Unter dem Begriff "neuromuskuläre Erkrankungen" sind eine Vielzahl von Erkrankungen zusammengefasst, die zum Leitsymptom einer muskulären Schwäche führen. Aufgrund der Heterogenität und Seltenheit der Erkrankungen wird die Diagnose häufig erst spät gestellt und die Therapie verzögert. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Allgemeinärzten und neuromuskulären Zentren ist daher enorm wichtig.

Die Gruppe der neuromuskulären Erkrankungen umfasst eine Vielzahl heterogener Krankheitsbilder, die als Leitsymptom eine muskuläre Schwäche oder vorzeitige Ermüdbarkeit der Muskulatur aufweisen. Dabei kann die Ursache der Muskelschwäche durch den Muskel selber, durch eine Störung der neuromuskulären Übertragung oder durch eine Erkrankung der versorgenden peripheren Nerven oder der Motoneurone bedingt sein.

Welche Symptome weisen auf eine neuromuskuläre Erkrankung hin?

Das wichtigste Symptom neuromuskulärer Erkrankungen ist die Muskelschwäche. In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Erkrankung gibt es jedoch deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Dynamik, das Verteilungsmuster und etwaige Begleitsymptome (Tabelle 1). Zudem ist die Abgrenzung einer "echten Muskelschwäche" von einer allgemeinen Schwäche, insbesondere bei geriatrischen Patienten, nicht immer einfach. Eine Muskelschwäche kann generell oder umschrieben und sowohl permanent als auch intermittierend auftreten. Darüber hinaus können je nach vorliegender Erkrankung Begleitsymptome wie Muskelatrophien, Myalgien, myotone Symptome oder eine extramuskuläre Organbeteiligung hinzukommen. Eine detaillierte Anamnese sowie die körperliche und neurologische Untersuchung können daher helfen, die Gruppe der Verdachtsdiagnosen einzugrenzen.

Muskelschwäche

Zur näheren Einordnung des Symptoms der Muskelschwäche sollte zunächst eine ausführliche Anamnese erhoben werden. Verteilungsmuster und zeitlicher Verlauf zusammengenommen können oft bereits Aufschluss über eine mögliche zugrunde liegende Ursache geben. So lässt eine perakut aufgetretene Muskelschwäche z. B. an eine inflammatorische Myopathie oder Exazerbation einer zuvor subklinischen myasthenen Störung denken, während eine langsam chronisch progrediente Muskelschwäche z. B. eher auf eine hereditäre Myopathie, Motoneuronerkrankung oder zugrunde liegende Neuropathie hindeutet. Auch das Phänomen der Belastungsabhängigkeit der Schwäche ist typisch für eine neuromuskuläre Übertragungsstörung, jedoch kommt auch bei den anderen Erkrankungen eine belastungsassoziierte Schwäche oft vor, insbesondere z. B. bei metabolischen Myopathien.

Das Verteilungsmuster der Muskelschwäche kann charakteristisch für eine bestimmte Erkrankung sein. So kann eine isolierte Schwäche der Augenmuskeln auf das Vorliegen einer okulären Myasthenia gravis hinweisen. Eine Betonung der proximalen Muskelgruppen findet man insbesondere bei den entzündlichen Myopathien, den Muskeldystrophien Typ Duchenne und Typ Becker sowie den metabolischen Myopathien. Ein distales Verteilungsmuster der Muskelparesen weist hingegen eher auf das Vorliegen einer myotonen Dystrophie Typ 1 oder eine Polyneuropathie hin.

Muskeltonus

Patienten mit einer neuromuskulären Erkrankung weisen oft einen normalen Muskeltonus auf. Patienten mit einer Myopathie oder zugrunde liegenden Neuropathie können einen hypotonen Muskeltonus bieten. Im Gegensatz dazu zeigt sich nur bei einer Schädigung des 1. Motoneurons wie zum Beispiel bei der Amyotrophen Lateralsklerose ein erhöhter Muskeltonus im Sinne einer Spastik.

Muskeltrophik

Bei Myopathien findet sich in der Regel durch den Untergang von Muskelgewebe eine Atrophie. Das Verteilungsmuster entspricht in der Regel dem der Muskelparesen. In einigen Fällen, wie bei der Duchenne-Muskeldystrophie, kann jedoch auch eine Pseudo-Hypertrophie des Muskels vorliegen, bei der es sich um einen überschießenden Ersatz von Muskelgewebe durch Fett und Bindegewebe handelt. Patienten mit einer neuromuskulären Übertragungsstörung weisen in der Regel Atrophien erst bei einer chronischen, unzureichend behandelten bzw. therapieresistenten Myasthenie auf (sogenannte "Defektmyasthenie").

