Hygienemaßnahmen und die häufigsten Krankheiten, Abrechnung und die Zusammenarbeit mit Kliniken und Spezialisten, Impfungen, Fortbildung und Sprachprobleme: Der Regensburger Allgemeinarzt Dr. med. Rainer Beck berichtet Allgemeinarzt-Redakteur Werner Enzmann von seiner Tätigkeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) für Flüchtlinge in Regensburg (Bayern, Regierungsbezirk Oberpfalz).


Herr Dr. Beck, Sie behandeln Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Wie wird diese Tätigkeit abgerechnet?

Die Abrechnung erfolgt – wie im restlichen niedergelassenen und stationären Bereich – über Behandlungsscheine des zuständigen Sozialamtes, welche am Quartalsende mit der Abrechnung bei der KV eingereicht werden. Da die behördlichen Strukturen noch nicht perfekt ineinandergreifen, bleiben viele behandelte Patienten unvergütet, z. B. von den lokalen Behörden nicht auffindbare Patienten. Dies sind überwiegend Patienten, die in der EAE Regensburg auf eine Umverteilung und Weiterleitung in ein anderes Bundesland gewartet haben und hier aus medizinischen Gründen einen Arzt aufgesucht haben. Die Vergütung ist derzeit für alle Beteiligten (Krankenhäuser, Niedergelassene) etwa
3 Monate im Verzug. Die Abrechnungsmodalitäten sollen sich aber laut Regierungsaussagen bald ändern, indem unnötige bürokratische Hürden eliminiert werden.


Welche sind die häufigsten Krankheiten?

Die häufigsten Krankheiten sind virale Infekte der oberen Atemwege, gefolgt von viralen Gastroenteritiden, bakteriellen Tonsillitiden und Otitiden, Zahnschmerzen und Hauterkrankungen. All diese Krankheiten kommen ubiquitär in Europa vor und stellen keine Besonderheit in der Epidemiologie der Krankheiten bei Flüchtlingen dar. Einzig die Pediculosis und die Scabies sind, den engen Unterbringungssituationen geschuldet, in der Erstaufnahmeeinrichtung vermehrt endemisch. Durch ein zeitnahes Screening und eine umgehende Therapie stellt dies aber auch keinerlei Problem für die Allgemeinbevölkerung dar.

Schwerwiegende Infektionskrankheiten sind in der EAE selten, da die Hauptursprungsregion der Bewohner Syrien darstellt, welches z. B. kein Endemiegebiet für HIV ist. Die selten vorkommenden dormanten Fälle einer Lungentuberkulose oder einer Hepatitis B werden erfolgreich durch die obligate §62-Untersuchung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz der schnellen Diagnostik und der entsprechenden Therapie zugeführt. Grundsätzlich gilt, dass Asylbewerber durch die Anstrengungen der Flucht gefährdeter sind, an diesen Bagatellinfekten zu erkranken, als die hiesige Bevölkerung. Dazu gab es eine jüngst veröffentlichte Studie der Tropenmedizinischen Abteilung der LMU München in Zusammenarbeit mit dem Klinikum Schwaben. Hier wurden 2014 und 2015 Daten von 548 erkrankten Patienten ausgewertet. Die Ergebnisse decken sich mit unseren Daten.

Studien hierzu finden sich leider noch selten, da die Datenerfassung im bisherigen Beobachtungszeitraum aufgrund logistischer Probleme nur mangelhaft erfolgen konnte. So beklagt z. B. das Robert Koch-Institut (RKI) die mangelnde Dokumentation durchgeführter Impfungen. Wir erfassen in der EAE Regensburg seit dem 16.12.2014 unsere Patienten elektronisch in einem Praxissoftwareprogramm und können so Befunde dokumentieren und weiterleiten, Aussagen zum Impfstatus und den demographischen Daten geben und vor allem die aufgekommenen Krankheiten statistisch erfassen. Wir haben mittlerweile Daten von Tausenden Patienten gesammelt und wollen sie einer Datenauswertung in diesem epidemiologisch relativ unbekannten Terrain unterziehen.


Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Spezialisten, Fachärzten und Kliniken?

Die Zusammenarbeit mit den örtlichen Kliniken funktioniert ausgesprochen reibungslos und mit großer Kollegialität. Besonders das örtlich nahe Krankenhaus St. Josef sieht sehr viele der Bewohner, da diese es auch aus den Heimatländern gewohnt sind, sich direkt an die Notaufnahmen zu wenden. Eine sehr gute Kommunikationsebene wurde hierbei bereits hergestellt. Ebenso gut funktioniert die Versorgung der zahlreichen schwangeren Frauen in der Hedwigsklinik mit Hilfe der gleichen vertrauensvollen Kommunikation. Mit den anderen Kliniken in Regensburg wird demnächst auch der direkte Kontakt gesucht und ich bin sicher, dass sich auch hier eine ähnlich gute Zusammenarbeit herstellt.

