Der Typ-2-Diabetes wird auch heute noch mit einer langen Verzögerung von acht bis zehn Jahren nach dessen Manifestation diagnostiziert. Damit geht viel Zeit für eine adäquate Behandlung verloren. Ein Screening zur Diabetes-Früherkennung ist wichtig, weil so ein frühzeitiges "Gegensteuern" stattfinden kann. Denn die Erfolgschancen zur Prävention des Diabetes und seiner Folgeschäden sind bei einer frühen Intervention deutlich günstiger.

Nestor der deutschen Diabetologie
Wer kennt ihn nicht? Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert ist seit über 50 Jahren auf dem Gebiet der Diabetologie aktiv. Auch heute noch hält der ehemalige Chefarzt der Medizinischen Klinik des Krankenhauses München-Schwabing Vorträge und leistet Aufklärungsarbeit. Auch auf der practica erfreuen sich seine Seminare gleichbleibender Beliebtheit. Das liegt daran, dass Mehnert Diabetesforschung so vermitteln möchte, dass sie auch für den niedergelassenen Allgemeinarzt umsetzbar ist. In diesem Sinne sind auch "Mehnerts Diabetes-Tipps" verfasst, die als Serie im Allgemeinarzt erscheinen und hoffentlich dazu beitragen, dass Sie Ihre Diabetes-Patienten besser betreuen können.

Schon die Framingham-Studie hat gezeigt, dass sich eine gestörte Glukosetoleranz nachteilig auf kardiovaskuläre Ereignisse auswirkt. Hier gibt es eine Art "Risikotreppe": Nichtdiabetiker haben ein geringes Risiko für Herz- und Gefäßschädigungen, Prädiabetiker ein schon deutlich erhöhtes und manifeste Diabetiker ein noch höheres Risiko. Daraus lässt sich nur eine Konsequenz ziehen: Der Arzt muss versuchen, bei den zumeist übergewichtigen Patienten durch Gewichtsabnahme und körperliche Bewegung das prädiabetische Stadium in eine normale Stoffwechsellage zurückzuführen oder wenigstens zu verhindern, dass sich ein manifester Diabetes entwickelt. Bedauerlich ist, dass sich die Krankenkassen in der prädiabetischen Phase bei der Kostenerstattung für Schulungen im Bereich der Ernährungs- und Bewegungstherapie oft quer- stellen. Dabei sollte schon hier eine Lebensstil-Intervention stattfinden, um den Diabetes zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Besser weniger Fett essen?

Prof. Dr. med. Peter Schwarz aus Dresden strebt hierbei eine Gewichtsreduktion um 5 – 7 %, 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche, 15 Gramm faserhaltige Ballaststoffe pro 1.000 Kilokalorien Nahrungsaufnahme, maximal 30 % Fett in der täglichen Nahrung sowie einen Anteil gesättigter Fettsäuren von maximal 10 % pro Tag an. Diese Forderungen sind sicherlich berechtigt, hinter die relativ geringe Fettmenge muss man jedoch zunächst ein Fragezeichen setzen. Denn neuere Untersuchungen zeigen, dass sich eine eher kohlenhydratarme Kost relativ günstig auf den Diabetes und seine Vorstadien sowie eine Gewichtsabnahme auswirkt.

Die Gefahr einer relativ fettreichen Kost (z. B. 45 % der Gesamtkalorien) liegt aber sicher darin, dass Fett die meisten Kalorien enthält. Damit wird häufig das oberste Gebot der Ernährungstherapie unterlaufen: "Die Personenwaage ist wichtiger als die Küchenwaage." Auch scheinen Langzeitergebnisse keinen dauerhaften Vorteil einer fettreichen Kost mehr zu zeigen (Prof. Dr. med. Hans Hauner).

Schwarz weist jedenfalls darauf hin, dass die Umsetzung von nur einem der genannten Zielwerte fast keinen präventiven Erfolg zeigt. Mit der kontinuierlichen Realisierung jedes weiteren Werts wird jedoch ein günstiger Effekt in der Diabetes-Prävention erreicht. Gewichtsreduktion und körperliche Aktivität sind die wirksamste Intervention bei Prädiabetikern und natürlich bei Diabetikern.

Abnehmen und bewegen: doch kein Effekt?

