Komplementäre und alternative Medizin wird von vielen Krebspatienten genutzt. Übersichtsarbeiten gehen von einer Nutzerrate von ca. 50 % für die deutschsprachigen Länder aus. Detailliertere Befragungen von Patienten zeigen jedoch, dass die Nutzerrate teilweise wesentlich höher ist und insbesondere in Deutschland höher als im übrigen Europa. So nutzen 90 % der Mammakarzinompatientinnen, 50 % der Darmkrebspatienten und 42 % der Lungenkrebspatienten komplementäre Medizin [2]. Wie geht der Hausarzt mit diesem großen Interesse um und wie kann er seine Patienten evidenzbasiert beraten?
Patienten verfolgen bei der Nutzung von komplementärer und alternativer Medizin (KAM) verschiedene Ziele. Hierzu gehören die Stärkung des Immunsystems, die Stärkung der körpereigenen Kräfte, die Möglichkeit, selber aktiv werden zu können, eine direkte Bekämpfung der Krankheit, aber auch eine Entgiftung. Die Motivation und die Auswahl von KAM könnten auch mit den Vorstellungen der Patienten zur Karzinogenese zusammenhängen. So vermuten die weitaus meisten Patienten, dass Umweltgifte und ein Versagen des Immunsystems Krebs auslösen können. Es ist daher verständlich, dass eine Stärkung des Immunsystems für diese Menschen als sehr wichtig im Kampf gegen den Krebs empfunden wird.
Diesen Bedürfnissen nach einer am eigenen Kausalempfinden orientierten Therapie wird heute in der Schulmedizin in keinster Weise entsprochen. Im Gegenteil dürfte es aus Sicht der Patienten eher kontraproduktiv sein, wenn sie z. B. wahrnehmen, dass die Anzahl der weißen Blutkörperchen während der Therapie weiter nach unten geht und damit sichtbar das Immunsystem geschwächt wird. Es ergibt sich hiermit also eine ganze Reihe von kommunikativen Aufgaben, bevor es um die eigentliche Auswahl und Verordnung von komplementärer Therapie geht.
Kommunikation über KAM
Für konkrete Ziele wie Stärkung der körpereigenen Kräfte, Vermeidung von Nebenwirkungen und Stärkung des Immunsystems gibt es für einzelne Verfahren der Komplementärmedizin Wirksamkeitsnachweise, so dass den Patienten hier ein evidenzbasiertes Angebot gemacht werden kann. Eine direkte Bekämpfung der Tumorerkrankung durch komplementäre oder alternative Medizin ist bisher für keines der in Deutschland verwendeten Verfahren nachgewiesen. Es ist deshalb wichtig, mit dem Patienten gemeinsam realistische Vorgehensweisen zu entwickeln [3].
Idealerweise wird der Einsatz von KAM bei onkologischen Patienten gemeinsam mit dem Onkologen und anderen die Tumorpatienten betreuenden Ärzten abgesprochen und sichergestellt, dass der betreuende onkologische Facharzt über KAM-Nutzung seiner Patienten informiert wird, um die Sicherheit der Patienten (Stichwort: Wechsel- und Nebenwirkungen) zu gewährleisten.
Die genutzten Methoden sind durchaus überschaubar. Eine wichtige Rolle spielen Nahrungsergänzungsmittel, insbesondere Vitamine und Spurenelemente. Die Nachfrage nach sekundären Pflanzenstoffen steigt aber bei einigen Patienten an. Immunstimulanzien wie die Misteltherapie haben in letzter Zeit an Bedeutung verloren, dagegen werden Phytotherapeutika aus dem Ausland, insbesondere chinesische Heilkräuter, zunehmend häufig genutzt [4].
Immunstimulanzien, Misteltherapie
Die Misteltherapie gehört zu den umstrittensten Therapieformen in der Onkologie. Sie ist Bestandteil der anthroposophischen Medizin. Es liegen mittlerweile mehr als 100 klinische Studien vor, von denen jedoch die meisten von eingeschränkter methodischer Qualität sind. Behandelt wird mit verschiedenen Mistelpräparaten von unterschiedlichen Herstellern, die mit unterschiedlichen Extraktionsverfahren aus verschiedenen Bestandteilen der Mistelpflanze von verschiedenen Wirtsbäumen gewonnen wurden. Das 2008 publizierte Cochrane-Review kommt zu der Schlussfolgerung, dass "aus randomisierten klinischen Studien (…) die Ansicht, dass die Misteltherapie das Überleben, die Lebensqualität oder die Nebenwirkungen der antitumoralen Therapie verbessert, schwach begründet ist" (Übersetzung der Autorin) [5].
