Der demografische Wandel betrifft alle Gebiete der Medizin. Das bedeutet auch für die Nephrologie, dass immer mehr Patienten im vorgerückten Alter mit Multimorbidität zur Behandlung kommen. Erfahren Sie, wie mit altersbedingten Problemen bei geriatrischen Nierenkranken am besten umgegangen werden sollte.

Wir haben es in der Nephrologie mit zunehmend älteren Patienten zu tun, die ihre Eigenheiten haben hinsichtlich Diagnostik einer chronischen Nierenerkrankung, Einsatz von Diagnostik und Therapie sowie Indikation zum Nierenersatz (Dialyse).

Typische Aspekte

Besonders trifft dies für geriatrische Patienten zu, also definitionsgemäß alle Patienten ab dem 80. Lebensjahr oder ab dem 70. Lebensjahr bei Vorliegen geriatrischer Symptome. Nierenerkrankungen sind häufig und nicht selten sind diese prägend. Letztendlich fängt das Problem in dieser Altersgruppe bereits mit der Diagnose einer Nierenerkrankung an.

Nierenerkrankungen bei geriatrischen Patienten

Eine eingeschränkte Nierenfunktion hat eine hohe Prävalenz im Kollektiv der Älteren und ist zudem ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse [1 – 3]. Die Leitlinien der Kidney Disease Improving Global Outcomes (KDIGO)-Organisation definiert eine errechnete oder gemessene glomeruläre Filtrationsrate (GFR) < 60 mL/min/1,73 m2 als eine eingeschränkte Nierenfunktion (altersunabhängig) [4]. Goldstandardverfahren zur Bestimmung der Nierenfunktion sind zum Beispiel die Inulin- oder Iohexolclearance. In der klinischen Praxis wird die Nierenfunktion jedoch nicht direkt gemessen, sondern vielmehr über endogene Biomarker und mittels mathematischer Formeln abgeschätzt. Beruhend auf Untersuchungen an einer gesunden, hauptsächlich kaukasischen US-amerikanischen Kohorte wurde eine jährliche, altersabhängige Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) von ca. 0,75 mL/min/1,73 m2 beobachtet [5, 6].

Die aktuellen KDIGO-Guidelines teilen die Stadien der chronischen Niereninsuffizienz beruhend auf der "estimated glomerular filtration rate" (eGFR) und dem Ausmaß der Albuminurie ein. Eine exakte Einteilung der Stadien hat insbesondere im Hinblick auf die Dosisanpassung einer Pharmakotherapie eine praktische klinische Relevanz. Weiterhin hat die Stadieneinteilung auch prognostische Relevanz. Die Bestimmung der Nierenfunktion ist bei älteren und vor allem bei hochbetagten Menschen (> 80 Jahren) einerseits aufgrund einer möglichen "physiologischen" Abnahme der Nierenfunktion im Alter und andererseits aufgrund nicht gut evaluierter Messparameter nicht trivial. Sowohl die MDRD (Modification of Diet in Renal Diseases)- als auch die CKD-EPI-Formel (Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration) benutzen standardmäßig das Serumkreatinin als Biomarker. Beide Formeln sind jedoch im Kollektiv der älteren Patienten entweder gar nicht (MDRD) oder nur an einer kleinen Personenzahl validiert. Die Bestimmung des Cystatin-C (muskelmasseunabhängiger Biomarker) zur Abschätzung der Nierenfunktion scheint beim älteren Menschen Vorteile zu haben. Seit dem Jahr 2012 stehen uns durch die Ergebnisse der Berliner Initiative Studie (BIS) erstmals Daten zur Abschätzung der Nierenfunktion beim hochbetagten Menschen zur Verfügung [7].

Bedeutung einer eingeschränkten Nierenfunktion bei geriatrischen Patienten

Das Vorliegen einer Nierenerkrankung ist für Patienten, die andere Erkrankungen haben, ein Risikofaktor. Beispielsweise zeigt sich bei orthopädischen Patienten (Altersbereich 27 – 98 Jahre), dass das Vorhandensein einer chronischen Nierenerkrankung einen eindeutigen Einfluss auf die stationäre Aufenthaltsdauer hat [8]. Dazu finden sich vermehrt Komplikationen und weitere Verschlechterungen der Nierenfunktionen.

