Infektionen mit Humanen Papillomviren (HPV) können zu Krebserkrankungen bei der Frau, aber auch beim Mann führen. Im Juni 2018 hat die STIKO die Impfempfehlung gegen HPV auch auf Jungen ausgeweitet. Die Grundlagen für diese Entscheidung sind im folgenden Beitrag kurz zusammengefasst.
Seit der Verleihung des Nobelpreises für Medizin an den Heidelberger Krebsforscher Professor Harald zur Hausen im Jahr 2008 mehrt sich die wissenschaftliche Evidenz, dass Infektionen mit HPV nicht nur ursächlich für die Entstehung des Zervixkarzinoms sind, sondern auch bei der Entstehung weiterer maligner Tumoren eine kausale Rolle spielen. So werden bei Männern Peniskarzinome und bei beiden Geschlechtern Anal- sowie Oropharyngealtumoren durch persistierende HPV-Infektionen ausgelöst [1, 2]. Zusätzlich verursachen HPV die Entstehung von benignen Warzen unter anderem im Genitalbereich [3]. Seit 2006 sind in Deutschland Impfstoffe gegen HPV erhältlich.
Impfung bisher nur für Mädchen
Bisher wurde die HPV-Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) nur für Mädchen empfohlen [4]. Um eine Impfung vor Aufnahme der ersten sexuellen Kontakte zu ermöglichen, wurde im Jahr 2014 das Impfalter auf 9 bis 14 Jahre herabgesetzt [5]. Im Juni 2018 wurde von der STIKO zusätzlich eine HPV-Impfempfehlung für Jungen, ebenfalls im Alter von 9 bis 14 Jahren, ausgesprochen [6].
Ziel der Impfung von Mädchen und Jungen ist die Reduktion der Krankheitslast durch HPV-assoziierte Tumoren. Entsprechend ihrer Standardvorgehensweise (SOP) hat die STIKO die Evidenz zur HPV-Jungenimpfung systematisch aufgearbeitet und in der wissenschaftlichen Begründung zur Impfempfehlung dargelegt [6].
Ursache von Krebserkrankungen
Weltweit gehören HPV-Infektionen zu den häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen [7]. Ihrem onkogenen Potenzial entsprechend werden HPV in Hochrisiko- und Niedrigrisiko-Typen unterteilt, wobei persistierende Infektionen mit Hochrisiko-Typen zu Karzinomen führen können, während Niedrigrisiko-Typen für die Entstehung von Genitalwarzen verantwortlich sind. Derzeit werden 12 Hochrisiko-HPV-Typen als sicher karzinogen eingestuft, wobei Typ 16 eine dominierende Rolle spielt [8]. HPV-Infektionen sind in den meisten Fällen transient und lassen sich nach ein bis zwei Jahren nicht mehr nachweisen [1]. Kommt es jedoch zu einer persistierenden Infektion, so können sich über Krebsvorstufen Karzinome im Anogenitalbereich oder in der Mundhöhle und im Rachen entwickeln.
Im Unterschied zum Zervixkarzinom, bei dem nahezu alle Fälle durch HPV-Infektionen bedingt sind, variiert bei Penis-, Anal- und Oropharynxkarzinomen der HPV-attributable Anteil je nach Erkrankung. Basierend auf Daten aus europäischen Ländern, die aus Querschnittsstudien und Metaanalysen vorliegen, wird geschätzt, dass in Deutschland bei Männern pro Jahr 1.600 bis 2.300 HPV-bedingte Anal- (etwa 600), Penis- (250 – 360) und Oropharynx-Karzinome (745 – 1.380) neu auftreten [9]. Hinzu kommen jährlich etwa 4.600 Zervixkarzinom-Fälle sowie ca. 1.650 Vulva-, Vaginal-, Anal- und Oropharynx-Karzinome bei Frauen [8].
HPV-Impfung: wirksam und sicher
Zur Analyse der Wirksamkeit und Sicherheit der HPV-Impfung von Jungen wurde von der STIKO eine systematische Übersichtsarbeit erstellt [10]. Zusammengefasst zeigte sich hierbei, dass die HPV-Impfung bei Jungen bzw. Männern eine moderate Effektivität gegen genitale HPV-Infektionen (28 – 56 %) und höhergradige Vorstufen des Analkarzinoms (47 – 62 %) aufweist, wenn der HPV-Infektionsstatus vor der Impfung nicht berücksichtigt wird, d. h. wenn sowohl bereits HPV-infizierte als auch HPV-naive Männer gemeinsam in einer Studie untersucht wurden. Eine höhere Impfeffektivität gegen genitale HPV-Infektionen (41 – 96 %) und höhergradige Analkarzinomvorstufen (64 – 76 %) wurden berichtet, wenn man jeweils nur diejenigen Studienteilnehmer analysierte, die bei Impfung noch HPV-naiv waren. In ganz ähnlicher Weise wie in den Studien bzw. Metaanalysen zur HPV-Impfung von Frauen [11] zeigte sich damit, dass die HPV-Impfung ihr optimales Präventionspotenzial nur entfalten kann, wenn Personen geimpft werden, die noch keinen Kontakt mit dem Erreger hatten. Auch im Falle der HPV-Impfung von Jungen bzw. Männern spricht dies für Impfstrategien, die Personen vor Aufnahme der sexuellen Aktivität als primäre Zielgruppe wählen. Allerdings muss betont werden, dass derzeit aufgrund der langen Latenzzeit zwischen Primärinfektion und maligner Erkrankung noch keine evidenzbasierten Aussagen zur Effektivität der Impfung gegen Karzinome getroffen werden können.
