Die Indikation zur kurativen Behandlung eines Prostatakarzinoms hängt neben tumorspezifischen Faktoren auch vom Alter des Patienten ab. Bis zu welchem Lebensalter sollen/sollten/können radikale Prostatektomie, externe Radiotherapie oder Low Dose Rate (LDR)-Brachytherapie angewendet werden? Und welche anderen Therapiemöglichkeiten bestehen beim lokalisierten Prostatakarzinom (PCa) (T1-2 N0 M0) bei Pensionären und Hochbetagten?

In der Alterskategorie der 65- bis 80-jährigen Patienten ist die korrekte Indikationsstellung für eine kurative Therapie eine höchst anspruchsvolle ärztliche Aufgabe. Aus Autopsieserien bei Männern ohne bekanntes Prostatakarzinom und aus Operationsserien von Harnblasenkarzinomen, bei denen die scheinbar gesunde Prostata mitentfernt wurde, weiß man, dass 40 % von im Median 65 Jahre alten Patienten ein Prostatakarzinom (PCa) haben [4]. Allerdings sind 80 % dieser latenten PCa gut differenziert (Gleason-Score ≤ 6), haben ein niedriges Tumorvolumen (≤ 0,5 ccm) und dürften somit im weiteren Lebensverlauf klinisch nie relevant werden. Je älter der Mann, desto höher ist der Anteil an solchen prävalenten PCa, bei 80-Jährigen beträgt er rund 80 %. Um die Indikationsstellung für eine kurative Therapie zu erleichtern, wurde das lokalisierte PCa in Risikogruppen unterteilt (Tabelle 1).

Aber nicht nur diese tumorspezifischen Faktoren müssen beim Behandlungsentscheid berücksichtigt werden, sondern gleichermaßen auch der Faktor "Patient" und sein genereller Gesundheitszustand. Die meisten Leitlinien fordern eine vom Karzinom unabhängige Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren [2]. Die Abschätzung der verbleibenden Lebenszeit ist im individuellen Fall allerdings sehr schwierig, selbst unter Zuhilfenahme von Komorbiditätsklassifikationen wie z. B. dem Charlson-Score.

Vermeidung von Überdiagnose

Idealer wäre es, die Diagnose "PCa" bei Personen, die für eine kurative Therapie im Vorhinein nicht infrage kommen, gar nicht zu stellen (Vermeidung von Überdiagnose). Wie der Prostata-spezifische-Antigen- (PSA) Test differenziert und sinnvoll in der Vorsorge angewendet werden könnte, zeigt eine prospektive Fall-Kontroll-Studie aus Schweden mit 1 167 Männern, die über 25 Jahre lang verfolgt wurden. Betrug das Serum-PSA im Alter von 60 Jahren 1 ng/ml oder weniger, entwickelten nur 0,5 % dieser Männer im späteren Verlauf ein PCa mit Metastasen und lediglich 0,2 % starben an einem PCa [6].

Basierend auf den oben dargelegten epidemiologischen Fakten zum PCa wird in der Niedrigrisikogruppe (Tabelle 1) zunehmend das Konzept der aktiven Überwachung praktiziert. Hierbei ist der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnosestellung potenziell heilbar und der Patient hat eine geschätzte Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren. Bei späterer Progression des Tumors oder auch bei Patientenwunsch wird dann eine kurative Therapie (radikale Prostatektomie, perkutane Radiotherapie, LDR-Brachytherapie) durchgeführt. Damit wird in der Gruppe der Karzinome ohne Progression eine Übertherapie vermieden.

Nicht zu verwechseln mit aktiver Überwachung ist das schon seit langem bestehende Konzept des Watchful Waiting. Hier kann der Tumor in jeder Risikogruppe sein (Tabelle 1), potenziell heilbar oder auch nicht heilbar. Der Patient hat eine geschätzte Lebenserwartung von unter zehn Jahren. Eine palliative Therapie (meist Androgendeprivation) wird dann bei Auftreten von klinischen Symptomen, kurzer PSA-Verdoppelungszeit oder sehr hohem PSA eingeleitet.

Derzeit ist in Deutschland eine multizentrische randomisierte Studie im Gang zur Beurteilung der Effektivität und der Nebenwirkungen der vier Behandlungsarme radikale Prostatektomie, perkutane Radiotherapie, LDR-Brachytherapie und aktive Überwachung [7]. Über eine Zeitperiode von vier Jahren sollen total 7 600 Patienten mit PCa der Niedrigrisikogruppe und der frühen intermediären Risikogruppe eingeschlossen werden. Diese wichtige PREFERE-Studie verdient die uneingeschränkte Unterstützung aller Ärzte in Deutschland.

