Die Differenzialdiagnose der Störungen im Bewegungsapparat von Kindern und Jugendlichen ist enorm breit. Sie reicht vom (relativ einfachen) Trauma über Infektionen, verschiedenste Formen von Anlage- und Wachstumsstörungen, Neoplasien, Stoffwechselerkrankungen und Autoimmunerkrankungen bis zur psychosomatischen Störung und schließt auch so rätselhafte Erscheinungen wie die sogenannten "Wachstumsschmerzen" mit ein. Woran kann man rheumatische Erkrankungen erkennen und wie stellt man frühzeitig die richtigen Abklärungsweichen?

Beschwerden im Bewegungsapparat sind relativ häufig im Kindes- und Jugendalter. Insgesamt werden bei zirka 6 bis 8 % aller Konsultationen in der Praxis Schmerzen, Hinken oder Gehverweigerung als Hauptgrund angegeben [1, 2].

Dabei lässt sich eine deutliche Altersabhängigkeit feststellen, bei älteren Kindern und Jugendlichen ist der Bewegungsapparat sogar in bis zu einem Drittel der Fälle der Konsultationsgrund.

Die therapeutischen Möglichkeiten haben sich gerade für die rheumatischen Krankheiten in den letzten zwei Jahrzehnten ganz wesentlich verbessert, sodass die leider immer noch allzu oft beobachtete Verzögerung bei Diagnose und Therapie der juvenilen Arthritis immer weniger toleriert werden kann. Foster et al. fanden in einer 2007 publizierten Studie, dass von den ersten Symptomen bis zur definitiven Diagnosestellung durch einen Kinderrheumatologen im Mittel eine Zeitspanne von 20 Wochen verstrich, nicht selten aber dauerte es sogar über ein Jahr, mit erheblichen Konsequenzen für den Zustand der Gelenke bei Diagnosestellung [3]. Wie lässt sich diese Zeit verkürzen?

Vielfältige Symptomatik

Der Erkrankungsgipfel der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) liegt im Vorschulalter (Abb. 1). Gerade bei den kleinen Kindern kommt diese Differenzialdiagnose infrage, und gerade bei ihnen ist es häufig besonders schwierig, die Arthritis zu erkennen und von anderen Affektionen, insbesondere infektiösen Erkrankungen, zu unterscheiden.

Der Beginn einer juvenilen Arthritis kann außerordentlich unterschiedlich sein. Bei manchen Kindern tritt eine plötzliche, oft sehr schmerzhafte Gelenkschwellung auf, die differenzialdiagnostisch an ein unbemerktes Trauma oder eine septische Arthritis/Osteomyelitis denken lässt und auch entsprechend abgeklärt werden muss. Diese Kinder und Jugendlichen kommen in der Regel notfallmäßig zum Arzt, meistens nicht nur mit Schmerzen, sondern zusätzlich mit Hinken oder Gehverweigerung. Bei der Untersuchung findet man entsprechende Befunde wie schmerzbedingte Funktionseinschränkungen, lokale Schwellung und Überwärmung sowie im Labor oft deutliche Entzündungszeichen. Diese Arthritis wird nicht verpasst. Die Schwierigkeit bei einer solchen Präsentation liegt eher darin, dass die Präsentation so akut ist, dass eine Infektion differenzialdiagnostisch im Vordergrund steht und fast immer eine antibiotische Behandlung erfolgt.

Die Besserung stellt sich darunter oft ein, und die Herausforderung besteht im weiteren Verlauf eher darin, erneut an die Möglichkeit einer rheumatischen Erkrankung zu denken, wenn die Symptome trotz Behandlung mehr als sechs Wochen persistieren oder im Verlauf rezidivieren.

Bei anderen Kindern ist der Beginn weniger akut und wird deshalb oft während Tagen oder Wochen mit Hausmitteln behandelt, bevor schließlich wegen des verzögerten Heilungsverlaufs ein Arzt konsultiert wird. Bei sehr kleinen Kindern, die ihre Schmerzen noch nicht richtig verbalisieren können und/oder bei einem subakuten Beginn mit symmetrischem Gelenkbefall fällt den Eltern oft zuerst ein verändertes Verhalten ihres Kindes auf: Es bleibt am Morgen im Bett liegen, ist weinerlich, unlustig, wirkt krank und will ständig auf dem Arm herumgetragen werden. Erst im Laufe des Vormittags wird es langsam sein normales Spielverhalten wieder aufnehmen und herumlaufen. Im weiteren Tagesverlauf wirkt es vielleicht sogar ganz gesund und normal. Dieses Kind zeigt die typischen Symptome einer Morgensteifigkeit, aber die Eltern können das Verhalten als "Macke" interpretieren und ein erzieherisches statt ein medizinisches Problem darin sehen. Sie berichten davon meistens erst auf gezieltes Fragen. Erst wenn sich nach einigen Wochen zunehmende Kontrakturen entwickeln, wird die Krankheit offensichtlich und ein Arzt wird konsultiert (Abb. 2).

