Typ-1-Diabetes bei Kindern lässt sich bereits in einem sehr frühen Stadium erkennen, in dem noch keine Warnzeichen existieren. Ein solches Risiko-Screening auf der Basis eines Bluttests läuft seit dem 1. Januar 2015 in Bayern. In der Fr1da-Studie „Typ-1-Diabetes früh erkennen – früh gut behandeln“ wird allen Kindern im Alter zwischen 2 und 5 Jahren eine Untersuchung zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes angeboten. Ziel dieser Studie ist es, Typ-1-Diabetes bereits in einem präklinischen Frühstadium zu diagnostizieren und betroffene Kinder und Familien in einem Schulungs- und Vorsorgeprogramm zu betreuen, damit frühzeitig eine optimale Behandlung erfolgt und schwerwiegende Stoffwechselentgleisungen verhindert werden.

In Deutschland sind ca. 30 000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren von Typ-1-Diabetes betroffen [1]. Aktuelle Daten zeigen eine Neuerkrankungsrate von etwa 2 500 Kindern jährlich.

Das plötzliche Auftreten des Typ-1-Diabetes trifft die meisten Familien völlig unerwartet und führt bei vielen Eltern und Kindern zu einer Überforderung und Traumatisierung. Etwa ein Drittel der betroffenen Kinder erleiden eine diabetische Ketoazidose bei Manifestation [2]. Trotz verstärkter Aufklärung ist bisher noch kein Rückgang der Ketoazidose-Prävalenz zu verzeichnen [3]. Nach heutigem Wissensstand ist die diabetische Ketoazidose nicht mehr nur eine Akutkomplikation, sondern birgt auch langfristige Gefahren. So zeigten Studien, dass eine Ketoazidose zu morphologischen Veränderungen des Gehirns sowie zu einer langfristig verminderten Gedächtnis- und Konzentrationsleistung führt [4]. Außerdem wiesen Patienten mit vorangegangener Ketoazidose eine geringere Betazell-Restfunktion, eine schlechtere Stoffwechselkontrolle und einen erhöhten Insulinbedarf auf [5, 6].

Der Typ-1-Diabetes verläuft in verschiedenen Krankheitsstadien (Tabelle 1) [7]. Das präklinische Stadium der Inselautoimmunität ist gekennzeichnet durch das Auftreten von Inselautoantikörpern, die oftmals bereits Jahre vor der klinischen Manifestation des Typ-1-Diabetes im Blut nachgewiesen werden können [8]. Die Inselautoantikörper werden insbesondere gegen 4 Betazell-Antigene gebildet [9–13]:

  • IAA: gegen das Hormon Insulin
  • GADA: gegen das Enzym Glutamat-Decarboxylase (GAD)
  • IA-2A: gegen das Insulinom-assoziierte Antigen-2
  • ZnT8A: gegen den Kationenaustauschtransporter Zinktransporter-8 (ZnT8)

Der Nachweis von mindestens 2 der 4 genannten Inselautoantikörpern zählt dabei als sicheres Diagnosekriterium für einen frühen Typ-1-Diabetes [16]. Es ist davon auszugehen, dass sich das Stadium 1 der Inselautoimmunität – ohne Intervention und Immuntherapie – immer zu einem Stadium 2 (gestörte Glukosetoleranz) und Stadium 3 (symptomatische Hyperglykämie) weiterentwickelt. Der Nachweis einzelner Autoantikörper ist nur mit einem gering erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden. Sind jedoch mindestens 2 Inselautoantikörper (multiple Inselautoantikörper) im Blut nachweisbar, entwickeln annähernd 100 % der Betroffenen im Verlauf einen klinisch-symptomatischen Typ-1-Diabetes [14]. Die Zeitspanne vom erstmaligen Auftreten der Inselautoantikörper (Serokonversion) bis zur klinischen Manifestation variiert von wenigen Monaten bis zu 20 Jahren. Prädiktive Faktoren für eine schnelle Progression sind junges Alter, Reifegrad und Intensität der Immunantwort sowie genotypische Merkmale.

Es ist folglich möglich, durch die serologische Bestimmung von Inselautoantikörpern den Typ-1-Diabetes in einem frühen Stadium zu dia-
gnostizieren, in dem noch keine klinischen Anzeichen der Erkrankung erkennbar sind. Dies bietet wiederum die Möglichkeit für eine medizinische Überwachung sowie frühzeitige Behandlungsschritte, um somit eine diabetische Ketoazidose bei klinischer Manifestation zu vermeiden. So zeigen Veröffentlichungen aus den USA, Deutschland und Schweden, dass durch eine Diabetes-Früherkennung mittels Autoantikörper-Screening Ketoazidosen verhindert werden können [15–17].

