Wenn Patienten empfohlene Lebensstiländerungen oder Medikamentenempfehlungen nur partiell oder gar nicht umsetzen, fühlen sich Behandler oft hilflos oder verärgert und versuchen, durch "Motivieren" Einfluss auf das Verhalten des Patienten zu nehmen. Doch oft bleibt dies erfolglos oder kann sogar zu einer weiteren Abschreckung führen. Wie erreichen Sie mit der richtigen Gesprächsführung und Fragestellung, dass der Patient Ihre Empfehlungen beherzigt und umsetzt?

Eine bekannte Situation aus dem Praxisalltag: Ein Arzt empfiehlt seinem Patienten Lebensstiländerungen wie Ernährungsumstellung, vermehrte Bewegung, Rauchentwöhnung oder aber auch die Einnahme von Medikamenten. Der Patient lehnt ab mit einer Begründung, warum die Verhaltensänderung nicht möglich ist: "Mit meinen Knien geht das nicht"; "Fett ist doch der Geschmacksträger"; "Meine Mutter hat geraucht, bis sie mit 90 gesund gestorben ist". Solche Begründungen verleiten leicht zu der Überzeugung, man müsse die Patienten durch mehr Ratschläge oder mehr Druck (Hinweise auf mögliche gesundheitliche Schäden bei Nichteinhalten der Maßnahmen) beeinflussen.

Das Problem der Definition

Die Vorstellung, man könne Patienten durch ein bestimmtes Verhalten vonseiten des Arztes irgendwie "motivieren", ist verführerisch – aber unsinnig. Dieser Begriff kommt sogar in den Leitlinien führender Fachgesellschaften zur Anwendung, wobei die darauffolgende Evidenz sich nicht auf das Motivieren selbst, sondern nur auf die Empfehlung/Maßnahme bezieht. Auf wissenschaftlichen Kongressen hört man oft die Schlussfolgerung, "wir müssen unsere Patienten motivieren...". Es wird nicht klar definiert, was der Begriff eigentlich bedeutet, wie das Motivieren auf der Verhaltensebene konkret umzusetzen ist. So bleibt es jedem Behandler selbst überlassen, die Begrifflichkeit für sich gefühlsmäßig zu definieren. Der eine droht, ein anderer ist ganz freundlich, nickt viel, ein anderer verhält sich alternierend streng und freundlich. Das Verhalten der Patienten ändert sich oder nicht.

Wie kann es sein, dass ansonsten rationale, empirisch geleitete Fachgesellschaften sich dazu verleiten lassen, diese Begrifflichkeit und diese Vorstellung so nachhaltig zu verwenden, dass sie sogar in den Leitlinien erscheint? Die Ursache liegt in dem Erleben des Behandlers im Umgang mit Patienten, die trotz Information über ihre Erkrankung und günstige Verhaltensänderungen diese nur partiell umsetzen.

Widersprüchliche Verhaltensimpulse

Auf der einen Seite sitzt dem Arzt ein Patient gegenüber, dessen Befunde (Blutdruck, Blutglukose, Lungenfunktion, Blutfette) für ihn einen zwingenden Handlungsbedarf darstellen, der aber kein subjektives Krankheitsgefühl hat, und aus diesem Grund die Handlungsempfehlungen des Arztes nicht befolgen will. Auf der anderen Seite kommt ein Patient, der sehr unter seinem Zustand leidet, jedoch keinen der Ratschläge aus verschiedenen Gründen (Kniearthrose, Depression, soziale Zwänge) umsetzen kann. In beiden Fällen erlebt der Behandler gleichzeitig zwei widersprüchliche Verhaltensimpulse: Einerseits soll er aktiv werden und heilen; andererseits soll er nichts machen – der Patient signalisiert, dass er die empfohlenen Verhaltensänderungen nicht umsetzen wird, weil er nicht kann oder nicht will. Der Behandler spürt eine unangenehme Spannung, fühlt sich zunehmend hilflos, vielleicht auf Dauer auch verärgert. Er versucht, die Spannung zu reduzieren: Er wertet sein Gegenüber ab ("non-compliant", "Selbstmord auf Raten", "entscheidet sich gegen seine Gesundheit"), er resigniert und beschränkt seine Behandlung auf ein lustloses Abarbeiten, versucht aber dennoch, den Patienten zu "motivieren". Der Begriff "motivieren" suggeriert, dass der Patient nicht motiviert ist, sondern irgendwie passiv und ungerichtet.

