Im Rahmen präventivmedizinischer Maßnahmen, aber auch in Form von individuellen Gesundheitsleistungen werden in Deutschland verschiedene Arten von Check-ups angeboten. Leider findet eine Evaluierung der Maßnahmen häufig nicht statt. Der nachfolgende Artikel setzt sich mit der aktuellen Check-up-Kritik auseinander und fasst die Kriterien für einen "guten Check-up" zusammen.

Die Idee, Krankheiten bereits vor der Entstehung abzuwenden, ist alles andere als neu. Im alten China sind Ärzte nur bezahlt worden, wenn die von ihnen betreuten Menschen gesund blieben. Ein geradezu revolutionärer Gedanke im deutschen Gesundheitssystem von 2015. Dennoch wird in diesen Tagen wieder viel diskutiert über den Begriff Prävention. Glaubt man einer repräsentativen Umfrage der TKK vom November vergangenen Jahres, würden 9 von 10 Patienten Fragen zur Prävention als Erstes mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt besprechen [1].

Unter dem Begriff Prävention lassen sich eine Fülle von Maßnahmen und Initiativen subsummieren. Sie reichen von der Verhältnisprävention wie zum Beispiel dem sehr erfolgreichen Rauchverbot in öffentlichen Räumen bis zur Verhaltensprävention, zum Beispiel in Form regelmäßiger sportlicher Aktivität.

Während die Sekundärprävention zum Ziel hat, das Fortschreiten bereits eingetretener Schäden bzw. die Wiederholung akuter Ereignisse zu verhindern, sieht es die Primärprävention als ihre Aufgabe an, Krankheiten und das damit verbundene Leiden gar nicht erst entstehen zu lassen. Der Gründer der American Heart Foundation Ernest Wynder bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: "Es muss die Aufgabe der Medizin sein, die Menschen so spät wie möglich jung sterben zu lassen." Der Fokus liegt auf der Lebensqualität, nicht auf der Lebensdauer. Eine Reduktion der Mortalität ist ausdrücklich nicht das primäre Anliegen.

Wenig ist evaluiert

Die Möglichkeiten, Messwerte am Menschen zu generieren, sind heutzutage fast unbegrenzt. Stoffwechsel-, Hormon-, Genanalysen, Ganzkörperscans und vieles mehr stehen technisch zur Verfügung, werden angepriesen und durchgeführt. Die allerwenigsten dieser Maßnahmen erfahren eine wissenschaftliche Begleitung und ein Benefit für die Untersuchungsteilnehmer ist häufig – vorsichtig ausgedrückt – unklar.

2012 veröffentlichte die Nordic Cochrane Collaboration ein Review, das zur Schlussfolgerung kam, Check-ups seien generell nutzlos [2]. In die Metaanalyse wurden 14 Studien eingeschlossen. 11 davon begannen bereits zwischen 1960 und 1980 und waren überwiegend reine Screening-Untersuchungen, d. h. es wurden lediglich Laborparameter bestimmt und der Blutdruck gemessen. Eine strukturierte Beratung fand in der Regel nicht statt. Berücksichtigt man zusätzlich die damaligen Möglichkeiten der Blutdruck- und Cholesterintherapie, ist das Ergebnis der Metaanalyse nicht überraschend: Die Mortalität und auch die Morbidität konnten im Beobachtungszeitraum nicht gesenkt werden.

Ein Check-up ist mehr als ein Screening-Programm

Beim modernen Check-up ist das Messen von Parametern nicht Selbstzweck, sondern die Ist-Analyse, auf deren Basis eine strukturierte individuelle Beratung zum Lebensstil und ggf. auch die Empfehlung zu einer medikamentösen Therapie (z. B. Antihypertensiva) erfolgt. Dies bedeutet, ein guter Check-up kostet Zeit. Konkret, realistisch und positiv formulierte Ziele und eine Vorbildfunktion des Arztes erhöhen die Compliance [3].

Forderungen an das Check-up-Programm

Nihil nocere! Jede Maßnahme und jede Laboranalyse gerade bei Gesunden muss unter dem Aspekt der evidenzbasierten Medizin vor der Bestimmung hinterfragt werden:

  • Was sagt die Messung konkret aus?
  • Gibt es eine evidenzbasierte Interpretation des Ergebnisses?
  • Wie sicher ist das Messergebnis?
  • Welche konkreten und praktischen Konsequenzen ergeben sich für den Untersuchungsteilnehmer?
  • Besteht eine Gefährdung durch das Messverfahren?
  • Birgt das Ergebnis die Gefahr weiterer insbesondere gesundheitlich belastender Untersuchungen?

Was umfasst ein guter Check-up?

In seiner aufsehenerregenden "Interheart-Studie", veröffentlicht in "The Lancet" 2004, konnte der Kardiologe Salim Jusuf zeigen, dass Herzinfarkte in bis zu 80 % der Fälle nicht schicksalhaft sind, sondern durch früh messbare und vor allem beeinflussbare Risikofaktoren entstehen [4]. Später wies er dies auch für Schlaganfälle nach [5].

Die Bestimmung dieser Faktoren ist die Basis für ein einfach umsetzbares und kostengünstiges Check-up-Konzept mit einem Fokus auf Herz-Kreislauf-, aber auch Stoffwechselerkrankungen. Als Beratungsgrundlage sind folgende Parameter bzw. Untersuchungen sinnvoll:

  • Familienanamnese
  • Raucheranamnese
  • Bauchumfang
  • Blutdruck in Ruhe
  • Blutzucker nüchtern
  • Gesamt-Cholesterin, HDL-/LDL-Cholesterin
  • Triglyceride
  • Ergometrie bis zur Ausbelastung

Letztere dient dem Messen der Fitness. Laukannen et al. zeigten bereits 2001, dass eine Fitness unterhalb der 25. Altersperzentile ein höheres statistisches Risiko bezogen auf die Gesamtsterblichkeit birgt als das Rauchen einer Schachtel Zigaretten am Tag [6].

