Der Anspruch dieses Artikels besteht darin, eine Grundlage für eine effiziente Kommunikation mit dem Patienten und echte menschliche Begegnung zugleich zu schaffen. Hierzu gehört natürlich weitaus mehr als das Abarbeiten eines Fragenkatalogs – nämlich in erster Linie eine große Portion Menschenkenntnis. Es gibt jedoch ein paar Kriterien, die einem helfen, den Persönlichkeitstyp des Gegenübers zu identifizieren und dann in adäquater Weise auf dessen Bedürfnisse einzugehen. Mit den richtigen Fragen gelingt es Ihnen, dem Patienten über die medizinische Versorgung hinaus zu helfen.

Vielleicht denken Sie, dass alle Menschen sich einander ähnlich sind? Dies ist ein weit verbreiteter Irrtum. Tatsächlich gilt, dass wir Menschen auf eine dramatische Weise verschieden sind. Wie groß die Ausprägungen der charakterlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind, hängt ganz davon ab, welche Persönlichkeitstypen Sie vor sich haben. Schauen wir uns dies im Folgenden genauer an:

Alfred H.S. Korzybski (1879–1950, polnisch-amerikanischer Ingenieur und Linguist) hat diese Form der menschlichen Interaktion auch "Modell der Welt" genannt. Jeder Mensch bringt sein eigenes Modell der Welt mit. Unser eigenes Modell der Welt ist geprägt von Erfahrungen, Werten, Sozialisation, Erziehung, und wir können niemals in jedweder Art der zwischenmenschlichen Kommunikation davon ausgehen, dass unser Gegenüber das gleiche Modell der Welt in sich trägt. Ziel ist es im Kontakt mit Patienten, sich dieses Landkartenwissens bewusst zu werden und die Landkarte des Gegenübers zu erforschen.

Was bedeutet dies nun für Sie: Sie gehen auf Ihr Gegenüber als "Typ" ein – nicht auf seine Probleme. Das heißt, Sie begegnen ihm in seiner Wesensart (Tabelle 1). Denn nur so fühlt er sich von innen heraus verstanden und angenommen. Dazu aktivieren Sie die Seiten Ihrer eigenen Persönlichkeit, die der Wesensart Ihres Gegenübers entsprechen. Einem gefühlvollen Menschen (Beziehungstyp) begegnen wir gefühlsbetont und lebendig. Einem tatkräftigen Menschen (Handlungstyp), dessen Zuhause im Bereich des Handelns liegt, treten Sie eher kraftvoll gegenüber. Genau das ist sein "Zuhause". Viel Gefühl auf der Beziehungsebene ist ihm eher befremdlich. Einem Sachtypen hingegen begegnen Sie mit Ruhe und Gelassenheit. Sein Zuhause im Bereich des Denkens können Sie spiegeln, indem Sie ihm das Gefühl geben, dass er mit Ihnen die Sache ruhig und gelassen überdenken kann.

Natürlich lassen sich Menschen nicht allein in drei feste Kategorien einteilen. Die individuellen Lebenswege führen zu (Weiter-) Entwicklungen der Grundtypen. So unterscheiden sich entwickelte Persönlichkeiten deutlich von nicht entwickelten Persönlichkeiten. Bei einem Gefühlsmenschen wäre es beispielsweise naheliegend zu denken, es handele sich um einen Beziehungstyp. Es könnte jedoch auch ein entwickelter Handlungstyp oder ein wehleidiger Sachtyp sein. Oder jemand wirkt eher ruhig und nachdenklich. Ist das nun ein Sachtyp, ein entwickelter Beziehungstyp oder ein melancholischer Handlungstyp? Oder jemand verhält sich aktiv und zielbewusst. Zuerst denkt man an einen Handlungstyp. Es könnte jedoch auch ein entwickelter Sachtyp oder ein ehrgeiziger Beziehungstyp sein.

Fragetechniken

Nachdem Sie nun einiges zu den unterschiedlichen Persönlichkeitstypen als Grundlage erfahren haben, folgen jetzt praktikable Kommunikationshilfen im Umgang mit dem Patienten:

Offene W-Fragen

Sie bieten einen guten Einstieg in die Problematik und lassen dem Patienten Raum, sich offen mitzuteilen:

  • Was sind Ihre Gedanken, nachdem Sie die Diagnose gehört haben?
  • Welche Sorgen machen Sie sich?
  • Was macht Ihnen Angst?
  • Wie wollen Sie jetzt vorgehen?
  • Womit kann ich Sie unterstützen?
  • Was wissen Sie bisher über diese Krankheit?
  • Welche Fragen haben Sie an mich?
  • Wer kann Sie in den nächsten Wochen unterstützen?
  • Was erwarten Sie von mir, was kann ich tun?
  • Wie können Sie die weitere Vorgehensweise regeln?

Bitte stellen Sie aber nicht die "Warum-Frage", denn sie kann den Anschein des Ausfragens erwecken und dem Patienten das Gefühl vermitteln, er müsse sich rechtfertigen.

Alternativ-Fragen

Sie zeigen dem Patienten Handlungsmöglichkeiten auf und animieren ihn, eine Entscheidung zu treffen:

  • Wollen Sie dazu Fragen stellen oder soll ich Ihnen die Informationen geben?
  • Wollen Sie wissen, was ich in Ihrer Situation täte, oder besprechen Sie dies besser mit Ihren Angehörigen?
  • Wollen wir die weitere Vorgehensweise direkt besprechen oder benötigen Sie eine Bedenkzeit?

