Mehr als die Hälfte der 64 Mio. erwachsenen Deutschen sind übergewichtig und deutlich mehr als 20 % sind adipös. Die Leitlinie Adipositas der Deutschen Adipositas-Gesellschaft bezieht auch Adipositas-chirurgische (bariatrische) Operationen in ein Stufen-Therapiekonzept mit ein. Die Zahl dieser Interventionen nimmt stetig zu, weshalb sich Hausärzte zunehmend auf die kontinuierliche Mitbetreuung dieser Patienten einstellen sollten.

Die Entscheidung für eine bariatrische Operation bedarf einer gründlichen Vorbereitungsphase, zuvor sollten konservative Therapien zur Gewichtsreduktion ausgeschöpft sein. In der Realität ist der Einsatz einer bariatrischen Maßnahme zumindest für den Stoffwechsel irreversibel. Lebensstil und -qualität verändern sich infolge der Operation massiv sowohl in positiver als auch teilweise in negativer Richtung. Dies bedarf ausführlicher Aufklärungsgespräche im Vorfeld sowie einer
„präoperativen Compliance-Phase“.

In der Phase somatischer und psychiatrischer Voruntersuchungen wird ein neues standardisiertes Vorbereitungsprogramm bundesweit angeboten. Der B.M.I.-Zirkel (Bariatrisches multimodales Informationsprogramm) stellt in insgesamt 7 Gruppenabenden alle wichtigen Themen um den bariatrischen Eingriff in voneinander unabhängigen Sitzungsmodulen vor.

Das Programm dient als Vorbereitung auf einen bereits geplanten Eingriff und richtet sich ausschließlich an Patienten, bei denen die leitliniengerechte Indikation zur chirurgischen Therapie bereits besteht. Es soll durch Wissensvermittlung und aktives Training der Patienten langfristig den postoperativen Verlauf stabilisieren und verbessern.

Präoperative Diagnostik

Neben der Erfassung von standardisierten Laborparametern (vgl. Tabelle 1A, 1B) und einer Ganzkörperuntersuchung wird anhand einer bioelektrischen Impedanzanalyse (B.I.A.) die Körperzusammensetzung ermittelt. Die erfassten Daten (Fettmasse, fettfreie Körpermasse, Phasenwinkel etc.) dienen ausschließlich dazu, die Gewichtsentwicklung und den Ernährungszustand im postoperativen Verlauf der Therapie zu beurteilen.

Die Sonografie des Abdomens ist insbesondere zum Ausschluss einer Cholecystolithiasis sowie zur Bestimmung des Ausmaßes der Steatose erforderlich. Eine präoperative Gastroskopie dient dazu, intragastrale Veränderungen im Sinne von Entzündungen, Ulcera oder einer Helicobacter-pylori-Besiedlung auszuschließen. Sollten sich hier pathologische Befunde zeigen, ist eine Sanierung erforderlich.

Standardisierte Nachsorge

Für den dauerhaften Erfolg einer bariatrischen Maßnahme ist neben der sozialen Unterstützung auch eine regelmäßige postoperative Nachsorge entscheidend. Mit ihr soll eine fachkompetente und möglichst wohnortnahe Betreuung sichergestellt werden, mit der Komorbiditäten behandelt und Mangelkrankheiten vermieden werden sollen.
Oftmals ist – besonders bei hohem präoperativen Ausgangs-BMI – auch postoperativ eine Fortsetzung der konservativen Therapie erforderlich.

Die ernährungsmedizinische Betreuung erfolgt im ersten postoperativen Jahr vierteljährlich, im zweiten Jahr halbjährlich, ab dem dritten Jahr jährlich – sofern keine Beschwerden im Intervall auftreten. Dabei wird der Ernährungsstatus sowie die Vitamin- und Mineralstoffversorgung beurteilt.

Auch das Bewegungsverhalten wird analysiert. Wesentlich im Verlauf ist jedoch nicht nur der rein somatische Verlauf, insbesondere muss auch die aktuelle psychische Situation beobachtet werden. Kommt es nach einer euphorischen Phase (Honeymoon-Äquivalent) zu einer depressiven Reaktion oder gar Suizidalität?

