Die medizinische Kompressionstherapie ist eine unbestrittene Basismaßnahme der phlebologischen Therapie. Ihr Wirkmechanismus bei der chronischen venösen Insuffizienz (CVI) ist vielfach untersucht und die Evidenz v. a. für die schweren Formen der CVI gut [8, 10]. Zur Verfügung steht eine Vielzahl an Kompressionsmaterialien; am häufigsten finden sich im Alltag medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) der Klasse II. Doch was nutzt die beste Evidenz, wenn die Patienten die Strümpfe nicht tragen, weil sie jucken, schlecht sitzen oder Probleme beim Anziehen bereiten. Die Sicht der Patienten auf die Anwendung der Kompression und deren Wünsche sollen im folgenden Beitrag beleuchtet werden.

Insgesamt fanden sich bei einer systematischen Literaturrecherche in Medline 26 Arbeiten zur Compliance der Kompressionstherapie bei einer CVI [9], davon neun randomisiert-kontrollierte Studien. Die Patientenzahl variierte stark, die Qualität der Studien war heterogen. Mehrheitlich wurden Patienten mit einem CVI-Befund im klinischen Stadium C5 oder C6 (abgeheiltes oder florides Ulcus cruris) untersucht.

Merke!
Jeder Patient mit einer Kompressionstherapie braucht eine regelmäßige, rückfettende Hautpflege.

Es gab unterschiedlichste Definitionen der Compliance (u. a. Tragezeit pro Tag, Anzahl von Tagen mit Kompression im Untersuchungszeitraum, korrekte Anwendung der Kompression bei Kontrolluntersuchungen, Befragungen), stark variierende Untersuchungszeiträume und verschiedenste Methoden der Erhebung (Befragung, klinische Kontrollen).

Merke!
Voraussetzung für eine gut sitzende Kompressionsstrumpfversorgung ist bei stark geschwollenen Beinen eine optimale Entödematisierung vor Anpassung der MKS. Diese sollte über 1 – 2 Wochen mit Hilfe von konsequent getragenen Kompressionsverbänden (idealerweise über 24h/Tag) durchgeführt werden. Die Bandagen sind so lange zu tragen, bis die MKS-Versorgung vorhanden ist. Andernfalls kommt es zur Reödematisierung und die angepassten und ggf. sogar maßgefertigten MKS passen nicht.

Mehrheitlich (21 Studien) wurden auch in diesen Studien Kompressionsstrümpfe allein oder im Vergleich zu anderen Kompressionsmitteln eingesetzt. Teilweise waren die verwendeten Kompressionsmittel jedoch nur unzureichend beschrieben (Länge, Material, Strickart, Anpressdruck).

Die angegebene Compliance in den analysierten Studien variierte erheblich zwischen 33 und 100 %.

Einflussfaktoren der Compliance

Wie kommen diese erheblichen Unterschiede der Compliance-Raten zustande und wie sind sie zu bewerten? Wo ist die Wahrheit im Praxisalltag einzuordnen? Letztlich hängt die zu ermittelnde Compliance erheblich von den Rahmenbedingungen ab, unter denen die Kompressionstherapie verordnet und getragen wird (Tabelle 1).

Eigene klinische Erfahrungen und Studien haben gezeigt, dass die Compliance für eine Kompressionstherapie steigt, wenn die Patienten im Rahmen einer Studie einem festen Protokoll folgen und eine vorübergehende medizinische Indikation zur Kompressionstherapie besteht [1, 2, 4, 6]. Schwieriger wird es hingegen bei älteren oder adipösen Patienten, die die Kompression im Alltag nicht allein anlegen können und eine langfristige bzw. lebenslange Indikation zur Kompressionstherapie haben [3].

Tragekomfort und Nebenwirkungen der Kompression

Im Rahmen der Therapie mit MKS sind meist harmlose Nebenwirkungen regelmäßig zu erwarten, andere schwerwiegende Nebenwirkungen und Folgeschäden (z. B. Nekrosen, Ulzerationen, Nervenschäden) bei korrekter Indikation und Anwendung sehr selten.

Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen Hauttrockenheit (32 – 60 %), Juckreiz (10 – 33 %), starke Schuppungen (16 – 25 %), Schwitzen (15 – 22 %) und Hautrötungen (0 – 11 %) unter der Kompression (Abb. 1) [1, 4, 6]. Die meisten dieser Erscheinungen lassen sich durch eine täglich anzuwendende rückfettende, allergenarme Hautpflege (z. B. mit Lipolotionen oder harnstoffhaltigen Externa) deutlich reduzieren bzw. ganz vermeiden. Ungünstig ist die Anwendung alkoholischer Lösungen, die zwar kurzfristig einen kühlenden Effekt bringen, langfristig aber zu weiteren Austrocknungen führen.

Merke!
Eine Anziehhilfe muss immer auf einem gesonderten Rezept verordnet werden. Sie kann nicht gemeinsam mit den Kompressionsstrümpfen auf ein Rezept geschrieben werden.

