Nicht selten kommt es vor, dass Patienten ihre erkrankten Kinder nicht beim Pädiater vorstellen, sondern sie zu ihrem Hausarzt mitnehmen. Worauf ist hier aus rechtlicher Sicht bei der Behandlung zu achten? Benötigt man in jedem Fall die Einwilligung beider Eltern und was passiert, wenn diese sich nicht einig sind?

Eine Einwilligung muss bei der Behandlung von Minderjährigen streng genommen grundsätzlich vorliegen und zwar sogar von beiden Elternteilen – auch, wenn diese getrennt leben und das gemeinsame Sorgerecht haben [1, 2]. Doch selbst dann, wenn diese Einwilligung in den meisten Fällen nur mündlich vorliegen muss, scheint dies in der Praxis kaum umsetzbar, zumal auch nur selten beide Elternteile anwesend sind. In diesem Fall muss der Elternteil, der das Kind begleitet, darauf vertrauen können, dass der andere Elternteil den Diagnose- und Behandlungseingriffen zustimmt. Doch kann der Arzt hierauf auch blind vertrauen oder muss er sich absichern? Hierzu sagt das Oberlandesgericht Hamm in einem Urteil vom 29.9.2015 [3]: "Ein ärztlicher Heileingriff bei einem minderjährigen Kind bedarf grundsätzlich der Zustimmung beider sorgeberechtigter Eltern. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, darf dieser in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen – abhängig von der Schwere des Eingriffs – darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat."

Relevante Altersgrenzen
Bei der rechtlichen Beurteilung, ob und wann eine Einwilligung der Eltern vor der Behandlung eines minderjährigen Patienten vorliegen muss, sind verschiedene Altersgrenzen zu berücksichtigen. Patienten unter 18 Jahren sind minderjährig, allerdings gelten Minderjährige zwischen dem 7. und 18. Lebensjahr bereits als "beschränkt geschäftsfähig". Das bedeutet, dass in diesem Alter tatsächlich bereits Behandlungsverträge geschlossen werden dürfen, diese aber nur durch zusätzliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreter wirksam sind [1]. In diese Altersspanne fällt eine weitere "weiche" Altersgrenze, welche zum einen bei kleineren bis mittelgroßen medizinischen Eingriffen zum Tragen kommen kann, zum anderen bei einer Ausnahmesituation, wie es bei einem Schwangerschaftsabbruch der Fall ist: Ab ca. 14 Jahren kann ein Patient selbst einwilligen, vorausgesetzt, er ist nach Beurteilung des Arztes in der Lage und besitzt die geistige Reife, die möglichen Folgen seiner Entscheidung (für oder gegen einen Eingriff) zu ermessen. Hier obliegt dem Arzt also ein gewisser Beurteilungsspielraum [2].

Ein rechtssicheres Verhalten hängt also fast immer vom Einzelfall ab, so z. B. von der Schwere und Art des Eingriffs und davon, wie dringend eine medizinische Maßnahme ergriffen werden muss. Handelt es sich um einen sogenannten "Bagatelleingriff" oder "Routinefall", wie z. B. die Versorgung einer Schürfwunde nach einem Sturz, darf der Arzt auf die Ermächtigung des anwesenden Elternteils vertrauen und von der Zustimmung des abwesenden Elternteils ausgehen [2, 5]. Erst bei größeren Eingriffen, die gesundheitliche Risiken bergen, kann nicht mehr zwingend davon ausgegangen werden, dass sich beide Elternteile einig sind, so dass der Arzt hier die Einwilligung beider einholen muss.