Die Look-AHEAD-Studie schien hier das Gegenteil bewiesen zu haben: Nach knapp zehn Jahren wies die strenger kontrollierte Prüfgruppe (mit Gewichtsabnahme und körperlicher Aktivität) nur eine nicht-signifikante Besserung bei kardiovaskulären Folgen gegenüber der Kontrollgruppe auf. Man muss hier aber Folgendes bedenken: Auch die Werte der Kon-trollgruppe besserten sich deutlich – dank des sogenannten Studieneffekts. Zudem war die Beratung der Prüfgruppe nur im ersten Jahr adäquat. Darüber hinaus zeigen weitere Ergebnisse (z. B. der UKPDS-Studie), dass die Vorteile einer guten Diabeteseinstellung bezüglich der Makroangiopathie noch nicht nach zehn, sondern erst nach 15 – 20 Jahren zu erreichen sind. Und in der Tat ergab eine Post-hoc-Analyse der Look-AHEAD-Studie, dass später dann doch ein Vorteil von 10 % hinsichtlich kardiovaskulärer Schäden in der Prüfgruppe ermittelt werden konnte.

Zu erwähnen ist ferner, dass die Prüfgruppe nach zehn Jahren zufällig erhöhte LDL-Werte hatte und seltener mit einer Statintherapie behandelt wurde. Bei den Probanden besserte sich zudem die Mikroangiopathie deutlich und die Schlafapnoe- und Depressionsrate war um 20 % reduziert. Auch wiesen sie eine bessere Fitness auf und die Kosten für die medikamentöse Behandlung waren deutlich geringer als in der Kontrollgruppe. Diese Daten müssten auch den Kassen zu denken geben: Sie sollten eine Ernährungs- und Bewegungstherapie in den Vorstadien des Diabetes angemessen honorieren. Bei ausreichender Begründung und Dokumentation könnte im Einzelfall sicher viel Gutes erreicht werden.

Um das Risiko für eine Diabeteserkrankung frühzeitig zu erkennen, wurde in Helsinki der finnische Diabetesrisiko-Score entwickelt, der wichtige Punkte abfragt: das Lebensalter, die erbliche Diabetesbelastung, den Taillenumfang (um die gefährliche, viszerale Fettsucht zu erfassen), die körperliche Aktivität, die Ernährungsgewohnheiten, die Blutdrucksituation, erhöhte Blutzuckerwerte in der Vorgeschichte und den Body-Mass-Index (vgl. Tabelle 1). Die Punkteskala reicht von 0 bis 26 (höchstes Risiko). Hinsichtlich der Diabetes-Vorhersage wurde eine signifikante Assoziation zwischen dem Score und der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes festgestellt. Außerdem zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang bei der Erkrankungsprogression (u. a. eine vermehrte Insulinresistenz).

In Deutschland können über 35-jährige Personen alle zwei Jahre u. a. auf einen Diabetes hin untersucht werden. Der Arzt kontrolliert hier aber nur den Nüchternblutzuckerwert. Dieser Test sollte – zumindest bei Risikopatienten – durch einen Glukosebelastungstest ersetzt werden. Die Nüchternglukose eignet sich zur Diagnostik eines bereits bestehenden manifesten Diabetes. Die so wichtigen postprandialen Blutzuckerwerte werden dagegen am besten mit einer Glukosebelastungsprobe gemessen. Durch den Nüchtern- als auch den Zwei-Stunden-Glukosewert werden in der Regel erst fortgeschrittene Stadien des Diabetes erfasst. Der Ein-Stunden-Wert ist hingegen hoch prädiktiv, aber kaum etabliert. Dies liegt auch an der großen Schwankungsbreite, die eine genaue Abgrenzung zwischen "normal" und "pathologisch" erschwert. Auch deshalb ist die zusätzliche Auswertung eines Risikofragebogens nützlich.

Taillenumfang richtig messen

Die Messung des Taillenumfangs ist ein idealer Parameter, um eine androide (viszerale) Fettsucht oder Fettleibigkeit und damit ein erhöhtes Diabetes-Risiko festzustellen. Beim Messvorgang sollten einengende Kleidungsstücke des Patienten gelockert werden. Er sollte sich gerade hinstellen, die Füße nebeneinander und die Arme entspannt an den Seiten herunterhängen lassen, um das Körpergewicht gleichmäßig auf beide Füße zu verteilen. Gemessen wird zwischen dem unteren Rippenbogen und der Spitze des Hüftknochens. Das Maßband sollte also an dieser Stelle und nicht in Nabelhöhe angelegt werden. Der Patient kann normal atmen und die Bauchmuskulatur entspannen. Nach der Ausatmung wird der Bauchumfang abgelesen. Risiko-Scores bieten eine zusätzliche Hilfe, um weitere Risikofaktoren zu ermitteln. Für die Praxis eignet sich der erwähnte finnische Fragebogen ausgezeichnet. Dieser kann bei der Frühdiagnose dazu dienen, die wichtigen Vorsorgemessungen des Blutzuckers bzw. des HbA1c-Werts zu erweitern.

Der ursprünglich in Finnland entwickelte Risiko-Fragebogen (FINDRISK) wurde auf deutsche Verhältnisse angepasst. Den Fragebogen finden Sie hier.



Autor:

© Verlag Kirchheim
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e. V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (17) Seite 26-28