Es sind die besonders Schwachen, auf die es Pneumokokken abgesehen haben: Kinder unter 5 Jahren und "alte" Erwachsene. Das "immunologische Alter" beginnt bereits ab dem 50. Lebensjahr. Unabhängig vom Lebensalter sind Patienten mit bestimmten Grunderkrankungen oder die regelmäßig Alkohol konsumieren sowie Raucher besonders gefährdet, an einer Infektion mit Pneumokokken zu erkranken und Komplikationen zu entwickeln.
Neben einer Pneumonie (typisch ist die Lobärpneumonie) können Pneumokokken auch Septikämien und – vor allem bei Kindern – Meningitiden, Sinusitiden und eine Otitis media verursachen. Erfreulicherweise ist die Sterblichkeit von Früh- und Neugeborenen und Kindern mit Pneumokokkenerkrankungen in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Über 90 % der Patienten, die an einer Pneumokokkeninfektion versterben, sind über 60 Jahre alt. Die Todesfälle bei Influenza sind häufig durch eine bakterielle Superinfektion mit Pneumokokken bedingt.
Herdeneffekt durch Kinderimpfung
Fast jeder zweite Mensch beherbergt – asymptomatisch – Pneumokokken im Nasen-Rachen-Raum. Diese kann er – auch ohne selbst erkrankt zu sein – auf besonders empfängliche Menschen übertragen: kleine Kinder, alte Menschen und Menschen mit chronischen Krankheiten. Diese Übertragungskette kann nur durch Impfstoffe, die auch eine mukosale Immunität erzeugen, unterbrochen werden. In Norditalien kam es durch die Verwendung des Konjugatimpfstoffes PCV 13 (Prevenar 13®) – dieser induziert auch eine mukosale Immunität – zu einem massiven Rückgang der Pneumokokkenerkrankungen auch bei den ungeimpften Kindern. Immunologen nennen diesen Effekt in Anlehnung an das Tierreich auch "Herdeneffekt". Interessant ist, dass in dieser Region auch bei den Senioren die Inzidenz von Pneumokokkenerkrankungen durch die vom "Kinderimpfstoff" abgedeckten Serotypen erheblich zurückgegangen ist.
Zugelassene Impfstoffe
PPV 23 (Pneumovax 23®) ist ein Polysaccharidimpfstoff, der 23 Serotypen enthält. Polysaccharidimpfstoffe gegen Pneumokokken wurden an "jungen" Goldminenarbeitern in Südafrika getestet und schützten diese nicht nur vor invasiven, bakteriämisch verlaufenden Pneumokokkeninfektionen, sondern auch vor Pneumokokkenpneumonien, die nicht mit einer Bakteriämie einhergehen. Bei jungen Erwachsenen ohne Grunderkrankungen kann mit PPV 23 auch ein länger als 5 Jahre anhaltender Schutz erreicht werden. Bei über 85-Jährigen beträgt die Schutzwirkung allerdings weniger als 50 %. 5 Jahre nach der Impfung ist bei diesen Senioren praktisch kein Impfschutz mehr vorhanden. Nach einem Cochrane Review aus dem Jahr 2013 schützt PPV 23 vor allem vor invasiven Pneumokokkeninfektionen.Eine Schutzwirkung gegen die bei alten Menschen sehr häufige nicht bakteriämisch verlaufende Pneumokokkenpneumonie ist für diesen Impfstoff nur für "Entwicklungsländer" nachgewiesen. Polysaccharidimpfstoffe induzieren leider keine mukosale Immunität, dadurch entsteht kein "Herdenschutz". Da die verfügbaren Polysaccharidimpfstoffe keine T-Zell-Antwort induzieren, werden keine neuen "Gedächtniszellen" gegen Pneumokokken gebildet, es kommt zur Depletion von antigenspezifischen B-Zellen. Folglich lässt der Impfschutz sehr schnell nach. Bei einer erneuten Impfung ist die Immunantwort nicht – wie es bei Konjugatimpfstoffen und Lebendimpfstoffen der Fall ist – verstärkt, sondern sogar schwächer ausgebildet. Dieses Phänomen wird " Hyporesponsiveness" genannt.
