Die Aufklärung über Sexualverhalten und sexuell übertragbare Infektionen (STI) ist auch beim Hausarzt häufig noch ein Tabuthema. Dabei gelten STI als Marker für HIV, können gefährliche Folgeerkrankungen nach sich ziehen und sind hierzulande auf dem Vormarsch. Eine aktuelle Befragung zeigt, wie schwer sich Allgemeinärzte hier oft mit dem Patientengespräch tun. Für die STI-Prävention ist eine offene Kommunikation aber gerade so wichtig.

Sexuell übertragbare Infektionen wie Chlamydien, Gonorrhö (Tripper) oder Syphilis (Lues) nehmen in Deutschland deutlich zu [1 – 4]. Die Inzidenz von HIV hält sich seit 2005 auf einem annähernd stabilen Niveau: 2016 lag die Gesamtzahl der Neuinfektionen bei etwa 3.100 Fällen. 68 % sind davon Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Der Anteil der noch nicht diagnostizierten HIV-Infektionen stieg 2016 langsam auf 12.700 [5].

Bei allen STI muss man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Langfristig können sie zu ernsten gesundheitlichen Problemen wie Unfruchtbarkeit oder sogar Tod führen. STI erhöhen auch das Risiko der Ansteckung der Sexualpartner und gegebenenfalls der Babys infizierter Schwangerer. Das Nichtwissen um STI ist in der deutschen Bevölkerung groß [1, 6]. Ein Großteil dieser Infektionen ließe sich jedoch vermeiden [7]. Die Tabuisierung von Sexualität und STI erschwert Aufklärung und Versorgung [8]. Hausärzte als Primärversorger übernehmen hier, wie andere Fachärzte und der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD), eine wichtige Rolle. National wie international zeigt sich, dass Allgemeinärzte eher unsicher dabei sind, Patienten auf ihre Sexualität anzusprechen. Durch das Medizinstudium fühlen sich Hausärzte auch nicht ausreichend dafür ausgebildet [9, 10 – 12]. Scham und Angst führen bei Arzt und Patient nicht selten zur Vermeidung des Themas in der Patientenberatung [11].

Sächsische Pilotstudie: STI-Beratung beim Hausarzt

Eine schriftliche Befragung von Hausärzten, die 2016 am Jahreskongress der Sächsischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM) teilnahmen, beschäftigte sich mit dem Themenbereich "STI-Beratungskompetenz und -verhalten". 47 (75 %) der 63 hausärztlich tätigen Kongressteilnehmer – überwiegend Fachärzte für Allgemeinmedizin, 62 % von ihnen Frauen – beantworteten den vierseitigen Fragebogen. Bei fast der Hälfte der Befragten (47 %) lag das Medizinstudium 20 Jahre oder länger zurück. Etwa die Hälfte der Hausarztpraxen befand sich in eher kleinstädtischer und fast ein Viertel in ländlicher oder großstädtischer Region.

Nur 30 % der befragten Ärzte bewerteten sich als adäquat ausgebildet, um Patienten zu STI zu beraten. 43 % verwiesen auf ein (eher) unzureichendes STI-Wissen. Deutlich mehr Ärztinnen (50 %) als Ärzte (21 %) halten sich eher für unzureichend ausgebildet. 32 % gaben jedoch an, sich in Beratungssituationen zu Sexualverhalten und STI eher wohlzufühlen (vgl. Abb. 1). Unabhängig von Alter oder Geschlecht erklärte gut ein Viertel, immer oder manchmal Beratungssituationen zum Sexualverhalten/STI zu vermeiden.

