"Schnittstellen in der Versorgung" war ein zentrales Thema beim Kirchheim-Forum Diabetes 2016 in Berlin. Die Diabetes-Versorgung ist in Deutschland als 3-Stufen-Modell geregelt: Hausarzt, Diabetologe, Klinik. An den Schnittstellen der einzelnen Versorgungsebenen hakt es häufig. Über neue Versorgungsmodelle berichteten Experten.

Bei Diabetes leisten Hausärzte die Hauptarbeit
Interessant ist die Frage, wer die Diabetiker in Deutschland eigentlich betreut. Nach dem Gesundheitsbericht Diabetes 2016 sind mehr als 60.000 Hausärzte, etwa 1.100 Schwerpunktpraxen mit Diabetologen, ca. 350 Kliniken, knapp 3.750 Diabetesberaterinnen, über 7.600 Diätassistentinnen, rund 1.000 Diabetespflegekräfte und Fachärzte, Psychologen, Podologen, Apotheker und Wundassistenten für die Diabetesbehandlung zuständig. "Die Hauptarbeit machen unstrittig die Hausärzte", sagt Dr. Funken. Von den 4.100 Diabetologen DDG sind 1.300 als niedergelassene Ärzte und 2.500 in Kliniken tätig.

"Nahezu jedes Jahr müssen sich die beteiligten Akteure mit einer ganzen Reihe von Änderungen, neuen Gesetzen oder Verordnungen auseinandersetzen", sagte Dr. Oliver Funken, Allgemeinarzt in Köln. So trat das Patientenrechtegesetz 2013 in Kraft. Im vergangenen Jahr folgte das Präventionsgesetz, das u. a. die Kurzzeitpflege als Kassenleistung anerkennt und bessere Pflegeleistungen für Demenzkranke vorsieht. Hinzu kam auch das Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG), das die hausärztliche Versorgung stärkt.

Hausarzt als Koordinator

"Die Gesetze wirken nicht nur auf die Leistungserbringer wie Ärzte, sondern auch auf die Patienten", so Funken. "Neue und notwendige Ansätze solcher Kooperation dürfen weder durch den Versuch des Bewahrens althergebrachter Besitzstände noch durch überzogene, medizinisch nicht begründbare Kompetenzforderungen verhindert werden." Immer mehr Multimorbide mit einer möglichst gleich guten Behandlung zu versorgen, setzt eine koordinierende Stelle – den Hausarzt – voraus. Dieser muss kompetent und mit möglichst wenigen Reibungsverlusten zwischen den Beteiligten dafür sorgen, die individuellen Ziele des Patienten zu erreichen.

Schwachstellen aus Sicht des Hausarztes

Doch welche Probleme stehen aus Sicht des Hausarztes einem erfolgreichen Diabetesmanagement entgegen? Der Informationsaustausch unter den Leistungserbringern im Disease-Management-Programm (DMP) sei nur ansatzweise geregelt. Medizinische und soziale Dienste werden parallel beansprucht, aber ohne gemeinsame Zielvorgaben. Meist sei lediglich partielles Wissen über die Komplexität der Erkrankungen vorhanden und die Lebensziele multimorbider Patienten sind oftmals unklar.

Neue Versorgungsmodelle entwickeln

Welche Rolle sollte der Hausarzt da übernehmen? Der §73b SGB V lässt die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) zu. Funken: "Dier HzV ist mittlerweile sehr erfolgreich und flächendeckend eingeführt. Fast alle Krankenkassen beteiligen sich daran." Bei der HzV ist der Hausarzt der Primärarzt, d. h. alle Leistungen, die erbracht werden, laufen über ihn. Dafür muss der Arzt bestimmte Bedingungen erfüllen, wie die Teilnahme an den DMPs und an den Vertragsschulungen. Es findet eine Kooperation von der Laienebene bis zum Spezialisten und zur Fachklinik statt. "Individuelle Lebensziele des Patienten werden berücksichtigt, statt überholte, rein messwertorientierte Behandlungspfade zu begehen", ergänzte Funken. Ko- und Multimorbidität könnten besser berücksichtigt und innovative Lösungsansätze (z. B. Telemedizin) integriert werden. Hier merkte er noch an, dass die KVen in Konkurrenz auch sog. Hausarztstrukturverträge anbieten die der HzV immer mehr ähnelten.