Neuere Daten zeigen, dass es mit zunehmendem Alter zu einer Reduktion der Nierenrinde kommt – der Bereich, in dem sich die Glomerula befinden. Dies geht parallel mit einer Abnahme der glomerulären Filtrationsrate einher [9]. Neben dem allgemeinen Alterungsprozess führt mit zunehmendem Lebensalter ein Bündel von Krankheiten zu einer weiteren Schädigung der Nieren. Es gehören dazu an erster Stelle die Hypertension und der Diabetes mellitus, aber auch alle klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren, maligne Erkrankungen (multiples Myelom, Amyloidose, Vaskulitiden etc.), Nierenerkrankungen im engeren Sinne und weitere Probleme, die sich im Alter gehäuft finden. Allein die Gruppe der obstruktiven Uropathien mit Abflussstörungen summiert sich, sodass es mit zunehmendem Lebensalter zu einer Veränderung der Nierengefäße kommt (arterielle Sklerose), zu einer vermehrten Hypoxie und Ischämie der Nierenrinde, die dann in einer Gesamtheit zu einer glomerulären Sklerose, einer tubulären Atrophie und einer interstitiellen Fibrose mit zunehmender Einschränkung der Nierenfunktion führt [10]. Im Sinne eines Feed-forward-Mechanismus wird über die Minderperfusion der Niere die zunehmende Einschränkung der Nierenfunktion über die entsprechenden Regulationsmechanismen und eine Hypertension verstärkt.

In der Summe besteht dann auch ein erhöhtes Risiko für ein akutes Nierenversagen bei geriatrischen Patienten, was zusätzlich durch Faktoren wie Hypovolämie, Inflammation, septische Komplikationen und Expositionen nephrotoxischer Medikamente verstärkt wird.

Akute Schädigungen der Niere werden gemäß der KDIGO-Klassifikation eingeteilt. Speziell für ältere Patienten konnte gezeigt werden, dass mit zunehmender Schädigung der Niere im Rahmen eines akuten Nierenversagens die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich abnimmt. Geriatrische Patienten mit einem akuten Nierenversagen haben damit auch ein deutlich erhöhtes Risiko, im Krankenhaus zu versterben. Beispielsweise findet sich bei über 76-jährigen Patienten mit einem akuten Nierenversagen, wenn dies zu einer Verdreifachung des Kreatinins bzw. einer Kreatininerhöhung > 4 mg/dl führt bzw. einem Abfall der Urinproduktion < 0,3 ml/h über 24 Stunden, ein um den Faktor 6,33 erhöhtes Mortalitätsrisiko [11].

Aber auch chronische Nierenerkrankungen sind bei älteren, insbesondere geriatrischen Patienten deutlich erhöht. Zum Beispiel findet sich in der Altersgruppe der 75- bis 84-Jährigen in 40 % eine eingeschränkte Nierenfunktion (GFR < 16 ml/min), bei 85- bis 100-Jährigen in 50 % [12]. Die Mortalität wiederum ist in Abhängigkeit vom Stadium der Nierenfunktionseinschränkung deutlich erhöht. Bei 85- bis 100-Jährigen korreliert die Einschränkung der Nierenfunktion eindeutig mit der Mortalität. Dies trifft in abgeschwächter Form auch für 75- bis 84-jährige und 65- bis 74-jährige Patienten zu.

Dialyse bei geriatrischen Patienten

Erreichen geriatrische Patienten die Dialysepflichtigkeit, so stellt sich die Frage, ob diese von einer Dialyse profitieren. Auch hier gibt es eindeutige Daten, die zeigen, dass ohne Dialysen das Überleben deutlich reduziert ist [13].

Bereits zuvor (vor Auftreten einer Dialysepflichtigkeit) stellt sich oft die Frage, ob bei älteren Patienten eine Nierenbiopsie bei entsprechender Indikationsstellung überhaupt noch sinnvoll ist. Daten in der Vergangenheit zeigten, dass bei Durchführung einer solchen Biopsie in einem hohen Prozentsatz eine rasch progrediente Glomerulonephritis diagnostiziert wird [14]. Dies betraf die Gruppe der über 80-jährigen Patienten. Damit muss eine Biopsie bei älteren Patienten durchaus erwogen werden.