Positiv betrachtet, gibt es damit kein "Muss" für die Misteltherapie, aber eine zusätzliche Belastung der Patienten durch Injektionen. Die möglicherweise eintretende Lebensqualitätsverbesserung könnte über einen Plazeboeffekt zu erklären sein. Verbesserungen der Lebensqualität sind durch viele andere supportive und komplementäre Maßnahmen nachgewiesen, für die die Evidenz höher ist, so dass man Patienten eher diese an die Hand geben sollte. Wie das Fallbeispiel zeigt, ist die Misteltherapie möglicherweise auch nicht nebenwirkungsfrei.
Nahrungsergänzungsmittel
Bei den Nahrungsergänzungsmitteln findet sich eine Vielfalt von Mono- und Kombinationspräparaten, die teilweise Vitamine, Spurenelemente, aber auch sekundäre Pflanzenstoffe und Weiteres enthalten. Grundsätzlich gilt, dass alle Antioxidantien während Chemo- und Strahlentherapie und wahrscheinlich auch während der Anwendung anderer moderner zielgerichteter Therapien zwar im Rahmen einer gesunden Ernährung normal zugeführt werden können, nicht aber in Form von medikamentösen, hochdosierten Präparationen. Antioxidantien können die Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie in vitro und in vivo abschwächen. Klinische Studien gibt es hierzu nur wenige mit indirekten Hinweisen.
Mind-Body-Therapien
Zu den Mind-Body-Therapien gehören achtsamkeitsbasierte Methoden wie Meditation, aber auch körperorientierte Methoden wie Qi Gong, Yoga und Tai Chi. Hierzu liegen zahlreiche Studien und mittlerweile auch mehrere systematische Reviews vor. Die methodische Qualität der meisten Studien ist gering, so dass sichere Schlussfolgerungen nicht gezogen werden können. Patienten, die eine dieser Methoden ausprobieren möchten, sollten sicherlich darin unterstützt und auf geeignete Angebote in ihrer Umgebung hingewiesen werden. Patienten, denen diese Methoden eher nicht naheliegen, sollten aber auch nicht dazu gedrängt werden [6, 7, 8].
Supportive Therapie
Der Einsatz von komplementären Therapien in der supportiven Intention setzt eine leitliniengerechte umfassende supportive (schulmedizinische) Therapie voraus. Mehrere Studien weisen auf die positive Wirkung für Patientinnen mit muskuloskelettalen Beschwerden unter endokriner Therapie mit Vitamin D bei Vitamin-D-Mangel hin [9]. Selen ist möglicherweise in der Lage, Nebenwirkungen einer Strahlentherapie zu vermindern [10]. Allerdings ist eine Spiegelkontrolle erforderlich, um Überdosierungen und damit mittel- bis langfristig einen Anstieg der Mortalität zu vermeiden [11]. Aus mehreren Studien gibt es Hinweise auf eine günstige Wirkung von Ingwer bei Übelkeit und Erbrechen [12]. Honig hat wahrscheinlich eine günstige Wirkung zur Prävention der oralen Mucositis [13]. Fatigue ist ein erhebliches Problem in der Betreuung vieler Tumorpatienten. Ein sinnvoller Ansatz ist die Bewegungstherapie. Als Phytotherapeutikum kann Ginseng (mindestens 1 000 bis 2 000 mg/d) eingesetzt werden [14, 15]. Zwei Nachteile sind damit verbunden: Ginseng gilt als Phytoöstrogen und ist damit bei hormonabhängigen Tumoren der Frau kontraindiziert. Gute Präparate in ausreichender Dosis sind außerdem teuer. Möglicherweise stellen Omega-3-Fettsäuren mit ihrer antiinflammatorischen Wirkung auch einen Therapieansatz dar, der im Rahmen einer Ernährungsberatung verfolgt werden kann [16]. Ihnen könnte auch eine Bedeutung im Rahmen der Kachexievermeidung zukommen [17].
