Insbesondere bei Schmerzpatienten ist eine verständliche Gesprächsführung wichtig, um Missverständnisse, falsche Erwartungen und vorzeitige Therapieabbrüche zu vermeiden. Die kommunikativen Aufgaben eines Arztes sind deshalb anspruchsvoll. Wie können Sie als Hausarzt Ihrem Schmerzpatienten ein gutes Krankheitsverständnis vermitteln und worauf müssen Sie bei der Kommunikation besonders achten?

Die therapeutische Wirkung von Gesprächsführungskompetenzen des Arztes auf den Behandlungserfolg kann nicht oft genug hervorgehoben werden. So konnten in Studien deutlich verbesserte Behandlungsergebnisse hinsichtlich Schmerzrückgang, Verminderung depressiver Symptome und reduzierter Krankheitstage nachgewiesen werden, wenn Patienten die Qualität des Kontaktes zum Arzt als hoch einschätzten [13]. Bei Patienten mit überwiegend körperlichen Erkrankungen konnte eine warmherzige, freundliche und angstnehmende Zuwendung den Krankheitsverlauf – unabhängig von der sonstigen Behandlung – eindeutig verkürzen und die Nebenwirkungsquote verringern [12].

Die Aufklärung des Patienten über Diagnose und Behandlungsprinzipien wird als Edukation bezeichnet. Bei weitergehenden Informationen und der Motivation zum Selbstmanagement spricht man von "Psychoedukation", die zumeist in stationären Behandlungssettings angeboten wird [5]. Edukation hat einen wichtigen Stellenwert in der Akutschmerzbehandlung. So wurde belegt, dass Informationen, die dem Patienten präoperativ vermittelt wurden, den postoperativen Schmerzverlauf günstig beeinflussen und zu einem geringeren postoperativen Schmerzmittelverbrauch führen [19]. Konsequenterweise wird die Edukation in mehreren Leitlinien ausdrücklich empfohlen und als Bestandteil der Regelversorgung eingefordert [1].

Was gilt es zu vermitteln?

Trotz vermehrter Medienpräsenz von Gesundheitsthemen haben Patienten mit chronischen Schmerzen immer noch ein erhebliches Informationsdefizit. So hält die Mehrheit der Rückenschmerzpatienten "Schonung" immer noch für die beste Behandlungsstrategie [20]. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Patienten, die körperliche Anstrengung als für sich "gefährlich" betrachten, körperbezogene Trainingsmaßnahmen sogar als "schädlich" zurückweisen. Der Arzt sollte daher die Edukation von sich aus "aktiv" initiieren. Dieser Aspekt ist besonders in der Anfangsphase der Behandlung wichtig, wenn die "Verunsicherung" und das Klärungsbedürfnis des Patienten am größten sind. Den Patienten da abholen, wo er steht, heißt, nicht nur seine Krankheitsvorstellungen zu kennen, sondern seinen Schmerz – auch wenn somatische Befunde fehlen – als Tatsache anzuerkennen.

Häufig haben Schmerzpatienten nicht nur ein rein somatisch ausgerichtetes Krankheitsverständnis, sondern auch ein überwiegend passives Bewältigungsverhalten mit "Angst-Vermeidungs-Kognitionen" [9]. Der langfristige Erfolg ärztlichen Tuns steht und fällt mit der Überwindung dieser Passivität. So heißt es in einem Beitrag zur Mündigkeit des Patienten: "Patienten haben über Jahre gelernt, dass sie "Kunden" sind, deren Mündigkeit darin besteht, ihren Anspruch auf Leistungen geltend zu machen. Sie haben nicht gelernt, dass sie im Prozess ihrer Gesundheitserhaltung oder Wiedererlangung der Gesundheit eine aktive Rolle spielen (sollten)" [31].

Vermittlung eines "bio-psycho-sozialen" Krankheitsverständnisses

Grundsätzlich gilt, dass sowohl akuter Schmerz wie auch chronischer Schmerz nicht nur durch das Ausmaß einer drohenden oder erfolgten Körperschädigung beeinflusst wird, sondern auch durch Aufmerksamkeit, innere Wertungen ("Ist nicht so schlimm"), Gefühle wie z. B. Angst und soziale Zuwendung ("Lass es liegen, ich mache das für dich."). Diese sogenannten psycho-sozialen Faktoren finden wir bei der Entstehung chronischer Schmerzen ausgeprägter und sie müssen dann Bestandteil einer multimodalen Behandlung werden [2, 23].

