Wenn ein Arzt erkennt, dass ein Patient nicht (mehr) fahrtüchtig ist, so muss dieses dem Patienten umgehend mitgeteilt werden, so sieht es jedenfalls die derzeitige Rechtslage vor. Seheinschränkungen spielen dabei eine wichtige Rolle. In der Augenheilkunde sind die Grenzwerte in der Regel klar definiert und lassen nur wenig Entscheidungsfreiheit zu. Nicht selten dürfte sich allerdings ein Patient, dem der Augenarzt das Fahren "verboten" hat, vertrauensvoll an seinen Hausarzt wenden. Nachfolgend soll versucht werden, die häufigsten visuellen Handicaps älterer Verkehrsteilnehmer und mögliche Therapien aufzuzeigen.

Typische "Sehmangelunfälle" werden vor allem verursacht durch reduzierte Sehschärfe, Gesichtsfeldausfälle, reduziertes Dämmerungssehen einschließlich erhöhter Blendungsempfindlichkeit und Störung des Rotsinnes (Protanopie u. -anomalie).

Reduzierte Tagessehschärfe führt zu einem erhöhten Risiko, einen Überholunfall zu verursachen, da die Entfernung und die Geschwindigkeit eines entgegenkommenden Fahrzeuges unter Umständen nicht richtig eingeschätzt werden kann. Bei einem Visus von unter 0,4 besteht in der Regel keine Fahreignung mehr. Wichtig ist, dass beim Fahren die optimale Brille getragen wird.

Gesichtsfelddefekte spielen in den Unfallstatistiken eine eher geringere Rolle, bedürfen aber im Einzelfall der differenzierten Beurteilung und Bewertung. Binokulare Gesichtsfeldausfälle, insbesondere beim Glaukom (Grüner Star) und als Halbseitenausfälle (Hemianopsie), vor allem nach Schlaganfall, können zum Übersehen anderer Verkehrsteilnehmer und damit auch zur Verletzung der Vorfahrtsregeln führen. Für das Führen eines PKWs (Fahrerlaubnis Klasse B) wird ein horizontaler Durchmesser des binokularen Gesichtsfeldes von 120° gefordert, darüber hinaus muss insbesondere das zentrale Gesichtsfeld von 20° normal sein, da sich der ganz überwiegende Teil des Verkehrsgeschehens im zentralen 20° (bis max. 30°) -Gesichtsfeld abspielt (Abb. 1).

Betroffene nehmen Gesichtsfeldausfälle oft selbst nicht wahr

Wichtig zu wissen ist, dass Gesichtsfelddefekte von den Betroffenen meistens nicht visuell wahrgenommen werden: So merkt der von einem Halbseitenausfall Betroffene, dass er mit der betroffenen Seite eher anstößt, die für ihn "sichtbare Welt hört an dieser Seite eher auf", man spricht von einem "negativen Skotom". Gesichtsfeldausfälle bei Glaukom werden oft vom Gehirn "visuell" ausgefüllt, "schwarze Flecken" oder ein "schwarzer Tunnel" wurden in einer Studie eigentlich nie angegeben (vgl. Tabelle 1, Abb. 2). Lediglich Narben oder vergleichbare Schäden im Bereich der Netzhaut, vor allem die durch die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) verursachten, werden als graue oder schwarze Flecken, sog. "positive Skotome", wahrgenommen, und in der akuten Phase eines Apoplexes entstehen kurzzeitige, passagere optische Halluzinationen in dem betroffenen Gesichtsfeldbereich, ehe dort das Sehen erlischt. Gesichtsfeldausfälle nach Schlaganfall können bis zu zwei Jahre nach dem betreffenden Ereignis spontane Besserungen erfahren. Nach Hirntumor-Operation, dieses gilt insbesondere für das Hypophysenadenom, wurden Zeiträume von bis zu fünf Jahren gefunden.

Erhöhte Blendungsempfindlichkeit durch Katarakt

Reduziertes Dämmerungssehen, insbesondere verbunden mit einer erhöhten Blendungsempfindlichkeit, kann zum Dunkelheitsunfall führen. Liegt eine erhöhte Blendungsempfindlichkeit vor, sollte man frühzeitig die Operation auch einer erst beginnenden Katarakt (Grauer Star) erwägen, auch wenn die Tagessehschärfe ohne Blendung noch gut ist. Ansonsten bleibt nur der Rat, nachts nicht mehr selber ein Fahrzeug zu führen.

Störung des Rotsinnes (Protanomalie, -anopie) stellt nach dem aktuellen Stand der Fahrerlaubnisverordnung keine Einschränkung mehr dar, die Betroffenen müssen aber über die mit diesem Handicap verbundenen Risiken aufgeklärt werden: Bei schlechter Sicht (z. B. bei Nebel oder bei Verschmutzung der Rücklichter des "Vordermannes") besteht die Gefahr des Auffahrunfalles.