Im Hinblick auf die Sicherheit der HPV-Impfung von Jungen und Männern fanden sich in der systematischen Übersichtsarbeit keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für schwere unerwünschte Ereignisse. Diese Ergebnisse decken sich mit der Bewertung des Global Advisory Committee on Vaccine Safety (GACVS) der WHO, das seit 2007 regelmäßig die Sicherheitsdaten zur HPV-Impfung analysiert. Die aktuelle Bewertung aus dem Jahr 2017 basiert auf mehr als 270 Mio. HPV-Impfdosen und kommt zu der Schlussfolgerung, dass die HPV-Impfung sehr sicher ist [12].
Langfristige Wirkung der Impfung
Zu den Kernaufgaben der STIKO gehört es, neben der Wirksamkeit und Sicherheit einer neuen Impfung auch deren Auswirkungen auf Bevölkerungsebene zu berücksichtigen. Hierzu bedient sich die STIKO zunehmend mathematischer Modellierungen. Aus diesem Grund wurde im Auftrag des RKIs federführend von Wissenschaftlern der Universität Bielefeld ein mathematisches Modell erarbeitet, welches die epidemiologischen Folgen der Einführung einer zusätzlichen Jungenimpfung bei schon bestehender HPV-Mädchenimpfung in Deutschland abschätzt.
Das Modell ist so aufgebaut, dass es langfristige Effekte der HPV-Impfung über einen Zeitraum von 100 Jahren abschätzt. Für die Rechenprozesse des Modells wurden Annahmen getroffen, die, falls vorhanden, auf aktuellen Daten beruhen. Hierzu gehört z. B. eine Mädchenimpfquote von 44,6 % (Daten der KV-Impfsurveillance am RKI 2015 [13]) sowie die Annahme einer Jungenimpfquote von 22,3 % (50 % der Mädchenimpfquote) und einer stabilen Schutzdauer der Impfung von 20 Jahren. Hiervon ausgehend kommen die Modellberechnungen zu dem Ergebnis, dass in den kommenden 100 Jahren zusätzlich 25.226 HPV-assoziierte Karzinome des Anus, Penis, der Vulva, Vagina und des Oropharynx bei Männern und Frauen sowie zusätzlich 22.122 Zervixkarzinome bei Frauen verhindert werden könnten, wenn neben den Mädchen auch Jungen gegen HPV geimpft werden würden. Hierdurch würden in 100 Jahren zusätzlich 10.279 Sterbefälle aufgrund HPV-assoziierter Karzinome von Anus, Penis, Vulva, Vagina und Oropharynx und 5.834 Zervixkarzinom-Sterbefälle durch die HPV-Jungenimpfung verhindert werden. Anhand des Modells wurde außerdem die Number Needed to Vaccinate (NNV) berechnet, d. h. die Anzahl von Impfungen, die verabreicht werden muss, um ein bestimmtes Ereignis (Erkrankung, Tod) zu verhindern. Die NNV für die Verhinderung eines HPV-assoziierten Krebsfalls (bei Frauen und Männern) beträgt 246, bzw. 724 für die Verhinderung eines Todesfalls durch ein HPV-assoziiertes Karzinom – jeweils bezogen auf die zusätzliche HPV-Impfung von Jungen. Für die Verhinderung eines Erkrankungsfalls an einem Zervixkarzinom müssten 527 Jungen gegen HPV geimpft werden.
Jungenimpfung: eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit
Die Einführung der HPV-Impfung für Jungen stellt auch einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit dar: Sie ermöglicht Jungen und Männern den Aufbau eines eigenen Impfschutzes vor einer HPV-Infektion, unabhängig von der Höhe der Mädchen-Impfquoten. Auch kann damit die gesellschaftliche Verantwortung für eine Reduktion der HPV-Krankheitslast in Deutschland auf beide Geschlechter verteilt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Schutz von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Diese Personengruppe hat ein deutlich erhöhtes Risiko für HPV-Infektionen und HPV-assoziierte Tumorerkrankungen [14, 15]. Gleichzeitig profitieren diese Männer aber nicht oder nur in geringem Maße von einer durch die Mädchenimpfung induzierten Herdenprotektion, da sexuelle Kontakte in dieser Gruppe ausschließlich oder fast ausschließlich unter Männern stattfinden. Eine HPV-Impfung bereits im Jungenalter ermöglicht dagegen für spätere MSM ebenfalls einen HPV-Schutz vor Beginn der sexuellen Aktivität.