In den ESC-Guidelines CVD Prevention von 2012 wird das Belastungs-EKG in der Prävention für alle Menschen mit einem mittleren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfohlen. Einbezogen werden in diese Gruppe ausdrücklich alle, die einer überwiegend sitzenden Tätigkeit nachgehen, insbesondere vor Aufnahme eines Trainings [7]. Bei Ausbelastung lässt sich die VO2max abschätzen [8] und damit die Fitness bewerten.

Der wichtigste Teil des Check-ups

Aufgabe des Arztes ist es, die Untersuchungsergebnisse zu erklären, besser zu visualisieren. Der JBS3-Risikorechner [9]der Joint British Society for the Prevention of Cardiovascular Disease ist dafür ein praxisnahes und einfach zu bedienendes Werkzeug. Der Rechner ist für jedermann frei verfügbar und hat den Charme, über die Momentaufnahme hinaus das Lebenszeitrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzuzeigen. Eindrucksvoll lassen sich die Auswirkungen konkreter Lebensstilveränderungen, zum Beispiel ein "Rauchstopp", auf das persönliche Lebenszeitrisiko ablesen.

Lebensstil bedeutet in erster Linie körperliche Aktivität und Ernährung. Anhand des Rezepts für Bewegung lassen sich die Sportart, Frequenz, Dauer und Intensität von Sport wie ein Medikament "verordnen" [10]. Dabei gilt es, die persönlichen Vorerfahrungen, Vorlieben und die Alltagssituation des Check-up-Teilnehmers zu berücksichtigen. Besonders motivierend sind die Ärzte, die das Sportangebot im Umfeld des Teilnehmers kennen, ggf. mit Sportvereinen oder vergleichbaren Einrichtungen kooperieren und selbst sportlich aktiv sind [11, 12].

Wie für die Empfehlungen zur Bewegung gilt auch für die Ernährungsberatung das Prinzip "so konkret und einfach umsetzbar wie möglich". Die Nationale Versorgungsleitlinie zur Therapie des Diabetes vom März 2013 weist erstmalig darauf hin, dass die Ernährungsberatung individuell erfolgen soll und Menschen mit einer Zuckerstoffwechselstörung oder auch deren Vorstufe darin geschult werden sollen, plasmaglukosesteigernde Lebensmittel zu erkennen [13]. Damit zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Ernährungsberatung ab.

Als Konsequenz aus dem Check-up kann sich neben der Lebensstilmodifikation die Indikation für eine medikamentöse Therapie ergeben. Neben den Cholesterinsenkern sei an dieser Stelle explizit die konsequente, medikamentöse Blutdrucksenkung genannt.

Gute Check-ups zeigen Wirkung

Eigene Daten, vorgestellt auf dem EuroPRevent-Kongress in Lissabon 2015, zeigen, dass bereits eine einmalige Intervention im Sinne des oben genannten Check-up-Konzepts für Teilnehmer mit hohem Lebenszeitrisiko für kardiovaskuläre Erkrankungen effektiv ist (n = 2 812, durchschnittliches Untersuchungsintervall 3,8 Jahre, Reduktion des Lebenszeitrisikos um durchschnittlich 16 % in dieser Gruppe) [14].

Ausschlaggebend für den Nutzen des Check-up-Teilnehmers bleibt die kompetente und engagierte Beratung durch den Arzt.


Literatur- und Quellenverzeichnis
1Pressemitteilung der TKK vom 4.11.2014 (http://m.tk.de/tk/mobil/pressemitteilungen/politik/669102)
2 Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Grønhoj Larsen C, Gøtzsche PC General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease (Review) The Cochrane Library 2012 Issue 10
3Di Loretto C., Fanelli C., Murdolo G. et alii Make your Diabetic Patients Walk Diabetes Care 2005 28:1295-1302
4 Yusuf S INTERHEART: a global case-control study of risk factors for acute myocardial infarction. The Lancet 2004; 364:937-52
5 O’Donnell M, Liu L, Zhang H, et alii Risk factors for ischaemic and intracerebral haemorrhagic stroke in 22 countries (the INTERSTROKE study): a case-control study The Lancet 2010: 376 112-23
6Laukkanen JA, Lakka TA, Rauramaa R, et alii Cardiovascular fitness as a predictor of mortality in men Arch Intern Med 2001: 161; 825-831
7 Perk J, De Backer G, Gohlke H, et alii, European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice (version 2012) European Heart Journal 2012: 33;1635-1701
8 VO2 max [l/min] = 7,8 x KG [kg] + 10,8 x Leistung [Watt] American College of Sports Medicine
9www.jbs3risk.com
10www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/praevention/sport-und-praevention/rezept-fuer-bewegung/
11Jørgensen TK, Nordentoft M, Krogh Jepser How do general practitioner in Denmark promote physical activity Scandinavian Journal of primary health care 2012: 30; 141-146
12Ribera AP, McKenna J, Riddoch C. Physical activity promotion in general practices of Barcelona: a case study Health Education Research Theory and Practice 2006: Vol.21; 538-548
13Kassenärztliche Bundesvereinigung Arbeitgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften Nationale Versorgungsleitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes Version 1.0 13.März 2013
14 Scholl J, Kurz P, Long term benefits of a contemporary health check-up with evidence-based risk communication and motivational coaching - the PF study, Abstract P197, EuroPRevent Lissabon 2015



Autor:

Dr. med. Peter Kurz

Dr. Scholl Prevention First GmbH
80804 München

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (20) Seite 40-41