Bei der typischen Angina pectoris verspürt der Patient einen retro- oder parasternalen Schmerz, der als einengend, drückend, stechend oder brennend empfunden wird. Teilweise tritt das Gefühl einer thorakalen Schwere, eines ringförmigen Bandes, einer Luftnot oder ein Angstgefühl auf. Auch vegetative Begleitphänomene wie Kaltschweißigkeit, Zittern, Übelkeit und Schwindel werden beobachtet. Doch ganz so typisch präsentieren sich die Symptome nicht bei allen Patienten, wie der folgende Fall zeigt.

Der aktive, mobile und mitarbeitende 77-jährige Patient wird wegen eines jahrelang bestehenden Typ-2-Diabetes und einer arteriellen Hypertonie hausärztlich behandelt. Die Medikation erfolgt mit Sevikar® 40/10 (1/0/0), Bisoprolol 2,5 (0/1/0), Velmetia® 50/1000 (1/0/1).

Am Montag schildert der Patient dem Hausarzt ein seit dem Wochenende bestehendes Gefühl des Unwohlseins mit uncharakteristischen, diffusen, nicht schmerzhaften Sensationen im gesamten Thoraxbereich. Es besteht keine Luftnot, kein Schwindelgefühl. Übelkeit und Brechreiz werden ebenso verneint wie etwa retrosternaler Schmerz oder merkbare kardiale Palpitationen. Besondere Aktivitäten oder Anstrengungen am Wochenende werden auf Nachfrage verneint. Die körperliche Untersuchung zeigt einen Patienten im guten Allgemeinzustand und normalen Ernährungszustand (Gewicht 78,5 kg, Größe: 173 cm, BMI: 26 kg/m2). Das Herz schlägt regelmäßig und rhythmisch, die Herztöne sind rein.

Der Hausarzt führt eine EKG-Untersuchung durch, die auffällige Veränderungen im Vergleich zum Vorbefund einer früheren EKG-Aufzeichnung aufweist. So sind im aktuellen Ruhe-EKG ST-Senkungen mit T-Negativierungen anterolateral nachweisbar (s. Abb. 1, 2). Daraufhin weist der Hausarzt seinen Patienten unter der Diagnose eines Akuten Koronarsyndroms zur weiteren Abklärung und therapeutischen Intervention umgehend stationär ein. Hier werden ein NSTEMI und eine 2-Gefäß-KHK (80 %ige distale Hauptstammstenose, 99 %ige RIVA-Stenose, 80 %ige RCX-Stenose, 70%ige RDI-Stenose) mit der Indikation zur ACVB-OP verifiziert und entsprechende Behandlungsmaßnahmen (aortokoronare Bypass-Operation) vollzogen.

Auf vom Patienten geschilderte Beschwerden achten

Langjährig an Diabetes erkrankte Patienten erfordern unsere besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer Gefäßsituation, denn sie weisen häufig eine atypische reduzierte Symptomatik bei Gefäßerkrankungen auf.

Atypische Symptome treten gehäuft bei Frauen, Diabetespatienten und bei Patienten über 75 Jahren auf. Die erhöhte Inzidenz von stummen Ischämien und asymptomatischen Myokardinfarkten beim Diabetiker im Vergleich zum Nichtdiabetiker wird durch die häufig schon früh bestehende zusätzliche kardiovaskuläre autonome diabetische Neuropathie erklärt.

Da eine wegweisende Symptomatik weitgehend fehlt, sollte man besonders auf die von den Patienten geschilderten Beschwerden achten. Wichtig ist es, subtile plötzliche Veränderungen im Befinden der Patienten aufzuspüren, um so abwendbar gefährliche Krankheitszustände zu entdecken. Hier bewährt sich eine kontinuierliche und langfristige Arzt-Patienten-Beziehung, weil sich so eine Gefährdungssituation besser einschätzen lässt.



Autor:

© copyright
Dr. med. Paul Kokott

Facharzt für Allgemeinmedizin
38226 Salzgitter

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

Weiterer Artikel zu verwandtem Thema


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (10) Seite 21-22