Der diesjährige Deutsche Ärztetag war schon im Vorfeld mit Spannung erwartet worden. Denn es galt einige richtungsweisende Reformen zu diskutieren. Die größte öffentliche Aufmerksamkeit erregte sicher das Thema Fernbehandlungsverbot. Doch für Hausärzte nicht weniger interessant war die Entscheidung zur Neugestaltung der Musterweiterbildungsordnung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Aber auch die Forderung nach erhöhten Sprechstundenzeiten, mehr Terminservicestellen oder die Stellung der Homöopathie und der Heilpraktiker standen zur Debatte. Wir geben hier einen Überblick über die Beschlüsse.

Für Jens Spahn, den neuen Bundesgesundheitsminister, war es der erste Auftritt in dieser Funktion bei einem Deutschen Ärztetag. Dass er dafür bekannt ist, die Konfrontation nicht zu scheuen, konnte er gleich bei der Eröffnungsveranstaltung bestätigen. So bekräftigte er seine Auffassung, dass er die von vielen GKV-Versicherten als zu lang empfundenen Wartezeiten auf einen Arzttermin nicht nur für ein "gefühltes Problem" hält. Er glaube zwar, dass die meisten Ärzte keinen Unterschied zwischen privat und gesetzlich krankenversicherten Patienten machen würden, aber das gelte eben nicht für alle. Und deshalb werde er an den Plänen festhalten, dem Wartezeitenproblem mit einer Ausweitung der Mindestsprechstundenzeiten von 20 auf 25 Stunden wöchentlich und einem Ausbau der Terminservicestellen entgegenzuwirken. Immerhin: Die Mehrarbeit müsse auch gut vergütet werden, versprach Spahn.

Spahns Ideen stießen bei den Delegierten des Ärztetags dennoch nicht auf viel Gegenliebe. Terminservicestellen seien der falsche Weg, um Wartezeiten auf Arzttermine zu verkürzen, betonten sie. Mit ihren unangemessen hohen Kosten entzögen diese Verwaltungsstellen im Gegenteil dem Gesundheitssystem Mittel, die dann für die Versorgung fehlten. Heute seien bei den Vertragsärzten Arbeitszeiten von 50 Wochenstunden und mehr die Regel. Die politische Vorstellung, diese durch ein Gesetz verlängern zu wollen, sei populistisch und besonders unter Budgetbedingungen ungeeignet und realitätsfremd. Die Abgeordneten wiesen darauf hin, dass bereits heute bis zu 25 % der ärztlichen Leistungen nicht bezahlt würden.

Fernbehandlung wird möglich

Dass das Verbot einer Fernbehandlung gelockert werden würde, stand eigentlich schon vor dem 121. Deutschen Ärztetag so gut wie fest. Einige Landesärztekammern waren bereits vorgeprescht, und unter einem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der die Digitalisierung im Gesundheitswesen massiv vorantreiben möchte, erscheint die Entscheidung, ausschließliche Fernbehandlungen künftig zu ermöglichen, nur folgerichtig.

Eine ausschließliche Fernbehandlung liegt dann vor, wenn eine ärztliche Beratung oder Behandlung stattfindet, ohne dass zumindest ein persönlicher physischer Kontakt zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat. Der geänderte § 7 Absatz 4 der (Muster-)Berufsordnung lautet nun: "Ärzte beraten und behandeln Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird."

Digitale Technik soll unterstützen

"Wir wollen und müssen diesen Prozess gestalten und dieses Feld mit unserer ärztlichen Kompetenz besetzen", sagte Dr. Josef Mischo, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer (BÄK) und Vorsitzender der Berufsordnungsgremien der BÄK, vor den 250 Abgeordneten des Deutschen Ärztetages. Mischo stellte klar, dass digitale Techniken die ärztliche Tätigkeit unterstützen sollen. Sie dürften aber nicht die notwendige persönliche Zuwendung von Ärzten ersetzen. Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt stelle weiterhin den "Goldstandard" ärztlichen Handelns dar, betonte Mischo. Die Krankschreibung per Telefon oder Videokonferenz bei unbekannten Patienten lehnten die Delegierten allerdings ab, wie auch Verordnungen ausschließlich im Rahmen von Fernbehandlungen. Der nächste Schritt ist nun die Übernahme dieser Regelung in die rechtsverbindlichen Berufsordnungen der Landesärztekammern. Das kann bis zu zwei Jahre dauern.