Als – glücklicherweise seltenes, aber doch immer wieder zu beobachtendes – Extrembeispiel gibt es auch Kinder, bei denen zwar ein polyartikulärer Gelenksbefall praktisch aller großen und kleinen Gelenke besteht, der aber so schleichend begonnen hat, dass auch größere Kinder sich an den Beginn nicht genau erinnern können. Die Symptome bestehen aus einer langsam zunehmenden Bewegungseinschränkung und Kraftlosigkeit, ohne ins Auge springende Schwellung der Gelenke, ohne subjektive Schmerzen und vor allem teilweise auch ohne irgendwelche systemische Entzündungszeichen im Labor. Ein Mädchen kam erst, als es wegen der Steifigkeit und Kraftlosigkeit seiner Finger die Fahrradbremse nicht mehr betätigen konnte, ein anderes konnte beim Schreiben von Prüfungen nicht mehr mithalten oder einen Türknopf nicht mehr drehen.

Auch der Beginn einer rheumatischen Erkrankung mit nur einer Enthesitis – einer Entzündung an der Ansatzstelle von Sehnen/Muskeln/Faszien am Knochen – kann häufig irreführend sein. Am häufigsten ist der Ansatz der Achillessehne am Calcaneus von einer Enthesitis betroffen, was bei Jugendlichen nicht einfach von einer Apophysitis calcanei unterschieden werden kann. Nur wenn man Enthesitiden auch an anderen typischen Lokalisationen sucht und findet (Ansatz der Plantaraponeurose, Trochanter major, Ansatz der Fascia lata usw.), hat man gute Gründe, eine rheumatische Krankheit zu vermuten. Neben den klinischen Befunden kann hier aber auch eine positive Familienanamnese für Spondylarthritis oder andere HLA-B27-assoziierte Erkrankungen weiterhelfen.

Schmerzen

Landläufig werden Schmerzen als typisches Symptom einer rheumatischen Erkrankung angesehen. Bei Erwachsenen stehen bei rheumatischen Erkrankungen tatsächlich auch meistens die Schmerzen im Vordergrund der Beschwerden, und so erfolgen auch die meisten Zuweisungen in eine kinderrheumatologische Sprechstunde wegen Schmerzen im Bewegungsapparat.

McGee et al. sind in einer 2002 publizierten Studie der Frage nachgegangen, welche Symptome bei 414 Neuzuweisungen tatsächlich mit einer rheumatologischen Diagnose assoziiert waren [4]. Von den 414 Patienten wurden 226 wegen Schmerzen als Leitsymptom zugewiesen, davon war bei 111 der Schmerz das alleinige Symptom. Die Autoren kommen zum Schluss, dass – ganz entgegen der generellen Wahrnehmung – Schmerzen als Leitsymptom die Wahrscheinlichkeit einer entzündlich rheumatischen Diagnose signifikant senkten!

Hingegen waren Befunde wie Schwellungen oder Funktionseinbußen (Hinken, Bewegungseinschränkung) deutlich stärker mit einer rheumatologischen Diagnose assoziiert.

Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen jeder kinderrheumatologischen Sprechstunde: Bei Kindern, welche wegen unerklärlicher, anhaltender oder rezidivierender Schmerzen zugewiesen werden und keine zusätzlichen Symptome wie Funktionseinbußen oder (auf einem Foto erkennbare) Schwellungen haben, wird praktisch nie eine entzündlichrheumatische Erkrankung diagnostiziert. Das heißt aber nicht, dass die Kinder mit Arthritis keine Schmerzen haben. Arthritis tut weh, bei Kindern wie bei Erwachsenen!

Das Ausmaß der empfundenen Schmerzen ist bei Kindern wie bei Erwachsenen individuell sehr unterschiedlich und erstaunlich wenig hilfreich für die Entscheidung, wie schwerwiegend das Geschehen ist. Vor allem aber haben Kinder, besonders die jüngeren, entwicklungsbedingt eine weniger gute Körperwahrnehmung und eine weniger gute sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Es geht ihnen nicht gut, aber sie können den Schmerz schlecht lokalisieren und schlecht schildern. Hingegen sind sie meisterhaft darin, schmerzhafte Bewegungen zu vermeiden oder ihnen auszuweichen, und sie finden alternative Möglichkeiten, zu ihren Zielen zu kommen.

Damit haben sie natürlich tatsächlich weniger Schmerzen, dafür laufen sie merkwürdig oder hinken (oder verweigern das Laufen völlig), oder sie stützen sich zum Beispiel plötzlich auf den Ellbogen statt auf die Hand ab, essen und zeichnen mit der anderen Hand und so weiter, und sie entwickeln rasch und von den Erwachsenen fast unbemerkt ausgeprägte Kontrakturen (Abb. 2). Deshalb erfolgt die Zuweisung in diesen Fällen meistens wegen der Bewegungseinschränkung und/oder des Hinkens, manchmal auch wegen einer Schwellung, und eine solche Symptomatik ist dann auch hochverdächtig für ein rheumatisches Geschehen.

