Nahrungsmittelunverträglichkeiten (NMU) werden häufig als Ursachen für Durchfälle, Verstopfung und andere unspezifische Symptome angegeben. Liegen Alarmsymptome bei älteren Patienten vor, beruhen sie meist auf strukturellen Erkrankungen (Karzinome oder chronische Entzündungen), sodass schnell eine Abklärung erfolgen muss. Fehlen Alarmsymptome bei jüngeren Patienten, stecken oft funktionelle Störungen dahinter, deren Abklärung in Stufen erfolgen sollte. Dabei ist die differenzialdiagnostische Palette bei diesen Symptomen groß.

Einen Zusammenhang zwischen aufgenommenen Nahrungsmitteln und geschilderten Beschwerden zu sichern, ist schwierig, da die Symptome unspezifisch sind und durch viele Ursachen bedingt sein können (Kasten 1). Häufig stehen sie auch nicht in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, sodass die Zuordnung von Nahrung zu Beschwerden schwerfällt.

Wichtig ist es, Alarmsymptome auszuschließen, die auf eine maligne Erkrankung oder eine chronische Entzündung hinweisen können. Dies sind die typischen B-Symptome, aber auch organabhängige Symptome (Kasten 2). Hier muss nach der körperlichen Untersuchung eine apparative Abklärung (Labor, Ultraschall, evtl. Röntgen, Endoskopie) folgen. Sehr selten liegen Motilitätsstörungen vor, die durch Veränderungen von Nerven- oder Muskelzellen der Darmwand ausgelöst werden. Sie können erst durch Vollwanduntersuchungen nachgewiesen werden [1].

Unspezifische Symptome
  • Sodbrennen, Aufstoßen
  • Durchfall, Verstopfung
  • Blähungen, Distension, Flatulenz
  • Schmerzen

Alarmsymptome
  • Dys- und Odynophagie
  • epigastrische Füllungs- oder Nüchternschmerzen
  • Bluterbrechen, Teer- oder Blutstuhl
  • B-Symptome (Fieber, nächtliche Beschwerden, Gewichtsabnahme)

Postoperative oder entzündliche Veränderungen wie Dumping-Syndrom nach Magenresektion oder Diarrhoen nach Cholezystektomie oder Darmresektion müssen anamnestisch bedacht werden.

Fehlen Alarmsymptome, müssen häufige "normale" Reaktionen auf Ernährung (bei ca. 20 % der Pat. mit NMU) ausgeschlossen werden [2–12]. Einige Lebensmittel werden von (fast) allen Menschen nicht vertragen (Abb. 1, 2). Neben unverdaulichen Bestandteilen wie Pektin, Lignin, Zellulose, die i. d. R. nicht oder nur in geringen Mengen gegessen werden (Abb. 3)[13], lösen auch einige, für Menschen nicht verdauliche Bestandteile Beschwerden aus. Dazu zählen z. B. der Einfachzucker Rhamnose in Kohlsorten, Mehrfachzucker in Hülsenfrüchten, Wachse aus Gurkenschalen und Bitterstoffe in Kürbissen [2]. Diese Nahrungsmittel sollten in Anschlussheilbehandlungen üblicherweise den Patienten nicht angeboten werden [14].

Ballaststoffreiche Vollkornprodukte, fettreiche Nahrung, Kaffee, Alkohol und Nikotin führen dosisabhängig über unterschiedliche Mechanismen zu Meteorismus, Diarrhoen und Bauchschmerzen.

Ein Teil der Beschwerden durch Ballaststoffe ist bedingt durch die sog. FODMAPS (fermentable oligosaccharides, disaccharides, monosaccharides and polyols) [15–17], die von keinem Menschen im Dünndarm absorbiert und von allen Menschen im Kolon fermentiert werden. Unter FODMAPS werden so unterschiedliche Nahrungsbestandteile wie Fruktane (in Weizen, Roggen, Zwiebel, Schokolade und Präbiotika wie Inulin), Galaktane (in Bohnen u. a. Hülsenfrüchten) und Polyole (Steinfrüchte, Avocados, süßende Zucker wie Sorbitol, Mannitol, Xylitol) zusammen gefasst. Pragmatisch wird bei einer Ernährungsberatung meist eine Kost empfohlen, die arm an diesen Bestandteilen ist, und der Erfolg abgewartet.

