Typ-1- und Typ-2-Diabetes haben eine völlig unterschiedliche Pathogenese, was auch in unterschiedliche Therapieempfehlungen mündet. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, die auch für die Praxis relevant sind. Schließlich soll in diesem Beitrag auch auf den sogenannten Typ-3-Diabetes und seine Bedeutung für die beiden anderen Typen eingegangen werden.

Die eigentlichen Erbfaktoren für beide Diabetesformen sind nur unvollkommen erforscht. Es gilt die Regel, dass der Typ-2-Diabetes penetranter vererbt wird als der Typ-1-Diabetes. Allerdings hat sich in jüngster Zeit gezeigt, dass bei genügend langer Beobachtung von Typ-1-Patienten auch die hereditäre Durchschlagskraft deutlich erhöht ist.

Vererbung: Wie hoch ist das Risiko?

Bei den für die Forschung so wichtigen eineiigen Zwillingen galt ursprünglich die Regel, dass bei Typ-1-Diabetes des einen Zwillings nur eine 35 %ige Wahrscheinlichkeit besteht, dass der andere Zwilling im Laufe des Lebens einen Typ-1-Diabetes entwickelt. Demgegenüber haben Untersuchungen von Eisenbarth und Soeldner gezeigt, dass bei jahrzehntelanger Beobachtung solcher Zwillinge doch eine Konkordanz von 60 % festzustellen ist. Bei eineiigen Zwillingspaaren mit Typ-2-Diabetes hat man allerdings mit einer annähernd 100 %igen Konkordanz zu rechnen, wenn diese Menschen nur genügend alt werden.

Typ-2-Diabetes

Zwei Faktoren bestimmen die Pathogenese des Typ-2-Diabetes: die meist vorhandene Insulinresistenz, also eine Unterempfindlichkeit gegen körpereigenes bzw. extern verabreichtes Insulin, und das zunehmende Defizit der endogenen Insulinproduktion. Letzteres Phänomen tritt schon bei Krankheitsbeginn, also früher auf, als man es vor Jahren noch gedacht hat. Typ-2-Patienten durchlaufen meist ein längeres prädiabetisches Stadium, das als metabolisches oder besser metabolisch-vaskuläres Syndrom bezeichnet wird. Hier kommen bekanntlich zur Insulinresistenz Hypertonie, Dyslipoproteinämie, Fettleber, Gerinnungsstörungen, gestörte Glukosetoleranz und vor allem die androide, viszerale Stammfettsucht (als wichtigster Risikofaktor) hinzu. So verwundert es nicht, dass Typ-2-Patienten bei der Diagnose ihrer Erkrankung bereits in einem hohen Prozentsatz makrovaskuläre Schäden aufweisen. Fehlgedeutet wurde über Jahre die bei Typ-2-Diabetikern anfänglich ausgeprägte Hyperinsulinämie. In Wirklichkeit ist diese Hyperinsulinämie aber eine relative Hypoinsulinämie. Denn einen gewissen Teil an Insulin vermag die Bauchspeicheldrüse noch kompensatorisch zur Verfügung zu stellen, aber nicht genug, um dem Blutzuckeranstieg als Folge der Insulinresistenz zu begegnen. Die Therapie des Typ-2-Diabetes besteht aus relativ fettreicher und eher kohlenhydratarmer, stets aber kaloriengerechter, d. h. bei dem meist vorhandenen Übergewicht kalorienknapper Kost, Bewegungstherapie, später aus oralen Antidiabetika oder auch Insulin, evtl. kombiniert mit Tabletten im Sinne einer basal unterstützten oralen Therapie (BOT) oder aus einer Kombination von Inkretinbasierten Substanzen mit Insulin (ISI).