Spezielle geriatrische Aspekte

Geriater führen sehr häufig für diese Patientenpopulation Vereinfachungen durch. Eine der beliebtesten Vereinfachungen ist die Einteilung in sogenannte "Go Go‘s", "Slow Go‘s" und "No Go‘s" (Tabelle 1). Die Prinzipien der geriatrischen Beurteilung orientieren sich an einer Unterstützungsfunktion für Wohlbefinden und Unabhängigkeit. Der Fokus ist auf funktionellen Erhalt und Verrichtung gerichtet. Zu den rein medizinischen Aspekten kommen kognitive, psychologische und soziale Dimensionen hinzu. Das Vorgehen ist ein multidisziplinäres. Ziel ist immer der Erhalt der Lebensqualität. Eine geriatrische Beurteilung erhebt deshalb nicht nur den medizinischen Status, sondern insbesondere auch den funktionalen und den psychosozialen Status. Daraus abgeleitet werden Behandlungsplan und Vorgehen (Tabelle 2).

Eines der Hauptthemen der Geriatrie ist die Hinfälligkeit von Patienten ("Frailty"). Es gibt auch für die Dialysepopulation Studien, welche die Signifikanz dieser Hinfälligkeit untersuchen. Fried und Kollegen haben dafür ein diagnostisches Vorgehen empfohlen [15]. Dieses orientiert sich an den Kriterien Gewichtsverlust, muskuläre Schwäche, allgemeine Schwäche, geringe körperliche Aktivität und langsame Gehgeschwindigkeit. Das Vorhandensein von drei oder mehr dieser Kriterien definiert dann die Hinfälligkeit. Mit diesem Tool wurde eine Dialysepopulation von über 3 000 Patienten untersucht. Es fand sich in 2/3 der Fälle eine Hinfälligkeit orientiert an diesen Diagnosekriterien. In einer weiteren Arbeit wurde untersucht, inwiefern eine Spätbetreuung durch den Nephrologen bei älteren Patienten (≥ 75 Jahre) den Verlauf der Dialyse beeinflusste [16]. Es konnte deutlich gezeigt werden, dass insbesondere für über 80-jährige Patienten, aber auch darunter, eine nephrologische Betreuung mindestens acht Wochen vor Dialyse einen signifikanten Einfluss auf harte Endpunkte wie beispielsweise Mortalität hatte.

Ein weiterer Aspekt, der zunehmend mehr in das Bewusstsein der betreuenden Nephrologen kommt, ist die Beeinträchtigung zerebraler Funktionen bei eingeschränkter Nierenfunktion. In einer Arbeit mit über 20 000 Patienten konnte gezeigt werden, dass in Abhängigkeit von der Nierenfunktion in einem hohen Prozentsatz (20 % bei GFR < 20 ml/min) eine entsprechende zerebrale Beeinträchtigung vorliegt [17]. In einem Viertel der Fälle war bereits eine zerebro-vaskuläre Erkrankung zu diagnostizieren.

Damit kommen viele Aspekte, die den Geriater beschäftigen, in gleicher Weise und verstärkt bei nephrologischen Patienten zur Anwendung. Das Fach der Nephrologie muss sich also der Geriatrie gegenüber öffnen und die Subspezialität geriatrische Nephrologie als wesentlichen Aspekt heutiger nephrologischer Versorgung verstehen. Entsprechend der vorhandenen Lebenserwartung und der Lebensqualität muss sich die geriatrische Nephrologie an den Vorgehensweisen der Geriatrie orientieren.

Nephrologische Patienten mit einem hohen chronologischen Alter, Multimorbidität, Vorliegen von Erkrankungen mit limitierter Lebensprognose (beispielsweise Herzinsuffizienz NYHA IV, maligne Erkrankungen, Demenz), ausgeprägten funktionellen Einschränkungen und Vorliegen von geriatrischen Syndromen (Hinfälligkeit) haben in diesem Stadium dann eher Symptomkontrolle und maximale Lebensqualität als Therapieziel.