Gesundheit hat nicht nur mit dem Körper zu tun

Menschen sind meist ambivalent gegenüber gesundheitsbezogenen Verhaltensänderungen [1]: Auf der einen Seite möchten Menschen mit chronischen Erkrankungen wieder gesund werden, und sie würden auch gern schlanker sein, wenn Dicksein ihr Problem ist. Auf der anderen Seite würden die empfohlenen Verhaltensänderungen in irgendeiner Form andere wesentliche Stützen ihres Lebens gefährlich ins Wanken bringen. Die Definition von Gesundheit laut der WHO ist ein Zustand kompletten physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung. Der Patient hat eine viel schwierigere Aufgabe als sein Behandler: Der Behandler hat seinen Fokus auf der Vermeidung von weiteren gesundheitlichen Problemen. Der Patient will auch nicht krank werden, gleichzeitig muss er aber dafür sorgen, dass er sozial vorhersagbar eingebunden ist, dass er finanziell abgesichert ist, dass sein Selbstwertgefühl stabil bleibt. Hierzu drei Beispiele [2]:

Eine Rentnerin mit diabetischem Fußulkus, der dringend die Druckentlastung zu Hause empfohlen wurde, wendet ein: "Ich könnte mich auf das Sofa setzen und meine Tochter würde sich um mich kümmern. Aber dann würde ich mich selbst nicht mehr mögen. Ich würde depressiv werden." Ein Student mit Asthma lässt trotz wiederholter Exazerbationen mit Besuch in der Notaufnahme die empfohlene regelmäßig zu inhalierende Medikation weg. Durch das Weglassen der Medikamente müsse er nicht immer jeden Tag daran denken, dass er Asthma hat. Dieser Gedanke nehme ihm den Lebensmut. Er fühle sich minderwertig und sozial gehemmt und habe Angst, keine guten Kontakte mit den neuen Mitstudenten aufbauen zu können. Eine Mutter lehnt die fünfte Chemotherapie ab. Sie wolle ihre Zeit nutzen, um sich von ihren Kindern zu verabschieden.

Dies sind Beispiele dafür, dass weitere Informationen über die Risiken ihres Verhaltens bei diesen Patienten sehr wahrscheinlich nicht hilfreich sein werden. Sie könnten sogar bei solchen Patienten, denen die Risiken schon bekannt sind, zu einer gefährlichen Steigerung des Angst- und Überforderungsgefühls und somit zu einer weiteren Verschlechterung ihrer Auseinandersetzung mit der Therapie führen (Nocebo-Effekt).

Das Motivieren z. B. in Form von konkreten Ratschlägen, wie es besser gehen könnte, kann leicht an der dem Behandler kaum bekannten Realität des Patienten vorbeigehen. Die Patienten werden dadurch in den Konflikt gebracht, die Empfehlungen ablehnen zu müssen, ohne die Fürsorge des Behandlers zu verlieren. In einer Metasynthese wurden Behandler und Patienten zu der gewünschten Unterstützung bei Therapieadhärenzproblemen befragt. Die Behandler berichteten, sie dächten, Patienten bräuchten mehr Information und Motivationshilfen. Patienten sagten, sie bräuchten mehr Hilfe, ihre Therapie unter den sich verändernden Bedingungen psychisch, sozial und praktisch zu integrieren [4].

Fragen Sie nach dem "guten Grund"

Behandler neigen bei solchen Ambivalenzen meist dazu, die "gesunde" Seite zu betonen. Das wird auch der "righting reflex" genannt: Reflexartig fühlt sich der Behandler verpflichtet, zu sagen, was richtig wäre für die Gesundheit (z. B. Insulin beim HbA1c von 9,8 % bei Typ-2-Diabetes). Der Patient wird dann automatisch die andere Seite der Ambivalenz benennen: Arbeitszwänge, Angst davor, für immer abhängig von Ärzten und Geräten zu sein usw. Daraufhin betont der Behandler erneut die "gesunde" Seite mit den einleitenden Worten "Ja, aber...", der Patient erwidert erneut "Ja, aber..." und berichtet wieder oder mit anderen Argumenten, warum es für ihn nicht geht.

Mit der Frage nach dem "guten Grund", warum die Verhaltensänderungen für den Patienten nicht möglich sein sollen, signalisieren Sie Ihrem Patienten, dass Sie die Belange und Zwänge in seinem Leben ernst nehmen. Sie zeigen ihm, dass Sie davon ausgehen, dass es für diese bisherige Lösung in seinem Leben eine innere Logik gibt, die Sie bisher noch nicht ausreichend verstanden haben.