Negative Sichtweisen umkehren

Bestimmte Fragen können auch dazu dienen, dem Patienten die eigenen Ressourcen aufzuzeigen und die negative Sichtweise umzulenken. Hierzu eignen sich beispielsweise Fragen wie diese:

  • Wie stehen Sie Veränderungen gegenüber?
  • Was gefällt Ihnen an sich selbst, oder was gefällt Ihnen an Ihrem Partner oder Kind, im Umgang mit schwierigen Situationen?
  • Was möchten Sie in Ihrem Leben gern so bewahren, wie es gerade ist?
  • Was haben Sie bisher als hilfreich empfunden?
  • Was könnte die Diagnose an Veränderungen in Ihrem Leben bewirken?
  • Wie werden Sie mit Ihren Sorgen und Ängsten umgehen, was oder wer kann Ihnen dabei helfen?
  • Was werden Ihre nächsten Schritte sein?

Versuchen Sie, den Patienten dazu zu bringen, die eigene negative Sichtweise zu hinterfragen. Sagt eine Patientin beispielsweise zu Ihnen: "Ich werde aufgrund meiner Krankheit nie wieder meinen Job ausüben können", so können Sie darauf mit der Frage antworten, woher sie dies denn wisse, und ob sie darüber schon mit einem Fachmann gesprochen hätte. Wenden Sie nun weiter die Fragetechnik an, um einen Perspektivenwechsel zu erreichen, der einen positiven Blick auf die Situation erlaubt: "Wie denkt Ihr Mann darüber?" Oder "Was glauben Sie, was Ihr Mann dazu meint?"

Sie bewirken mit dieser Form des Fragens sowie mit dem Perspektivenwechsel wahrscheinlich eine gewisse "Verstörung" bei der Patientin, da diese vermutlich nicht damit rechnet. Sie und auch Ihre Patientin gewinnen hierdurch aber auch neue Informationen, die Ihnen und ihr im weiteren Verlauf ihr Beziehungsmuster und dessen Bedeutungen sichtbar machen.

Verbalisieren

Verbalisieren bedeutet, Gefühle anzusprechen – dies ist stets ein Balanceakt. Solche Themen sollten sehr vorsichtig und nicht als Behauptung formuliert werden. Wichtig ist zudem die Grundhaltung beim Verbalisieren. Sie akzeptieren den Patienten in seiner individuellen Art und billigen ihm volles Recht auf subjektive Einstellungen, Wünsche und Sichtweisen zu. Hier einige Beispiele:

Falsch: "Sie sind vollkommen überfordert mit der Situation."

Richtig: "Ich verstehe, dass Sie in einer schwierigen Situation sind. Möchten Sie darüber sprechen?"

Falsch: "Nun machen Sie sich mal keine Sorgen, Ihre Krankheit haben schon viele Menschen überstanden."

Richtig: "Machen Sie sich Sorgen, wie Sie das Ganze bewältigen sollen?"

Falsch: "Also, wenn Sie die weitere Behandlung ablehnen, haben Sie nur geringe Chancen."

Richtig: "Das klingt, als ob Sie noch nicht sicher sind, wie Sie jetzt vorgehen wollen. Gerne kann ich Ihnen noch einmal die möglichen Behandlungsschritte erörtern."

Der kontrollierte Dialog

Ihr Patient schildert seine Situation. Ist Ihre Interpretation richtig oder hören Sie, was Sie hören wollen? Das können Sie mit Hilfe des Paraphrasierens herausfinden: Sie umschreiben die vom Patienten erhaltenen Informationen mit Ihren eigenen Worten. Ein Vorteil hierbei ist, dass der Patient noch einmal die Gelegenheit bekommt, sich genauer zu äußern und weitere Gedanken preiszugeben. Ziel bei der Arbeit mit dem kontrollierten Dialog ist ebenfalls, ein positives "Ja" zu erhalten, damit Sie dann weitere Ansätze bringen können.

Beispiele für das Paraphrasieren:

  • Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie erst mit Ihren Angehörigen über die Diagnose sprechen?
  • Sie machen sich Sorgen, dass Sie durch die Krankheit Ihren Job verlieren?
  • Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie noch nicht sicher sind, welche Behandlung Sie wählen?
  • Es scheint Ihnen am Herzen zu liegen, von Ihrer Familie betreut zu werden, anstatt eine Reha zu machen.

Alternative für eine Gesprächsführung: "Weg vom Problem, hin zur Lösung"

Ein Patient erzählt Ihnen nonstopp von seinem Problem. Er erzählt so viel davon, dass Sie das Gefühl haben, das Problem hat diesen Patienten vollkommen im Griff. Das Problem lebt ihn, sagen wir in der Fachsprache dazu. Versuchen Sie, in diesem Fall nicht auf das Problem einzugehen oder sich gar ausschweifend mit ihm darüber zu unterhalten. Warum nicht? In dem Moment, in dem Sie ebenfalls großen Wert auf das Problem legen, wird sich dieses in seiner Gedankenwelt manifestieren. In der Lösungsorientierten Psychologie gehen wir davon aus, je mehr Berechtigung wir einem Problem zukommen lassen, desto mehr (Lebens-) Berechtigung wird dieses Problem auch im Alltag einnehmen. Weiterführender aber ist es, wenn wir dem Patienten stets den Fokus auf etwas Neues eröffnen, auf etwas anderes, das nicht problembehaftet ist. Das schaffen wir nur, indem wir das Problem immer wieder auch einmal in den Hintergrund schieben.



Autor:

Sibylle May

Beraterin, Trainerin, ­Systemischer Coach, Mediatorin
40489 Düsseldorf



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (5) Seite 74-79