Bei der modernen Insulintherapie lauern viele Fallstricke, angefangen beim Therapiebeginn und bei der Auswahl des geeigneten Insulins über die Therapiekontrolle und die Dosierung bis hin zur Schulung der Patienten im Umgang mit Kanülen, Spritztechnik und Lebensführung. Zehn häufige Fehlerquellen beim Management von insulinspritzenden Diabetikern sollen im folgenden Beitrag vorgestellt werden.

Der erste und besonders gravierende Fehler bei der Hormonersatztherapie ist der zu späte Einsatz des Insulins bei Typ-2-Patienten, die allzu lange auf orale Antidiabetika allein eingestellt werden.

1. Nicht zu lang mit Insulin warten!

HbA1c-Werte über 8,0 % sollten unbedingt Anlass sein, die Therapie entsprechend zu überdenken. Sicherlich hängt der späte Insulineinsatz auch damit zusammen, dass die Patienten sich häufig dagegen wehren nach dem Motto: "Wer einmal Insulin spritzt, muss lebenslang Insulin spritzen." Aber nicht weil man Insulin spritzt, muss man immer Insulin spritzen, sondern weil die Stoffwechselsituation infolge des progredienten endogenen Insulinmangels dies erfordert. Abgesehen davon gibt es durchaus auch Patienten, die – z. B. nach drastischer Gewichtsabnahme – wieder allein auf Tabletten oder Diät eingestellt werden können. Die orale Medikation sollte im Übrigen bei der Umstellung auf Insulin in der Regel zunächst beibehalten werden (= BOT, basal unterstützte orale Therapie, oder zusammen mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten als ISI "incretin supported insulin therapy" bzw. "insulin supported incretin therapy"). Wenn die Patienten eine lange Lebens- und damit Diabetesdauer aufweisen, kann sogar – wie bei Typ-1-Diabetikern – eine intensivierte Therapie (ICT) mit kurz (vor den Mahlzeiten) und lang wirkendem Insulin (z. B. Glargin U 300) ohne orale Antidiabetika erforderlich werden. Die oft hochbetagten Patienten leben unter dem anabol wirksamen "Wundermittel" förmlich auf und sind letztlich dankbar für die gelungene Umstellung.

2. Möglichst kein Mischinsulin

In der Regel sollte man zugunsten der oben skizzierten Therapiekonzepte bei Typ-1- und Typ-2-Patienten auf den Einsatz sogenannter Mischinsuline verzichten. Man weiß nämlich, dass Patienten darunter in der Regel besonders viel an Gewicht zunehmen, vor allem deswegen, weil zusätzliche Zwischenmahlzeiten erforderlich sind, um Hypoglykämien zu vermeiden. Auch die Zahl der Blutzuckerselbstkontrollen würde sich erhöhen (Kostenfrage!).

3. Postprandialen BZ messen!

Die Nüchternblutzuckerwerte erlauben meist schon eine Aussage über die Qualität der Gesamteinstellung. Dennoch sind auch Messungen der postprandialen Werte erforderlich, da eine postprandiale Hyperglykämie einen kardiovaskulären Risikofaktor darstellt. Ziegelasch empfiehlt u. U. den Einsatz einer kleinen Dosis Acarbose (25 oder 50 mg präprandial), da hierdurch der postprandialen Überzuckerung entgegengewirkt wird.

4. Tageszeit berücksichtigen!

Die Insulinempfindlichkeit ist recht unterschiedlich und bei adipösen Patienten am geringsten. Man kann im Übrigen davon ausgehen, dass – grob gesagt – morgens die größte, mittags die geringste und abends eine mittlere Dosis Insulin benötigt werden. Man kann daher die Dosierung "4-2-3" verwenden. Als Merkhilfe dient das Rätsel der Sphinx, das Ödipus zu lösen hatte: Wer geht morgens auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen? Antwort: Der Mensch.

5. Folgen der Dosiserhöhung beachten!

Man muss wissen, dass die Steigerung der Insulindosis (auch und gerade die von kurz wirkenden Präparaten) nicht nur ad hoc eine stärkere Blutzuckersenkung, sondern auch eine Verlängerung der Wirkungsdauer mit sich bringt.