Ein Beispiel: "Sie wollen nicht, dass Sie krank werden, und doch messen Sie keinen Blutzucker. Dafür haben Sie bestimmt einen guten Grund...?" Der junge Patient wird Ihnen vielleicht sagen, dass wenn er die hohen BZ-Werte sieht, sie ihm eine solche Angst machen, dass er sich den ganzen Tag nicht mehr beruhigen kann. Mit dieser Information wird Ihnen sofort klar, dass weitere Informationen über Folgeerkrankungen diesen Patienten emotional überfordern würden. Ohne diese Information könnten Sie angesichts eines stark wirkenden jungen Mannes mit einem HbA1c von 12 % denken, er wisse nicht, was er sich antut.

Benennen Sie die Ambivalenz des Patienten

In dem Moment, in dem er nach dem guten Grund für seine Entscheidung gefragt wird, erlebt sich der Patient als ernstzunehmender Gesprächspartner und wird Ihnen eher ehrlich sagen können, wie seine Ambivalenzen gelagert sind. An der Stelle kann es hilfreich sein, seine Ambivalenz mit Ihren eigenen Worten zu benennen: "Das heißt, auf der einen Seite wollen Sie sich gern mehr um Ihre Erkrankung kümmern, aber dann fühlen Sie sich besonders krank/dann fühlen Sie sich schuldig wegen der hohen Werte/dann müssten Sie sich als Kranker outen." In dem Schulungsprogramm "bot leben" für Menschen mit Typ-2-Diabetes werden die Ambivalenzen angesichts der Umstellung auf Insulin anhand von "Mut- und Sorgenkarten" haptisch dargestellt [5]. Eine Darstellung seiner Ambivalenz kann für den Patienten sehr entlastend sein. Er kann Ihrer Zusammenfassung des Problems zustimmen und muss sich nicht mehr gegenüber Ratschlägen, die ihm nicht möglich sind, wehren. Auch Sie können besser verstehen, in welchem Konflikt der Patient steht, und können mit dem Patienten einen kreativen Kompromiss entwickeln, den er mittelfristig umsetzen kann.

Ein Beispiel:Fragen wie "Haben Sie Ihre Medikamente genommen?" können leicht eine positive Antwort aus Angst vor Missbilligung hervorlocken. Die Frage: "Von Ihren vier Medikamenten – welche schaffen Sie regelmäßig einzunehmen?" macht deutlich, der Behandler weiß, dass es schwierig sein kann, an alle Medikamente zu denken und sich selbst dafür dauerhaft – auch mit ihren eventuellen Nebenwirkungen – zu motivieren. Mit dieser Fragestellung geben Sie dem Patienten die Möglichkeit, wahrheitsgemäß zu antworten, ohne Angst vor Bestrafung.

Die Verwendung des Begriffs "Motivieren" überdenken

Nach meiner Erfahrung in vielen Workshops mit Ärzten und ihren Teams wird regelmäßig deutlich, dass die suggerierte Möglichkeit des Fremdlenkens zu unangenehmen Erlebnissen im Arzt-Patienten-Kontakt führen kann: Die eigene Intuition, der Patient kann im Moment nicht, wird mit einer inneren Regel, man müsse ihn motivieren, überwunden. Dabei neigen Behandler dazu, die Ressourcen in Bezug auf die gewünschten Verhaltensänderungen zu überschätzen. Möglicherweise verfügt Ihr Gegenüber über andere Ressourcen, die Sie nur in Erfahrung bringen können, wenn Sie sich auf das Gespräch über die Richtigkeit seiner bisherigen Lösungen einlassen.

Behandler würden sich selbst wie auch ihre Patienten entlasten, wenn die Begrifflichkeiten in den Leitlinien und in Fachgesprächen geschärft werden würden. Die Begriffe "empfehlen" und "raten" sind in diesem Zusammenhang zu bevorzugen.


Literatur:
1. Miller W R, Rollnick S. (2015). Motivierende Gesprächsführung. Lambertus-Verlag
2 Woods S, Clever H-U, Dreyer M, Tigges W, Hirsch A, (2005) Documentation of psychosocial therapy barriers to offloading in patients with diabetic foot syndrome at risk for ulceration. DFSG, Thessaloniki
3 Winkley K et al., Diabetologica 2012, 2: 303-310
4 Brundisini F et al., BMC Health Services Research 2015, 15:516
5. Anderton H et al. (2013) BOTLeben - Das Schulungsprogramm für Patienten mit Typ-2-Diabetes 1. Auflage. Kirchheim Verlag


Autorin:

Dipl. Psych. Susan Clever

Diabetespraxis Blankenese
22587 Hamburg

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (7) Seite 68-72