Das ärztliche Gespräch ist in der hausärztlichen Praxis eines der wichtigsten diagnostischen Werkzeuge. Missverständnisse gefährden den Behandlungsablauf, stören das Vertrauensverhältnis und wirken sich in vielfältiger Weise ungünstig aus. Daher ist es notwendig, die kommunikativen und kognitiven Grundlagen zwischenmenschlicher Kommunikation zu kennen, um Verstehensprobleme effektiv zu vermeiden. In diesem Beitrag erfahren Sie, auf welche Weise Sie wirkungsvoll mit Ihren Patienten kommunizieren und worauf Sie in Ihren Gesprächen achten sollten.

Ziel ärztlicher Gespräche ist die wechselseitige Herstellung von Verständnis und Vertrauen. Was banal klingt, ist in der Praxis oft gar nicht so leicht. Ein Gespräch führen heißt im medizinischen Kontext, wortwörtlich die Führung zu übernehmen, also das Gespräch aktiv zu steuern. In Gesprächen mit Patienten ist es Ihre Aufgabe, Verständnis aufzubauen und Vertrauen nachhaltig zu sichern. Gesprächsführung bedeutet zu wissen, auf welche Weise Sie an notwendige Informationen gelangen können. Professionelle Kommunikation meint zudem, Patienten mit den für sie notwendigen Informationen zu versorgen. Gerade mit Blick auf die Therapietreue ist es wichtig, dass Patienten ausreichend gut, d. h. verständlich, über Risiken, Nebenwirkungen und Wirkprozesse aufgeklärt werden. Das Verhalten Ihrer Patienten ist ein wesentlicher Faktor im Behandlungsprozess. Verhaltenssteuerung ist das primäre Ziel ärztlicher Kommunikation. Im Idealfall basiert das Verhalten auf einem wechselseitigen Aushandlungsprozess (shared decision making), in dem Patienten mit ihren Ideen, Ängsten und Erwartungen verstanden und wahrgenommen werden [1]. Gespräche, die Patienten Raum geben, sich in den Entscheidungsprozess einzubringen, müssen strukturiert und gesteuert werden. Von der richtigen Gesprächsführung hängt eine Menge ab: Mehr als 90 % aller richtigen Diagnosen basieren auf dem ärztlichen Gespräch [2]. Professionelles Sprachhandeln ist professionelles ärztliches Handeln [3].

Mit dem ICE zum Ziel – Ideas, Concerns & Expectations

Verschiedene kognitionspsychologische Modelle befassen sich mit der Frage, auf welche Weise Patienten ärztliche Informationen aufnehmen und verarbeiten. Verstehenssicherung im Gespräch beruht im Kern darauf, dass Sprecher und Hörer über die gleiche Sprache verfügen, also gemeinsame sprachliche Wissensbestände aktivieren können. Hier liegt oft der Hase im Pfeffer: Medizinische Fachwörter müssen laienverständlich übersetzt und erklärt werden, was häufig leichter gesagt als getan ist. Abbildungen, Skizzen und sprachliche Bilder (sog. Metaphern) eignen sich, um komplexe Sachverhalte anschaulich und leicht verständlich darzustellen. Gerade aussagekräftige Metaphern helfen dabei, ungewollte und falsche Vorstellungen (Ideas), Ängste (Concerns) und Erwartungen (Expectations), also die sogenannten ICEs, zu entkräften und zu korrigieren. Dazu muss man wissen, dass Krankheitsbegriffe in den Köpfen von Patienten komplexe kognitive Frames aktivieren, also vielfältige Vorstellungswelten entstehen lassen. Dazu gehören Vorstellungen über das Krankheitsbild, Ängste und Erwartungen an Behandler und Behandlung. Das ICE-Modell bezieht die Vorstellungen, Befürchtungen und Erwartungen der Patienten in die ganzheitliche Betrachtung von Symptomen mit ein [4]. Eine patientenzentrierte Gesprächsführung bedeutet, diese Parameter aktiv in den Blick zu nehmen. Das konventionelle Vorgehen in Anamnesegesprächen widerspricht jedoch häufig der Idee einer ganzheitlichen Beschwerdeerfassung. Selbstbild und subjektives Krankheitsempfinden werden oftmals ausgeblendet, Patienten werden somatisch fragmentiert. Diese somatische Fragmentierung, also der reine Blick auf biozentrische Daten, führt zu einer bruchstückhaften Datenerhebung.