Telemedizin in der eigenen Hand behalten

Die Abgeordneten des Ärztetages sprachen sich allerdings gegen den Aufbau eines neuen eigenständigen Versorgungsbereichs einer telemedizinischen Primärversorgung aus, insbesondere in Form kommerziell betriebener Callcenter. Ferner forderte der Ärztetag, dass die Fernbehandlung im vertragsärztlichen Sektor nur durch Vertragsärzte im Rahmen des Sicherstellungsauftrags erfolgt. "Kapitalorientierte Gesellschaften dürfen im vertragsärztlichen Sektor nicht in Konkurrenz zu Vertragsärzten treten oder gar Betreibereigenschaften für medizinische Versorgungszentren erhalten", heißt es in einer Entschließung des Ärzteparlaments.

Fernbehandlung soll Ausnahme bleiben

Der Deutsche Hausärzteverband (DHÄV) reagierte umgehend und konstatierte, dass telemedizinische Angebote, wenn sie im Einzelfall richtig eingesetzt werden, die Versorgung sinnvoll ergänzen und Patienten sowie Ärzte entlasten können. Es brauche aber klare Regelungen, in welchen Fällen eine Fernbehandlung sinnvoll und möglich ist, stellte Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt in einer Stellungnahme fest. Gerade in der Hausarztpraxis würden ausschließliche Fernbehandlungen die Ausnahme bleiben. Entscheidend dabei sei, dass diese Angebote für Patienten und Ärzte auch langfristig freiwillig bleiben und nicht als Kostensparprogramm für Krankenkassen missverstanden werden.

Die notwendige Diskussion um die Frage, wie telemedizinische Angebote in bestehende Versorgungsstrukturen eingebaut werden können, dürfe nicht davon ablenken, dass Politik und Selbstverwaltung endlich dafür sorgen müssten, dass die Hausärzte ausreichend Zeit für das persönliche Gespräch in der Praxis und bei Hausbesuchen haben, so Weigeldt weiter. Dazu brauche es natürlich auch eine vernünftige Honorierung. Auf diesem Ziel, das ja auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, müsse der Fokus liegen.

Kompetente Weiterbildung

Beschlossen wurde auf dem Ärztetag mit großer Mehrheit die Gesamtnovelle der (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO). Die MWBO ist die Vorlage für die rechtlich verbindlichen Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern. Ziel der Gesamtnovelle ist eine kompetenzbasierte Weiterbildung, um so deren Qualität zu verbessern. "Inhalte statt Zeiten" lautet dabei das Motto, d. h. es soll nicht mehr darum gehen, wie oft und in welcher Zeit Inhalte erbracht wurden, sondern wie und in welcher Form Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erworben werden, sagte der Vorsitzende der Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Franz Bartmann. Die erworbenen Kompetenzen werden künftig in vier Kategorien bescheinigt: Inhalte, die der Weiterzubildende zu beschreiben hat; Inhalte, die er systematisch einordnen und erklären soll, sowie Fertigkeiten, die er unter Supervision und solche, die er selbstverantwortlich durchführt.

Außerdem haben die Abgeordneten über die Allgemeinen Inhalte der Weiterbildung entschieden, also die übergreifenden Kompetenzen, die jeder Arzt erwerben muss – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung je nach Fachgebiet. In den Allgemeinen Inhalten werden die ärztlichen Haltungen und Rollen näher beschrieben, wie ärztliche Gesprächsführung, Managementaufgaben, interkollegiale und interprofessionelle Zusammenarbeit; insgesamt wird ein großer Wert auf patientenbezogene Tätigkeiten gelegt.

Der Ärztetag hat darüber hinaus über den sogenannten Kopfteil der Zusatz-Weiterbildungen der MWBO abgestimmt. Die Delegierten haben u. a. entschieden, welche Zusatz-Bezeichnungen zukünftig Teil der ärztlichen Weiterbildung werden. Außerdem wurden die Voraussetzungen und Mindestzeiten für deren Erwerb festgelegt. Nicht entschieden hat der Ärztetag hingegen über die Inhalte der Zusatz-Weiterbildungen. Diese soll der BÄK-Vorstand auf der Grundlage dessen beschließen, was die Weiterbildungsgremien der BÄK in enger Abstimmung mit den Fachgesellschaften und Berufsverbänden sowie den Landesärztekammern erarbeiten. Mit dem Beschluss des 121. Deutschen Ärztetags 2018 in Erfurt hat eine Weiterbildungsreform ihren Abschluss gefunden, die 2012 in Nürnberg begann. Damals erteilte der Ärztetag den Weiterbildungsgremien der BÄK den Auftrag, eine kompetenzbasierte MWBO zu entwickeln.

