Frage: Neulich wurde ich aus der Sprechstunde heraus zu einem Patienten gerufen, der seit einer Stunde starkes Nasenbluten hatte. Ich konnte dieses mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nicht stillen und veranlasste die Einweisung. Ich kontrollierte bis zum Eintreffen der Sanitäter den Blutdruck und drückte abwechselnd mit dem Patienten auf den Locus Kiesselbachii. Aufgrund der längeren Wege bei uns auf dem Land dauerte es 20 Minuten, bis der Patient abgeholt wurde. Diese Zeit fehlte mir anschließend in der Sprechstunde. Kann ich diese Wartezeit abrechnen?

Antwort

Bei einem gesetzlich versicherten Patienten kann diese Zeit nicht abgerechnet werden. Zwar existiert die EBM-Ziffer 01440 "Verweilen außerhalb der Praxis ohne Erbringen weiterer berechenbarer Gebührenordnungspositionen", die mit 26,21 Euro bewertet ist. Diese ist jedoch "je VOLLENDETE 30 Minuten" ansetzbar. Da im vorliegenden Fall die "Wartezeit" jedoch nur 20 Minuten betrug, wird die Zeitvorgabe für die 01440 leider nicht erfüllt. Hätten die Sanitäter länger gebraucht als eine Stunde, wäre der Ansatz sogar 2x möglich gewesen ("je vollendete 30 Minuten").

Ein wenig anders verhält es sich bei einem Privatpatienten. Hier gilt für das "untätige Verweilen" die GOÄ-Ziffer 56 (18,89 Euro), die "je ANGEFANGENE halbe Stunde" ansetzbar ist, allerdings erfordert die Abrechnung auch hier mindestens eine komplette halbe Stunde Verweilzeit. Danach kann man diese Zeit und jede weitere angefangene halbe Stunde abrechnen. Im angefragten Fall (20 Minuten Verweilen) ließe sich also auch dafür keine Ziffer ansetzen. Wären die Sanitäter erst nach 33 Minuten gekommen, wäre der Ansatz der Ziffer 56 zweimal möglich gewesen (einmal für die erste komplette und einmal für die angefangene halbe Stunde).

Eine weitere Besonderheit liegt hier noch vor: Es dürfen in der Zeit, für die die Ziffer 56 angesetzt wurde, keine abrechenbaren Leistungen angefallen sein. Wird beispielsweise eine Infusion gelegt (Ziffer 271 "bis zu 30 Minuten Dauer"), dann ist in dieser Zeit der Ansatz des "untätigen Verweilens" nicht möglich, da im Sinne der Gebührenordnung ja nicht untätig verweilt, sondern eine Leistung erbracht wurde.

Und es gibt einen weiteren Unterschied zwischen EBM und GOÄ: Im Gegensatz zur EBM-Ziffer 01440, die explizit ein Verweilen außerhalb der Praxis vorschreibt, kann die GOÄ-Ziffer 56 auch in der Praxis angesetzt werden. Allerdings muss der Arzt dann mindestens 30 Minuten an der Seite des betreffenden Patienten verbringen, ohne irgendwelche andere Leistungen zu erbringen, was wohl nur bei ernsten Notfällen (Herzinfarkt) der Fall sein dürfte. Und in diesem Fall sollte der Rettungsdienst eigentlich in weniger als einer halben Stunde eintreffen, womit diese Betreuungsziffer wiederum nicht ansetzbar ist.

Tipp
Neben der GOÄ-Ziffer 56 sind je nach Ort, Uhrzeit und Wochentag die Zuschläge A bis D sowie E bis H ansetzbar, ebenso die Zuschläge K1/K2 (bei Kindern bis zum vollendeten 4. Lebensjahr).



Autor:

Dr. med. Gerhard Bawidamann

Facharzt für Allgemeinmedizin
93 152 Nittendorf


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Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (18) Seite 76