CK-Erhöhung

Eine persistierende CK-Erhöhung von mehreren tausend U/l ist typisch für eine Muskeldystrophie bzw. eine Myositis – vor allem wenn die Muskelschwäche subakut, also innerhalb weniger Wochen, aufgetreten ist. Eine fluktuierende CK-Erhöhung kann durch rezidivierende Rhabdomyolysen bedingt sein, die z. B. auch eine medikamentöse bzw. toxische Ursache haben können, wie z. B. die Einnahme eines Statins. Bevor aufgrund einer isolierten CK-Erhöhung – also ohne Myalgie oder Muskelschwäche – die Verdachtsdiagnose einer Myopathie geäußert wird, sollten die Werte wiederholt und unter maximaler Ruhe nach einigen Tagen erneut bestimmt werden.

Begleitsymptome

Patienten beklagen neben der muskulären Schwäche oft auch verschiedene Begleitsymptome. Im Rahmen einiger neuromuskulärer Erkrankungen kann es zu Myalgien und/oder Muskelkrämpfen kommen. Diese finden sich insbesondere bei entzündlichen oder metabolischen Muskelerkrankungen und einigen Muskeldystrophien wie z. B. der myotonen Dystrophie. Eine Myotonie ist z. B. dadurch charakterisiert, dass Patienten nach dem festen Halten eines Gegenstandes nur mühsam und zeitverzögert loslassen können.

Nicht selten kommt es aufgrund des Muskelabbaus zu einer Gewichtsabnahme. Darüber hinaus kann die muskuläre Schwäche neben der Extremitätenmuskulatur auch die Schlundmuskulatur betreffen und zu einer Schluckstörung führen. Eine solche Dysphagie ist ein relevantes Symptom, da als Komplikation eine Aspirationspneumonie auftreten kann. Bei Beteiligung der kleinen Augenmuskeln, z. B. im Rahmen der Myasthenia gravis, berichten Patienten über Doppelbilder. Liegt der muskulären Schwäche eine Neuropathie zugrunde, leiden die Betroffenen zusätzlich unter Sensibilitätsstörungen in Form von Hypästhesien oder Dysästhesien. Auch können sowohl die muskuläre Schwäche als auch sensible Defizite zu einer Koordinationsstörung und Gangstörung führen.

Diagnostisches Vorgehen

Neben einer generellen körperlichen Untersuchung sollte eine ausführliche neurologische Untersuchung erfolgen. Dabei sollte auf die Muskeltrophik (Atrophie, (Pseudo-)Hypertrophie) sowie unwillkürliche Muskelbewegungen wie Myokymien oder Faszikulationen geachtet werden. Anschließend erfolgt die Beurteilung des Muskeltonus (z. B. hyperton oder hypoton), der Muskelkraft sowie der Muskeleigenreflexe. Die Graduierung der Muskelschwäche erfolgt anhand des Muscle Research Council (MRC). Man unterscheidet dabei die Kraftgrade 0 bis 5: 0 = keine Kontraktion; 1 = tastbare Kontraktion; 2 = aktive Bewegung unter Aufhebung der Schwerkraft; 3 = aktive Bewegung gegen die Schwerkraft; 4 = aktive Bewegung gegen Widerstand; 5 = volle Kraftentfaltung. Wichtig ist die Untersuchung aller Muskelgruppen im Seitenvergleich. Nicht selten kommt es bei myasthenen Symptomen vor, dass die Einzelkraftgradprüfung unauffällig ist. Besteht der Verdacht auf eine belastungsabhängige Muskelschwäche, sollten entsprechende Halteversuche über eine definierte Zeitspanne durchgeführt werden (Quantitativer Myasthenia-gravis-Score). Während die Muskeleigenreflexe bei Myopathien und neuropathischen Erkrankungen meist abgeschwächt sind, können bei Motoneuronerkrankungen mit Beteiligung des 1. Motoneurons gesteigerte Muskeleigenreflexe und Pyramidenbahnzeichen vorliegen.

