://bit.ly/2pqhR4s (zuletzt überprüft am 21.11.2018)
3. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, Kurzversion 5.0, AWMF Registernummer: 043/022OL. 2018; Verfügbar unter: https://bit.ly/1s2uAt4 (zuletzt überprüft am 21.11.2018)
4. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. DEGAM-Praxisempfehlung Hausärztliche Beratung zu PSA-Screening. 2018; Verfügbar unter: https://bit.ly/2KST6YR (zuletzt überprüft am 21.11.2018)
5. Dubben HH. Früherkennung des Prostatakarzinoms. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2014;57:318–26.
6. Schröder FH, Hugosson J, Roobol MJ, Tammela TLJ, Zappa M, Nelen V, u. a. Screening and prostate cancer mortality: results of the European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) at 13 years of follow-up. Lancet 2014;384:2027–35.
7. Andriole GL, Crawford ED, Grubb RL, Buys SS, Chia D, Church TR, u. a. Mortality Results from a Randomized Prostate-Cancer Screening Trial. NEJM. 2009;360:1310–9.
8. Moyer VA, U.S. Preventive Services Task Force. Screening for prostate cancer: U.S. Preventive Services Task Force recommendation statement. Ann Intern Med. 2012;157:120–34.
9. arriba Genossenschaft (Marburg). arriba-Modul PSA-Screening. 2018; Verfügbar unter: https://bit.ly/2OXHMN8 (zuletzt überprüft am 21.11.2018)


Autor:

Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Kötter, MPH

Institut für Allgemeinmedizin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Lübeck
23562 Lübeck

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (7) Seite 56-61