Über die Hälfte der Hausärzte ist heute älter als 55 Jahre, ihre Zahl wird deutlich weniger. Neue Kooperationsformen müssten geschlossen werden, unterstrich der Allgemeinarzt. Eine flächendeckende, patientenindividuelle und sektorenübergreifende Versorgung über sog. Versorgungslandschaften sei deshalb eine zukunftsweisende Ergänzung der Hausarztzentrierten Versorgung.

Für die Entwicklung neuer Versorgungskonzepte, ergänzend zu den Verträgen zur HzV, wurde 2011 die Pro Versorgung AG als eine Initiative des Deutschen Hausärzteverbandes gegründet. Deren Aufgabe ist es, innovative Versorgungskonzepte mit Partnern im Gesundheitswesen zu entwickeln. Die Versorgungslandschaften können z. B. eine bessere Zusammenarbeit der Versorgungsebenen Hausarzt, Facharzt und Kliniken in Selektivverträgen als Ergänzung zur HzV erzielen. Erste indikationsbezogene Versorgungslandschaften hat die Pro Versorgung gemeinsam mit kooperierenden Fachverbänden im Bereich der Pflege, entzündlicher Rheumaformen, Demenz, Rückenschmerz und Diabetes als Versorgungsverträge entwickelt. Weitere Versorgungslandschaften sind in Planung.

Patienten mit einbeziehen

Die Ziele seien präventives Handeln, um bei Patienten drohende Dekompensation und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden bzw. zu verzögern. Auch müssten die Lebensqualität und die individuellen Lebensziele berücksichtigt werden. Oft erfordere der Hausarztberuf in der täglichen Praxis "mehr Sozialarbeit als Medizin", erklärte Funken. Der Patient und seine Umgebung müssten in die Entscheidungen des Arztes einbezogen werden. Zudem sei Patientenmotivation ein "ganz wichtiges Thema mit viel Potenzial". All dies sei nur möglich durch eine konsequente und aufeinander abgestimmte sektorenübergreifende Kooperation.

Versorgungsmodelle evaluieren und gesetzlich verankern

In der Diabetesversorgung liegen die Aufgaben des HzV-Hausarztes in der Mitbehandlung des Patienten im Rahmen einer diabetologischen Basisbetreuung. Dabei findet auch eine konsiliarische Erörterung zwischen der Schwerpunkteinrichtung und dem HzV-Hausarzt bzw. mehreren Ärzten im Krankenhaus zur Abstimmung der Medikation und Behandlung statt. Der Hausarzt erstellt und übergibt einen qualifizierten Arztbrief, kümmert sich um das Einweisungs- und Überleitungsmanagement und prüft die Entlassungsmedikation nach stationärem Krankenhausaufenthalt. Auch leitet er notwendige Maßnahmen, z. B. Rehabilitationsmaßnahmen sowie Heil- bzw. Hilfsmittelversorgung nach der Klinik, ein. Die Untersuchung bzw. Behandlung der Füße des Diabetespatienten nimmt er ebenfalls vor.

Die Aufgaben der diabetologischen Schwerpunkteinrichtung bei Typ-1-Diabetes und anderen Diabetesformen sind u. a., die diabetologische Erstanamnese sowie die einmal jährliche Hauptuntersuchung (Blutdruckmessung, Fußbefund, Kontrolle der glomerulären Filtrationsrate u. a.) durchzuführen. Der Diabetologe überweist den Patienten einmal pro Jahr zum Augenarzt sowie einmal jährlich an den HzV-Hausarzt zur Mitbehandlung. Fuß-Läsionen im Wagner-Stadium 2 und/oder Armstrong-Klasse D sowie die Versorgung von schweren Hypoglykämien, die Fremdhilfe erfordern, sofern sie in der ambulanten Schwerpunkteinrichtung nicht lösbar sind, übernimmt die Klinik.

"Die Förderung neuer sektorenübergreifender Versorgungsmodelle sollte nicht nur über Modellvorhaben, sondern verstärkt durch Selektivverträge mit einer Laufzeit, die Evaluation ermöglicht, stattfinden", forderte Funken. Alle Versorgungsebenen und medizinischen Berufsgruppen müssten einbezogen werden. Und letztlich sollten die neuen Modelle bei positiver Evaluation gesetzlich verankert und als Versorgungsform angeboten werden, auf die Patienten einen Anspruch haben.

Angela Monecke


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (10) Seite 34-36