Die Fr1da-Studie

Im Rahmen der Fr1da-Studie wird erstmalig ein flächendeckendes Screening zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes im Kindesalter eingeführt. Die Studie bietet die Möglichkeit, betroffene Familien frühzeitig über Krankheitssymptome aufzuklären und dadurch schwerwiegende Stoffwechselentgleisungen bei Manifestation der Erkrankung zu verhindern. Speziell entwickelte Schulungsprogramme sollen auf die Erkrankung vorbereiten und dadurch Unsicherheiten mindern, um von Anfang an ein normales Leben mit Diabetes zu führen. Somit bietet die Fr1da-Studie die erste Präventivschulung im Hinblick auf schwere Stoffwechselentgleisungen für Typ-1-Diabetes im Kindesalter an.

In der Fr1da-Studie können auch erstmals regionale Unterschiede bei der Krankheitsentstehung sowie Assoziationen mit Umwelteinflüssen ermittelt werden. Außerdem ist es zum ersten Mal möglich, die Häufigkeit des frühen Typ-1-Diabetes bevölkerungsbezogen zu untersuchen. Es ist geplant, 100 000 Kinder in Bayern in einem Zeitraum von 12 Monaten auf ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes zu screenen. Die Teilnahme am Früherkennungstest ist im Rahmen der Untersuchungen U7, U7a, U8, U9 oder im Rahmen jedes anderen Kinderarztbesuches im Alter zwischen 2 und 5 Jahren möglich. Für den Test wird eine kapillare Blutprobe benötigt, die auf Inselautoantikörper untersucht wird. Liegen mindestens 2 positive Inselautoantikörper vor, wird die Diagnose Frühstadium des Typ-1-Diabetes gestellt. Das Ergebnis der Untersuchung wird an den behandelnden Arzt übermittelt. Dieser informiert im Falle einer Diagnose die Eltern des betroffenen Kindes und vermittelt den Kontakt zu einem Diabeteszentrum. Werden keine Inselautoantikörper im Blut nachgewiesen, erfolgen keine weiteren Maßnahmen.

Wissen bietet Vorteile

Das frühe Wissen um die Erkrankung bietet den betroffenen Familien zahlreiche Vorteile. Ein Netzwerk aus lokalen Diabetes-Schulungszentren, Diabetesexperten und Psychologen sowie dem Team des Helmholtz Zentrums München schult und berät die Eltern in allen Fragen und hilft ihnen dabei, sich Schritt für Schritt auf den Typ-1-Diabetes, seine Symptome und die notwendige Therapie einzustellen.

Merke: Typ-1-Diabetes ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die mittels Immundiagnostik bereits in einem frühen Krankheitsstadium diagnostiziert werden kann.
Eine frühe Diagnose in einem asymptomatischen Stadium kann schwere Stoffwechselentgleisungen (Ketoazidosen) verhindern, die im Rahmen der Hyperglykämie auftreten können.


Da eine Insulinpflichtigkeit bei 50 % der Kinder in der frühen Phase des Typ-1-Diabetes innerhalb von 5 Jahren und bei 75 % innerhalb von 10 Jahren zu erwarten ist [16], wird ebenfalls das Erlernen von Blutzucker- und Urinzuckermessung vermittelt. Weiterhin erhält jedes Kind einen individuellen Vorsorgeplan, der eine regelmäßige Überprüfung des Glukosestoffwechsels vorsieht. Für zu Hause erhalten die Familien ein Schulungsheft mit eltern- und kindgerechten Erklärungen zum Frühstadium des Typ-1-Diabetes und eine Notfallkarte mit allen wichtigen Informationen über Symptome, pathologische Blutzuckerwerte sowie kostenloser Hotline-Rufnummer.

Darüber hinaus besteht für betroffene Kinder die Möglichkeit, an Präventionsstudien teilzunehmen. Diese untersuchen innovative Ansätze, um die klinische Manifestation des Typ-1-Diabetes zu verhindern. Dazu gehören beispielsweise Studien, die darauf abzielen, eine Toleranz des Immunsystems gegenüber Typ-1-Diabetes-assoziierten Antigenen zu induzieren. Durch eine Antigen-Impfung soll die Immunantwort reguliert werden, um den klinischen Erkrankungsausbruch zu verzögern oder sogar ganz zu verhindern.

Ausblick

Noch ist der Früherkennungstest für Typ-1-Diabetes auf Bayern beschränkt. Jedoch besitzt die Fr1da-Studie Modellcharakter. Bei Erfolg ist eine bundesweite Einführung des Screenings in die Regelversorgung (Aufnahme in U-Reihe) angestrebt. Wie auch bei anderen häufigen Erkrankungen im Kindesalter, die mittels Screening-Untersuchungen erfasst werden, soll damit der häufigsten Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter, dem Typ-1-Diabetes, Rechnung getragen werden, um die Erkennung und die medizinische Versorgung der Betroffenen zu verbessern. Für Verwandte von Patienten mit Typ-1-Diabetes gibt es schon jetzt bundesweit die Möglichkeit, an einem Diabetes-Früherkennungsscreening teilzunehmen.

Weitere Informationen und Registrierungsmöglichkeiten für interessierte Ärzte gibt es unter www.fr1da-studie.de und www.helmholtz-muenchen.de/idf2 sowie www.kompetenznetz-diabetes-mellitus.net/index.php/betroffenen-info/studienuebersicht.


