Literaturreview: Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden, über die beim Hausarzt geklagt wird. Und nicht selten fordern die Patienten ein Röntgenbild. Bildgebende Diagnostik hilft jedoch in den meisten Fällen nicht weiter und sollte nur für konkrete Fragestellungen herangezogen werden.

Fallbeispiel
Einen typischen Fall, bei dem die bildgebende Untersuchung gerechtfertigt ist, stellen Professor Richard Deyo und seine Kollegen von der Portland Universität in Oregon (USA) in ihrem Übersichtsartikel vor [6]: Eine 71-jährige Patientin kommt in die Ambulanz wegen starker akuter Kreuzschmerzen, die am Vortag beim Möbelrücken aufgetreten sind. Die Schmerzen sind in der oberen Lendenwirbelsäule lokalisiert (der Bereich ist bei der körperlichen Untersuchung auch druckschmerzhaft), verschlimmern sich bei Bewegung, strahlen aber nicht in die Beine aus. Anamnestisch leidet die Patientin an einer raucherbedingten Lungenerkrankung, wegen der sie häufig mit Kortikoiden therapiert wird.

Hier ist nach den Empfehlungen von Deyo eine initiale Röntgenuntersuchung gleich aufgrund von zwei Verdachtsdiagnosen gerechtfertigt: Zum einen ist die Patientin Raucherin, so dass durchaus eine Krebserkrankung mit möglicherweise Knochenmetastasen vorliegen könnte. Zum anderen hat sie häufig Kortikoide bekommen, die bekanntlich eine Osteoporose fördern. Eine Wirbelkörperfraktur ist daher wahrscheinlich. Dafür spricht auch das Schmerzgeschehen sowie das Fehlen einer neurologischen Beteiligung der Beine. Das angefertigte Röntgenbild bestätigt dann auch diese Verdachtsdiagnose.

Die Volkskrankheit Rückenschmerzen gehört zum "Brot-und-Butter-Geschäft" des Hausarztes. In den meisten Fällen genügt eine körperliche Untersuchung, um der Ursache auf die Spur zu kommen und eine konservative Therapie einzuleiten. Doch häufig will man wissen, wie die morphologischen Verhältnisse im unteren Rücken denn nun genau aussehen. Außerdem fordern Patienten aus einem Kausalitätsbedürfnis heraus oft auch, "dass das mal geröntgt wird".

Risiken für die bildgebende Diagnostik

Kommt man diesem Wunsch nach, tut man damit den Patienten – und sich selbst – nicht unbedingt einen Gefallen: In einer US-Studie [1] wurden die Patienten in zwei Gruppen randomisiert. Der einen Gruppe wurden die Befunde ihrer MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule mitgeteilt, der anderen nicht. Ergebnis: Die Gruppe der "Ahnungslosen" gab eine stärkere Besserung ihres Allgemeinzustandes an als die, die über ihre Befunde Bescheid wussten. Und das, obwohl die klinischen Befunde objektiv in beiden Gruppen gleich waren. Daraus lässt sich schließen, dass eine Bildgebung der unteren Wirbelsäule bei Niedrigrisiko-Patienten (Niedrigrisiko = kein Verdacht auf Karzinom, Osteoporose, Kauda-Syndrom, Rückenmarkskompression) die Selbstwahrnehmung verändert und sie möglicherweise zu unnötigen Arztbesuchen veranlasst.

Zudem ist die Strahlenbelastung bei Röntgenuntersuchungen der Lendenwirbelsäule nicht zu vernachlässigen – schließlich liegen, anders als bei den Thorax-Aufnahmen, die Gonaden im Strahlengang. In den USA rechnet man bei pro Jahr ca. 2,2 Millionen bildgebenden Untersuchungen der unteren Lendenwirbelsäule in der Zukunft mit 1 200 dadurch ausgelösten Krebserkrankungen [2]. Daher sollten besonders bei jüngeren Frauen CT-Untersuchungen wegen ihrer hohen Strahlenbelastung nur sehr restriktiv veranlasst werden.