Ein Verrutschen oder Einschnürungen unter der Kompressionstherapie (14 – 29 %) [1, 4, 6] lassen sich insbesondere durch eine optimale Anpassung der MKS durch geschultes Sanitätshauspersonal und eine geeignete Materialauswahl (z. B. Rundstrick/Flachstrick, hohe/geringe Materialfestigkeit, knie-/oberschenkellange Versorgung) verhindern. Insbesondere bei konischen Beinformen und adipösen Patienten kann es notwendig sein, bei oberschenkellangen Versorgungen zusätzliche Haftränder einzupflegen oder mit Hüfthaltern zu arbeiten.

Was wünschen unsere Patienten?

In einer standardisierten Befragung zu ihren Wünschen hinsichtlich MKS machten 100 Patienten (75 Frauen, 25 Männer, mittleres Alter ca. 60 Jahre) mit einem Venenleiden in den klinischen Stadien C1 – C6 (mehrheitlich C2 – C4) sehr deutlich, wie wichtig ihnen ein hoher Tragekomfort und ein einfaches Handling sind [7]. Gleichzeitig war für sie ein schlechter Tragekomfort ein wichtiger Einflussfaktor für die resultierende (schlechte) Compliance. Hinsichtlich ästhetischer Aspekte legten die Befragten Wert auf das äußere (unauffällige) Erscheinungsbild der MKS, die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Farben, Designs und Garnqualitäten. Die ästhetischen Aspekte (Farbe, Stoffmuster, Garnqualität, Haftränder) spielten für Frauen eine signifikant stärkere Rolle als für Männer. Ähnliche Verhältnisse ließen sich im Vergleich älterer gegenüber jüngeren Patienten (Grenze 57,5 Jahre) feststellen. Hingegen spielte das Krankheitsstadium (C1/C2 vs. C3/C4) offenbar keine wesentliche Rolle für diese Fragestellungen.

Merke!
Alle Kompressionsklassen 1 – 4 können verordnet werden. In problematischen Fällen sollte die Art der angestrebten Versorgung sehr genau auf dem Rezept beschrieben werden. Zu den notwendigen Angaben gehören:
  • Menge (z. B. 1 Paar, 1 Strumpf)
  • Kompressionsklasse (1 – 4)
  • Typ der Kompressionsversorgung (z. B. Strumpfhose, Kompressionsstrümpfe)
  • Länge der MKS (Knielang = AD, Oberschenkellang = AG)
  • Strickart (Flachstrick, Rundstrick)
  • Materialfestigkeit (geringe bzw. hohe Stiffness)
  • Zehenabschluss (offene bzw. geschlossene Spitze)
  • Ggf. Zusätze (z. B. Reißverschluss, zusätzlicher Haftrand)
  • Indikation (z.B. CVI, Lymphödem)

Etwa 75 % der Befragten hatten bereits Erfahrungen mit einer Kompressionstherapie. Immerhin 40 % dieser Patienten sahen jedoch ihre Ansprüche und Erwartungen an eine Kompressionstherapie entsprechend ihren bisherigen Erfahrungen nicht erfüllt und wünschten sich einige Optimierungen (Abb. 2) [7].

Anziehhilfe oder Anpassung der Kompression?

Ist das Anziehen von Kompressionsstrümpfen ohne Hilfsmittel nicht möglich, kommt die Frage auf, welche Hilfsmittel denn sinnvoll und für den jeweiligen Patienten geeignet sein könnten. Auf dem Markt sind verschiedenste Instrumentarien: Gummihandschuhe mit Noppen, kleine Gleitsocken zur Überwindung der Fersenregion, lange Gleithilfen zur Überwindung des gesamten Unterschenkels oder Gestelle zum "Einsteigen" in die Kompression wie in einen Stiefel [5]. Im Extremfall bleibt nur die Assistenz durch eine dritte Person (Verwandte, Pflegedienst) [3].

Letztlich kann man keine allgemeingültigen Empfehlungen für eine spezielle Anziehhilfe geben, mit der alle Patienten zurechtkommen. Es ist jedoch sinnvoll, den Patienten in ein gut sortiertes Sanitätshaus zu schicken, damit er dort gut beraten die verschiedenen Typen ausprobieren und eine für ihn geeignete Anziehhilfe auswählen kann. Das gewünschte Modell sollte dann unter Angabe der entsprechenden medizinischen Begründung/Indikation auf einem gesonderten Rezept verordnet werden.