Streitfall Impfung

Werden sich bei Entscheidungen zu größeren Eingriffen beide Elternteile partout nicht einig, kann das Familiengericht einem Elternteil die Entscheidungskompetenz übertragen [4]. Wo liegt jedoch die Grenze zwischen einem Bagatelleingriff und einem größeren Eingriff, der die offizielle Einwilligung beider Elternteile voraussetzt? Ein für Hausärzte relevantes und aktuelles Beispiel stellt die Impfproblematik dar. Der Bundesgerichtshof widmete sich 2017 dem folgenden Fall: Die getrennt lebenden, aber gemeinsam sorgeberechtigten Eltern einer vierjährigenTochter waren sich uneinig, ob ihr Kind, das bei der Mutter lebte, die von der STIKO empfohlenen Impfungen erhalten sollte. Während der Vater die Impfungen befürwortete, lehnte die Mutter diese mit der Begründung ab, das Risiko von Impfschäden wiege schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Das Gericht entschied zugunsten des Vaters und übertrug ihm das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen. Es vertrat die Ansicht, die Entscheidung entspräche dem Kindeswohl und die Impffrage könne nicht zu einer "Angelegenheit untergeordneter Bedeutung" herabgestuft werden [6]. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Arzt im Falle einer Impfung eines Minderjährigen das Einverständnis beider Elternteile benötigt. Zwar darf der Arzt auch hier darauf vertrauen, wenn der anwesende Elternteil die Einwilligung des anderen glaubhaft angibt (gut dokumentieren!). Liegen jedoch Zweifel vor, z. B. weil sich bei einem vorhergehenden Beratungsgespräch in der Praxis der andere Elternteil kritisch zum Sinn einer Impfung geäußert hat, muss der Arzt sich offiziell rückversichern. Tut er dies nicht und führt die Impfung trotzdem durch, kann er sich theoretisch der Körperverletzung schuldig machen [2].

Was tun, wenn kein Elternteil erreichbar ist?

Besteht eine akute Behandlungsbedürftigkeit, u. U. sogar Lebensgefahr, darf ein minderjähriger Patient natürlich auch dann behandelt werden, wenn gar kein Elternteil anwesend oder erreichbar ist und keine Einwilligung erteilt werden kann [1]. Gleiches gilt, wenn die Eltern zwar anwesend sind, aber z. B. aus religiösen oder weltanschaulich motivierten Gründen nicht in die Behandlung einwilligen. Besteht keine Lebensgefahr und der Eingriff ist zeitlich aufschiebbar, müsste die Behandlung durch ein Familiengericht genehmigt werden [1, 2]. Außerdem ist zu beachten, dass auch das Nichtbehandeln, z. B. durch Nichtbefreien von Schmerzen, als Körperverletzung gewertet werden kann. Verlangt z. B. ein 15-jähriger Patient nach einem Unfall nach einem Schmerzmittel, welches Sie durch Injektion verabreichen möchten, und seine Eltern – die eigentlich in die Injektion einwilligen müssten – sind nicht erreichbar, kann der Arzt bei notwendiger Reife des minderjährigen Patienten akzeptieren, dass nur er allein in die Injektion einwilligt [2] (s. Kasten).


Literatur:
1. Jana Pauls, Medizinrecht: Rechtsprobleme bei der Behandlung Minderjähriger, Roos Nelskamp Schumacher & Partner, Rechtsanwälte; https://www.rnsp.de/aktuelles/rechtsprobleme-bei-der-behandlung-minderjaehriger/
2. Große Feldhaus S (2019): Der minderjährige Patient. In: Große Feldhaus S, Große Feldhaus J (Hrsg.) Arzt und Recht bei Fehlern und Irrtümern - Für Praxis, Klinik und Begutachtung. München: Urban & Fischer in Elsevier, S. 119-124
3. Oberlandesgericht Hamm, Urt. vom 29.09.2015, Az.: 26 U 1/15; Einwilligung der Eltern in einen ärztlichen Heileingriff bei einem Kind
4. Kammergericht Berlin, Beschl. vom 18.05.2005, Az.: 13 UF 12/05
5. Schulenburg D, Eibl K, Einwilligung in die ärztliche Behandlung von Kindern und Jugendlichen, Rheinisches Ärzteblatt, Dezember 2017; https://www.aekno.de/page.asp?pageId=17342&noredir=True
6. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Mai 2017; Az. XII ZB 157/16 zum Entscheidungsrecht bei Uneinigkeit der Eltern über Schutzimpfung ihres Kindes;


Autorin:
Yvonne Schönfelder



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (6) Seite 64-68