Neben der körperlichen Untersuchung (bes. Hautbild) erfolgen Routine-Laborkontrollen, die bei klinischen Auffälligkeiten entsprechend ergänzt werden. Die Verlaufsbeurteilung der Zusammensetzung der Körperkompartimente mittels B.I.A. kann auch für die Patientenmotivation von hoher Bedeutung sein (Fettabnahme, nicht Muskelmassenverlust). Um intra-abdominelle Veränderungen (u. a. Gallensteinbildung) festzustellen, wird mindestens einmal jährlich eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt.

Die ernährungstherapeutische Betreuung umfasst postoperativ 12 Einheiten von jeweils 60 Min. Dauer innerhalb von 2 Jahren. Im Jahr der bariatrischen Operation finden 8 Einheiten statt. Im 3. postoperativen Jahr findet ca. alle 3–4 Monate weiterhin eine Beratung statt. Spezialisierte Diätassistenten u./o. Ökotrophologen unterstützen die Patienten bei der Ernährungsumstellung und leiten sie in der Supplementation von Vitaminen und Mineralstoffen an. Dies erfolgt in enger Kooperation mit dem Hausarzt, dem Ernährungsmediziner und ggf. auch dem Chirurgen.

Körperliche Aktivierung

Im Rahmen der Nachsorge kann eine Verordnung von REHA-Sport nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 SGB IX SGB V mit zweimal wöchentlicher Anwendung vorzugsweise im Wasser erfolgen. Dies dient jedoch nur der Anleitung zur dauerhaften Selbstaktivierung. Die Patienten bemerken oftmals sehr schnell, wie viel Freude Bewegung mit fallendem Körpergewicht wieder machen kann. Neben reinem Ausdauertraining wird für den Wiederaufbau und Erhalt von Muskelmasse besonderes Augenmerk auf Muskelaufbautraining gelegt.

Psychiatrische Mitbetreuung

Treten in den Kontrolluntersuchungen Auffälligkeiten im psychiatrischen Bereich zutage, so ist eine kurzfristige Vermittlung zu fachkompetenten Kollegen sicherzustellen. Das Wiederauftreten von Depressionen, Ess-Störungen und anderen psychischen Komorbiditäten ist häufig anzutreffen und bedürfen dann eines interdisziplinären Austauschs.

Häufige unerwünschte Wirkungen bariatrischer Operationen

Neben Dumping-Syndrom und Verdauungsstörungen im Sinne von Diarrhoen oder Obstipation kommt es recht häufig zu Haarausfall und Erbrechen/Erwürgen (Cave: Vitamin-B1-Verlust).

Nahrungsmittelunverträglichkeiten können sich sowohl subjektiv als auch objektiv entwickeln. Häufig entsteht durch Erwürgen von Nahrung eine Aversion gegenüber bestimmten Lebensmitteln, die deutlich von einer Intoleranz abzugrenzen ist. Erbrechen kann u. a. durch hastiges Essen oder bspw. durch unzureichendes Kauen der Speisen hervorgerufen werden. Bei rascher Gewichtsreduktion ist das Risiko einer Gallensteinbildung deutlich erhöht. Besonders nach Sleeve-Ga-
strektomien werden oftmals Refluxbeschwerden von den Patienten geschildert. Neue oder alte psychische Probleme oder auch Ess-Störungen treten überproportional häufig auf.
Dass durch massiven Gewichtsverlust eine Ptosis der Haut zu pflegerischen Problemen bis hin zu schwerwiegenden dermatologischen Erkrankungen führen kann, ist evident. In einigen medizinisch-begründbaren Fällen sind plastisch-rekonstruktive Operationen unabwendbar.