Nystagmus (Augenzittern), Begleit- und Lähmungsschielen sind für das Führen eines Fahrzeuges der Klasse B zulässig, sofern kein Doppeltsehen im zentralen Blickfeld in einem Durchmesser von 20° besteht, eine gewohnte leichte Kopfschiefhaltung von ca. 10° ist erlaubt. Treten jedoch akut Doppelbilder auf, die auch längere Zeit bestehen bleiben, so ist ein Fahrverbot von mindestens drei Monaten angesagt, dieses gilt auch für eine plötzlich eingetretene Erblindung eines Auges.

Sachverstand und Empathie sind wichtig für die Aufklärung

Aufgrund ärztlicher Erfahrung kann man davon ausgehen, dass ein Patient, der in Ruhe, mit gutem Sachverstand und mit Empathie über eine aktuelle oder gar dauerhafte Nichteignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges aufgeklärt wird, diesem "Fahrverbot" auch eher zustimmen wird. Über die Frage, ob der Arzt einen Patienten, der dennoch (trotz Nichteignung) weiter ein Fahrzeug führt, im Sinne eines "höheren Rechtsgutes" dem Amt "melden" muss, wird oft kontrovers diskutiert. Der Autor dieses Berichtes hat sich bzgl. dieser Frage juristisch von einem Rechtsanwalt beraten lassen, insbesondere die Augenheilkunde betreffend:

Wenn ein Augenarzt sieht, dass ein Patient aufgrund eines herabgesetzten Sehvermögens nicht (mehr) fahrtüchtig ist, muss er ihn unmittelbar ("sobald als möglich") entsprechend aufklären. Dieses gilt auch für eine passagere Fahruntüchtigkeit, z. B. nach der Gabe von Pupillen-erweiternden Augentropfen. Die Aufklärung muss individuell sein (ein vorgefasstes Info-Schreiben alleine reicht nicht aus) und ausreichend dokumentiert werden. Der Arzt gibt eine sehr ernst gemeinte Empfehlung, spricht aber kein Fahrverbot aus ("Fahrverbot" ist Umgangssprache, aber kein Fachterminus). Ein einfacher Eintrag in die Krankenakte ohne Beisein eines Zeugen ist kein 100 %-Beweis für eine stattgehabte ordnungsgemäße Aufklärung. Seitens des Rechtsanwalts wird eine Unterschrift des Patienten über die erfolgte "Aufklärung", dass er nicht mehr fahrtauglich ist, und das ausgesprochene ärztliche "Fahrverbot" dringend empfohlen, alternativ (z. B. falls der Patient die Unterschrift verweigert) oder u. U. sogar in Ergänzung zur Unterschrift wird das Beisein eines Zeugen angeraten, diese Aufgabe kann eine Mitarbeiterin übernehmen, die sich ergänzend zumindest eine Notiz anfertigt.

Darf der Arzt eine Mitteilung an die Behörde machen?

Wenn trotz aller Bemühungen keine Fahreignung mehr gegeben ist, ein Patient aber trotz Aufklärung weiterhin ein Fahrzeug führt, so besteht für den Arzt im Hinblick auf die Sicherheit im Straßenverkehr, trotz der grundsätzlichen Schweigepflicht, dennoch u. U. ein Mitteilungsrecht, eine entsprechende Information an die Behörden weiterzuleiten; der Arzt muss aber vorher den Patienten entsprechend aufgeklärt haben.

BGB §§ 1004, 823; StGB § 300: Ein Arzt kann trotz seiner grundsätzlichen Schweigepflicht nach den Grundsätzen über die Abwägung widerstreitender Pflichten oder Interessen berechtigt sein, die Verkehrsbehörde zu benachrichtigen, wenn sein Patient mit einem Kraftwagen am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl er wegen seiner Erkrankung nicht mehr fähig ist, ein Kraftfahrzeug zu führen, ohne sich und andere zu gefährden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Arzt vorher den Patienten auf seinen Gesundheitszustand und auf die Gefahren aufmerksam gemacht hat, die sich beim Steuern eines Kraftwagens ergeben, es sei denn, dass ein Zureden des Arztes wegen der Art der Erkrankung oder wegen der Uneinsichtigkeit des Patienten von vornherein zwecklos ist.

Was ist somit zu tun, wenn ein Patient die ärztliche Empfehlung, kein Fahrzeug mehr zu führen, nicht umsetzt? Der Arzt kann dies dann der Behörde mitteilen, sofern der Patient entsprechend aufgeklärt ist. Er muss dies aber nicht tun, zumindest waren dem Anwalt, bei dem Rat eingeholt wurde, keine Gerichtsurteile in dieser Hinsicht bekannt.



Autor:

Dr. Udo Hennighausen

Augenarzt, 22763 Hamburg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (11) Seite 16-18