Ab dem 29. August gelten aktualisierte Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI). Wesentliche inhaltliche Änderungen gibt es für die Impfung gegen saisonale Influenza und die Pneumokokkenimpfung. Neu ist zudem ein sehr praxisrelevanter Abschnitt über "Schmerz- und stressreduziertes Impfen".

Saisonale Influenza

Unverändert gilt, dass alle Menschen im Alter von > 60 Jahren, alle Bewohner von Pflegeheimen, alle Schwangeren und – unabhängig vom Lebensalter – alle Menschen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung durch eine chronische Erkrankung jährlich geimpft werden sollten.

Bereits bisher galt, dass medizinisches Personal und Personen mit umfangreichem Publikumsverkehr geimpft werden sollten – zum einen, um diese Personen selbst zu schützen, zum anderen, um die Übertragung auf andere besonders empfängliche Personen wie Pflegeheimbewohner zu verhindern. Neu ist die Empfehlung, auch "Personen, die als mögliche Infektionsquelle im selben Haushalt lebende oder von ihnen betreute Risikopersonen gefährden können" gegen saisonale Influenza zu impfen. Gerade bei den Menschen, die einen Schutz gegen Influenza besonders nötig haben, wie Patienten mit Immunschwäche und Dialysepatienten, wirkt die Influenzaimpfung nur eingeschränkt. Diese Menschen können zusätzlich dadurch geschützt werden, dass möglichst alle Personen, mit denen sie Kontakt haben, ebenfalls gegen Influenza geimpft sind. Damit können sie keine Influenzaviren übertragen.

Noch konsequenter wäre es gewesen, die Indikation für die Influenzaimpfung auf alle Menschen – unabhängig von Lebensalter und bestehenden Grunderkrankungen – auszudehnen. Damit wäre ein optimaler Schutz der Risikogruppen gewährleistet.

Pneumokokkenimpfung

Die umfangreichsten Änderungen gab es in diesem Jahr bei der Pneumokokkenimpfung.

Unverändert gilt die Empfehlung, dass alle Menschen im Alter von über 60 Jahren mit einem Polysaccharidimpfstoff – PPSV23 (Pneumovax®) – geimpft werden sollen. Nach "individueller Indikationsstellung" kann nach mindestens sechs Jahren eine Wiederholungsimpfung erwogen werden – laut STIKO soll diese erneut mit dem Polysaccharidimpfstoff PPSV23 erfolgen.

Frühere (< 6 Jahre) Wiederholungsimpfungen mit dem Polysaccharidimpfstoff PPSV23 machen aus zwei Gründen keinen Sinn: Zum einen kommt es bei dem Polysaccharidimpfstoff zu einer "Hyporesponsiveness", d. h. eine erneute Impfung führt zu verminderter Antikörperbildung. Zum anderen treten vermehrt Lokalreaktionen an der Injektionsstelle auf.

Sequenzielle Impfung

Neu ist die Empfehlung zur sequenziellen Impfung mit dem Konjugatimpfstoff PCV13 (Prevenar 13®), gefolgt von dem Polysaccharidimpfstoff PPSV23 (Pneumovax®). Der Abstand zwischen beiden Impfungen sollte möglichst sechs bis zwölf Monate, mindestens aber zwei Monate betragen. Dieses Schema wird – unabhängig vom Lebensalter – für alle Menschen mit Immunsuppression und solche mit einem erhöhten Risiko für eine Pneumokokkenmeningitis (Liquorfistel oder Cochlea-Implantat) empfohlen. Wichtig ist, dass zu dieser Gruppe auch Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, nephrotischem Syndrom und chronischer Leberinsuffizienz (z. B. Leberzirrhose) zählen.

Bei planbaren Interventionen wie z. B. dem Einsetzen eines Cochleaimplantats oder einer elektiven Splenektomie sollte die Impfung vor der Intervention erfolgen.

Für Kinder und Jugendliche im Alter von 2 – 15 Jahren wird die sequenzielle Impfung auch bei "sonstigen chronischen Krankheiten" (s. u.) empfohlen. Für Jugendliche ab 16 Jahre und Erwachsene mit "sonstigen chronischen Erkrankungen" wird nur die Impfung mit dem Polysaccharidimpfstoff (PPSV 23) empfohlen.