Palliative Nephrologie

Es gibt in dem Bereich der geriatrischen Nephrologie dann auch breite Überschneidungen zum Themenkomplex palliative Nephrologie. Eine Möglichkeit des Vorgehens, um diese Patientenpopulation sicher zu identifizieren, könnte darin bestehen, wie von Jassal vorgeschlagen, dass man sich die einfache Frage stellt: "Wäre ich überrascht, wenn der Patient innerhalb des nächsten Jahres versterben würde?" [18]. Wenn die Antwort "Nein" ist, könnte eine palliative Situation bestehen. Dies ist ein Vorgehen, das viele Dinge letztendlich vielleicht zu sehr vereinfacht. Auf der anderen Seite würde es helfen, unnötige Therapien, die dann häufig auch zu einem Verlust an Lebensqualität führen, nicht unkritisch einzusetzen.

Nachdruck aus "Der Nierenarzt" 2/2015


Literatur
1. Coresh J, Astor BC, Greene T, Eknoyan G, Levey AS. Prevalence of chronic kidney disease and decreased kidney function in the adult US population: Third National Health and Nutrition Examination Survey. Am J Kidney Dis 2003;41:1-12.
2. Anavekar NS, McMurray JJ, Velazquez EJ, et al. Relation between renal dys-function and cardiovascular outcomes after myocardial infarction. N Engl J Med 2004;351:1285-95.
3. Anavekar NS, Pfeffer MA. Cardiovascular risk in chronic kidney disease. Kidney Int Suppl 2004:S11-5.
4. Levey AS, de Jong PE, Coresh J, et al. The definition, classification, and prog-nosis of chronic kidney disease: a KDIGO Controversies Conference report. Kidney Int 2011;80:17-28.
5. Davies DF, Shock NW. Age changes in glomerular filtration rate, effective renal plasma flow, and tubular excretory capacity in adult males. J Clin Invest 1950;29:496-507.
6. Lindeman RD, Tobin J, Shock NW. Longitudinal studies on the rate of decline in renal function with age. J Am Geriatr Soc 1985;33:278-85.
7. Schaeffner ES, Ebert N, Delanaye P, et al. Two novel equations to estimate kidney function in persons aged 70 years or older. Ann Intern Med 2012;157:471-81.
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10. Zhou XJ, Rakheja D, Yu X, Saxena R, Vaziri ND, Silva FG. The aging kidney. Kidney Int 2008;74:710-20.
11. Chao CT, Wu VC, Lai CF, et al. Advanced age affects the outcome-predictive power of RIFLE classification in geriatric patients with acute kidney injury. Kidney Int 2012;82:920-7.
12. O‘Hare AM, Bertenthal D, Covinsky KE, et al. Mortality risk stratification in chronic kidney disease: one size for all ages? J Am Soc Nephrol 2006;17:846-53.
13. Joly D, Anglicheau D, Alberti C, et al. Octogenarians reaching end-stage renal disease: cohort study of decision-making and clinical outcomes. J Am Soc Nephrol 2003;14:1012-21.
14. Moutzouris DA, Herlitz L, Appel GB, et al. Renal biopsy in the very elderly. Clin J Am Soc Nephrol 2009;4:1073-82.
15. Johansen KL, Chertow GM, Jin C, Kutner NG. Significance of frailty among dialysis patients. J Am Soc Nephrol 2007;18:2960-7.
16. Schwenger V, Morath C, Hofmann A, Hoffmann O, Zeier M, Ritz E. Late refer-ral--a major cause of poor outcome in the very elderly dialysis patient. Nephrol Dial Transplant 2006;21:962-7.
17. Kurella Tamura M, Wadley V, Yaffe K, et al. Kidney function and cognitive im-pairment in US adults: the Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke (REGARDS) Study. Am J Kidney Dis 2008;52:227-34.
18. Jassal SV, Watson D. Dialysis in late life: benefit or burden. Clin J Am Soc Nephrol 2009;4:2008-12.



Autor:

Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher

Robert-Bosch-Krankenhaus
70376 Stuttgart

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (17) Seite 56-63