Da psycho-soziale Belastungen vom Patienten oft nicht bewusst wahrgenommen oder in ihrer Tragweite unterschätzt werden, kann es vom Patienten missverstanden werden, wenn der behandelnde Arzt die Absicht äußert, einen Psychologen oder einen Psychiater mit einzubeziehen. Der Wechsel des Diagnose- und Behandlungskonzepts ist oft für den Patienten nicht nachvollziehbar und obendrein kränkend. Den Schmerzpatienten dort abholen, wo er steht, heißt, seine tiefe Verunsicherung und seine möglicherweise empfundene Kränkung anzusprechen und durch eine patientenorientierte "Aufklärung" aufzulösen.

Erst durch die Vermittlung eines bio-psycho-sozialen Schmerzmodells kann sich der Patient der ganzheitlichen Sicht des Phänomens "Schmerz" öffnen [28].

Die Arzt-Patienten-Interaktion

Voraussetzung für eine effektive Informationsvermittlung ist ein tragfähiges Arbeitsbündnis. Schon in der frühen Phase der Zusammenarbeit sollten deshalb klärende und entlastende "Grundbotschaften" vermittelt werden (Kasten 2). Eine der zentralsten Botschaften an den Patienten ist der Satz: "Jeder Schmerz ist echt. Schmerzen unterliegen immer körperlichen, psychischen und sozialen Einflüssen. Mal überwiegt die eine, mal die andere Seite."

Nachvollziehbare Informationen über das Warum einer interdisziplinären Diagnostik und multimodalen Schmerztherapie haben eine zentrale Bedeutung für die weitere Beziehungsgestaltung und für die Therapiemotivation ("Compliance").

Erklärungen für den Patienten müssen verständlich sein und möglichst viele seiner (alltäglichen) Erfahrungen aufgreifen. Das aktive Nachfragen nach Informationen seitens des Patienten ist für die Auseinandersetzung mit der Krankheit als positiv zu bewerten und für den therapeutischen Erfolg als prognostisch günstig zu betrachten [21, 28].

Die kommunikativen Aufgaben eines Arztes sind deshalb anspruchsvoll und erfordern gezieltes und praktisches Training, wie es in Form von Train-the-Trainer (TTT)-Seminaren, Workshops oder Balint-Gruppen reflektiert und geübt werden kann.

Dass sich diese Investition nicht nur für den Schmerzpatienten lohnt, zeigt eine Studie [24], in der nachgewiesen werden konnte, dass für Ärzte mit einer hohen Gesprächsführungskompetenz …
  • die subjektive Belastung durch die Krankheit ihrer Patienten geringer ist,
  • die Stressbelastung durch den Beruf als niedriger empfunden wird,
  • die berufliche Zufriedenheit wächst,
  • die Neigung zu Depressionen, Ängsten und Suizidalität (die bei Ärzten überdurchschnittlich hoch ist) abnimmt.

Didaktische Hilfsmittel für das Gespräch mit dem Patienten

Schriftliches Material kann den Informationsauftrag des Arztes unterstützen [8, 22, 27], allerdings darf sich die Aufklärungspflicht nicht auf das Überreichen einer Broschüre beschränken. Prüfen Sie die verwendeten Materialien auch unbedingt auf die Qualität ihres Informationsgehaltes.

Mittlerweile nutzen über 20 % der Schmerzkranken auch die Informationsangebote im Internet mit zahlreichen Patienten-Foren/Chats zum Austausch. Die aktive Nutzung steigt mit dem Bildungsgrad [10, 32].