Altersunabhängige Indikationen für die sequenzielle Impfung mit PCV13 gefolgt von PPSV23 nach sechs bis zwölf Monaten sind:

Angeborene oder erworbene Immundefekte bzw. Immunsuppression, wie z. B.:
  • T-Zell-Defizienz bzw. gestörte T-Zell-Funktion
  • B-Zell- oder Antikörperdefizienz (z. B. Hypogammaglobulinämie)
  • Defizienz oder Funktionsstörung von myeloischen Zellen (z. B. Neutropenie, chronische Granulomatose, Leukozytenadhäsionsdefekte, Signaltransduktionsdefekte)
  • Komplement- oder Properdindefizienz
  • funktioneller Hyposplenismus (z. B. bei Sichelzellanämie), Splenektomie oder anatomischer Asplenie
  • neoplastische Krankheiten
  • HIV-Infektion
  • nach Knochenmarktransplantation
  • immunsuppressive Therapie (z. B. wegen Organtransplantation oder Autoimmunerkrankung)
  • Immundefizienz bei chronischem Nierenversagen, nephrotischem Syndrom oder chronischer Leberinsuffizienz

Anatomische und Fremdkörper-assoziierte Risiken für Pneumokokken-Meningitis, wie z. B.:
  • Liquorfistel
  • Cochlea-Implantat

Indikationen für die sequenzielle Impfung mit PCV13 gefolgt von PPSV23 nach sechs bis zwölf Monaten für Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 15 Jahren sind Die Impfsprechstunde (3): Vorgehen bei ungeimpften Erwachsenen
  • chronische Erkrankungen des Herzens oder der Atmungsorgane (z. B. Asthma, Lungenemphysem, COPD)
  • Stoffwechselkrankheiten, z. B. mit oralen Medikamenten oder Insulin behandelter Diabetes mellitus
  • neurologische Krankheiten, z. B. Zerebralparesen oder Anfallsleiden

Praktische Umsetzung

Für Personen, für die die sequenzielle Impfung (PCV13 gefolgt von PPSV23) empfohlen wird, gilt:
  • Sie sollen PPSV23 frühestens zwei Monate nach der PCV13-Impfung erhalten. Ein längerer Abstand von sechs bis zwölf Monaten ist immunologisch günstiger.
  • Sofern sie bereits früher eine Impfung mit PCV13 erhalten haben, sollen sie nur mit PPSV23 geimpft werden.
  • Sie erhalten PCV13 gefolgt von PPSV23, sofern sie nur mit niedriger-valenten Konjugatimpfstoffen (PCV7 oder PCV10) vorgeimpft sind.
  • Sofern sie bereits eine Impfung mit PPSV23 erhalten haben, soll eine Impfung mit PCV13 im Abstand von mindestens einem Jahr erfolgen.

Arbeitsmedizinische Indikation

Erstmalig wurde eine berufliche Indikation für die Pneumokokkenimpfung aufgenommen: Die Exposition gegenüber Metallrauchen einschließlich metalloxidischen Schweißrauchen erhöht das Risiko für eine Pneumokokkenpneumonie.

Arbeiter, die Metalle trennen oder schweißen, sollen deshalb mit PPSV23 geimpft und bei fortbestehender Exposition nach mindestens sechs Jahren erneut mit diesem Impfstoff geimpft werden.

Humane Papillomviren (HPV)

Seit April 2016 ist neben den Impfstoffen Cervarix® und Gardasil® der neunvalente HPV-Impfstoff Gardasil® 9 auf dem deutschen Markt verfügbar. Alle drei Impfstoffe können verwendet werden, um das Impfziel der Reduktion von Gebärmutterhalskrebs und dessen Vorstufen zu erreichen. Eine begonnene Impfserie sollte möglichst mit dem gleichen HPV-Impfstoff vervollständigt werden.

Meningokokken der Serogruppe B

Für Patienten mit "spezifischen Grundkrankheiten" wie Personen mit terminalen Komplementdefekten, Properdindefizienz oder splenektomierte Patienten empfiehlt die STIKO wie bisher eine Impfung gegen Meningokokken der Gruppe B zusätzlich zur Impfung gegen die Serogruppen ACYW. Aufgrund fehlender Daten gibt die STIKO weiterhin keine generelle Empfehlung für eine Impfung bei Patienten mit anderen Immundefekten.

Postexpositionelle Tetanus-Immunprophylaxe auch bei Bagatellverletzungen

Neu ist der Hinweis, dass auch "Bagatellverletzungen" Eintrittspforten für Tetanuserreger oder -sporen sein können. Auch bei Bagatellverletzungen sollte deshalb der Tetanusschutz überprüft und ggf. aufgefrischt werden.