Fast alle Befragten (98 %) bestätigten, die Patienten präventiv zu Sexualverhalten/STI zu beraten. 72 % tun dies allerdings weniger als einmal pro Monat. Geschlecht und Alter der Befragten hatten dabei nichts mit der Beratungshäufigkeit zu tun. Etwa ein Drittel gab an, immer zu beraten, wenn Beschwerden vorliegen, die auf eine mögliche STI verweisen. Bei Patienten mit einem vermuteten Infektionsrisiko – unabhängig vom Beratungsanlass – gaben 2 % der Ärzte an, immer eine STI-Beratung zu machen,
23 % taten das nie. Bei Patienten mit aktivem Wunsch einer STI-Beratung kamen 58 % der Ärzte dem Beratungswunsch selten oder nie nach. Hausärzte führen STI-Beratungen auch häufiger bei jüngeren Altersgruppen durch (vgl. Tabelle 1). STI-Beratung bei Patienten, die käuflichen Sex nutzten oder anboten, nehmen 21 % der Hausärzte vor. Die meisten gaben jedoch an, diese Patientengruppe seltener als monatlich zu beraten. Der Großteil der Hausärzte (89 %) erklärte, dass sie Patienten mit STI-Diagnose oder -Diagnoseverdacht an spezialfachärztliche Kollegen im ambulanten Setting überweisen oder den ÖGD empfehlen.

Bessere Beratungskompetenz

Die Mehrheit der Studienteilnehmer hat einen sichtbaren Bedarf an hausärztlicher Fort- und Weiterbildung zu Sexualverhalten/STI. Durch Fortbildungen, am besten schon im Medizinstudium, sollte das breite Spektrum der STI thematisiert, die Prävention betont und die kommunikative Kompetenz bei scham- oder tabubesetzten Themen durch Kommunikationstrainings geschult werden.

Wegen der steigenden Patientenzahlen ist es wichtig, dass auch Hausärzte eine risikogruppenspezifische Beratung, Testung und Therapie anbieten – im Rahmen des Präventionsauftrags gehört die Beratung zur STI-Prävention zu ihren Aufgaben. Schon durch kurze Beratungsgespräche können sie Patienten etwa zur Kondomnutzung motivieren [13, 14], die Primärdiagnostik für STI durchführen und unkomplizierte STI behandeln. Bei Chlamydien, Gonorrhö oder Frühsyphilis z. B. ist nicht zwingend eine Überweisung an andere Fachärzte nötig.

Die von den Hausärzten berichtete häufigere STI-Beratung vor allem jüngerer Patienten entspricht dem Risikoprofil von Chlamydieninfektionen, deren Inzidenzen steigen. Am häufigsten treten sie bei Patienten zwischen 15 und 29 Jahren auf [2]. Für Frauen bis zum 25. Lebensjahr ist ein gynäkologisches Chlamydien-Screening als Kassenleistung möglich, nicht aber für junge Männer. Laut einer aus-
tralischen Studie ist die Mehrheit der jüngeren Patienten (18 – 25 Jahre) offen für Gespräche mit dem Hausarzt über sexuelle Orientierung/Partner und sicheren Sex. Das ist bedeutsam, da bei sexuell aktiven Menschen ein Alter unter 25 als Risikofaktor für viele STI gilt [15]. Der Hausarzt ist bei jungen Erwachsenen – nach dem Wechsel vom Kinderarzt – meist auch der "neue" primärmedizinisch betreuende Arzt. Auch ältere Patienten sollten aber im Fokus der STI-Beratung und -Prävention bleiben. Für Syphilis z. B. sind die höchsten Inzidenzraten in der Altersgruppe bis 49 Jahre belegt, überwiegend bei MSM [4].

Durch Prävention und Früherkennung von STI beim Hausarzt ist ein niedrigschwelliger Zugang auch für männliche Patienten möglich. Risikogruppenbezogene STI-Screeningtests oder -Beratungsgespräche müssen zudem künftig in den Leistungskatalog der Hausärzte und der spezialärztlichen Versorger (z. B. Dermato-Venerologen, Urologen, Gynäkologen, HIV-Schwerpunktpraxen) als abrechenbare Leistung aufgenommen werden. STI sind auch Marker-Erkrankungen für die HIV-Infektion. Aufklärungskampagnen – vor allem in den Risikogruppen der Adoleszenten und der jungen Erwachsenen – sind deshalb nötig, die über STI, Ansteckungswege und Prävention aufklären, das Thema "enttabuisieren" und niedrigschwellige Versorgungswege aufzeigen [8].