Ganzheitlicher Ansatz bei der Weiterbildung

Mit der Verabschiedung der kompetenzbasierten Weiterbildungsordnung zeigte sich der DHÄV sehr zufrieden. Zumal man sich dafür eingesetzt hatte, dass der ambulante Abschnitt in der Hausarztpraxis eine noch größere Bedeutung erlangt. Denn: Hausärztliche Versorgung könne man nur in der Hausarztpraxis lernen, so DHÄV-Chef Weigeldt. Insgesamt erlaube die neue MWBO den jungen Kollegen eine praxisnahe Weiterbildung mit mehr Flexibilität und einen klaren Fokus auf den ganzheitlichen Ansatz der Hausärzte. Jetzt müsse man nur noch dafür sorgen, dass diese MWBO auch tatsächlich in allen Landesärztekammern umgesetzt wird, damit kein unübersichtlicher Flickenteppich aus unterschiedlichen Regelungen entsteht, mahnte Weigeldt: "Es wäre niemandem zu vermitteln, warum ein Arzt in Bremen andere Inhalte lernt als in Niedersachsen."

Freiberuflichkeit erhalten

Zum Ende des Ärztetags wandten sich die Delegierten noch einmal mahnend an die Gesundheitspolitik. Die Freiberuflichkeit des Arztes und die damit verbundene Therapiefreiheit seien tragende Säulen der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Deshalb dürfe diese Freiberuflichkeit weder durch staatsdirigistische Eingriffe noch durch Interventionen der EU-Kommission infrage gestellt werden. Und: Ärztliche Selbstverwaltung sei Ausdruck der Freiberuflichkeit. Vielfältige Regulierungen hätten jedoch die Gestaltungsmöglichkeiten der Selbstverwaltung erheblich beschnitten. Stattdessen beauftrage der Staat den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) immer häufiger als untergesetzlichen Normgeber, die Versorgung bis in die Patienten-Arzt-Beziehung hinein zu steuern und Versorgungsstrukturen zu schaffen, die mehr und mehr an ökonomischen Vorgaben ausgerichtet seien.

Der 121. Deutsche Ärztetag 2018 forderte die Bundesregierung auf, ihrer im Koalitionsvertrag formulierten Selbstverpflichtung nachzukommen, nach der sie sich für die freiheitliche Berufsausübung im Gesundheitswesen einsetzen will. Bund und Länder seien aufgefordert, der Selbstverwaltung den notwendigen Handlungsspielraum zu geben, den sie für die Ausgestaltung eines vernetzten sektorenübergreifenden Gesundheitswesens brauche. Dabei sollten die Bundesärztekammer und die Landesärztekammern stärker als bisher eingebunden werden. Nur so könne eine bürgernahe ärztliche Versorgung der Patienten auf hohem Niveau gewährleistet werden.

