Am 24. August 2017 sind die neuen STIKO-Empfehlungen erschienen. Die für die Praxis relevanten Neuerungen nebst meiner persönlichen Einordnung und Kommentierung sollen hier vorgestellt werden.

Aktualisierungen betrafenin diesem Jahr vor allem die Influenza-, die Hepatitis A- und B- sowie die Herpes-zoster-Impfung, außerdem Impftechnik und Aufklärung.

Hepatitis A und Hepatitis B

Die STIKO konkretisiert in ihrer neuen Empfehlung als Risikogruppe für Hepatitis A "Männer, die Sex mit Männern haben (MSM)".

Auch ehrenamtlich in Risikobereichen Tätige werden jetzt ausdrücklich als Indikationsgruppe für die Hepatitis-A-Impfung genannt.

Neu und für die Praxis relevant ist die Empfehlung zur postexponentiellen aktiven Impfung nach Kontakt zu Hepatitis-A-Kranken – z. B. in Gemeinschaftseinrichtungen mit monovalentem Hepatitis-A-Impfstoff innerhalb von 14 Tagen nach Exposition. Wichtig ist, dass hier monovalenter HAV-Impfstoff verwendet wird. In den Kombinationsimpfstoffen mit Hepatitis B ist der Antigengehalt niedriger und damit postexponentiell nicht ausreichend wirksam!

Die simultane "passive" Impfung mit Hepatitis-A-Immunglobulin wird nur noch für spezielle Risikogruppen (z. B. Menschen mit chronischer Hepatitis B und/oder Hepatitis C) empfohlen.

Bei ehrenamtlich in Risikobereichen Tätigen (z. B. in Asylbewerberheimen, Behinderteneinrichtungen, medizinischen Einrichtungen) war bisher oft unklar, ob jemand und wenn ja wer die Kosten für die Hepatitis-B-Impfung trägt. In den aktuellen Empfehlungen sind ehrenamtlich in diesen Bereichen Tätige explizit als "Personen mit beruflichem Expositionsrisiko" genannt. Damit ist die Kostenübernahme auch dann sichergestellt, wenn der Hausarzt die Impfung durchführt. Dasselbe gilt für die Hepatitis-A-Impfung (s. o.).

Influenza

Diesbezügliche Neuerungen betreffen die intranasal zu verabreichende attenuierte Lebendvakzine (LAIV). Seit 2007 kann dieser Impfstoff auch für Kinder ab zwei Jahren angewandt werden. Die Wirksamkeitsdaten fielen allerdings ernüchternd aus. Daher hatte die STIKO bereits zur Influenzasaison 2016/2017 ihre Empfehlung, Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren bevorzugt mit diesem Impfstoff zu impfen, ausgesetzt und nun endgültig zurückgezogen. Die STIKO empfiehlt die bevorzugte Anwendung von LAIV jetzt nur noch bei "Hindernissen für eine Injektion" – konkret nennt die STIKO hier "Spritzenphobie und Gerinnungsstörungen". Ansonsten gilt für die Gruppe zwischen zwei und 17 Jahren die Empfehlung: entweder LAIV oder ein i.m. zu applizierender inaktivierter Impfstoff.

Bei Patienten mit "Gerinnungsstörungen" kann – wie auch bei Patienten unter oraler Antikoagulation – bei fast allen Impfstoffen auch eine subkutane Anwendung erfolgen. In diesen Fällen kann aber auch eine intramuskuläre Applikation mit einer dünnen Injektionsnadel erfolgen. Die Injektionsstelle sollte dann für mindestens 10 Minuten manuell komprimiert werden (persönliche Empfehlung Dr. Leischker). Eine Indikation für die – schlecht wirksamen – intranasalen Lebendimpfstoffe besteht aus meiner Sicht also allenfalls bei einer unüberwindbaren "Spritzenphobie", nach dem Motto: besser schlechter Schutz als überhaupt kein Schutz.Lediglich Influenzaimpfstoffe mit Adjuvantien dürfen wegen der Gefahr der Granulombildung nicht subkutan appliziert werden.

Herpes-zoster-Lebendimpfung

Seit September 2013 ist ein attenuierter Lebendimpfstoff (Zostavax®) zur Verhinderung eines Herpes zoster (HZ) und der postherpetischen Neuralgie (PHN) verfügbar. Diese Impfung empfiehlt die STIKO jedoch aktuell nicht als Standardimpfung für über 50-Jährige, sondern nur "nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung".

Als Begründung führt die STIKO an: "Die Entscheidung basiert auf der systematischen Bewertung der vorhandenen Daten zu Wirksamkeit, Schutzdauer und Sicherheit des Impfstoffs und wird durch die Ergebnisse einer mathematischen Modellierung zur Abschätzung der zu erwartenden epidemiologischen Effekte bekräftigt. Die Wahrscheinlichkeit an HZ zu erkranken und die Schwere der Erkrankung nehmen mit dem Alter deutlich zu. Die Wirksamkeit der Impfung hingegen nimmt mit zunehmendem Alter ab und reicht von 70 % bei den 50- bis 59-Jährigen über 41 % bei den 70- bis 79-Jährigen bis zu weniger als 20 % bei den ≥ 80-Jährigen. Die Schutzdauer der Impfung ist nur für wenige Jahre belegt. Die Modellierungsergebnisse zeigen eine nur geringe Reduktion der Gesamtfallzahlen von HZ durch die Impfung mit dem Lebendimpfstoff, die je nach Impfalter zwischen 2,6 % (Impfung mit 50 Jahren) und 0,6 % (Impfung mit 80 Jahren) liegen kann. Hinzu kommt, dass Personen, die ein deutlich erhöhtes Risiko für HZ und seine Komplikationen haben, häufig nicht mit dem attenuierten Lebendimpfstoff geimpft werden können (Kontraindikation). In der Gesamtschau führt die epidemiologische Nutzen-Risiko-Bewertung der HZ-Impfung nicht zu der Empfehlung einer Standardimpfung."

