Die Vermutung, dass diabetische Ketoazidosen sowie das eigentliche Coma diabeticum heutzutage nicht mehr auftreten, ist irrig. Man sollte annehmen, dass Patienten mit bereits diagnostiziertem Diabetes, vor allem vom Typ 1, vor solchen gravierenden Ereignissen geschützt sind, weil eine gründliche Schulung vorangegangen ist und regelmäßige Blutzuckerselbstkontrollen stattfinden. Auch sollte man meinen, dass angesichts der gravierenden Initialsymptome mit Polyurie, Exsikkose, Bewusstseinstrübung und extremem Durst und angesichts der heutzutage in der Allgemeinheit doch vorhandenen medizinischen Kenntnisse die Betroffenen die "bedrohliche Zuckerkrankheit" erkennen müssten. Leider sieht die Realität aber nicht so aus, da immerhin 4 – 9 % aller Krankenhausaufnahmen von Diabetikern wegen einer diabetischen Ketoazidose erfolgen. Die Erstmanifestation des Typ-1-Diabetes wird sogar in 25 – 40 % von einer ausgeprägten Ketoazidose begleitet.

Für den Allgemeinarzt ist es wichtig, die Ursachen der diabetischen Ketoazidose (DKA) zu erkennen, nicht nur für die spätere Vermeidung solcher Situationen, sondern auch schon für die akute Diagnose. Gar nicht selten kommen Fehler des Patienten bei der Stoffwechselführung vor wie eine Reduzierung oder gar das Weglassen der Insulindosis, was insbesondere bei Infektionen und vor allem bei gastrointestinalen Infekten gefürchtet ist und immer wieder beobachtet wird.

"Wenn ich nichts esse, dann darf ich auch kein Insulin spritzen" ist der Irrglaube solcher Diabetiker. Die erste Frage soll also bei dem womöglich somnolenten, aber noch ansprechbaren Patienten darauf abzielen, ob er an seiner Insulindosis etwas geändert hat. Stresssituationen, wie man sie nach Herzinfarkt, bei Pankreatitis oder infolge Alkoholabusus erlebt, werden ebenfalls als auslösende Faktoren gefürchtet, während blutzuckererhöhende Medikamente im allgemeinen nicht eine solche entscheidende Rolle spielen. Eher noch muss man daran denken, dass Patienten wegen der Befürchtung, unter Insulin zuzunehmen oder aus Angst vor Hypoglykämien die Insulindosis massiv reduzieren.

Technische Fehler bei der Insulinpumpentherapie sind bei den Fortschritten, die auf diesem Gerätesektor gemacht wurden, eher selten. Immer wieder sollte aber der Hausarzt daran denken, dass nicht nur frisch manifestierte Typ-1-Diabetiker und Typ-1-Diabetiker mit länger bestehendem Diabetes, sondern auch Typ-2-Patienten, vor allem in späteren Stadien mit dem dann sich bemerkbar machenden progredienten endogenen Insulinmangel, für eine DKA in Betracht kommen.

Bei der Anamnese von Typ-1-Patienten sind die oben erwähnten klassischen Diabetessymptome hilfreich, die bei Beginn der Erkrankung praktisch zu 100 % vorhanden sind (während sie beim Typ-2-Diabetes nur in einem Drittel der Fälle bei der Manifestation bemerkt werden). Wenn die ketoazidotische Stoffwechselentgleisung schon etwas länger besteht, wird der Patient auch über eine von ihm nicht gewollte Gewichtsabnahme berichten, die natürlich mit den Wasser-, Elektrolyt- und Glukoseverlusten zu erklären ist. Auch wird die Muskulatur unter Insulinmangel förmlich "eingeschmolzen". Abdominelle Beschwerden aufgrund einer Pseudoperitonitis können auf eine falsche Fährte lenken. Nicht selten kommt es dann zu Operationen wegen einer angeblichen Appendizitis. Muskelkrämpfe sind nicht selten, ebenso eine Hypotonie und Tachykardie.

Ambulante Diagnostik

Zur Diagnose der DKA dienen dem Hausarzt in der Regel zwei Laborbefunde: einmal die Messung des häufig extrem erhöhten Blutzuckerwertes (bei hyperosmolarem Koma vor allem bei Typ-2-Diabetikern sind diese Werte in der Regel sogar noch höher) und das Feststellen einer Azetonurie (die bei hyperosmolarem Koma fehlen kann). Das klinische Bild ist – wie oben geschildert – mit den klassischen Diabetessymptomen ein entscheidender Hinweis für die Diagnose und auch für die Prognose.

Weiteres Vorgehen

Der Allgemeinbefund ist hier entscheidend für das weitere Vorgehen des Hausarztes. Natürlich wird er den komatösen Patienten und auch den womöglich somnolenten, aber noch nicht bewusstlosen Diabetiker sicherheitshalber in die Klinik einweisen. Andererseits kann aber bei entsprechender Kooperation auch ein gemeinsames Vorgehen mit dem Patienten zur Bekämpfung der DKA ohne stationären Aufenthalt erfolgen. Ist ein stationärer Aufenthalt geplant, sind rasche Interventionen des Hausarztes noch vor Eintreffen des Notarztes oder zusammen mit diesem erforderlich. Denn das eigentlich Gefährliche bei der DKA-bedingten Stoffwechselentgleisung sind die Wasser- und Elektrolytverluste, die zu einer Reduzierung des Körpergewichts bis zu 10 % führen können.

Trotz des der DKA zugrundeliegenden Insulinmangels sollte der Hausarzt in der Regel dem Notfallpatienten kein Insulin spritzen. In jedem Fall ist aber das Anlegen einer intravenösen Infusion mit einer größeren dickeren Nadel erforderlich. Dabei sollte man 1 000 bis 1 500 ml isotone Kochsalzlösung pro Stunde verabreichen. Sollte der Hausarzt beim Anlegen einer intravenösen Infusion für den exsikkotischen Patienten Schwierigkeiten mit der Venenfindung haben, kommt allenfalls auch eine subkutane Verabreichung von Kochsalzlösung in Betracht. Dies ist immerhin besser, als wenn auf den Wasser- oder Elektrolytverlust keine Rücksicht genommen wird.

Was gilt es noch zu beachten?

Wichtig für den Hausarzt ist natürlich, dass er im Falle eines präkomatösen oder komatösen Patienten rasch den Notarzt verständigt oder in der Landpraxis selbst mit dem Patienten in die nächste Klinik fährt. Wenn der Patient neu eingestellt aus der Klinik entlassen worden ist, ist der Hausarzt wieder gefragt. Dann geht es darum, mit dem Patienten noch einmal die auslösenden Ursachen der DKA zu besprechen und abzustellen sowie eine gründliche Schulung des Diabetikers vorzunehmen.

Fazit: Die DKA ist auch heutzutage nach wie vor eine schwerwiegende und nicht seltene Komplikation bei Typ-1- und mitunter auch bei entgleistem Typ-2-Diabetes, wobei Diagnostik, Therapie und spätere Prävention dem Hausarzt eine wichtige Rolle zuweisen. Im Übrigen sei noch erwähnt, dass sich für das hyperosmolare Koma nicht selten ähnliche Situationen ergeben können. Dabei ist schon wegen des extremen Kaliummangels und der Exsikkose wiederum die rasche Einweisung in eine geeignete Klinik dringend erforderlich. Auch hier sollte die Exsikkose schon prästationär vom Hausarzt mit den geschilderten Infusionen behandelt werden.



Autor:

© Verlag Kirchheim
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert

Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (15) Seite 42-44