PCV 13 (z. B. Prevenar 13®) ist ein Polysaccharidimpfstoff, der 13 Serotypen (1, 3, 4, 5, 6A, 6B, 7F, 9V, 14, 18C, 19A, 19F und 23F) enthält. Er induziert auch eine mukosale Immunität. Bei einer guten Durchimpfungsrate kann dadurch ein "Herdenschutz" erreicht werden. Bei Kindern konnte durch die Impfung mit dem Konjugatimpfstoff die nasopharyngeale Besiedelung durch die vom Impfstoff abgedeckten Serotypen deutlich reduziert werden. Dies dürfte auch für die Bewohner und das Personal von Altenpflegeheimen und Krankenhäusern relevant sein, ist allerdings für diese Personengruppen noch nicht durch kontrollierte Studien belegt. Durch PCV 13 wird bei Patienten mit Komorbiditäten eine ähnlich starke Immunantwort wie bei gesunden Probanden ausgelöst. In der kürzlich erschienenen CAPITA-Studie konnte nachgewiesen werden, dass PCV 13 nicht nur vor invasiven Pneumokokkeninfektionen, sondern auch vor Pneumokokkenpneumonien schützt. Prevenar 13® ist für alle Altersklassen zugelassen. Die Applikation erfolgt vorzugsweise intramuskulär, bei Kontraindikationen (z. B. Gerinnungsstörungen) kann der Impfstoff jedoch auch zulassungskonform subkutan appliziert werden.
Konkrete Empfehlungen für verschiedene Altersklassen
Frühgeborene, Neugeborene und Kinder bis zum Alter von einschließlich 4 Jahren.
Für diese Altersgruppe empfiehlt die STIKO in ihrer aktuellen (August 2015) Stellungnahme ausdrücklich die Verwendung eines Konjugatimpfstoffes (z. B. Prevenar 13®). Alle "gefährdeten" Kinder sollten – möglichst innerhalb der ersten 2 Lebensjahre – mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff (z. B. Prevenar 13®) grund-
immunisiert werden. Ziel dieser Impfstrategie ist es, die Morbidität invasiver Pneumokokken-Erkrankungen (IPD) und die daraus entstehenden Folgen wie Hospitalisierung, Behinderung und Tod zu reduzieren.
Reifgeborene Säuglinge erhalten insgesamt 3 Impfstoffdosen im Alter von 2, 4 und 11 – 14 Monaten (sogenanntes 2 + 1-Impfschema). Zwischen der 1. und 2. Dosis soll ein Abstand von 2 Monaten und zwischen der 2. und 3. Dosis ein Mindestabstand von 6 Monaten eingehalten werden. Frühgeborene (Geburt vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche) sollen mit insgesamt 4 Impfstoffdosen im Alter von 2, 3, 4 und 11 – 14 Monaten (3 + 1-Impfschema) geimpft werden. Die abweichende Empfehlung der STIKO für Frühgeborene ist dadurch begründet, dass in der Zulassung der Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe die Anwendung des 2 + 1-Impfschemas bisher (Stand Juni 2015) auf Reifgeborene beschränkt ist.
Kinder ab dem 5. Lebensjahr und Erwachsene bis zum 60. Lebensjahr.
Für diese Altersgruppe empfiehlt die STIKO entweder den Polysaccharidimpfstoff (Pneumovax 23®) oder den Konjugatimpfstoff (z. B. Prevenar®). Laut STIKO sollen in diesen Altersgruppen nur Menschen mit "erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge einer Grundkrankheit" gegen Pneumokokken geimpft werden (Tabelle 1).
Es gibt jedoch auch Bevölkerungsgruppen mit einem deutlich erhöhten Risiko, die in der aktuellen STIKO-Empfehlung nicht genannt sind. So haben Raucher ein 4-fach erhöhtes Risiko für Pneumokokkeninfektionen! Auch ein regelmäßiger Alkoholkonsum erhöht durch eine Immunsuppression das Risiko für schwere Pneumokokkeninfekte. Bewohner von Pflegeeinrichtungen haben – altersunabhängig – ebenfalls ein erhöhtes Risiko.
Wenn medizinisches Personal in Krankenhäusern und Pflegeheimen mit einem Konjugatimpfstoff gegen Pneumokokken geimpft wird, wird dies vermutlich zu einem Rückgang der Pneumokokkenerkrankungen bei den Heimbewohnern führen. Dies ist allerdings noch nicht ausreichend durch prospektive Studien belegt und wird deshalb von der STIKO (noch) nicht empfohlen. Da auch junge Menschen ohne Grunderkrankung an Pneumokokkeninfektionen erkranken können, würde das medizinische Personal auch individuell von der Impfung profitieren.
Alle Menschen im Alter von über 60 Jahren.
Auch ohne chronische Grunderkrankungen ist das Risiko für ältere Menschen erhöht. Das Risiko wächst bereits ab einem Lebensalter von 50 Jahren, um ab dem 60. Lebensjahr noch deutlich stärker anzusteigen. Die STIKO empfiehlt für Personen ≥ 60 Jahre als Standardimpfung die einmalige Impfung gegen Pneumokokken mit einem Pneumokokken-Polysaccharidimpfstoff (Pneumovax 23®). Einer der tragenden Gründe der STIKO war die geringere Anzahl an Serotypen in dem Konjugatimpfstoff (Prevenar 13®).