Bevor man aber die Anschaffung einer ergänzenden Anziehhilfe in Erwägung zieht, sollte die Indikation zur bestehenden und problematischen Kompressionstherapie überdacht werden. Nur in den wenigsten Fällen gibt es eine zwingende Indikation für genau eine spezielle Art der Kompressionsversorgung. Meist lassen sich alternative Versorgungen finden, die für den Patienten ggf. leichter anzuwenden sind [5]: Muss es zwingend eine Kompressionsstrumpfhose sein, reichen nicht ggf. auch knielange MKS? Muss es zwingend eine hochklassige Kompressionsversorgung sein oder ist nicht ggf. eine Klasse I unter Steigerung der Stiffness (Materialfestigkeit) eine einfachere Option? Kann statt einem kniehohen MKS Klasse III nicht auch eine Kombination aus zwei übereinanderzuziehenden MKS der Klasse I und Klasse II angewendet werden (diesem Prinzip folgen z. B. Ulkuskompressionsstrümpfe)? Lässt sich ein Reißverschluss zur Erleichterung des Anziehens in den knielangen MKS integrieren? Ist zwingend eine oftmals sehr steife Flachstrickkompression notwendig oder ist bei nur geringem Ödem nicht vielleicht auch eine Rundstrickversorgung mit hoher Stiffness (Materialfestigkeit) möglich?

Fazit:
Aspekte des Handlings, Tragekomforts und der Ästhetik spielen für unsere Patienten, die wir mit einer Kompressionstherapie versorgen möchten, eine wichtige Rolle. Zur Steigerung der Compliance sollten wir uns mit den individuellen Wünschen und Vorlieben der Patienten beschäftigen und eine individuell geeignete Kompressionstherapie aus dem breiten Portfolio der aktuellen Möglichkeiten auswählen. Vielfach gilt auch hier: "weniger ist mehr" oder "so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich". Essenziell bei der Verordnung einer Kompressionstherapie sind auch das Gespräch über eine regelmäßig anzuwendende, rückfettende Hautpflege sowie mögliche Anziehhilfen zur Erleichterung des eigenständigen Umgangs mit der Kompressionstherapie.

Hier ist bei schwierigen Versorgungen neben dem direkten Patientengespräch zu Wünschen und Problemstellen eine gute Kooperation mit einem seriösen und erfindungsreichen Sanitätshaus sinnvoll.


Literatur (alphabetisch, nach Erscheinungsjahr)
1. Reich-Schupke S, Murmann F, Altmeyer P, Stücker M (2009). Quality of life and patients‘ view of compression therapy. Int Angiol 28(5):385-93.
2. Reich-Schupke S, Gahr M, Altmeyer P, Stücker M (2009). Resting pressure exerted by round knitted moderate-compression stockings on the lower leg in clinical practice--results of an experimental study. Dermatol Surg 35(12):1989-97.
3. Reich-Schupke S, Murmann F, Altmeyer P, Stücker M (2012). Compression therapy in elderly and overweight patients. Vasa 41(2):125-31.
4. Reich-Schupke S, Soster N, Altmeyer P, Stücker M (2012). Randomisierte kontrollierte Studie zur Anpassung medizinischer Kompressionsstrümpfe mittels Handmessung versus Image-3D-System. Phlebologie 41:A12.
5. Reich-Schupke S, Stücker M (Hrsg) (2013). Moderne Kompressionstherapie: ein praktischer Leitfaden. Vivavital-Verlag, Köln
6. Reich-Schupke S, Feldhaus F, Altmeyer P, Mumme A, Stücker M (2013). Efficacy and comfort of medical compression stockings with low and moderate pressure six weeks after vein surgery. Phlebology 3;29(6):358-366.
7. Reich-Schupke S, Link K, Stücker M (2014). Kompressionstherapie – was möchten unsere Patienten? Phlebologie 43:A27.
8. Stücker M, Altmeyer P, Reich-Schupke S (2011). [Therapy of venous leg ulcers. New and established approaches]. Hautarzt 62(7):504-8.
9. Stücker M, Link K, Altmeyer P, Reich-Schupke S (2012). Bestandsaufnahme zur aktuellen Evidenzlage bezüglich der medizinischen Kompressionstherapie bei der chronischen venösen Insuffizienz inklusive Ulcus cruris venosum mit den Schwerpunkten: Effektivität, Ästhetik, Handling, Wirtschaftlichkeit, Compliance und Lebensqualität. Phlebologie 41:A12.
10. Stücker M, Link K, Reich-Schupke S, Altmeyer P, Doerler M (2013). Compression and venous ulcers. Phlebology 28 Suppl 1:68-72.



Autor:

Priv.-Doz. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke

Artemed Fachklinik Prof. Dr. Dr. Salfeld GmbH & Co. KG
32545 Bad Oeynhausen

Interessenkonflikte: Die Autorin war in der Vergangenheit mehrfach als Referentin für verschiedene Firmen der Kompressionsindustrie tätig (u. a. medi GmbH & Co KG, Bauerfeind AG, Julius Zorn GmbH, BSN Jobst GmbH, Ofa Bamberg GmbH, Sigvaris GmbH). In Kooperation mit einigen Herstellern wurden in der Vergangenheit auch Studien zur Kompressionstherapie durchgeführt (u. a. medi GmbH & Co KG, Bauerfeind AG). Das vorliegende Manuskript wurde durch diese Tätigkeiten und Kooperationen jedoch nicht beeinflusst. Es bestand kein Sponsoring.t


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (4) Seite 34-39