Laiengerechte, neutrale und auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand aufgearbeitete Informationen zu allen Aspekten von Schmerz sind im Internet, in den Printmedien und sonstigen Medien wie Apps die Ausnahme. Hier hat die seit 2012 unterhaltene "Patienteninformation" der Deutschen Schmerzgesellschaft eine Vorbildfunktion ( http://www.dgss.org/Patienteninformationen ). Über 50 namhafte Schmerzexperten verfassten laiengerecht aufgearbeitete Beiträge zu über 70 Aspekten von Schmerz. Diese stehen auch den Nutzern von Smartphones als SchmerzApp [30] oder dem Buchleser als Ratgeber mit umfangreichen Buch- und Link-Empfehlungen zur Verfügung [27]. Diese Informationen richten sich aber nicht nur an Betroffene und Angehörige, sondern bieten auch dem medizinisch Interessierten und jenen, die sich beruflich mit Schmerzpatienten beschäftigen, patientengerechte Erklärungen. So kann der Arzt Grafiken (Abb. 1) und Textbeiträge für ein aufklärendes Gespräch mit dem Patienten selbst nutzen.

Kasten 1:
Das Patientenrechtegesetz: Das Patientenrechtegesetz [7] schreibt vor, dass sich die Informationen auf Untersuchungen, Diagnose, Therapie und Kosten erstrecken müssen. Die Patienten sind in einem "persönlichen Gespräch verständlich und umfassend zu informieren". Bei Schmerzpatienten sollten noch folgende Aspekte hinzukommen [2, 3, 15, 17, 21]:
  • die Vermittlung störungsbezogener und therapierelevanter Informationen vor dem Hintergrund eines bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnisses,
  • die Erklärung über den Nutzen von Schmerztagebüchern zu Schmerzempfinden, Stimmungen und Aktivität sowie
  • Informationen zur Wirkungsweise von Medikamenten und selbstkritischer Umgang mit dem Medikamentenkonsum.

Kasten 2

Entlastende "Grundbotschaften", die sich bei chronisch Schmerzkranken in beruflichen und sozialmedizinischen Problemlagen bewährt haben [29]:"

  • Eine falsche Bewegung ist so wenig schuld wie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat."
    = Keine Angst vor Bewegung!

  • Die Größe des Leids richtet sich beim akuten Schmerz oft nach seiner Stärke, beim chronischen Schmerz oft nach seiner Dauer.
    = "Erträglicher" Dauerschmerz ist auch Leid!

  • Die in einem therapeutischen Rahmen zugelassene körperliche Aktivität ist nicht automatisch gleichzusetzen mit beruflicher Leistungsfähigkeit.
    = Werden und bleiben Sie körperlich aktiv!

  • Krankschreibung und Berentung sind sozialmedizinisch legitime Lösungen, aber vielleicht nicht die einzigen.
    = Gibt es einen Plan B?