Alternative Medizin
Das derzeit wohl am weitesten verbreitete Beispiel für alternative Medizin ist Vitamin B 17, auch als Amygdalin oder Laetrile bekannt. Patienten wenden es vor allem in Form von Aprikosenkernen an. Allerdings bieten einige Praxen in Deutschland trotz einer eindeutigen Warnung des BfArM Infusionen an. Amygdalin setzt im Körper Blausäure frei. Nebenwirkungen sind Erbrechen, Azidose, Koma, Herzstillstand, Fieber, Abgeschlagenheit, neuromuskuläre Schwäche, Benommenheit, Lungenödem, Agranulozytose, hämolytische Anämie, Atemnot und Krämpfe [18]. Eine Studie zeigte bereits in den 80er Jahren die Unwirksamkeit der Therapie bei Patienten [19, 20].
Krebsdiäten
Krebsdiäten verfolgen unterschiedliche Konzepte, die entweder darauf beruhen, wie Krebs entstanden ist oder zu welchen Stoffwechselveränderungen er geführt hat. Zu den Krebsdiäten gehören deshalb Diäten, die bestimmte Nährstoffe aus der Ernährung herausnehmen, bis zum Extrembeispiel des Heilfastens, und andere Diäten, die bestimmte Stoffe besonders zuführen (z. B. Omega-3-Fettsäuren bei der Budwig-Diät).
Zu den Risiken der Krebsdiäten gehören eine Mangel- und Unterernährung, insbesondere in Bezug auf Eiweiße, fettlösliche Vitamine, Vitamin B12, Eisen. Aus diesem Grunde sollte bei Patienten, die eine Diät oder besondere Ernährungsform einhalten, regelmäßig eine Untersuchung auf Mangelerscheinungen, ggf. auch mit ergänzenden Laboruntersuchungen, durchgeführt werden.
Zu den immer wieder in Deutschland von Patienten durchgeführten Krebsdiäten gehört insbesondere die sogenannte Breuß-Kur. Die Patienten nehmen über 42 Tage nur gepresste Säfte aus Roter Bete, Sellerie, Rettich, Kartoffeln und Möhren zu sich und trinken dazu in einer bestimmten rituellen Weise wenig Tee. Während des Fastens wird auf die antitumorale Therapie verzichtet. Sollte nach 42 Tagen noch keine Heilung eingetreten sein, so werden die Patienten aufgefordert, diese Kur weiter fortzusetzen.
Bei der Budwig-Diät soll eine Heilung aller Krebsarten durch eine Öl-Eiweiß-Kost erreicht werden. Die Betonung liegt auf den Omega-3-Fettsäuren, bei denen Leinöl bevorzugt wird. Die Ernährung ist kohlenhydratarm. In moderater Form ist grundsätzlich nichts gegen diese Ernährung einzuwenden, wenn die Patienten ausreichend Obst und Gemüse zu sich nehmen und diese Ernährungsform nicht als antitumorale Therapie verstehen.
Am weitesten verbreitet ist die kohlenhydratarme oder sogenannte ketogene Diät, die auf dem von Otto Warburg beschriebenen Effekt aufbaut, dass Krebszellen ihren Energiebedarf bevorzugt aus Kohlenhydraten decken. Entsprechend wurde eine Diät konzipiert, bei der Kohlenhydrate weit in den Hintergrund gedrängt werden und durch Eiweiße und Fette, hier insbesondere ungesättigte Fettsäuren, ersetzt werden. Diese Diät wird mit unterschiedlichen Zielrichtungen angeboten. Teilweise wird den Patienten ein direkter Einfluss auf das Krankheitsgeschehen und den Progress einer Tumorerkrankung versprochen, Rückbildungen des Tumors sollen möglich sein. Andere Befürworter dieser Diät reklamieren, dass durch die Diät die Wirksamkeit einer Chemo- oder Strahlentherapie erhöht werden kann oder dass die Nebenwirkungen der antitumoralen Therapie vermindert werden. Für keine dieser Behauptungen liegen klinische Nachweise vor. Entsprechend hat die Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft eine aktualisierte Stellungnahme Ende 2014 publiziert, die vor dieser Ernährung außerhalb von Studien warnt [21]. Nebenwirkungen der Diät sind Übelkeit, Appetitmangel, Gewichtsverlust, Sedierung, fehlendes Durstgefühl, Dehydratation und metabolische Azidose [22]. Eine prospektive Studie mit 20 Patienten mit rezidiviertem Glioblastom ergab keine Hinweise auf eine Wirksamkeit [23].
PD Dr. med. Jutta Hübner, Frankfurt
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (10) Seite 64-67