Literatur
1. Corsten C, von Rüden U. Prävention sexuell übertragbarer Infektionen (STI) in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2013;56(2):262-8.
2. Robert Koch Institut. Chlamydia trachomatis - Laborsentinel. Epidemiologisches Bulletin. 2013;2013(Nr. 46):469-76.
3. Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen. Epidemiologische Aspekte bei Neisseria gonorhoeae- und Chlamydia trachomatis-Infektionen, unter besonderer Berücksichtigung der Meldedaten aus Sachsen*. LUA-Mitteilungen. 2012;2012(04):22-9.
4. Robert Koch Institut. Weiterer starker Anstieg der Syphilis bei MSM in Deutschland im Jahr 2014. Epidemiologisches Bulletin. 2015;2015(Nr. 49):515-27.
5. Robert Koch Institut. Schätzung der Zahl der HIV-Neuinfektionen und der Gesamtzahl von Menschen mit HIV in Deutschland. Epidemiologisches Bulletin. 2017;2017(47).
6. Gille G, Klapp C, Diedrich K, Schäfer A, Moter A, Griesinger G, et al. Chlamydien–eine heimliche Epidemie unter Jugendlichen. Prävalenzbeobachtung bei jungen Mädchen in Berlin. Dtsch Arztebl. 2005;102(28-29).
7. Fuchs W, Brockmeyer NH. Sexuell übertragbare Infektionen. JDDG: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft. 2014;12(6):451-65.
8. Badura-Lotter G. Sexuell übertragbare Krankheiten. Die Bedeutung von Stigma und Tabu für die Versorgungsrealität. Der Urologe. 2014;53(4):548-56.
9. Cedzich DA, Bosinski HA. Sexualmedizin in der hausärztlichen Praxis: Gewachsenes Problembewusstsein bei nach wie vor unzureichenden Kenntnissen. Sexuologie. 2010;17(3):147.
10. Markham WA, Bullock AD, Matthews P, Firmstone VR, Kelly S, Field SJ. Sexual health care training needs of general practitioner trainers: a regional survey. The journal of family planning and reproductive health care / Faculty of Family Planning & Reproductive Health Care, Royal College of Obstetricians & Gynaecologists. 2005;31(3):213-8.
11. Verhoeven V, Bovijn K, Helder A, Peremans L, Hermann I, Van Royen P, et al. Discussing STIs: doctors are from Mars, patients from Venus. Family practice. 2003;20(1):11-5.
12. Matthews P, Fletcher J. Sexually transmitted infections in primary care: a need for education. The British journal of general practice : the journal of the Royal College of General Practitioners. 2001;51(462):52-6.
13. Kamb ML, Fishbein M, Douglas Jr JM, Rhodes F, Rogers J, Bolan G, et al. Efficacy of risk-reduction counseling to prevent human immunodeficiency virus and sexually transmitted diseases: a randomized controlled trial. Jama. 1998;280(13):1161-7.
14. O‘Connor EA, Lin JS, Burda BU, Henderson JT, Walsh ES, Whitlock EP. Behavioral sexual risk-reduction counseling in primary care to prevent sexually transmitted infections: a systematic review for the US Preventive Services Task Force. Annals of internal medicine. 2014;161(12):874-83.
15. Meyers D, Wolff T, Gregory K, Marion L, Moyer V, Nelson H, et al. USPSTF recommendations for STI screening. American family physician. 2008;77(6).



Autoren:

Dr. Dipl.-Soz. Karen Voigt MPH (Foto), Jeannine Schübel, Petra Spornraft-Ragaller, Antje Bergmann, Henna Riemenschneider

Allgemeinmedizin/MK3
Universitätsklinikum der Technischen Universität Dresden
01307 Dresden

Interessenkonflikte: KV und JS sind als Mandatsträgerinnen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) an der Konsentierung der AWMF-Leitlinie "STI – Beratung, Diagnostik und Therapie" beteiligt. PSR ist als Autorin an mehreren AWMF-Leitlinien zu Diagnostik/Therapie von STI beteiligt. Darüber hinaus werden keine Interessenkonflikte angegeben.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (19) Seite 24-27