Bildgebung oft irreführend

Zudem hilft die Bildgebung hinsichtlich der Therapieentscheidung oft nicht weiter. Im Gegenteil, die Befunde korrelieren häufig nicht mit dem Beschwerdebild. Selbst bei den meisten beschwerdefreien Personen findet sich im MRT ein pathologischer Befund. In einer Studie unterzogen sich 98 schmerzfreie Probanden einem MRT. Nur 36 % hatten in allen Aufnahme-Ebenen einen unauffälligen Befund. Mehr als die Hälfte hatte eine vorgewölbte Bandscheibe, bei 27 % bestand ein Bandscheibenvorfall [3].

Letztlich misst sich der Wert einer diagnostischen Methode daran, ob die Befunde zu einer besseren Therapie führen und damit die Untersuchung dazu beiträgt, dass es dem Patienten besser geht. Mehrere Studien verglichen den Patienten-Outcome bei Niedrigrisiko-Patienten, die sich einer bildgebenden Untersuchung der Lendenwirbelsäule unterzogen hatten, mit solchen, die direkt die konservative Therapie erhielten. Die Metaanalyse dieser Studien ergab, dass die Bildgebung nach drei und nach sechs Monaten weder mit der Schmerzlinderung noch mit der Besserung der funktionellen Beschwerden korreliert war [4].

Außerdem ist die Bildgebung – besonders die moderneren Methoden wie CT und MRT – teuer. Auch aus diesem Grund wird häufig – vor allem von Seiten der Kostenträger – geklagt, dass die Bildgebung zu oft zum Einsatz komme.

Initial röntgen bei Frakturverdacht

Dass sich bei den Untersuchungen schwerwiegende Befunde wie Knochenmetastasen – häufige Verdachtsdiagnose – herausstellen, ist extrem selten. Die Prävalenz für Krebserkrankung bei Rückenschmerzpatienten in der Primärversorgung beträgt etwa 1 % [5]. Professor Richard Deyo und seine Kollegen von der Portland Universität in Oregon (USA) haben zusammengestellt, wann denn bildgebende Verfahren initial zur Diagnostik nötig sind [6]. Dabei stützen sie sich vor allem auf die Empfehlungen des britischen NICE-Instituts (National Institute for Health and Care Excellence) [7] und des American College of Physicians. [8].

Bei akuten Kreuzschmerzen ohne neurologische Symptome ist eine initiale bildgebende Diagnostik dann sinnvoll, wenn der Verdacht auf eine Krebserkrankung (Wirbelkörpermetastasen) oder eine Fraktur besteht. Auch wenn das klinische Bild auf eine entzündliche Spondylopathie hinweist, ist eine frühzeitige Röntgenuntersuchung angezeigt.

Bestehen zu den plötzlich einsetzenden Schmerzen im unteren Rücken auch noch neurologische Ausfälle, sollte ein MRT angefertigt werden – hauptsächlich wenn der Verdacht auf ein Kauda-Syndrom mit Harnverhalt oder Reithosenanästhesie besteht oder wenn motorische Ausfälle progredient sind. Dem könnte nämlich eine Rückenmarkskompression durch einen massiven Bandscheibenprolaps oder ein disloziertes Frakturfragment zugrunde liegen.

Ein MRT ist in zweiter Linie angebracht, wenn die Patienten mit den Symptomen einer Lumbago oder Spinalkanalstenose vorstellig geworden sind und die konservative Therapie keinen Erfolg gebracht hat. Hier sollte abgeklärt werden, ob für diese Patienten eine Operation oder eine epidurale Kortikoidinjektion infrage kommt.


Literatur:
1 Ash LM et al. Am J Neuroradiol 2008; 29: 1098-1103
2 Berrington de Gonzales A et al. Arch Intern Med 2009, 169: 2071-2077
3 Jensen MC et al. NEJM 1994, 331: 69-71
4 Chou R et al. , Lacet 2009; 373: 462-472
5 Downie A et al. , BMJ 2013; 347: f7095
6 Richard A. Deyo et al. Praxis 2014, 103 (23): 1401-1407
7 NICE Clinical Guideline 88. Low back pain ; 2009 :9. www.nice.org.uk./CG88
8 Chou R et al. Ann Intern Med2011; 154: 181-189


Autorin:
Angelika Ramm-Fischer

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (6) Seite 38-39