Neben der muskulären Untersuchung sollte im Hinblick auf eine möglicherweise zugrunde liegende Neuropathie auch eine Beurteilung der unterschiedlichen Qualitäten der Sensibilität erfolgen.

Da insbesondere bei den erblichen Myopathien auch eine Beteiligung des Herzmuskels vorliegen kann, sollte mindestens ein Routine-EKG erfolgen. Zudem kann die Bestimmung der Vitalkapazität Hinweise auf die Beteiligung der Atemmuskulatur liefern, z. B. im Rahmen myasthener Erkrankungen oder bestimmter Muskeldystrophien.

Labordiagnostik

Besteht bei Patienten eine muskuläre Schwäche und der Verdacht auf eine neuromuskuläre Erkrankung, sollten zunächst orientierende Laboruntersuchungen erfolgen. Ein erhöhter CRP- oder BSG-Wert kann auf eine zugrunde liegende entzündliche Erkrankung hinweisen. Darüber hinaus sollten eine Schilddrüsendysfunktion und ein Diabetes mellitus ausgeschlossen werden.

Insbesondere kommt jedoch in der Diagnostik der neuromuskulären Erkrankungen der Bestimmung der Creatinkinase (CK) eine besondere Bedeutung bei. Sie steigt beim Untergang von Muskelgewebe im Serum an und zeigt bei Myositiden nicht selten eine Erhöhung auf > 10.000 U/l (s. o.). Wiederholt erhöht gemessene CK-Werte, die unabhängig von körperlicher Belastung auftreten, können auch ohne das Vorliegen einer manifesten muskulären Schwäche auf eine neuromuskuläre Erkrankung hindeuten.

Spezielle neurologische Diagnostik

Kann das Vorliegen einer muskulären Schwäche objektiviert werden oder finden sich wiederholt erhöhte CK-Werte im Serum, sollte eine Mitbehandlung durch einen Neurologen bzw. eine spezialisierte neuromuskuläre Ambulanz erfolgen. Einen Überblick über die wichtigsten neuromuskulären Erkrankungen bietet Tabelle 2.

Fazit für die Praxis
Die gemeinsame Betreuung der Patienten durch spezialisierte neuromuskuläre Zentren und Allgemeinmediziner ist unerlässlich. Insbesondere bei der Überwachung der medikamentösen, immunsuppressiven Therapie sind regelmäßige Kontrollen des Differenzialblutbildes und der Leber- und Nierenwerte notwendig, um die richtige Dosisfindung und das Aufdecken etwaiger Nebenwirkungen zu ermöglichen. Darüber hinaus benötigen alle Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen, ausgenommen neuromuskuläre Übertragungsstörungen, konsequente physiotherapeutische Behandlungen auch außerhalb des Regelfalls sowie eine regelmäßige Reevaluation weiterer notwendiger Heil- und Hilfsmittel. Die wiederholte Bestimmung der CK kann Anhalt über die Akuität des muskulären Zerfalls im Rahmen der Erkrankung liefern, eignet sich jedoch nicht zur alleinigen Therapieverlaufskontrolle. Häufig werden Allgemeinärzte auch direkt in die Diagnostik mit eingebunden. Dies ist insbesondere bei speziellen Laboruntersuchungen wie der humangenetischen Diagnostik der Fall, da diese im niedergelassenen ambulanten Bereich kostenneutral durchgeführt werden kann.

Zusammenfassung

Die Gruppe der neuromuskulären Erkrankungen ist heterogen und insgesamt handelt es sich um seltene Erkrankungen. Insbesondere das Symptom der muskulären Schwäche weist auf das mögliche Vorliegen einer neuromuskulären Erkrankung hin. Eine ausführliche Anamnese mit Augenmerk auf Begleiterkrankungen, die Objektivierung der beschriebenen Symptomatik durch eine eingehende körperliche Untersuchung sowie entsprechend gezielte apparative und laborchemische Untersuchungen können idealerweise durch eine konstruktive Zusammenarbeit des Allgemeinarztes und des neuromuskulären Zentrums erfolgen.



Autor:

Dr. med. Maren Fitzner, Prof. Dr. med. Jens Schmidt

Klinik für Neurologie
Universitätsmedizin Göttingen (UMG)
37075 Göttingen

Interessenkonflikte: MF hat keine Interessenkonflikte. JS hat Honorare oder Projektförderungen erhalten von Biotest, CSL Behring, Grifols und Novartis.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (8) Seite 22-25