Sexuelle Aktivität kann auf verschiedene Weise Kopfschmerzen auslösen. Eher unbekannt ist dagegen die Beobachtung, dass sich bei manchen Menschen bereits bestehende Kopfschmerzen durch sexuelle Aktivität lindern lassen.

Vereinzelt wird in der Literatur beschrieben, dass sexuelle Aktivität auch zur Erleichterung von bereits bestehenden Kopfschmerzen beitragen kann oder sogar zur kompletten Linderung.

Dass sexuelle Aktivität manchmal ein Entlastungsfaktor statt ein Krankheitsauslöser für Migränepatienten ist, untersuchten Neurologen in einer Kopfschmerzklinik in Illinois. In der retrospektiven Studie gaben 57 von 83 Frauen an, schon einmal Geschlechtsverkehr während des Kopfschmerzes gehabt zu haben. Etwa die Hälfte (47,4 %) der Teilnehmerinnen berichtete von Linderung. Davon beschrieben 17,5 % eine vollständige Befreiung von den Kopfschmerzen. Die restlichen 29,9 % gaben eine Erleichterung an in Form von geringerer Dauer oder Intensität. Lediglich drei (5,3 %) Patienten gaben eine Verschlechterung ihrer Kopfschmerzen an. Die übrigen Teilnehmerinnen (49,1 %) verspürten insgesamt keine Veränderung.

In der Literatur zu diesem Thema finden sich hauptsächlich Beobachtungen von weiblichen Migränepatienten, es wurden aber auch Fälle von Männern berichtet, so von einem 52 Jahre alten Mann mit einer Diagnose von Migräne ohne Aura, dessen Kopfschmerzen innerhalb weniger Minuten durch einen Orgasmus verschwanden.

Des Weiteren findet vereinzelt in der Literatur Erwähnung, dass auch Patienten mit Clusterkopfschmerz eine Linderung ihrer Attacke erfahren können, wenn sie sexuell aktiv sind. So wird von einem Mann (61 Jahre) mit Clusterkopfschmerzen berichtet, dessen Schmerzen 90 bis 150 Minuten andauerten, sich jedoch zum Zeitpunkt des Orgasmus augenblicklich verbesserten. Ein weiterer Mann (47 Jahre), der an Clusterkopfschmerzen seit seiner Jugend litt, lernte über die Jahre, dass Geschlechtsverkehr und Masturbation mit einer sofortigen Linderung des Kopfschmerzes zum Zeitpunkt des Orgasmus verbunden waren. Am Rande erwähnt auch eine andere Studie einen Patienten, der männlich ist, an Clusterkopfschmerzen leidet und Linderung in Geschlechtsverkehr findet.

Eigene Daten

In unserer Arbeitsgruppe wurde eine Studie durchgeführt, um den Einfluss sexueller Aktivität auf idiopathische Kopfschmerzen (Migräne und Clusterkopfschmerz) zu prüfen. Die Aufgabe dieser Untersuchung war es, zu ermitteln, wer eine Veränderung erfährt und ob es mögliche Einflussfaktoren gibt, die dies begünstigen.

Anhand eines per Post zugestellten Fragebogens (800 Patienten mit Migräne, 200 Patienten mit Clusterkopfschmerz) wurden absolut anonym Daten erhoben. Insgesamt haben 402 Personen geantwortet, alle Antworten konnten ausgewertet werden. Insgesamt 133 Patienten berichteten davon, während einer Kopfschmerzattacke wenigstens einmal sexuell aktiv gewesen zu sein.

Einige der Befragten, die während ihrer Kopfschmerzen noch nie sexuell aktiv gewesen sind, erklärten, dass sie in diesem Zustand gar nicht dazu in der Lage wären – Migränepatienten zum Beispiel aufgrund von Übelkeit. Dass diese Art der Aktivität trotz der Kopfschmerzen möglich ist, belegt jedoch die sehr hohe Anzahl von 103 Patienten mit Migräne und 30 Patienten mit Clusterkopfschmerz, die davon berichtet haben, sexuell aktiv gewesen zu sein.

Unsere Untersuchung zeigte, dass sexuelle Aktivität während der Migräneattacke in der überwiegenden Zahl der Fälle die Migräneschmerzen lindern oder den Anfall sogar beenden konnte. Besonders männliche Migränepatienten verspürten nach der Aktivität eine Erleichterung ihrer Beschwerden. Im Vergleich fanden 73,3 % der Männer Linderung ihrer Migräne durch sexuelle Aktivität, jedoch nur 58,0 % der Frauen. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der bisherigen Literatur.

Die Art der sexuellen Aktivität hatte in unserer Studie keinen Einfluss auf die jeweilige Reaktion; dies gaben 79,6 % der Migränepatienten und 60,0 % der Clusterkopfschmerzpatienten an. Die Linderung war jedoch meistens an den Orgasmus gebunden.

Warum hilft Sex gegen Kopfschmerzen?

Warum sexuelle Aktivität nun den einen hilft (ob nun teilweise oder komplett) und den anderen nicht, kann nur spekuliert werden. Zu den Hypothesen gehören die Ausschüttung von Endorphinen, die körperliche Entspannung nach dem Orgasmus und extragenitale Reaktionen wie zum Beispiel Blutdruckveränderungen. Auch der Zusammenhang zwischen den hormonellen Reaktionen während der sexuellen Aktivität und den kopfschmerzspezifischen Hirnregionen (Hypothalamus, periaquäduktales Grau etc.) wird diskutiert.

In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass in einer Studie festgestellt worden ist, dass das sexuelle Verlangen der Migränepatienten ein erhöhtes Niveau hat. Den Grund für die gesteigerte Libido von manchen Migränepatienten sehen die Forscher im Neurotransmitter Serotonin. So gilt ein hoher Serotoninspiegel, der bei Migränepatienten normalerweise nicht vorliegt, als lusthemmend, da Serotonin antagonistisch auf Testosteron wirkt. Unsere Ergebnisse unterstützen in gewisser Weise diesen Zusammenhang.

Der Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und sexueller Aktivität ist natürlich nicht so eindeutig, dass man jedem Kopfschmerzpatienten zu "Sex als Analgetikum" raten könnte. Da es keine signifikanten Einflussfaktoren gibt, die einen Vorteil verschaffen, muss jeder Patient für sich selbst herausfinden, ob sexuelle Aktivität eine Möglichkeit für ihn ist. Damit er dies jedoch überhaupt in Betracht zieht, sollte er dementsprechend informiert sein.

Ausblick
Sexuelle Aktivität kann einerseits als ein Triggerfaktor für Kopfschmerzen und andererseits als Einflussfaktor auf bereits bestehende idiopathische Kopfschmerzen (Migräne und Clusterkopfschmerz) wirken. Warum sexuelle Aktivität nun den einen hilft und den anderen überhaupt erst Kopfschmerzen beschert, dafür gibt es bislang keine medizinische Erklärung. In der bisher veröffentlichten Literatur finden viele Ansätze Erwähnung, die endgültige Klärung bedarf jedoch weiterer Untersuchungen. Die möglichen Auswirkungen von Geschlechtsverkehr sollte der Arzt jedoch kennen, um dementsprechend zu diagnostizieren und zu informieren.



Autor:

Prof. Dr. Dr. med. Stefan Evers, Coppenbrügge

Krankenhaus Lindenbrunn
31863 Coppenbrügge

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (5) Seite 24-26