Nahrungsmittelunverträglichkeiten im engeren Sinne

Davon abgetrennt werden müssen Reaktionen, die nur bei einzelnen Patienten auftreten. Diese sind die NMU im engeren Sinne [18]. Neben den insgesamt relativ seltenen Nahrungsallergien (2–5 % der Pat. mit NMU) [19] zählen dazu die häufigen Malabsorptionen (ein Drittel der NMU) von Laktose, Fruktose und Sorbit, die selteneren Intoleranzen von z. B. Salicylaten, Glutamat, Histamin und anderen Konservierungs- und Zusatzstoffen (Abb. 2). Malabsorptionen kommen dadurch zustande, dass die Aufnahmekapazität oder spaltende Enzyme im Dünndarm überfordert sind. Überschüssige Zucker werden in den Dickdarm weitergeleitet, wo sie von Bakterien zu Gas (= Blähungen, Schmerzen) und Wasser (Durchfälle) abgebaut werden. Ähnlich ist es bei den o. g. seltenen Intoleranzen (ca. 1 % der NMU) [9] (vgl. Tabelle 1). Diese sind meist sog. Pseudoallergien, d. h. die Symptome können Allergien, insbesondere anaphylaktischen oder Schockreaktionen mit Luftnot/Asthma, Hypotonie/Kreislaufsymptomen und Hautausschlägen wie Flush ähneln. Seltener kommt es hier auch zu Diarrhoen. Typisch ist die insgesamt seltene Histaminintoleranz [12, 20, 21]. In diese Gruppe fallen auch die Unverträglichkeiten von Glutamat [22], Sulfit [23], Salicylat [24] und weiteren sogenannten biogenen Aminen wie Tyramin in Käse, Tryptamin in Schokolade, Serotonin in Walnüssen und Schokolade [25]. Davon wiederum abgetrennt werden müssen die ebenfalls häufigen funktionellen Erkrankungen wie Dyspepsie und Reizdarm, die aber Ausschlussdiagnosen sind. Sie liegen bei etwa 35 % der Patienten mit NMU vor und werden symptomatisch behandelt.

Diagnostik

Ein abgestuftes Vorgehen ist zur Diagnostik funktioneller Erkrankungen – nach Ausschluss struktureller Veränderungen – sinnvoll. Die Anamnese umfasst die allgemeine und die Ernährungsanamnese. Typische Auslöser von häufigen Unverträglichkeiten sind Schokolade und Eis (für Laktose), Kaugummi und Birnen (für Sorbit), Äpfel, Birnen, Weintrauben und Süßkirschen (für Fruktose), Limo, Cola, Obstsäfte und Saftschorlen (ebenfalls für Fruktose) [26]. Die Anamnese ist für die Malabsorptionen wesentlich [27]. Atopische Erkrankungen (Heuschnupfen, Asthma, Neurodermitis) weisen auf mögliche Allergien hin. Nach gefährlichen Allergenen (Sellerie, Nuss und Erdnuss, Latex, Fisch) muss gezielt gefragt werden, wenn anaphylaktische Reaktionen (Luftnot, Kreislaufprobleme, Kollaps) aufgetreten sind. Die klinische Untersuchung kann wesentliche Hinweise auf die Genese der Beschwerden geben. Der Ultraschall als Screening-Untersuchung sollte einmal sehr gründlich durchgeführt werden (Oberbauch, Darmwand, LK, Mesenterialgefäße), um banale Erkrankungen (wie Gallensteine) nicht zu übersehen. Orientierende Laboruntersuchungen (CRP, Diff.-BB, IgE, TSH, Zink, TTG-IgA-AK und IgA) sind bei Diarrhoen sinnvoll, bei akutem Beginn oder klinischem Verdacht auch Stuhlteste (pathogene Keime, Parasiten, Würmer und Wurmeier, evtl. Elastase, Noroviren, Lamblien-(Amöben-)Ag im Stuhl).

Wesentlich in der weiteren Abklärung sind in erster Linie die Atemteste für Laktose und Fruktose. Weitere Unverträglichkeiten können manchmal über ein Ernährungstagebuch herausgefunden werden. Dies sollte zur besseren Auswertung tabellarisch über 3 – 4 Wochen geführt und in Zusammenarbeit mit einer Ernährungsberaterin ausgewertet werden (Vordrucke unter www.daab.de und www.gifr.de).

Nahrungsmittelallergien im engeren/eigentlichen Sinne sind immunologische Reaktionen [28]. Allergien treten selten isoliert am Gastrointestinaltrakt auf. Häufig werden sie von anderen Symptomen begleitet, z. B. dem oralen Allergiesyndrom, einer Kontakturtikaria der Mundschleimhaut, die sich in Jucken und Anschwellen äußert, oft auch im Hals und in den Ohren. Wenn die Patienten trotzdem weiter essen oder insbesondere trinken (z. B. grüne Smoothies), wodurch die Allergene den Magen schneller verlassen und dadurch weniger verändert/verdaut die immunologisch aktive Dünndarmschleimhaut erreichen, kann sich ein sog. Biobar-Syndrom entwickeln mit starken Diarrhoen, Schmerzen und Kreislaufsymptomen i. S. einer Anaphylaxie [29, 30]. Die Diagnostik stützt sich auf Anamnese und Prick-to-Prick-Teste (Stich mit der Testnadel in ein frisches Allergen, z. B. einen Apfel, und dann in die Haut), die in der Diagnostik der Nahrungsmittelallergie oft hilfreicher sind als die kommerziellen Extrakte.