Im Niedergelassenenbereich gestaltet sich die Situation derzeit noch etwas schwieriger, da verschiedene Praxen den erhöhten Organisationsaufwand, die umständliche Bürokratie über das Sozialamt, das vergleichsweise geringe Honorar und den Mangel an Übersetzern scheuen. Fachärztliche Praxen sind ohnehin bereits oft über Monate ausgebucht und die schnelle Unterbringung eines unserer Patienten gestaltet sich hier naturgemäß schwierig.


Gibt es eine Behandlungsverpflichtung für den (niedergelassenen) Arzt? In welchem Umfang?

Eine Behandlungsverpflichtung für Asylsuchende gibt es nicht – außer in einem Notfall. Die Behandlung kann der jeweilige Arzt außerhalb eines Notfalls z. B. mit der Begründung ablehnen, dass bereits zu viele Patienten in seiner Praxis in Behandlung seien und eine Übernahme weiterer Patienten deren Versorgung gefährden würde. Ein weiterer Ablehnungsgrund besteht im Mangel an fachkundigen Übersetzern, ohne die eine Behandlung ebenso abgelehnt werden kann. Es braucht daher motivierte und interessierte Kollegen, die den Bürokratieaufwand und den erhöhten Zeitbedarf bei der Behandlung von Patienten aus anderen Kulturkreisen nicht scheuen, um der medizinischen Versorgung von Asylsuchenden auch mittelfristig gerecht werden zu können.

Gibt es empfehlenswerte Fortbildungsmöglichkeiten?

Fortbildungsmöglichkeiten bieten sich an den medizinischen Universitätsfakultäten in der Regel genug. Hier empfiehlt sich ein direkter Kontakt mit den Leitern entsprechender Abteilungen (Infektiologie, Tropenmedizin, Hämatologie, Geburtshilfe etc.), um in den internen Fortbildungskreis mit aufgenommen zu werden. Im ländlichen Raum ist die Versorgungslage mit maßgeschneiderten Fortbildungsveranstaltungen im Moment kaum vorhanden. In der EAE Regensburg wurde im Februar 2016 erstmals über meine Praxis eine Weiterbildungsassistentin eingestellt und ausgebildet, deren inhaltliche Schwerpunktausbildung neben der normalen Ausbildung in der Praxis die Flüchtlingsmedizin und deren Besonderheiten darstellt. Pilotprojekte dieser Art sind flächendeckend nötig, um junge Mediziner auf dieses Patientenklientel vorzubereiten. Rotationen in bestehenden Ausbildungskonzepten wären ebenso wünschenswert, wobei in Regensburg noch nicht alle Kliniken mitspielen. Wir sind aber bereits an der Erarbeitung von Alternativkooperationen.


Welche Hygienemaßnahmen sind wichtig?

Die Vorkehrungen entsprechen den üblichen Hygienemaßnahmen im Praxisalltag. In stark überfüllten Untersuchungssituationen ist zudem ein Mundschutz empfehlenswert.


Wie sieht es mit Impfungen aus – gibt es z. B. Impffibeln auf Arabisch?

Gleich zu Beginn der Aufnahme der kurativen Versorgung in der EAE im Dezember 2014 stand die Ausarbeitung eines Präventionskonzeptes an erster Stelle. Hierbei war und ist zu beachten, dass es bislang keine offiziellen Informationen zu Impfempfehlungen bei Personen mit unbekanntem Impfstatus in Gemeinschaftseinrichtungen gab. In Kooperation mit der TU München, der Uniklinik Regensburg und dem Gesundheitsamt Regensburg haben wir uns auf ein epidemiologisches Basisimpfschema geeinigt. Im Oktober 2015 kam dann die Bestätigung vom Robert Koch-Institut mit der Herausgabe des 41. Epidemiologischen Bulletins zur frühzeitigen Impfung bei Asylsuchenden in Deutschland. Dessen Empfehlungen decken sich zu 100 % mit den bereits von uns erarbeiteten Konzepten.

Natürlich ist auch in der EAE Regensburg jede Impfung freiwillig und mit einer bestmöglichen Aufklärung kombiniert. Viele Syrer sind bis zum Beginn des Krieges sehr flächendeckend geimpft, und so können nach glaubhaftem Beleg auch viele Vorimpfungen anerkannt werden. Um der erschwerten sprachlichen Situation gerecht zu werden, arbeiten wir gerade an einem – wie ich vermute – deutschlandweit einmaligen Impfaufklärungsfilm, der in Wort und Bild über die Impfungen, die Gefahren, Nebenwirkungen und Empfehlungen des RKI in den Heimatsprachen aufklären soll.

Freiwilligkeit, Dokumentation und Aufklärung stehen also an erster Stelle unserer Impfbemühungen, gefolgt von der Rückendeckung des Robert Koch-Instituts als wissenschaftliche Basis für unser Tun.



Autor:

Dr. med. Rainer S. Beck

Family Medicine –
Allgemeinmedizin
93051 Regensburg



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (14) Seite 68-71