Für den Konjugatimpfstoff ist seit kurzem (März 2015) nachgewiesen, dass eine Impfung mit z. B. Prevenar 13® auch bei Erwachsenen nicht nur vor invasiven Pneumokokkenerkrankungen schützt, sondern auch bei Erwachsenen Pneumokokkenpneumonien verhindert. Zudem wird durch den Konjugatimpfstoff eine langanhaltende,T-Zell-gebundene Immunität erreicht, die auch auf der Mukosa besteht und somit auch die asymptomatische Besiedlung durch Pneumokokken reduziert.
Entgegen der nach der STIKO für diese Altersgruppe ausgesprochenen Beschränkung auf den Polysaccharidimpfstoff kommt der Gemeinsame Bundesausschuss zu der Auffassung, dass vor dem Hintergrund der bestehenden Zulassung des 13-valenten Konjugatimpfstoffes bei den ≥ 50-Jährigen für die Indikation "Prävention von invasiven Erkrankungen, die durch Streptococcus pneumoniae verursacht werden" die letztlich durch eine länger zurückliegende Zulassung des Polysaccharidimpfstoffs bedingte Einschränkung des Anspruches für Leistungen durch eine Schutzimpfung gegen Pneumokokken auf einen konkreten Impfstoff nicht mehr gerechtfertigt ist. Mit der Zulassung beruhend auf Studien zur Antikörperbildung (Immunogenität) ist die Wirksamkeit des 13-valenten Konjugatimpfstoffes als belegt anzusehen.
Vor diesem Hintergrund wird der Abschnitt zur Impfung gegen Pneumokokken dahingehend geändert, dass eine explizite Beschränkung auf die Anwendung des Polysaccharidimpfstoffes zur Impfung gegen Pneumokokken für Personen ab 60 Jahren oder Personen, bei denen die wiederholte Impfung gegen Pneumokokken aufgrund einer Immundefizienz oder einer chronischen Nierenkrankheit indiziert ist, entfällt ( http://www.g-ba.de/downloads/40-268-2088/2012-10-18_SI-RL_STIKO-Juli2012_TrG.pdf ). Damit ist der Konjugatimpfstoff auch bei dieser Patientengruppe durch die GKV erstattungsfähig.
Optimaler Schutz für Erwachsene durch sequenzielle Impfung mit beiden Impfstoffen
Der Konjugatimpfstoff hat gegenüber dem Polysaccharidimpfstoff mehrere Vorteile: Er induziert eine boosterfähige (keine Hyporesponsiveness) Immunität, die auch bei chronischen Grunderkrankungen und bei höherem Lebensalter nicht nur vor invasiven Verlaufsformen, sondern auch vor Pneumokokkenpneumonien schützt. Allerdings deckt er weniger Serotypen ab als der Polysaccharidimpfstoff. Bei Patienten mit hohem Risiko kann deshalb vermutlich durch eine sequenzielle Impfung mit beiden Impfstoffen ein optimaler Schutz erreicht werden. Dieses Vorgehen wird von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und der ACCP empfohlen, hat aber – da noch keine ausreichenden Daten zur klinischen Wirksamkeit bei diesem Vorgehen vorliegen – noch keinen Eingang in die aktuellen STIKO-Empfehlungen gefunden. Die Antikörperbildung ist dabei besser ausgeprägt, wenn die 1. Impfung mit dem Konjugatimpfstoff (z. B. Prevenar 13®) erfolgt. Die 2. Impfung (mit dem Polysaccharidimpfstoff (Pneumovax 23®) sollte laut Fachimformation und STIKO-Empfehlung mindestens 2 Monate nach der 1. Impfung erfolgen. Die ACCP empfiehlt einen Abstand von 6 Monaten.
Auffrischimpfungen
Die STIKO empfiehlt Auffrischimpfungen im Abstand von 5 Jahren (Erwachsene und Kinder über 10 Jahre) bzw. 3 Jahren (Kinder unter 10 Jahren) derzeit nur für angeborene oder erworbene Immundefekte einschließlich funktioneller oder anatomischer Asplenie und für Patienten mit chronischen Nierenkrankheiten/nephrotischem Syndrom.
Dr. Andreas H. Leischker, M.A.
Interessenkonflikte: Dr. Leischker hat Honorare/Reisekostenunterstützung von Pfizer, Novartis und Sanofi-Pasteur-MSD erhalten. Er ist Dozent und Mitglied der Akademie des Centrums für Reisemedizin (CRM) Düsseldorf
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2016; 38 (1) Seite 45-48