Bei Patienten ohne ausreichenden Impfschutz sollte in folgenden Fällen eine erhöhte Dosis (500 IE statt 250 IE) Tetanusimmunglobulin gegeben werden:
  • infizierte Wunden, bei denen eine angemessene chirurgische Behandlung nicht innerhalb von 24 h gewährleistet ist
  • tiefe oder kontaminierte Wunden mit Gewebszertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung
  • Eindringen von Fremdkörpern (z. B. Biss-, Stich- oder Schusswunden)
  • schwere Verbrennungen und Erfrierungen, Gewebsnekrosen
  • septische Aborte

Bei verschmutzten Wunden sollte auch nach kompletter Grundimmunisierung (≥ 3 Injektionen) eine aktive Impfung mit einem Tetanusimpfstoff (DTaP/Tdap) erfolgen, wenn die letzte aktive Impfung länger als fünf Jahre zurückliegt. Wenn seit der letzten Impfung mehr als zehn Jahre vergangen sind, ist zusätzlich die Gabe von Tetanusimmunglobulin erforderlich.

Aufklärungspflicht vor Schutzimpfungen

Dieser Abschnitt wurde neu verfasst und geht auch auf das "Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten" (Patientenrechtegesetz) ein. Die Aufklärung muss mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die "zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung" verfügt – das kann zum Beispiel eine Medizinische Fachangestellte mit Zusatzfortbildung zum Thema "Impfungen" sein. Ergänzend kann auch auf Informationsblätter Bezug genommen werden. Eine schriftliche Einwilligung ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, d. h. die Dokumentation einer mündlichen Einwilligung in der Patientenakte ist ausreichend. Bei Minderjährigen ist regelmäßig die Einwilligung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten einzuholen. Jugendliche können selbst einwilligen, wenn sie die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besitzen – das ist in der Regel ab 16 Jahren der Fall.

Lieferengpässe von Impfstoffen

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) informiert seit Oktober 2015 auf seinen Internetseiten über Lieferengpässe von Impfstoffen und die voraussichtliche Dauer der Nicht-Verfügbarkeit: www.pei.de/lieferengpaesse-impfstoffe-human.

In Absprache mit dem RKI und der STIKO informiert das PEI außerdem darüber, welche alternativen Impfstoffe derselben Zusammensetzung verfügbar sind und verwendet werden können.

Schmerz- und stressreduziertes Impfen

Dieser Abschnitt wurde komplett neu in die STIKO-Empfehlungen aufgenommen.

Die "generellen Ausführungen" klingen banal: "Gesundheitspersonal sollte beim Impfen eine ruhige Ausstrahlung haben, kooperativ und sachkundig sein." Praxisrelevant sind die Hinweise zur Anwendung schmerzstillender Medikamente. Hierzu empfiehlt die STIKO zwei Methoden:

1. Lidocainhaltige Pflaster oder Cremes unter einem Okklusionsverband werden in erster Linie für Kinder zwischen vier und zwölf Jahren, aber auch für Jugendliche und Erwachsene mit einer ausgeprägten Angst vor der Injektion empfohlen. Die Mindesteinwirkzeit beträgt 30 –60 min vor der Impfung.

2. Eisspray , das über 2 – 8 sec aufgesprüht wird. Nach Desinfektion kann hier sofort die Impfung erfolgen.

Ablenkungsmanöver

Eltern von Kindern im Alter von < 10 Jahren sollten bei der Impfung ihrer Kinder anwesend sein. Die STIKO empfiehlt, bei Bedarf altersentsprechende "Ablenkungsmanöver" einzusetzen:
  • Säuglinge können, solange sie noch gestillt werden, während der Impfung angelegt werden. Wird der Säugling parallel gegen Rotaviren geimpft, sollte jedoch auf das Stillen vor und während der RV-Impfung verzichtet werden, da das Stillen zum Zeitpunkt der Impfung die Wirkung der RV-Schluckimpfung möglicherweise vermindert.
  • Eine Alternative zum Stillen ist das Nuckeln an einem Schnuller.
  • Kinder im Alter von < 2 Jahren, die nicht mehr gestillt werden, können ein bis zwei Minuten vor der Impfung 2 ml einer 25 %igen Glukoselösung oder eine andere süße Flüssigkeit bekommen.
  • Kinder im Alter von ≥ 3 Jahren sowie Jugendliche sollten direkt vor der Injektion darüber aufgeklärt werden, was beim Impfen passieren wird und wie sie mögliche Schmerzen oder Angst am besten bewältigen können, z. B. durch Drücken der Hand von Mutter oder Vater.
  • Kinder im Alter von ≤ 6 Jahren sollten z. B. durch Aufblasen eines Ballons, Windrädchen, Seifenblasen, Spielzeuge, Videos, Gespräche oder Musik direkt vor und nach der Injektion abgelenkt werden.
  • Erwachsene können zu leichten Hustenstößen oder zum Luftanhalten aufgefordert werden.