Typ-1-Diabetes

Demgegenüber hat der Typ-1-Diabetes zumeist eine völlig andere Pathogenese aufzuweisen. Hier zerstört der Organismus auf humoralem und zellulärem Wege die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse und bewirkt innerhalb kurzer Zeit einen absoluten Insulinmangel. So beträgt die aktive Inselzellmasse bei Manifestation eines Typ-1-Diabetes nur noch 10 %. Die Therapie umfasst kaloriengerechte Kost, stets Insulin, auch als Pumpe, im Sinne einer intensivierten Insulintherapie (ICT).

Typ-3-Diabetes

Unter dem Typ-3-Diabetes versteht man nach neuester Nomenklatur sämtliche Diabetesformen, die man früher als sekundären Diabetes bezeichnet hat, z. B. bei hormonellen Störungen oder unter dem Einfluss bestimmter Medikamente. Dieser Diabetes unterscheidet sich grundsätzlich vom Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Wichtig zu wissen: Menschen, die relativ früh – etwa unter einer Kortisongabe – einen Diabetes entwickeln, haben ein höheres Risiko, dass sich später dauerhaft ein Diabetes manifestiert. Insofern könnte man die Kortisontherapie als Provokationstest im Hinblick auf einen später sich dauerhaft manifestierenden Typ-2-Diabetes ansehen.

Gemeinsamkeiten

Gibt es nun Gemeinsamkeiten von Typ-1- und Typ-2-Diabetes? In der Pathogenese wurden neue Erkenntnisse über Schäden im Zinktransportersystem der Bauchspeicheldrüse bekannt, was beiden Diabetestypen gemeinsam zu sein scheint. Zudem richtet der "Schädling Glucose" (O. H. Wieland) seine Schäden bei beiden Diabetestypen an, und auch beim Typ-3-Diabetes. Gerade für Letzteren bestand früher die Ansicht, dass die Folgeschäden wegen der bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes offenbar vorhandenen, zusätzlichen genetischen Faktoren beim Typ-3-Diabetes nicht vorkommen. Dies ist aber falsch: Wenn die Patienten genügend lang unter einer Hyperglykämie leiden, entwickeln auch Typ-3-Diabetiker – vielleicht wegen der wohl fehlenden Genetik etwas weniger – mikrovaskuläre und neuropathische Schäden sowie auch eine verstärkte Atherosklerose.

Mikro- und Makroangiopathie

Der Standpunkt, dass die Mikroangiopathie nur für den Typ-1- und die Makroangiopathie nur für den Typ-2-Diabetes gilt, ist überholt und falsch, wird aber immer wieder ins Feld geführt: Typ-2-Patienten erleiden in gleicher Weise eine Mikroangiopathie, wenn der Diabetes – vor allem bei schlechter Einstellung – lange genug andauert, und Typ-1-Diabetiker mit langer Lebensdauer bekommen gehäuft auch kardiovaskuläre Komplikationen. Besonders gefürchtet ist das vermehrte Auftreten von solchen Schäden bei gleichzeitig vorhandener Nephropathie.

Trotzdem sind die Unterschiede in der Pathogenese des Typ-1- und Typ-2-Diabetes bedeutsam, da sie natürlich Therapieunterschiede bedingen (s. o.). Typ-1-Diabetiker erhalten eine intensivierte, sofort einsetzende Insulintherapie, aber eben auch eine kaloriengerechte Kost, da immerhin 50 % dieser Patienten übergewichtig sind bzw. werden. Bei Typ-2-Patienten stehen unter Berücksichtigung von Übergewicht und Bewegungsmangel die Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie eine adäquate orale Therapie und nicht zu spät auch eine Insulinbehandlung zunächst als BOT oder ISI (siehe oben) im Vordergrund.

Wichtig sind für beide Diabetestypen die eben erwähnten Lebensstiländerungen, da die Typ-2-Patienten zu 85 % und die Typ-1-Diabetiker (nur anfänglich stets mit Normal- oder Untergewicht) immerhin – wie erwähnt – zur Hälfte übergewichtig oder adipös sind.



Autor:
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert
Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (17) Seite 31-32