Auf dem 121. Deutschen Ärztetag wurde durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbotes eine entscheidende Hürde auf dem Weg zum digitalen Arztbesuch genommen. Bisher sah das Verbot vor, dass eine ärztliche Behandlung nur dann per Telefon oder Videosprechstunde stattfinden darf, wenn Arzt und Patient sich bereits kennen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist nun im Einzelfall erlaubt. Aber wie funktioniert so eine Videosprechstunde eigentlich im Detail? Das sagt ein Experte dazu.

Ist der Weg nun frei für Dr. Online? Ob die Regelung in der Praxis greifen kann, entscheiden letztlich die Landesärztekammern, die ihre Berufsordnung entsprechend ändern müssten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit alle Kammern den Bundesvorgaben folgen. Manche haben es bereits getan, die meisten anderen werden wohl im Lauf der nächsten Monate nachziehen. Die Tür zur digitalen Welt steht also offen. Abseits davon stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit: Wo liegen die Vorteile der Videosprechstunde und wo stößt sie an ihre Grenzen?

Kann Telemedizin die Praxis entlasten?

Die Grenzen der Videosprechstunde liegen auf der Hand: Es findet kein persönlicher Kontakt zwischen Behandler und Patient statt. Eine Komponente, deren Einfluss auf den Heilungserfolg nicht zu unterschätzen ist. Darüber hinaus bleibt die akute Handlungsfähigkeit des Arztes auf ein Minimum beschränkt. Auf Patientenseite erscheint die Online-Konsultation sehr attraktiv: Gerade Berufstätige, pflegende Angehörige, chronisch Kranke oder Patienten mit langen Anfahrtswegen zur Praxis profitieren von dem zusätzlichen Kommunikationskanal. In Zeiten langer Wartelisten könnte die Telemedizin einen Ausweg bieten und auch die Praxen entlasten. Besonders in der psychotherapeutischen Betreuung von Patienten ist es wichtig, dass die Betroffenen schnell Hilfe erhalten – ohne lange Wartezeiten oder weite Anfahrtswege. Darüber hinaus verringern virtuelle Sprechstunden die Ansteckungsgefahr durch andere Patienten und können auch eine Art Vorfilterfunktion erfüllen. Besonders bei Rückfragen, Beratungen oder Befundbesprechungen könnten die virtuellen Sprechstunden ihren Nutzen zeigen.

Videosprechstunde nach und nach in den Praxisalltag einbauen

Ärzte müssen sich die Frage stellen, welche Chancen dieser neue Kommunikationsweg für sie und ihre Praxis bieten kann. Als sogenannter Early Adopter gilt es zu berücksichtigen, dass es sich um eine digitale Innovation handelt, die am Anfang ihrer technischen Entwicklung und ihres Breiteneinsatzes steht. In dieser Phase ist eine Kostendeckung noch nicht vollständig möglich, eine Gewinnerzielung daher nicht vorhanden. Mittelfristig kann sich hier aber nur etwas bewegen, wenn die Videosprechstunde mehr und mehr Teil des Praxis-
alltags wird.

Durch das Sammeln von konkreten Erfahrungen wird ein entsprechendes Know-how aufgebaut. Der Anwender kann dann ausloten, wie groß die Akzeptanz der Patienten ist, welche Zielgruppe sich besonders eignet und welche Inhalte in den Gesprächen transportierbar sind. Darüber hinaus hat die Einführung durchaus einen positiven Effekt auf das Image der Praxis: Auch Patienten, die derartige Leistungsangebote nie in Anspruch nehmen würden, empfinden ihre Praxis als modern, innovativ und zeitgemäß. Für Ärzte stellt die Freisetzung von Ressourcen einen wichtigen positiven Nebeneffekt dar. Die Online-Videosprechstunde ist in der Lage, zeitliche Freiräume zu schaffen, da die virtuell betreuten Patienten nicht auf die Praxis-Ressourcen zugreifen.

So funktioniert die Videosprechstunde

Vor Beginn der virtuellen Sprechstunde muss der Patient schriftlich in deren Durchführung einwilligen. Wie bei einer konventionellen Sprechstunde wird vorab ein gemeinsamer Termin vereinbart. Um die Fernsprechstunde abzuhalten, benötigt die Praxis ein Konto bei einem von der KBV zertifizierten Videodienstanbieter. Voraussetzung für Arzt und Patient: ein Bildschirm mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher sowie eine Internetverbindung. Zur vereinbarten Zeit melden sich beide Seiten auf der Webseite des Anbieters an. Dieser verbindet die Gesprächspartner und verschlüsselt alle übertragenen Daten Ende zu Ende. Die Übertragung der Sprechstunde erfolgt über eine Peer-to-Peer-Verbindung ohne Nutzung eines zentralen Servers. So bleibt gewährleistet, dass der Videodienstanbieter den Datenstrom nicht mitlesen oder speichern kann. Für den optimalen Ablauf ist vor allem auf eine störungsfreie und vertrauliche Durchführung zu achten. Dazu gehört eine ruhige Atmosphäre auf beiden Seiten, ausreichend Licht und dass der Patient sich allein im Raum befindet.

Außerdem muss der Klarname des Behandelten erkennbar sein und die Videosprechstunde darf nicht aufgezeichnet werden. Der Videodienstanbieter muss darüber hinaus sicherstellen, dass die virtuelle Sprechstunde frei von jeglicher Werbung durchgeführt werden kann. Grundsätzlich eröffnet der Arzt die Online-Sprechstunde und ruft wie bei einem konventionellen Termin den Patienten ins virtuelle Sprechzimmer.

Auch Telemedizin will gelernt sein

Die Bedingungen für eine erfolgreiche Videosprechstunde scheinen auf den ersten Blick leicht zu erfüllen zu sein. Allerdings scheitert das Vorhaben oftmals bereits an der technischen Ausstattung. Zwar haben 96 % der niedergelassenen Ärzte Zugang zu einem Computer, aber weniger als die Hälfte besitzt einen dringend benötigten Internetzugang. Neben den harten Fakten gilt es auch zu berücksichtigen, ob Ärzte auf die veränderte Kommunikation vorbereitet sind.

Bereits während der Ausbildung sollten die digitalen Möglichkeiten zum Thema gemacht werden: Wie muss der Behandelnde sich im Gegensatz zur Präsenz-Sprechstunde verhalten? Wie funktioniert die Abrechnung mit der Krankenkasse? Auch bereits praktizierende Ärzte müssen auf den neuen Stand gebracht werden. Nur dann lässt sich die Videosprechstunde zum Vorteil aller effektiv nutzen.

Bevor allerdings die Panik vor rein virtueller Behandlung bei Patienten als auch bei Ärzten aufsteigt: Die Videosprechstunde wird bleiben, was sie ist – ein zusätzlicher Kommunikationskanal.



Autor:

© Techniklotsen GmbH
Karsten Glied

Geschäftsführer der Techniklotsen GmbH

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (1) Seite 34-36