Literatur
1. AWMF (2010) Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz. http:// www.kreuzschmerz.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-007I_S3_Kreuzschmerz_2013-08.pdf.Zugegriffen:24.Juli 2015
2. Basler HD, Kröner-Herwig B (1998) Psychologische Schmerztherapie bei Kopf- und Rückenschmerzen. Ein Schmerzbewältigungsprogramm zur Gruppen- und Einzeltherapie. 2. Aufl., Quintessenz, München
3. Basler HD et. al. (2001) Chronische Kopf- und Rückenschmerzen. Psychologisches Trainingsprogramm – Trainerhandbuch. V&R-Verlag, Göttingen
4. Bennett MI, Bagnall AM, José Closs S (2009) How effective are patient-based educational interventions in the management of cancer pain? Systematic review and meta-analysis. Pain. 143 (3):192-9
5. Bernateck M et al (2012) Schmerzmedizin – 1000 Fragen. S. 155, Thieme-Verlag
6. Briggs AM, et al (2010) Health literacy and beliefs among a community cohort with and without chronic low back pain. Pain 150(2): 275-283
7. Bundesministerium für Gesundheit (2013) Patientenrechtegesetz. http:// www.bmg.bund.de./glossarbegriffe/p-q/patientenrechtegesetz.html.Zugegriffen: 23.11.2015
8. Burton, A.K., et al., (1999) Information and advice to patients with back pain can have a positive effect. A randomized controlled trial of a novel educational booklet in primary care. Spine. 24(23): 2484-91.
9. Butzlaff M, Floer B, Isfort J (2003) Informationsmaterial und –medien zur Prävention von Rückenschmerzen, Abschlußbericht der Bertelsmann-Stiftung, www.bertelsmann-stiftung.de
10. Corcoran TB, et al. (2010) A survey of patients‘ use of the internet for chronic pain- related information. Pain Med 11 (4):512-7
11. Deveugele, M, Derese A, van den Brink¬Muinen A, Bensing J, De Maeseneer D: Consultation length in general practice: cross sectional study in six European countries. BMJ, 325, 31. August 2002. S. 1-6.
12. Di Blasi Z et al (2001) Influence of context effects on health outcomes: a systematic review. The Lancet 357: 757-762
13. Dibbelt S, Schaidhammer M, Fleischer C, Greitemann B (2010) Patient-Arzt-Interaktion in der Rehabilitation: Gibt es einen Zusammenhang zwischen wahrgenommener Interaktionsqualität und langfristigen Behandlungsergebnissen? Rehabilitation; 49 (5): 315-325
14. Dierks, M. L. et al (2001) Patientensouveränität - Der autonome Patient im Mittelpunkt. Arbeitsbericht Nr. 195 der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Stuttgart
15. Egle UT, Zentgraf B (2009) Mechanismenbezogene statt schulenspezifische psychosomatische Schmerztherapie. Psychiatrie & Neurologie 3:18-23
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17. Flor H (2005) Verhaltenstherapie bei chronischen Schmerzen. PiD 1 (6):11-18
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20. Gross DP et al (2006) A population-based survey of back pain beliefs in Canada. Spine; 31: 2142-2145
21. Hildebrandt J, Pfingsten M et. al. (2003) Göttinger Rücken-Intensiv-Programm (GRIP) – Das Manual. congress compact verlag, Berlin
22. Kanae S, et. al. (2010) The effect of an educational leaflet on depressive patients‘ attitudes toward treatment. Psychiatry Research 177 (1-2): 184-187
23. Kröner-Herwig B et. al. (Hrsg.) (2017) Schmerzpsychotherapie. 8.Aufl., Springer, Berlin
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25. Moseley GL, Nicholas MK, Hodges PW (2004) A randomized controlled trial of intensive neurophysiology education in chronic low back pain. Clin J Pain 20(5):324-30.
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27. Nobis HG et al. (2016) Schmerz – eine Herausforderung. Informationen für Betroffene und Angehörige, Springer
28. Nobis HG (2013): „Ich bilde mir den Schmerz doch nicht ein“ – Woran Edukationskonzepte scheitern können. In: Arbeitskreis Klinische Psychologie in der Rehabilitation BDP (Hrsg.) (Selbst-)Konzepte bei veränderten Lebensbedingungen. dpv (19-37)
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28.Nobis HG (2013): „Ich bilde mir den Schmerz doch nicht ein“ – Woran Edukationskonzepte scheitern können. In: Arbeitskreis Klinische Psychologie in der Rehabilitation BDP (Hrsg.) (Selbst-)Konzepte bei veränderten Lebensbedingungen. dpv (19-37)
30. Nobis HG (2017) Eine App rund um das Thema Schmerz. In: Schmerz und Schmerzmanagement 2/17:46
31. Sänger S (2017) Der mündige Patient? In: Psychotherapeutenjournal 1/2017: 27-35
32. Schaeffer D, Vogt D, Berens E-M, Hurrelmann K (2016) Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland: Ergebnisbericht, Bielefeld: Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften.http://www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag6/downloads/Ergebnisbericht_HLS-GER.pdf
33. Schmidt CO, Chenot JF, Pfingsten M, Fahland RA, Lindena G, Marnitz U, Pfeifer K, Kohlmann T (2010) Assessing a risk tailored intervention to prevent disabling low back pain - protocol of a cluster randomized controlled trial. BMC Musculoskeletal Disorders 11:5



Autor:

Hans-Günter Nobis

Psychologischer ­Psychotherapeut, Spezielle Schmerzpsychotherapie, Ltd. Psychologe
MEDIAN-Klinik am Burggraben
32105 Bad Salzuflen

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (2) Seite 56-60