Operation versus Watchful Waiting

Die skandinavische prospektive, randomisierte Prostatakarzinomgruppenstudie Nr. 4 (SPCG-4) stellt den Wert der radikalen Prostatektomie bei über 65-jährigen Männern infrage. Sowohl das Gesamtüberleben als auch das karzinomspezifische Überleben war in den Gruppen "Radikale Prostatektomie" und "Watchful Waiting" nahezu identisch (Abb. 1) [1]. Da es sich um eine Post-hoc-Subgruppenanalyse handelt, ist ein Selektionsbias allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen, zudem ist die mittlere Lebenserwartung seit der Datenerhebung um ca. fünf Jahre gestiegen. Andererseits zeigt eine populationsbasierte Kohortenstudie aus dem Surveillance Epidemiology and End Results (SEER)-Register eine nicht unerhebliche karzinomspezifische Mortalität bei über 65-jährigen Männern mit einem lokalisierten PCa und einem Gleason-Score 8 bis 10 (Tabelle 2) [3]. In dieser Gruppe von Patienten mit einem medianen Alter von 78 Jahren findet wahrscheinlich eine Unterbehandlung statt.

Hochbetagte

Bei Männern über 80 Jahren – auch wenn sie biologisch jünger erscheinen und topfit sind – ist eine lokale Therapie die absolute Ausnahme. Dies zeigt auch der klinische Alltag, wo der Anteil der über 80-Jährigen in den großen publizierten Serien zur radikalen Prostatektomie unter 1 % liegt. Bei der perkutanen Radiotherapie sind zwar das mediane Alter und die Altersrange etwas höher als bei der Operation, aber der Anteil dieser Männer ist immer noch im tiefen einstelligen Prozentbereich.

Stellenwert der Hormontherapie

Generell sollte bei über 80-jährigen Männern primär schon keine Prostatavorsorge durchgeführt werden. Leider finden aber auch akzidentelle PSA-Bestimmungen statt, was bei asymptomatischen Patienten aber nicht zu einer Prostatabiopsie führen sollte. Die EORTC-Studie 30891 (frühe versus verzögerte Hormontherapie beim klinisch lokalisierten PCa, welches nicht kurativ behandelt wird) hat gezeigt, dass ein Benefit der Androgendeprivation nur bei PSA-Werten über 50 ng/ml und/oder einer PSA-Verdoppelungszeit von unter zwölf Monaten besteht [5]. Da die antiandrogene Therapie mit ernsthaften Nebenwirkungen (kardiale Ereignisse, verminderte Glukosetoleranz, Osteoporose, kognitive Einschränkungen) vergesellschaftet ist und mit einem deutlich erhöhten Sturzrisiko einhergeht, setzt man so behandelte Männer auch einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko aus.

Alternativen

Konsequenterweise sollte man bei den über 80-jährigen Patienten mit klinisch lokalisiertem PCa und nicht stark erhöhten PSA-Werten auch nicht in einen therapeutischen Aktivismus verfallen und "ein bisschen etwas" machen (Kryoablation, irreversible Elektroporation, hochintensiver fokussierter Ultraschall). Diese Methoden gelten derzeit als experimentell und entbehren jeglicher höherer Evidenz.

Der gut aufgeklärte betagte Patient wird bei intaktem Patienten-Arzt-Verhältnis verstehen, dass ein reines Watchful Waiting, bei dem eine Behandlung nur im Falle klinischer Beschwerden erfolgt, in seiner Situation aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage am sinnvollsten ist.


Literaturverzeichnis
1. Bill-Axelson A, Holmberg L, Ruutu M et al. (2011) Radical prostatectomy versus watchful waiting in early prostate cancer. N Engl J Med 364:1708-1717
2. Heidenreich A, Bellmunt J, Bolla M et al. (2011) EAU Guidelines on prostate cancer. Part 1: Screening, diagnosis, and treatment of clinically localised disease. Eur Urol 59:61-71
3. Lu-Yao GL, Albertsen PC, Moore DF et al. (2009) Outcomes of localized prostate cancer following conservative management. JAMA 302:1202-1209
4. Stamey TA, Freiha FS, McNeal JE et al. (1993) Localized prostate cancer. Relationship of tumor volume to clinical significance for treatment of prostate cancer. Cancer 71:933-938
5. Studer UE, Collette L, Whelan P et al. (2008) Using PSA to guide timing of androgen deprivation in patients with T0-4 N0-2 M0 prostate cancer not suitable for local curative treatment (EORTC 30891). Eur Urol 53:941-949
6. Vickers AJ, Cronin AM, Björk T et al. (2010) Prostate specific antigen concentration at age 60 and death or metastasis from prostate cancer: case-control study. BMJ 341:c4521
7. Wiegel T, Albers P, Bussar-Maatz R et al. (2013) [PREFERE – the German prostatic cancer study: questions and claims surrounding study initiation in January 2013]. Urologe A 52:576-579


Autor:

Prof. Dr. med. Hans-Peter Schmid

Klinik für Urologie
Kantonsspital
CH-9007 St. Gallen

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (6) Seite 26-28