"Ich kann schlecht schlafen" – dieser Satz hat für jeden Patienten eine andere Bedeutung. Um die Ursache, den Krankheitswert und die Behandlungsbedürftigkeit einer Schlafstörung beurteilen zu können, ist eine ausführliche Anamnese unabdingbar. Als Erstes muss geklärt werden, welche Erwartungen der Patient an einen ausreichenden Schlaf hat und ob seine Tagesbefindlichkeit beeinträchtigt ist.

Fallbeispiel
Frau S., eine 65-jährige frühere Chemielaborantin, stellt sich in der Praxis zur Evaluation von Schlafstörungen vor. Die Rentnerin schläft nach eigener Einschätzung jede Nacht weniger als fünf Stunden. Sie ist tagsüber oft abgeschlagen und kann ihre Hausarbeit kaum noch erledigen. Sie wirkt sehr besorgt um ihren Schlaf, ist unruhig und angespannt. In der erweiterten Anamnese lässt sich als einzige relevante Erkrankung eine arterielle Hypertonie mit einer Medikation mit 5 mg Ramipril feststellen.

Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen weltweit [1]. Epidemiologischen Untersuchungen zufolge leiden 5 – 10 % der Bevölkerung unter chronischen Schlafstörungen. Eine sorgfältige Diagnostik kann nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen verbessern, sondern bietet manchmal auch einen Zugangsweg, um relevante psychische Erkrankungen, wie depressive Störungen [2], und körperliche Erkrankungen, wie kardiovaskuläre Probleme [1], aufzudecken.

Der erste diagnostische Schritt besteht darin, mögliche Auswirkungen des gestörten Schlafs auf die Tagesbefindlichkeit und die Leistungsfähigkeit am Tag zu eruieren. Patienten haben, was die Schlafdauer angeht, oft überzogene Gesundheitserwartungen. Sie sollten informiert werden, dass einzelne Nächte mit gestörtem Schlaf keiner besonderen Behandlung bedürfen.

Schlafbedarf: Was ist normal?

Liegt eine relevante Schlafstörung vor, ist laut Algorithmus (Abb. 1) eine Evaluation von einfachen Grundlagen des Schlafverhaltens bis zu spezifischen Schlafstörungen indiziert. Zunächst ist zu prüfen, ob das individuelle Schlafverhalten angemessen ist. Der individuelle Schlafbedarf ist angeboren und kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein, meist liegt er zwischen sechs und neun Stunden.

Für einen erholsamen Schlaf ist zudem eine ausreichende Zeit im Bett zu beachten. Weitere Voraussetzungen sind eine regelmäßige Aktivität und Lichtexposition tagsüber, um einen ausreichenden Schlafdruck aufzubauen. Eine wichtige Empfehlung bezieht sich auf die sogenannte Bettzeitrestriktion: Menschen mit Schlafstörungen sollen ihre Bettzeit nicht ausdehnen – ein häufig gewähltes Vorgehen –, sondern auf die zu erwartende Schlafzeit, z. B. sieben Stunden, begrenzen. So lässt sich im Sinne eines konditionierten Lernens eine Verknüpfung von Wachheit und Bett verhindern bzw. Schlaf mit der Schlafumgebung wieder verbinden.

Mit der gleichen Zielsetzung sollte Patienten geraten werden, bei längeren nächtlichen Wachphasen aufzustehen, einer schlaffördernden Tätigkeit nachzugehen und erst bei ausreichendem Schlafdruck wieder ins Bett zurückzukehren (sogenannte Stimulus-Kontrolle).

Bei bestehenden Schlafstörungen und ausreichend gutem Schlafverhalten wird nach dem Algorithmus erfragt, ob der Schlaf in eine angemessene Tagesrhythmik eingebettet ist. Hier ist neben der Schlafdauer auch die tageszeitliche Einordnung der Schlafphase zu erfragen, gegebenenfalls müssen Aktivitäten des Patienten wie angetretene Flüge mit Zeitverschiebung oder Schichtarbeit gesondert berücksichtigt werden.

Was stört den Schlaf?

In einem weiteren Schritt sollte der Arzt nach schlafbeeinträchtigenden Substanzen fragen, wie nach Koffein- und Alkoholkonsum, aber auch nach illegalen Mitteln. Bei einer missbräuchlichen Einnahme muss der Patient entsprechend beraten werden. Wichtig ist, den Betroffenen aktiv auf eine mögliche Einnahme von Substanzen und schlafanstoßenden Medikamenten anzusprechen, da Patienten häufig aus unterschiedlichen Gründen nicht freiwillig darüber berichten.

Auch ist zu berücksichtigen, dass viele internistische oder neurologische Medikamente, wie Betablocker oder Kortison, aber auch Schilddrüsenmedikamente und andere Präparate Wachheit oder Schlaf beeinträchtigen können [4].

Psychische Erkrankung?

Anschließend sollte der Arzt prüfen, ob die berichtete Schlafstörung möglicherweise einen Indikator für eine psychische Erkrankung darstellt.

Hier zeigen Arbeiten der letzten Jahre, dass Schlafstörungen ein transdiagnostisches Syndrom bei zahlreichen psychischen Erkrankungen darstellen, was in den neuen Diagnosekatalogen berücksichtigt wird [5]. Ein besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, dass Schlafstörungen zu den häufigsten Symptomen depressiver Erkrankungen zählen. Einige Patienten nutzen die Schilderung von Schlafstörungen übrigens als niedrigschwellige Kontaktaufnahme, um wegen depressiver Symptome wie Niedergeschlagenheit, Antriebs- und Interessenminderung bis hin zu Todesgedanken in ärztlichen Kontakt zu treten.

