Hodentumoren sind verglichen mit anderen Krebserkrankungen insgesamt eher selten, aber aufgrund ihrer Aggressivität eine unbehandelt mit Sicherheit tödlich verlaufende Erkrankung. Die Therapiemöglichkeiten und die Chancen auf Heilung haben sich inzwischen deutlich verbessert. Doch wie groß ist die Gefahr für Hodenkrebs für den Sohn, wenn der Vater erkrankt ist?

Die Inzidenz von Hodentumoren liegt in Deutschland bei 9 bis 10/100.000, in den USA dagegen deutlich niedriger bei nur 5 bis 6/100.000. Allgemein verzeichnet man in Europa eine erhebliche Zunahme der Hodentumoren mit zuletzt über 18.000 Fällen/Jahr. Besonders gut dokumentiert ist die Zunahme der Hodentumoren für Schweden: Von 48 neuen Fällen im Jahr 1958 ist die Inzidenz stetig gestiegen bis auf 330 im Jahr 2012. Gleichzeitig verschiebt sich der Altersgipfel; zunehmend erkranken auch ältere Männer.

Allerdings ist gleichzeitig eine sinkende Sterblichkeit aufgrund effektiver Behandlung zu verzeichnen. Die männlichen Keimzelltumoren sind die Erfolgsgeschichte der modernen Onkologie. Heilungsraten von 97 % sind heute die Regel – über alle Stadien betrachtet. Während die Überlebensrate noch vor 100 Jahren bei nur 5 % lag, wurde diese durch die Einführung von multimodaler Therapie – Operation und Chemotherapie oder Bestrahlung beim Seminom – wesentlich verbessert.

Meilensteine in dieser Entwicklung waren zunächst 1985 die Einführung von Cisplatin in die Therapie und wenig später die Entwicklung hochwirksamer Kombinationstherapien, z. B. Etoposid, Cisplatin und Bleomycin. Die Heilungsraten beim Hodentumor sind besser als bei allen anderen Malignomen und seit 1971 hat sich diese um insgesamt 30 % verbessert.

Mögliche Risikofaktoren

Was weiß man über die Ursachen? Aufgrund der zunehmenden Inzidenz wird angenommen, dass Faktoren der Umwelt und des Lebensstils als Risikofaktoren eine Rolle spielen können. Genetische Unterschiede in der Disposition der Bevölkerung werden für die regionalen und nationalen Häufigkeitsunterschiede verantwortlich gemacht.

Es erscheint auch ziemlich gesichert, dass die ersten onkogenen Transformationsschritte bereits in Keimzellvorläufern während der Fetalentwicklung stattfinden. Daher wäre die Schlussfolgerung, dass Umwelt- und Lebensstilfaktoren der Mutter für diese fetalen Onkogentransformationen bedeutsam sein müssten.

Erbliche Veranlagung

Aus Zwillings- und Familienstudien ist zweifelsfrei bekannt, dass eine erbliche Veranlagung beim Hodentumor von Bedeutung ist. Eine genetische Analyse von über 40 Hodentumorpatienten zum Mutationsprofil hat ergeben, dass die Mutationsrate beim Hodentumor zwar insgesamt relativ niedrig ist, aber dem embryologischen/fetalen Ursprung der Keimzelltumoren entspricht. Dabei wurden verschiedene spezifische und typische Mutationen festgestellt (z. B. auf Chromosom 12p, Mutation von KIT oder auch XRCC2-Mutationen).

Familiäre Erkrankungsrisiken

Die vorliegenden Zwillings- und Familienstudien haben bislang gezeigt, dass das Erkrankungsrisiko bei Hodenkrebs in der Familie erhöht ist. Das relative Erkrankungsrisiko bei Brüdern liegt bei 3,8 bis 8. Besonders interessant ist dabei, dass dieses Risiko abhängig vom Altersunterschied der Brüder zu sein scheint. Das relative Risiko liegt bei 10,5 bei einem Altersunterschied von weniger als 5 Jahren und vergleichsweise nur bei 6,7 bei einem Altersunterschied von über 5 Jahren. Wie ist das zu erklären? Die bislang geltende Theorie begründet dies mit den fetal einwirkenden Umwelt- und Lebensstilfaktoren der Mutter, die – so wird angenommen – umso ähnlicher sein werden, je geringer der zeitliche Abstand zwischen den Schwangerschaften ist.

Wie ist nun das relative Risiko bezogen auf eine Hodentumorerkrankung des Vaters? Die gleichen Studien zum familiären Risiko beziffern hierfür ein relatives Risiko von 4. Dies bedeutet, das Risiko des Sohnes eines betroffenen Vaters ist vierfach im Vergleich zum Rest der Bevölkerung erhöht. Dieses Risiko ist natürlich deutlich höher, wenn zwei männliche Verwandte ersten Grades betroffen sind (17- bis 24-fach) oder wenn ein Zwillingsbruder betroffen ist (30-fach).

Sohn ist gefährdet

Die im Titel angesprochene Frage, ob der Sohn Angst haben muss, wenn der Vater einen Hodentumor hatte, kann man also eindeutig bejahen. Das Risiko, dass der Sohn auch einen Hodentumor entwickelt, ist eindeutig erhöht.

Angst ist aber nicht die richtige Konsequenz. Hodentumoren können durch Selbstuntersuchung und auch durch ärztliche Untersuchung frühzeitig entdeckt werden und – wie ausgeführt – sind die Heilungschancen ausgesprochen gut. Am sensitivsten für die frühe Erkennung eines Hodentumors ist der Ultraschall bei Verwendung eines 10-MHz-Schallkopfes. Notwendig ist es also, auf das erhöhte Risiko hinzuweisen und Betroffene dazu anzuhalten, wachsam zu sein, Selbstuntersuchung zu betreiben und auch Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen.


Literatur
Litchfield K et al, Sci Rep 2015
Verhoeven et al, Acta Oncol 53: 342, 2014
Ruf CG, Urologic Oncology, 2014
Bosetti et al, Eur Urol 60: 1-15, 2011
Hemminki & Li, British Journal of Cancer, 2004
Kharazmi et al, Eur Urol 2015



Autor:

© copyright
Prof. Dr. med. Oliver W. Hakenberg

Universitätsmedizin Rostock
Urologische Klinik und Poliklinik
18057 Rostock

Interessenkonflikte: Text Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (8) Seite 18-21