Ich persönlich empfehle wegen des signifikant reduzierten Risikos für eine oft sehr lang anhaltende, sehr schmerzhafte und schlecht behandelbare Postherpetische Neuralgie (PHN), die von der STIKO empfohlene "Individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung" großzügig einzusetzen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die STIKO zu dem in Kürze vor der Zulassung stehenden Totimpfstoff gegen Herpes zoster positionieren wird.

Tetanus-Impfung

Bei sauberen, geringfügigen Wunden ist eine Tetanus-Postexpositionsprophylaxe nur erforderlich, wenn seit der letzten Impfung mindestens zehn Jahre vergangen sind, beschloss die STIKO nun. Damit machte sie die im letzten Jahr erfolgte Reduzierung der Frist auf fünf Jahre wieder rückgängig.

Empfehlung zu Injektionstechniken

Eine sehr praxisrelevante Empfehlung ist neu: Generell sollte der Impfstoff bei der intramuskulären Injektion möglichst schnell injiziert werden – dann tut die Impfung weniger weh! Das hat eine Metaanalyse mehrerer Studien zu diesem Thema (Taddio A et al.) ergeben.

Darüber hinaus gelten unverändert die folgenden Empfehlungen zur Injektion:

  • Die Nadellänge sollte bei Säuglingen von < 2 Monaten 15 mm betragen, bei älteren Säuglingen und Kleinkindern 25 mm und bei Jugendlichen und Erwachsenen 25 – 50 mm.
  • Die intramuskuläre Injektion soll altersunabhängig ohne Aspiration erfolgen. Die Aspiration ist überflüssig, da an den Körperstellen, die zur Injektion verwendet werden (M. vastus lateralis oder M. deltoideus), keine großen Blutgefäße existieren.
  • Werden mehrere Impfungen am selben Termin gegeben, soll die schmerzhafteste Impfung zuletzt injiziert werden. Besonders schmerzhaft können die Injektionen der Pneumokokken- und der MMR-Impfung sein.

Diese Empfehlungen sind wichtig: Wenn die Impfung weniger weh tut, gehen die Patienten davon aus, dass der Arzt bzw. die MFA besonders gut impfen können, was dann ja auch stimmt! Außerdem steigt bei möglichst schmerzarmer Injektion die Compliance für Wiederimpfungen.

Aufklärungspflicht vor Impfungen

Hier werden von der STIKO erstmals die Regelungen des "Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten" (Patientenrechtegesetz) eingearbeitet. Das Wichtigste in Kürze:

  • Der genaue Umfang der Aufklärung soll "individuell gehandhabt werden". Mein persönlicher Kommentar dazu: "Nicht neu, aber immer aktuell."
  • Die Aufklärung muss mündlich erfolgen, ergänzend dürfen Unterlagen herangezogen werden, die der Patient in Textform erhält.
  • Die Aufklärung muss rechtzeitig erfolgen und für die zu impfende Person bzw. die Eltern verständlich sein. Informationen unmittelbar vor der Impfung sind möglich, aber Patient bzw. Eltern dürfen nicht unter Entscheidungsdruck gesetzt werden.
  • Eine schriftliche Einwilligung ist nicht vorgeschrieben, kann aber in Einzelfällen sinnvoll sein.
  • Auch die Ablehnung einer Impfung sollte ggf. in der Patientenakte dokumentiert werden. Mein Kommentar dazu: Gerade die Ablehnung einer Impfung sollte vor dem Hintergrund der Haftungsregelung im "Patientenrechtegesetz" (Beweislastumkehr bei fehlender Dokumentation) unbedingt schriftlich dokumentiert werden.

Aufklärung bei Kindern und Jugendlichen

Bei Minderjährigen unter 14 Jahren ist immer die Einwilligung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten einzuholen. Jugendliche über 14 Jahre können selbst einwilligen, wenn sie die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besitzen. Dies muss der Arzt im Einzelfall prüfen. In der Regel ist dies ab dem 16. Lebensjahr der Fall.

Impfungen bei Immunsuppression

Die Empfehlungen hierzu werden aktuell unter Federführung der STIKO erarbeitet – hier müssen wir uns also noch etwas gedulden.


Literatur
1) Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (RKI)Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut – 2017/2018.Epidemiologisches Bulletin Nr. 34 vom 24. August 2017
2) Taddio A, Shah V, McMurtry CM, et al.: Procedural and Physical Interventions for Vaccine Injections: Systematic Review of Randomized Controlled Trials and Quasi-Randomized Controlled Trials. Clin J Pain 2015;31:20 – 37
3) M. Knuf • A. Kunze: Influenza: Epidemiologie und neue Impfkonzepte. Monatsschr Kinderheilkde DOI 10.1007/s00112-016-0182-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016


Autor:

Dr. Andreas H. Leischker, M.A.

Facharzt für Innere Medizin – Reisemedizin (DTG), Flugmedizinischer Sachverständiger, Gelbfieberimpfstation Alexianer Krefeld GmbH
47918 Krefeld

Interessenkonflikte: Dr. Leischker hat Honorare/Reisekostenunterstützung von Pfizer, Novartis und Sanofi-Pasteur-MSD erhalten. Er ist Dozent und Mitglied der Akademie des Centrums für Reisemedizin (CRM) Düsseldorf


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (18) Seite 22-24