Weitere ausgewählte Beschlüsse in Kürze
  • Freiberuflichkeit statt Konzernbildung: Mit großer Sorge beobachtet die Ärzteschaft den zunehmenden Aufkauf von Arztsitzen durch Konzerne. Regionale Monopole schränkten die freiberuflichen Niederlassungsmöglichkeiten von Ärzten ein. „Das Gesundheitswesen darf nicht weiter zum profitzentrierten Gesundheitsmarkt werden“, fordert der Ärztetag. Er rief den Gesetzgeber und die zuständigen Institutionen der Selbstverwaltung dazu auf, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten und den freiberuflichen Charakter der ambulanten Versorgung, geprägt von der eigenen Praxis, zu erhalten.
  • Keine Verordnungssteuerung durch das AIS: Das Arztinformationssystem (AIS) darf nach Auffassung des 121. Deutschen Ärztetags ausschließlich dazu dienen, die Qualität der Arzneimittelversorgung sicherzustellen – und zwar durch mehr Transparenz beim Zusatznutzen von Arzneimitteln. Dafür solle gewährleistet werden, dass nur unabhängige, verständliche und übersichtliche Informationen zur Nutzenbewertung neuer Arzneimittel abgebildet würden. Die Gestaltung des AIS müsse eine Zweckentfremdung als Instrument zur Verordnungssteuerung unterbinden.
  • Schutz der Arztgesundheit: Die Delegierten stellten klar, dass die Bedingungen bei der Ausübung des Arztberufs in allen Sektoren und ärztlichen Berufsfeldern so gestaltet sein müssten, dass eine Gefährdung der körperlichen und seelischen Gesundheit minimiert werde. Bereitschafts- und Notdienste im stationären und ambulanten Sektor seien so anzulegen, dass ausreichende zusammenhängende Ruhezeiten ermöglicht würden. Die Honorarsysteme müssten so gestaltet werden, dass bei einer dem allgemeinen Arbeitsleben entsprechenden Jahresarbeitszeit ein auskömmliches und leistungsadäquates Honorar erwirtschaftet werden könne. Dabei sei auch der Zeitaufwand für Bürokratie, Verwaltung oder Betriebsführung zu berücksichtigen.
  • Keine zusätzlichen Qualifikationsnachweise: Der Ärztetag wandte sich gegen weitere Bestrebungen, durch sozialrechtliche Vorgaben den Nachweis zusätzlicher Qualifikationen zur Abrechnung von ärztlichen Leistungen zu verlangen. Ärzte müssten ihre in der Facharztweiterbildung erworbenen und in der Prüfung nachgewiesenen Kompetenzen ausüben und dafür die entsprechende Vergütung erhalten können, ohne dafür zusätzliche Qualifikationsnachweise erbringen zu müssen.
  • Mehr Zeit für TI-Anbindung: In einer weiteren Entschließung forderte der Ärztetag die Politik auf, die verpflichtende Anbindung der Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren an die Telematikinfrastruktur (TI) zum Ende des Jahres 2018 auszusetzen. Ebenso sei die Strafandrohung von Honorarabzügen zurückzuziehen. Die Abgeordneten begründeten dies damit, dass erhebliche Probleme bei zahlreichen Praxen aufgetreten seien, die sich an die TI angeschlossen hatten. Gesundheitskarten könnten mitunter nicht eingelesen werden, Praxisabläufe würden behindert. Auch sei die Finanzierung der Installation nicht gesichert.
  • Behandlungsspektrum von Heilpraktikern einschränken: Der 121. Deutsche Ärztetag begrüßte das Ansinnen von Union und SPD, im Interesse der Patientensicherheit das zulässige Behandlungsspektrum von Heilpraktikern auf den Prüfstand zu stellen. Die Bundesregierung solle dieses Vorhaben zügig angehen und dabei den ärztlichen Sachverstand einbeziehen. Besonders dringlich sei es, Heilpraktiker von invasiven Maßnahmen wie chir- urgischen Eingriffen, Injektionen und Infusionen auszuschließen. Gleiches gelte für die Behandlung von Krebserkrankungen.
  • Physician Assistant: Die Anbieter des Studiengangs Physician Assistant fordert der Ärztetag auf, den Zugang zum Studium nur aufbauend auf einer vorherigen abgeschlossenen Ausbildung in einem Gesundheitsfachberuf zuzulassen und nicht als grundständiges Studium anzubieten. Nur der im Konsenspapier „Physician Assistant – ein neuer Beruf im deutschen Gesundheitswesen“ von BÄK und KBV dargestellte anerkannte Bachelorabschluss im Anschluss an eine erfolgreiche dreijährige Ausbildung in einem Gesundheitsfachberuf werde von der Ärzteschaft als Delegationsberuf akzeptiert.
  • Homöopathie bleibt: Im Zuge der Überarbeitung der WBO hat sich der Ärztetag dafür ausgesprochen, die Zusatzbezeichnung Homöopathie beizubehalten. Im Vorfeld des Ärztetags war über deren Abschaffung heiß diskutiert worden. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) freute sich über die Entscheidung, dass die deutsche Ärzteschaft den therapeutischen Nutzen und die ärztliche Weiterbildung in Homöopathie bestätigt hat. Der Münsteraner Kreis, also die heftigsten Kritiker der Homöopathie hingegen bedauerten, dass die Ärztetagsdelegierten die Gelegenheit ungenutzt ließen, die WBO vom Ballast unwissenschaftlicher Heilslehre zu befreien.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (11) Seite 24-29