Nahrungsmittelallergien sind selten (1–2 % der funktionellen Erkrankungen) [31]. Sie werden meist in 3 Gruppen eingeteilt [32]. Primäre Nahrungsmittelallergien betreffen Kleinkinder, die bei unreifem gastrointestinalen Immunsystem (GALT = gut associated lymphatic tissue) auf die ersten zugeführten Nahrungsmittel wie Mehl, Ei und Milch reagieren. Die meisten Kinder verlieren ihre Allergien wieder, wenn das GALT reift. Sekundäre Nahrungsmittelallergiker sind meist jugendliche Pollenallergiker, die auf kreuzreagene Nahrungsmittel von z. B. Birkenpollen wie Äpfel, Steinobst, Nüsse mit oralem Allergiesyndrom reagieren. Tertiäre Nahrungsmittelallergien werden bei älteren Patienten angenommen. Die Ursache ist meist unklar, kann aber Folge von Säureblocker-/PPI-Medikation und schlechterer Allergenzerstörung im Magen sein. Ein Spezialfall der NM-Allergie ist die FDEIA (food-dependent exercise-induced anaphylaxis) als eine sog. Summationsanaphylaxie [34]. Die Anaphylaxie tritt erst auf, wenn der Patient zusätzlich körperlich belastet wird. Typisch ist dies für Weizen, die Anaphylaxie tritt beim Joggen auf, nachdem der Patient vorher Spaghetti oder eine Pizza gegessen hat.

Die Diagnostik der NM-Allergie hat sich gewandelt: Während früher die orale Provokation im Vordergrund stand [35], wird jetzt bei Verdacht zuerst eine Eliminationsdiät empfohlen. Ohne Verdacht folgt zunächst eine hypoallergene Kost unter Meidung der 6 Hauptallergene Milch, Ei, Soja, Weizen, Nuss und Fisch. Dann folgt in Einzelfällen eine mukosale Provokation, d. h. dass die Patienten Allergendrinks in steigenden Mengen 1 min im Mund behalten, ausspucken und dann 15 min abgewartet wird [29].

Prophylaxe und Therapie

In der Prophylaxe der NMA hat sich ein Paradigmenwechsel ergeben: Während früher empfohlen wurde, hochallergene Lebensmittel während Schwangerschaft [36] und der ersten Lebensphase möglichst lange zu meiden und erst spät in die Ernährung einzuführen, geht man jetzt davon aus, dass sich ab dem 4. Lebensmonat eine orale Toleranz entwickelt, wenn das Lebensmittel, z. B. Erdnuss, gegeben wird [37]. Gibt man es erst nach dem 11. Lebensmonat, kann bereits eine Sensibilisierung über die Haut (durch Allergenspuren im Hausstaub) stattgefunden haben [38].

Die Therapie der NMU hängt von ihrer Ursache ab:

  • Bei Malabsorptionen und Intoleranzen steht die Dosisreduktion im Vordergrund. Bei Fruktose kann schon der Verzicht auf Kaugummi oder Limonaden ausreichend sein. Allerdings ist die Karenz bei der häufigen Fruktose-Malabsorption nicht banal und zumindest zu Beginn der Karenz eine mehrfache Ernährungsberatung wesentlich.
  • Bei Allergien muss die Karenz streng sein [39]. Bei anaphylaktischen Reaktionen müssen die Patienten geschult werden, wie sie ihr Notfallset anwenden. Wichtig ist, dass bei ersten Luftnot- oder Kreislaufreaktionen oder erkanntem Kontakt mit einem gefährlichen Allergen sofort ein Adrenalinpen angewendet und ein Notruf abgesetzt wird. Inhalative Betaadrenergika (Salbutamol) sind bei Atemproblemen sinnvoll, wenn sie schnell angewendet werden. Antihistaminika sind in Notfallsituationen nicht ausreichend wirksam, Steroide, auch oral verabreicht, wirken erst nach 4 h [40].
  • Hyposensibilisierungen ("spezifische Immuntherapie") auf kreuzreagible Pollen wie Birke sollten diskutiert werden, wobei neben dem etablierten Standard der subkutanen ("SIT") auch die neueren Formen der sublingualen (SLIT) oder OIT = oralen Immuntherapie an Bedeutung gewinnen [39].
  • Nur für die ASS-Überempfindlichkeit gibt es bislang die Möglichkeit der Desensibilisierung: Hier wird ASS in steigenden Dosen über mehrere Tage gegeben, bis eine Erhaltungsdosis erreicht wird. Diese Erhaltungsdosis muss dann lebenslang eingenommen werden [41].



Autor:

© copyright
Dr. med. Michael Weidenhiller

Gastroenterologie im Facharztzentrum
93053 Regensburg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (7) Seite 50-55