Laborwerte

Sehr oft werden Laboruntersuchungen gemacht, wenn an eine rheumatologische Differenzialdiagnose gedacht wird. Leider sind die Resultate für die Beantwortung der Frage "Könnte es Rheuma sein?" enttäuschend. Den Wunsch vieler Eltern, man solle doch "im Blut suchen, ob es Rheuma sein könnte", kann man bis jetzt leider nicht erfüllen! Gerade bei der juvenilen Arthritis ist buchstäblich jedes Resultat möglich: Vom völligen Fehlen jeglicher Entzündungszeichen bis zur schwersten entzündlichen Reaktion kann man alles finden, und auch die Antikörper können positiv oder negativ sein, ohne dass sich damit auf die Diagnose rückschließen lässt [5].

Die Laboruntersuchungen haben natürlich schon ihre Berechtigung, aber sie sind vor allem nützlich, um andere Differenzialdiagnosen, zum Beispiel eine Borreliose oder eine Leukämie, zu suchen oder um beim Vorliegen einer Arthritis den Subtyp der juvenilen Arthritis und das Risiko für eine begleitende Uveitis abzuklären oder eine seltenere rheumatische Erkrankung wie einen juvenilen Lupus erythematodes und andere Kollagenosen oder Vaskulitiden auszuschließen.

Die eigentliche Diagnose einer rheumatischen Erkrankung ist nur in ganz seltenen Ausnahmefällen mit einer Blutuntersuchung möglich! So können ANA (antinukleäre Antikörper) bei Kindern unspezifisch erhöht sein, z. B. im Rahmen eines Infekts. Solche erhöhten Titer haben bei sonst gesunden Kindern keinerlei Bedeutung und müssen auch nicht kontrolliert werden [5, 6]. Das Gleiche gilt auch für die ebenfalls häufig bestimmten Antistreptolysintiter (ASLO), welche ohne vorausgegangene Halsentzündung und bei nur mäßig erhöhten Werten (< 1 000 U/ml) keine diagnostische Bedeutung haben.

Wie soll man in der Praxis vorgehen?

Bei Kindern mit einer akuten Symptomatik muss ein infektiöses Geschehen ausgeschlossen werden. Die initiale antibiotische Therapie muss bei einer septischen Arthritis oder Osteomyelitis immer intravenös erfolgen und sollte erst nach Gewinnung von Material für Kulturen begonnen werden. Das heißt, dass eine stationäre Einweisung erfoderlich ist.

Auch bei einer subakuten Symptomatik muss an ein infektiöses Geschehen gedacht werden. Häufige Differenzialdiagnosen sind hier aber transiente Arthritiden, welche para- und postinfektiös auftreten können und normalerweise innerhalb von Tagen oder wenigen Wochen spontan abklingen. Hier spricht ein wandernder Gelenkbefall für eine transiente Arthritis. Insbesondere beim Fehlen von Entzündungszeichen kann problemlos mit NSAR behandelt und zunächst der weitere Verlauf abgewartet werden.

Wenn Bewegungseinschränkung, Schwellung und Schmerzen länger als vier bis sechs Wochen andauern, sollte eine rheumatologische Beurteilung erfolgen und bei Arthritis, besondere bei Kindern unter sieben Jahren, auch eine ophthalmologische Untersuchung zum Ausschluss einer Uveitis eingeleitet werden.

Zu guter Letzt

Üben Sie die Untersuchung des kindlichen Bewegungsapparates, indem Sie ihn bei jeder Ganzkörperuntersuchung eines Kindes mit untersuchen! Nur wenn Sie geübt sind, können Sie den Normalbereich der Beweglichkeit von Kindern richtig einschätzen und den Bewegungsapparat sicher beurteilen.

Anleitungen dazu finden Sie zum Beispiel online unter http://www.arthritisresearchuk.org/shop/products/publications/information-for-medical-professionals/electronic-media/dvdpgals.aspx

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 19/2015


Literatur
1. de Inocencio J: Musculoskeletal pain in primary pediatric care: analysis of 1000 con - secutive general pediatric clinic visits. Pediatrics 1998; 102 (6): E63.
2. de Inocencio J: Epidemiology of musculoskeletal pain in primary care. Arch Dis Child 2004; 89 (5): 431–434.
3. Foster HE et al.: Delay in access to appropriate care for children presenting with musculoskeletal symptoms and ultimately diagnosed with juvenile idiopathic arthritis. Arthritis Rheum 2007; 57 (6): 921–927.
4. McGhee JL et al.: Identifying children with chronic arthritis based on chief complaints: absence of predictive value for musculoskeletal pain as an indicator of rheumatic disease in children. Pediatrics 2002; 110 (2 Pt 1): 354–359.
5. McGhee JL et al.: Clinical utility of antinuclear antibody tests in children. BMC Pediatr 2004; 4: 13.
6. Cabral DA et al.: Persistent antinuclear antibodies in children without identifiable



Autor:

Prof. Dr. med. Rotraud K. Saurenmann

FMH Pädiatrie, speziell päd. Rheumatologie
Departement Kinder- und Jugendmedizin
Kantonsspital Winterthur
CH-8401 Winterthu

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (20) Seite 34-39