Literatur:
1. Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2013, Hrsg: diabetesDE – Deutsche Diabetes Hilfe
2. Schober E & Fritsch M: Diabetische Ketoazidose bei Kindern und Jugendlichen. J Klin Endokrinol Stoffw 2011; 4 (2): 7–10
3. Neu A, Hofer SE, Karges B, Oeverink R, Rosenbauer J, Holl RW; DPV Initiative and the German BMBF Competency Network for Diabetes Mellitus (2009) Ketoacidosis at diabetes onset is still frequent in children and adolescents: a multicenter analysis of 14,664 patients from 106 institutions. Diabetes Care;32(9):1647-1648
4. Cameron FJ, Scratch SE, Nadebaum C, Northam EA, Koves I, Jennings J, Finney K, Neil JJ, Wellard RM, Mackay M, Inder TE; DKA Brain Injury Study Group (2014) Neurological consequences of diabetic ketoacidosis at initial presentation of type 1 diabetes in a prospective cohort study of children. Diabetes Care;37(6):1554-1562
5. Fernandez Castañer M, Montaña E, Camps I, Biarnes J, Merino JF, Escriba JM, Nacher V, Rosel P, Soler J (1996) Ketoacidosis at diagnosis is predictive of lower residual beta-cell function and poor metabolic control in type 1 diabetes.Diabetes Metab.;22(5):349-355
6. Bowden SA, Duck MM, Hoffman RP (2008) Young children (<5 yr) and adolescents (>12 yr) with type 1 diabetes mellitus have low rate of partial remission: diabetic ketoacidosis is an important risk factor. Pediatr Diabetes;9(3 Pt 1):197-201
7. Achenbach P, Winkler C, Haupt F, Beyerlein A, Ziegler AG (2014) [Predisposition, early stages and phenotypes of type 1 diabetes]. Dtsch Med Wochenschr.;139(21):1100-1104
8. Maclaren NK, Lan MS, Schatz D, Malone J, Notkins AL, Krischer J (2003) Multiple autoantibodies as predictors of Type 1 diabetes in a general population. Diabetologia; 46(6):873-874
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10. Baekkeskov S, Aanstoot HJ, Christgau S, Reetz A, Solimena M, Cascalho M, Folli F, Richter-Olesen H, De Camilli P (1990) Identification of the 64K autoantigen in insulin-dependent diabetes as the GABA-synthesizing enzyme glutamic acid decarboxylase. Nature;347(6289):151-156
11. Rabin DU1, Pleasic SM, Shapiro JA, Yoo-Warren H, Oles J, Hicks JM, Goldstein DE, Rae PM (1994) Islet cell antigen 512 is a diabetes-specific islet autoantigen related to protein tyrosine phosphatases. J Immunol.;152(6):3183-3188
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13. Wenzlau JM, Juhl K, Yu L, Moua O, Sarkar SA, Gottlieb P, Rewers M, Eisenbarth GS, Jensen J, Davidson HW, Hutton JC (2007) The cation efflux transporter ZnT8 (Slc30A8) is a major autoantigen in human type 1 diabetes. Proc Natl Acad Sci U S A.;104(43):17040-17045
14. Ziegler AG, Rewers M, Simell O, Simell T, Lempainen J, Steck A, Winkler C, Ilonen J, Veijola R, Knip M, Bonifacio E, Eisenbarth GS (2013) Seroconversion to multiple islet autoantibodies and risk of progression to diabetes in children. JAMA;309(23):2473-2479
15. Winkler C, Schober E, Ziegler AG, Holl RW (2012) Markedly reduced rate of diabetic ketoacidosis at onset of type 1 diabetes in relatives screened for islet autoantibodies. Pediatr Diabetes;13(4):308-313
16. Elding Larsson H, Vehik K, Bell R, Dabelea D, Dolan L, Pihoker C, Knip M, Veijola R, Lindblad B, Samuelsson U, Holl R, Haller MJ; TEDDY Study Group; SEARCH Study Group; Swediabkids Study Group; DPV Study Group; Finnish Diabetes Registry Study Group (2011) Reduced prevalence of diabetic ketoacidosis at diagnosis of type 1 diabetes in young children participating in longitudinal follow-up. Diabetes Care;34(11):2347-2352
17. Barker JM, Goehrig SH, Barriga K, Hoffman M, Slover R, Eisenbarth GS, Norris JM, Klingensmith GJ, Rewers M; DAISY study (2004) Clinical characteristics of children diagnosed with type 1 diabetes through intensive screening and follow-up. Diabetes Care;27(6):1399-1404


Autorin:

Dr. Christiane Winkler

Institut für Diabetesforschung
Helmholtz Zentrum München
85764 München

Jennifer Raab, Florian Haupt, Katharina Warncke, Stephanie Löbner, Peter Achenbach und Anette-G. Ziegler

Dr. med. Martin Lang, Landesvorsitzender Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, 86150 Augsburg

Otto Laub, 1. Vorstand PaedNetz® Bayern e. V.
83026 Rosenheim

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (19) Seite 22-26