Die häufigste unerwünschte Wirkung ist jedoch die erneute rasche Gewichtswiederzunahme bei unzureichender Compliance. Die Probanden müssen im Vorfeld einer bariatrischen Intervention über die Endlichkeit der Gewichtsabnahme und das Risiko des Gewichtsregains ausdrücklich informiert sein. Gelingt es nicht, den Lebensstil dauerhaft in Bezug auf Ess- und Bewegungsverhalten im "neuen" Leben zu implementieren, ist dieser Verlauf hochwahrscheinlich.

Aufgrund der malabsorptiven Komponente einzelner Operationsverfahren und der Kalorienrestriktion kommt es bei unzureichender Supplementation zu Mangelzuständen.
Diesen gilt es durch eine präventive und ggf. zusätzliche gezielte Supplementation von Eiweiß, Vitaminen und Mineralien bestmöglich vorzubeugen. Hinweise zur präventiven Supplementation sind in Tabelle 2 dargestellt.

Kostenmanagement bariatrischer Vor- und Nachsorge

Im Gegensatz zur Liberalisierung der Kostenübernahmezusage durch die Kostenträger für den reinen bariatrischen Eingriff ist die interdisziplinäre Vor- und Nachsorge in Deutschland nach wie vor ein Stiefkind, da sie im EBM nicht abbildbar ist. Obwohl in nationalen und internationalen Leitlinien fixiert und auch vom MDS vorgeschrieben, erhalten die Patienten nur selten die erforderlichen präoperativen Beratungen. Die von den medizinischen Diensten der Krankenkassen eingeforderte postoperative Versorgung durch ein interdisziplinäres Team findet ebenfalls nur selten statt.

Das damit verbundene Ziel, das Ergebnis des chirurgischen Eingriffs langfristig zu sichern, das Outcome zu erhöhen und häufige ernährungsbedingte Mangelerscheinungen und Komplikationen zu vermeiden, wird nicht erreicht. Durch das fehlende Leistungsangebot kommt es quasi zu einer Gefährdung des Patienten, was wiederum in zusätzlichen Kosten für das Gesundheitssystem mündet. Hier sind die Kostenträger gefragt, Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen, damit sich die notwendigen Versorgungsstrukturen im Sinne der bariatrischen Patienten etablieren können.


Literatur:
1. Nationale Verzehrsstudie 2008 (Max Rubner Institut)
2. Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung der Firma Ethicon Surgical
3. S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas, Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie (CA-ADIP), Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG),Deutsche Gesellschaft für Psycho-somatische Medizin und Psychotherapie, Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (Juni 2010)
4. G-2 Gutachten Adipositas-Chirurgie (Bariatrische Chirurgie) Sozialmedizinische Expertengruppe Methoden- und Produktbewertung (SEG 7) der MDK-Gemeinschaft Stand: Januar 2007
5. Begutachtungsleitfaden der MDK-Gemeinschaft "Adipositaschirurgie bei Erwachsenen",
Dez. 2009
6. Interdisciplinary European guidelines on surgery of severe obesity Fried et al, International Journal of Obesity, 2007, 1–9
7. ASMBS Guidelines: ASMBS Allied Health Nutritional Guidelines for the Surgical Weight Loss Patient, Surgery for Obesity and Related Diseases 4 (2008) S73-S108
8. Endocrine and Nutritional Management of the Post-Bariatric Surgery Patient: An Endocrine SocietyClinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab, November 2010, 95(11):4823–4843
9. Diättherapeutischer Leitfaden "Ernährung nach baritatischer Chirurgie", Mario Hellbardt (Hrsg.) ISBN 978-3-89967-712-6. Kapitel: VITAMIN- UND MINERALSTOFFMANGEL NACH BARIATRISCHEN EINGRIFFEN von Alexandra Weber, Jessica-Maria Hoffmann, Marleen Meeteling-Eeken



Autor:

Dr. med. Birgit Schilling-Maßmann

Schwerpunktpraxis für Ernährungsmedizin BDEM
49545 Tecklenburg

Interessenkonflikte: Vortragstätigkeit für das Institut für hausärztliche Fortbildung (IhF)


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (4) Seite 14-18