Sprache schafft Bilder im Kopf

Begriffe sind an Vorstellungen gebunden. Jedes Wort, das wir hören, löst bestimmte Assoziationen in unseren Köpfen aus. Zugleich aktivieren Begriffe benachbarte Konzepte und Vorstellungen. Das Wort "Geburtstagsfeier" beispielsweise aktiviert in meinem wie wahrscheinlich auch in Ihrem Kopf Vorstellungen von dem Umfeld der Feier (es sind Gäste anwesend, es gibt Essen und Getränke), der Dauer (vielleicht mehrere Stunden) und der Gefühlslage (eine angenehme, feierliche Situation). Zudem entstehen Assoziationsverbindungen zu benachbarten Begriffen (Geschenke, Torte, Konfetti etc.). Verwoben sind solche kognitiven Elemente in sogenannten Frames, also in komplexen Wissensrahmen. Es gibt sprachliches Wissen und Weltwissen. Dadurch können wir Begriffe mit Vorstellungen verbinden [5]. Dieser Prozess läuft auch ab, wenn Patienten mit Krankheitsbegriffen konfrontiert werden. Menschen bilden unter Nutzung relevanter Gedächtnisinhalte eine kognitive Repräsentation von Krankheit. Das Common sense modell of illness beschreibt, dass Patienten Vorstellungen, Kognitionen und Emotionen erzeugen, die mit ihrer spezifischen Erkrankung (oder allein dem Namen einer Erkrankung) verbunden sind [6]. Das Modell entwirft ein subjektives Krankheitskonzept mit Annahmen über die Symptomatik, den Verlauf, die Konsequenzen, die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten einer (tatsächlichen oder befürchteten) Erkrankung.

Es handelt sich um komplexe Wissenssysteme, die im Wesentlichen aus fünf Dimensionen bestehen:
  1. Identität = namentliche Laiendiagnose; Krankheitsbezeichnung (Was ist das, was ich habe?)
  2. Kausalattributionen (Was ist die Ursache?)
  3. Dauer (Wie ist der zeitliche Verlauf?)
  4. Konsequenzen (Was sind die Folgen?)
  5. Kontrollierbarkeit (Wie kann man das behandeln?)

Wichtig ist es nun, das jeweilige Krankheitskonzept des Patienten zu explorieren und auf diese Weise im Gespräch die oben beschriebenen Vorstellungen, Ängste und Erwartungen (ICE) zur Sprache zu bringen. Über bewusste Wortwahl und geschickt gewählte sprachliche Bilder lassen sich Krankheitskonzepte zudem verändern (Framing).

"Framing" – Begriffe verändern Krankheitskonzepte

Ein Beispiel soll Ihnen zeigen, wie einfach und wirkungsvoll sich der Prozess des Framings, also der Veränderung des Krankheitskonzepts durch Sprache, gestalten kann: Der Fachbegriff ,Rhinitis’ und der Alltagsbegriff ,Schnupfen’ bezeichnen dasselbe Krankheitsbild, jedoch werden über den Fachbegriff (das Label als Teil der o. g. Dimension Identität) sehr andere Vorstellungen zu Ursache, Dauer, Folgen und Behandlung ausgelöst. Während das eine nach einer folgenschweren Erkrankung klingt, löst der Alltagsbegriff Vorstellungen von schneller Heilung und leichter Selbstmedikation aus. Verwenden Sie in Ihren Gesprächen daher nach Möglichkeit Übersetzungen und sprachliche Bilder, um Fachbegriffe kognitiv zu entschärfen und das Konzept der Krankheitsrepräsentation positiv zu verändern. In Zeiten von "Dr. Google" stellt diese Aufgabe Hausärzte vor besondere Herausforderungen: Ob das Konzept, das Patienten hinter einem Fachbegriff vermuten, den Tatsachen entspricht oder nicht, muss mühsam in Erfahrung gebracht werden. Es empfiehlt sich dennoch, die Patienten aktiv nach ihren (Krankheits-)Vorstellungen, ihren Befürchtungen und ihren Erwartungen zu befragen.