6. Analoga bevorzugen!

Die Frage, ob "normales" (Human-) Insulin oder kurz bzw. lang wirkende Analoga angezeigt sind, lässt sich inzwischen eindeutig zugunsten der sogenannten "Kunstinsuline" beantworten. Analoga wirken "humaner als Humaninsulin"; denn mit den kurz wirkenden Präparationen, bei denen kein Spritz-Ess-Abstand nötig ist (Lispro, Aspart, Glulisin), wird der erste "Peak" der endogenen Insulinsekretion besser, weil schneller nachgeahmt. Und die lang wirkenden Zubereitungen (Glargin U 100 und U 300 sowie Detemir) ähneln mit ihrem flachen Wirkprofil viel mehr der endogenen Basalsekretion als NPH-(Human-) Insulin mit seinem unerwünschten Wirkungsmaximum. Letzteres bedingt im Übrigen eine vermehrte Hypoglykämieneigung (besonders nachts) und eine stärkere Gewichtszunahme im Vergleich zu den Langzeit-Analoga. Bei Letzteren sollte U 300 bevorzugt werden, da es im Gegensatz zu Detemir nur einmal täglich (in der Regel morgens) zu spritzen ist. Glargin U 100 wirkt meist ähnlich, doch muss es bei einigen Typ-1-Patienten doch zweimal täglich injiziert werden. U 300 führt signifikant seltener zu Hypoglykämien und zu einer geringeren Gewichtszunahme als die anderen Langzeit-Analoga.

7. Nur an einer Schraube drehen!

Ein häufiger Fehler besteht darin, bei ungenügender Stoffwechseleinstellung und mehreren täglichen Insulininjektionen die verschiedenen Insulindosen gleichzeitig zu verändern. Dieses Vorgehen kann zwar manchmal Gültigkeit haben, wenn z. B. evident der Insulinbedarf sowohl tags als auch nachts nicht abgedeckt wurde. In der Regel sollte man aber nur "an einer Schraube" drehen.

8. Spritzstellen wechseln!

Kurz wirkende Insuline sollen in der Regel in das Unterhautfettgewebe des gesamten Bauches (nicht nur um den Nabel herum) gespritzt werden. Unbedingt sind die Spritzstellen zu wechseln, wobei man sich ein bestimmtes Schema vorgeben kann. Man muss ja bedenken, dass die Patienten im Allgemeinen viele tausend Mal in ihrem Leben Insulin spritzen und dass bei ungenügendem Wechsel der Spritzstellen Lipome oder aber Lipodystrophien entstehen können. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein: Durch die Neubildung von kleinen Gefäßen wird das Insulin schneller aufgenommen. Auch bei den lang wirkenden Präparaten sollten die Spritzorte gewechselt werden. Sie müssen allerdings in den Oberschenkel gespritzt werden, da hier eine gewünschte langsamere Aufnahme erfolgt.

9. Einmalkanülen nur einmal nutzen!

In der Regel sind Einmalkanülen auch wirklich nur einmal zu benutzen! Unscharfe Kanülen zerreißen förmlich das Gewebe und geben wiederum zu Gewebeveränderungen an den Spritzstellen Anlass.

10. Patienten gut schulen!

Ein großes Problem sind die Dosierungsfehler durch den Patienten. Bei älteren Diabetikern fällt der hauptsächliche "Störfaktor", nämlich die wechselnde körperliche Aktivität, meist nicht so ins Gewicht wie bei jüngeren sporttreibenden Diabetikern.

Im Übrigen soll der Patient bei der Schulung lernen, mit BE/KE (Broteinheit bzw. Kohlenhydrat-einheit) umzugehen, um ihren Einfluss auf das Insulinregime und damit auf die Stoffwechseleinstellung zu erkennen.

Zwischenmahlzeiten sind bei der immer noch viel zu häufig verwendeten Mischinsulintherapie unbedingt erforderlich, was – wie erwähnt – auf Dauer auch die Gewichtszunahme begünstigt. Bei der BOT sind bei Verwendung lang wirkender Insuline, die nur einmal täglich gespritzt werden sollen, häufig vorwiegend nur Nüchternblutzuckermessungen erforderlich. Es wird jedoch empfohlen, wenigstens einmal wöchentlich bis zu vier Messungen pro Tag durchzuführen, um vor allem die erwähnten gefährlichen postprandialen Hyperglykämien zu erkennen. Korrekturen in der Insulineinstellung sollten nicht überhastet, nicht zu schnell und nach dem Motto "an einer Schraube drehen" (s. o.) erfolgen.

Die Probleme, die Alkoholgenuss bzw. Niereninsuffizienz mit sich bringen, werden häufig unterschätzt. Beide begünstigen Hypoglykämien – bei erkrankter Niere durch einen verringerten Insulinabbau und bei Alkoholgenuss durch die Bremsung der hepatischen Glukoneogenese. Besonders zu fürchten ist bei instabilen Typ-1-Langzeitdiabetikern die Kombination von starker körperlicher Aktivität am Abend (z. B. bei Disco-Besuch), dem dabei stattfindenden Genuss von alkoholischen Getränken und dem Vorliegen einer autonomen (kardialen!) Neuropathie. Schwere nächtliche Hypoglykämien führen dann nicht selten zu massiven Rhythmusstörungen und mitunter sogar zum Tode ("Dead in bed" ohne vorangegangenen Herzinfarkt).


Quelle:
Ziegelasch H.G. und Mehnert H.: Moderne Insulintherapie: Häufige Fehler aus Sicht zweier langjährig tätiger Diabetologen. Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 24, 2015, S. 265 – 270



Autor:
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert
Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (7) Seite 56-58