Körperposition

  • Kleinkinder im Alter von < 3 Jahren sollten während der Impfung am besten auf dem Arm oder auf dem Schoß gehalten und nach der Impfung leicht geschaukelt und "liebkost" werden.
  • Kinder im Alter von ≥ 3 Jahren sowie Jugendliche und Erwachsene sollten bei der Impfung möglichst aufrecht sitzen.
  • Personen, die beim Impfen oder anderen medizinischen Interventionen schon einmal ohnmächtig geworden sind, sollten im Liegen geimpft werden.

Nadellänge

Erstmalig gibt die STIKO konkrete Empfehlungen für die Nadellänge:
  • Säuglinge < 2 Monate: 15 mm
  • ältere Säuglinge und Kleinkinder: 25 mm
  • Jugendliche und Erwachsene: 25 – 50 mm

Aspiration ist "out"!

Früher wurde generell empfohlen, vor der Durchführung einer intramuskulären Injektion zu aspirieren, um eine intravasale Lage der Kanüle auszuschließen. Die STIKO empfiehlt nun ausdrücklich, auf diese Aspiration bei Impfungen zu verzichten, da an den Körperstellen, die zur Injektion verwendet werden (Musculus deltoideus und Musculus vastus lateralis), keine großen Blutgefäße existieren. Die Aspiration verlängert die erforderliche Injektionszeit und kann schmerzhaft sein.

Mehrfachimpfungen an einem Termin

Werden mehrere Impfungen am selben Termin gegeben, soll die schmerzhafteste Impfung zuletzt injiziert werden. Besonders schmerzhaft können die Injektionen der Pneumokokken- und der MMR-Impfung sein.

Was man nicht tun sollte

  • Eine Erwärmung des Impfstoffes bringt keinen Vorteil und sollte deshalb unterbleiben.
  • Die Impfstelle sollte vor oder nach der Impfung nicht gerieben oder gekniffen werden.
  • Die Gabe oraler Analgetika vor oder während der Impfung bringt keine Vorteile und sollte deshalb unterbleiben.

Impfkomplikationen

Neu überarbeitet ist auch der Abschnitt über die Abgrenzung zwischen "üblichen Impfreaktionen" – welche nicht meldepflichtig sind – von Impfkomplikationen.Letztere müssen bereits bei einem Verdacht an das zuständige Gesundheitsamt und die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft gemeldet werden.

Die STIKO hat hierfür Kriterien für "übliche Impfreaktionen" entwickelt:
  • für die Dauer von 1 – 3 Tagen (gelegentlich länger) anhaltende Rötung, Schwellung oder Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle
  • für die Dauer von 1 – 3 Tagen Fieber < 39,5°C (bei rektaler Messung), Kopf- und Gliederschmerzen, Mattigkeit, Unwohlsein, Übelkeit, Unruhe, Schwellung der regionären Lymphknoten
  • im gleichen Sinne zu deutende Symptome einer "Impfkrankheit" 1 – 3 Wochen nach der Verabreichung abgeschwächter Lebendimpfstoffe: z. B. eine leichte Parotisschwellung, kurzzeitige Arthralgien oder ein flüchtiges Exanthem nach der Masern-, Mumps-, Röteln- oder Varizellen-Impfung oder milde gastrointestinale Beschwerden, z. B. nach der oralen Rotavirus- oder Typhusimpfung



Autor:

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Dr. Andreas H. Leischker, M.A.

Facharzt für Innere Medizin – Reisemedizin (DTG), Flugmedizinischer Sachverständiger
Gelbfieberimpfstation
Alexianer Krefeld GmbH
47918 Krefeld

Interessenkonflikte: Dr. Leischker hat Honorare/Reisekostenunterstützung von Pfizer, Novartis und Sanofi-Pasteur-MSD erhalten. Er ist Dozent und Mitglied der Akademie des Centrums für Reisemedizin (CRM) Düsseldorf



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (16) Seite 58-62