Nicht jedes sprachliche Bild passt in jeden Kopf

So wie nicht jedes Gemälde in jeden Raum passt, so eignet sich auch nicht jedes sprachliche Bild, um komplexe Sachverhalte anschaulich zu machen. Insbesondere dann kommt es zu Verstehensproblemen, wenn das medizinische Wissen des Arztes nicht dem lebensweltlichen Wissen des Patienten entspricht und Patienten Metaphern deswegen falsch interpretieren. Mit anderen Worten: Manchmal aktivieren Metaphern falsche Frames, also falsche Assoziationen in den Köpfen der Patienten, die zu Missverständnissen führen können.

Ein Beispiel: Einem Patienten soll die Nasenscheidewand begradigt werden. Das Weltwissen des Patienten über Wände (starr, fest) und kontextspezifische Assoziationen des Begriffs ,begradigen’ = ,gerade biegen’ (mit einem Werkzeug, schnell und ruckartig) führen zu einer völlig falschen Vorstellung über den tatsächlichen Behandlungsablauf: Ein starres Gebilde in der Nase wird durch Kraftanstrengung mittels eines Werkzeugs (z. B. Zange) gerade gebogen; kurze Dauer (vielleicht sofort machbar). Dass es sich bei der Septumplastik bei Septumdeviation um einen (z. T. stationären) operativen Eingriff handelt, wird durch dieses sprachliche Bild verschleiert. Es empfiehlt sich daher, selbst bei vermeintlich klaren sprachlichen Bildern immer über das ICE-Modell, also über die Abfrage von Vorstellungen, Ängsten und Erwartungen, das jeweilige subjektive kognitive Repräsentationsmodell des Patienten zu explorieren. Das kostet kaum Zeit und hilft, Missverständnisse effektiv zu vermeiden. ICE unterstützt das patientenzentrierte Verständnis und ist einer der kommunikativen Hebel für ein zielgerichtetes ärztliches Handeln.

Praxistipp: Zeit ist Geld – nutzen Sie die Gesprächsziffer
Sich kommunikativ auf Patienten einlassen kostet Zeit. So heißt es. Richtig ist jedoch: Zielführende und aktiv gelenkte Gesprächsführung spart im Schnitt 2 bis 3 Minuten pro Gespräch ein [7]. Am Tag sind das etwa 1,5 Stunden. Wie auch Sie das schaffen? Lassen Sie Ihre Patienten ausreden und unterbrechen Sie die initiale Rede nur, wenn es unbedingt sein muss. Stellen Sie zielführende Fragen und berücksichtigen Sie das ICE-Modell dabei. Lenken Sie das Gespräch mit dem Trichterprinzip von offenen zu geschlossenen Fragen. Warten Sie, wiederholen und spiegeln Sie das Gesagte Ihres Patienten, bis Sie alles verstanden haben. Hören Sie zu. Fragen Sie am Ende nicht "Haben Sie alles verstanden?", sondern besser "Was haben Sie verstanden?". Und: Nutzen Sie die Gesprächsziffer GOP 03230. Diese EBM-Ziffer erlaubt es Ihnen, ein problemorientiertes ärztliches Gespräch von mind. 10 Minuten Dauer abzurechnen – egal, ob Sie dieses mit dem Patienten selbst oder mit dessen Angehörigen führen. Auf diese Weise soll die hausarzttypische Gesprächsleistung gefördert werden. Durch Wegfall der Beschränkung auf Patienten mit "lebensverändernden Erkrankungen" im Jahr 2013 kann diese Ziffer wesentlich häufiger abgerechnet werden als früher. Selbst bei Budgetüberschreitung erfolgt eine abgestaffelte Vergütung. Das sollten Sie nutzen.


Literatur
1. Heisler M, J Gen Intern Med 2002; 17: 243-52
2. Martina B, J Gen Intern Med 1997; 12: 459-465
3. Bechmann S (2014): Medizinische Kommunikation. Grundlagen der ärztlichen Gesprächsführung. Francke, Tübingen
4. Kissling B, Schweiz Med Forum 2013; 13(51–52): 1056-1057
5. Ziem A (2008): Frames und sprachliches Wissen. Kognitive Aspekte der semantischen Kompetenz. De Gruyter, Berlin – New York
6. Leventhal H, Cognitive Therapy and Research 1992; 16 (2): 143-163
7 . Grobe TG, Dörning H, Schwartz FW (2010) Barmer-GEK Arztreport. St. Augustin: Asgard



Autor:

Dr. Sascha Bechmann

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Institut für Germanistik

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (15) Seite 80-82