Kondome: keine effektive Alternative zur HPV-Impfung
Bei konsequenter und korrekter Anwendung schützen Kondome zuverlässig vor einer Infektion mit HIV und anderen sexuell übertragenen Krankheitserregern. Gelegentlich wird diskutiert, dass ein konsequenter Gebrauch von Kondomen ebenfalls vor HPV-Infektionen schützen und damit eine Alternative zur HPV-Impfung darstellen würde. Tatsächlich ist die Datenlage hierzu aber uneinheitlich. Eine Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass es aktuell nicht möglich ist, eine Schutzwirkung von Kondomen vor HPV-Infektionen abschließend zu beurteilen [16]. Es zeigte sich vielmehr, dass Kondomgebrauch in Studien schwierig zu messen ist und selbst konsequenter Kondomgebrauch lediglich zu einer gewissen Reduktion von HPV-Infektionen führt, die jedoch nicht mit der Schutzwirkung der Impfung vergleichbar ist. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass Kondome keine effektive Alternative zur HPV-Impfung darstellen.
Impfakzeptanz: Rolle des Arztes
Derzeit muss davon ausgegangen werden, dass die HPV-Impfung in Deutschland nicht gut akzeptiert ist. Die Impfquoten bei Mädchen liegen seit mehreren Jahren bei gleichbleibenden Werten um 45 %, während Quoten im Bereich von > 80 % wünschenswert wären. Es gibt Hinweise darauf, dass die Akzeptanz der HPV-Impfung insgesamt höher ist, wenn die Impfung beiden Geschlechtern angeboten wird [17]. Bei der Umsetzung von Impfempfehlungen in Deutschland haben Ärztinnen und Ärzte eine Schlüsselrolle, wie die Ergebnisse von Befragungen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das RKI zeigen [18 – 20]. Da als häufigster Grund für eine Nicht-Impfung die Angst vor unerwünschten Nebenwirkungen genannt wird [20], stellt das ärztliche Beratungsgespräch eine gute Gelegenheit dar, derartige Bedenken auszuräumen.
Für die Beratung und Durchführung der HPV-Impfung bieten sich im deutschen System aktuell insbesondere die U11-Früherkennungsuntersuchung (9 – 10 Jahre) sowie die J1-Jugendgesundheitsuntersuchung (12 – 14 Jahre) an. Tatsächlich ist die Inanspruchnahme der J1-Untersuchung bei Mädchen mit einer siebenfach höheren Wahrscheinlichkeit assoziiert, mindestens eine HPV-Impfstoffdosis erhalten zu haben [21]. Einladungs- und Rückmeldeverfahren können helfen, die Beteiligung an der J1-Untersuchung zu verbessern [22]. Erfahrungen in angelsächsischen und nordeuropäischen Ländern haben jedoch gezeigt, dass organisierte Schulimpfprogramme eine besonders geeignete Strategie darstellen, um möglichst hohe HPV-Impfquoten zu erreichen. In diesen Ländern führen derartige Programme in der Regel zu HPV-Impfquoten von > 70 % [23 – 27].
Zur Unterstützung: Informationsmaterial
Zur Unterstützung von Ärztinnen und Ärzten bei der Umsetzung der Impfempfehlung wurde vom RKI ein Ratgeber zum Thema HPV entwickelt und die entsprechenden Internetseiten des RKI aktualisiert. Dort finden sich Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQs) zur HPV-Impfung von Mädchen und Jungen, die ausführliche wissenschaftliche Begründung der HPV-Impfempfehlung der STIKO, der Bericht zum mathematischen Modell zur HPV-Jungenimpfung sowie verschiedene Übersichtsarbeiten zum Thema Wirksamkeit und Sicherheit der HPV-Impfung. Zudem wird im Herbst beginnend mit dem Thema "HPV-Impfung" eine neue Reihe von Informationsblättern des RKI gestartet, die impfende Ärztinnen und Ärzte fokussiert über die wichtigsten Impfberatungsthemen informieren sollen. Darüber hinaus wird die BZgA aktualisiertes Informationsmaterial für Jugendliche und Eltern zur Verfügung stellen.
Interessenkonflikte: Prof. Klug erhielt Autorenhonorar vom Georg-Thieme Verlag. Reisekostenerstattung von der Deutschen Gesellschaft für Urologie sowie ein Vortragshonorar von der RG Gesellschaft für Information und Organisation. Dr. Röbl-Mathieu erhielt ein Vortragshonorar von der Frauenärztlichen Bundesakademie. Prof. Zepp erhielt ein Vortragshonorar von der Firma med-update. Dr. Takla, PD Dr. Meerpohl, Dr. Terhardt, Prof. van der Sande, Dr. Wiese-Posselt, Dr. Harder und PD Dr. Wichmann erklären keine Interessenkonflikte.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (14) Seite 28-30