Man sollte immer daran denken, dass Schlafstörungen auch Ausdruck einer spezifischen somatischen Erkrankung, z.B. einer arteriellen Hypertonie oder einer Schilddrüsenüberfunktion, sein können. Hier ist eine somatische Routine-Diagnostik, einschließlich einer Routine-Labordiagnostik mit Schilddrüsenparametern, sinnvoll. Bei Hinweisen auf spezifische somatische Erkrankungen sind Zusatzuntersuchungen, wie eine Kernspintomographie des Gehirns oder andere Untersuchungen, angeraten.

Nach Ausschluss der genannten möglichen Ursachen sind spezifische Schlafstörungen zu evaluieren. Bei Verdacht auf erhöhte Tagesmüdigkeit aufgrund einer atembezogenen Schlafstörung ist eine ambulante Polygraphie zum Screening eines Schlaf-Apnoe-Syndroms angeraten. Besondere Verdachtsmomente ergeben sich bei nächtlichem Schnarchen in Verbindung mit Atemaussetzern. Weitere Hinweise auf eine atembezogene Schlafstörung können ein trockener Mund sowie Kopfschmerzen beim Aufwachen sein.

CPAP und RLS

Bei einem Schlaf-Apnoe-Syndrom ist eine spezifische Evaluation der Behandlungsoptionen in einem Schlafzentrum indiziert. Hier ist zu klären, ob Allgemeinmaßnahmen ausreichend sind oder eine Maskenbeatmung mit kontinuierlichem Überdruck angezeigt ist (Continuous Positive Airway Pressure, CPAP).

Ein weiteres häufiges Beschwerdebild ist das Syndrom der "unruhigen Beine" (Restless-Legs-Syndrom, RLS), bei dem die Betroffenen meist am Abend Missempfindungen oder ein Unruhegefühl bevorzugt in den Beinen beschreiben, das sich auf Bewegung bessert und oft sehr unangenehm ist und am Einschlafen hindert. Hier sollten primäre Ursachen, insbesondere eine Nierenfunktionsstörung oder ein Eisenmangel, ausgeschlossen werden (Bestimmung von Kreatinin, Eisen und Ferritin im Serum).

Narkolepsie

Die Narkolepsie mit Kataplexie ist vor allem durch imperative Einschlafattacken und unwillkürlichen Muskeltonusverlust gekennzeichnet. "Es existiert ein breites Spektrum anderer spezifischer Schlafstörungen, einschließlich Schlafwandeln, Bewegungen aus dem REM-Schlaf heraus (sogenannte REM-Schlaf-Verhaltensstörung) oder Alpträumen. Bei Vorliegen komplexer Schlafstörungen sollte der Patient an ein schlafmedizinisches Zentrum verwiesen werden.

Bei anhaltenden Schlafstörungen ohne spezifische anderweitige Genese (vgl. Fallbeispiel) ist diagnostisch von einer psychophysiologischen (primären) Insomnie auszugehen. Aktuelle Modelle der Pathophysiologie betonen hier ein anhaltendes 24-Stunden-Hyperarousal, bei dem es aufgrund von neurobiologischer Disposition in Verbindung mit Umweltfaktoren nicht gelingt, die Wecksysteme ausreichend herabzuregulieren [6].


Literatur:
1. Riemann D, Nissen C, Palagini L, Otte A, Perlis ML, Spiegelhalder K (2015). The neurobiology, investigation, and treatment of chronic insomnia. The Lancet. Neurology 14(5):547–58.
2. Baglioni C, Battagliese G, Feige B, Spiegelhalder K, Nissen C, Voderholzer U et al. (2011). Insomnia as a predictor of depression: a meta-analytic evaluation of longitudinal epidemiological studies. Journal of affective disorders 135(1-3):10–9.
3. Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (2009). S3-Leitlinie: Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie - Schlafforschung und Schlafmedizin 13(S1):1–160.
4. Riemann D, Nissen C (2012). Sleep and Psychotropic Drugs. In: Morin CM, Espie CA (Hrsg.). Oxford handbook of sleep and sleep disorders. Oxford: Oxford University Press .
5. Reynolds CF, Redline S (2010). The DSM-V Sleep-Wake Disorders Nosology: An Update and an Invitation to the Sleep Community. Journal of clinical sleep medicine : JCSM : official publication of the American Academy of Sleep Medicine 6(1):9–10.
6. Riemann D, Spiegelhalder K, Feige B, Voderholzer U, Berger M, Perlis M et al. (2010). The hyperarousal model of insomnia: a review of the concept and its evidence. Sleep medicine reviews 14(1):19–31.
7. Riemann D, Hajak G (2009). Insomnien. II. Pharmakologische und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten. Der Nervenarzt 80(11):1327–40.
8. Nissen C, Frase L, Hajak G, Wetter TC (2014). Hypnotika – Stand der Forschung. Der Nervenarzt 85(1):67–76.


Autoren:

Dr. med. Lukas Frase

Prof. Dr. med. Christoph Nissen
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Universitätsklinik Freiburg
79104 Freiburg

Interessenkonflikte: CN bezog Vortragshonorare von Servier. LF berichtet keine Interessenskonflikte.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (15) Seite 16-18