Die Zahl der Neumanifestationen von Typ-1-Diabetes im Kindesalter steigt jährlich an. Diese Kinder werden in pädiatrischen Diabetesteams betreut und wechseln später zum spezialisierten Erwachsenenmediziner. Der Übergang fällt in der Regel in die Lebensphase der späten Adoleszenz, d. h. in einen Zeitraum mit hoher Vulnerabilität. Die Folge sind Behandlungsabbrüche oder -unterbrechungen mit Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf und sozioökonomische Konsequenzen. Der Hausarzt kann diese Entwicklung frühzeitig erkennen und bestenfalls abwenden.
Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter in Deutschland. Nach aktuellen Schätzungen leben in Deutschland ca. 17 500 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 14 Jahren mit einem Typ-1-Diabetes. In der Altersgruppe von 0 bis 19 Jahren sind etwa 30 500 Kinder und Jugendliche von einem Typ-1-Diabetes betroffen. Damit kommt auf 670 Kinder ein Kind mit Typ-1-Diabetes [4]. Die Anzahl der neuerkrankten Kinder und Jugendlichen nimmt jährlich zu, insbesondere bei den Kleinkindern steigt die Anzahl der Neumanifestationen alarmierend an [7]. Die Daten des Diabetes-Registers in Baden-Württemberg sprechen für eine Verdoppelung der Diabetes-Prävalenz in der Altersgruppe von 0 bis 14 Jahren binnen 20 Jahren (2006 – 2026) [12].
Somit wird in den kommenden Jahren die Anzahl von Menschen mit Typ-1-Diabetes auch in den hausärztlichen Praxen ansteigen. Bei einer Zahl von 50 000 bis 60 000 Hausärzten (ca. ein Arzt pro 1 500 Einwohner) kommen derzeit rechnerisch zwei bis fünf Menschen mit Typ-1-Diabetes auf einen Hausarzt; hingegen sind es ca. 100 Patienten mit Typ-2-Diabetes [17].
Versorgungsstrukturen in Deutschland
Der größte Teil der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes wird entsprechend den AWMF-Leitlinien von kinderdiabetologisch erfahrenen Teams aus Kinderärzten mit der Zusatzanerkennung Diabetologie, Diabetesberatern, Ernährungsfachkräften sowie diabetologisch geschulten Psychologen und Sozialarbeitern betreut [5]. Erwachsene mit Typ-1-Diabetes bedürfen ebenfalls einer spezialisierten ambulanten Versorgung oder einer spezialisierten ambulanten Mitbetreuung [6].
Der Übergang (= Transition, siehe Kasten) von der Behandlung beim pädiatrischen Diabetesteam zu der Betreuung bei einem qualifizierten Arzt in der Erwachsenenmedizin klappt nicht reibungslos. Bis zu 40 % der Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen mit Diabetes verlieren für kürzere oder längere Zeit den Kontakt zur notwendigen Spezialbetreuung [8, 10, 15]. Die meisten Jugendlichen wechseln mindestens einmal den neuen Erwachsenen-Diabetologen [2, 13]. Im ungünstigsten Fall stellen sie sich in den fachlich qualifizierten Einrichtungen der Erwachsenenmedizin erst dann wieder vor, wenn – möglicherweise vermeidbare – Komplikationen aufgetreten sind.
Diabetestherapie in der Adoleszenz ist besonders anspruchsvoll
Eine qualitativ hochwertige Diabetes-Betreuung ist gerade in der Phase der Adoleszenz wichtig und erfordert spezielle Erfahrung. Unbefriedigende Stoffwechseleinstellungen werden vom Körper nicht als "Jugendsünde" vergessen, sondern erhöhen das Risiko für Folgeerkrankungen anhaltend [3, 11, 18]. Entwicklungsbedingt weisen viele Kinder ab der Pubertät einen ansteigenden HbA1c-Wert auf (Abb. 1). Hormonelle Schwankungen ziehen sich bis in das junge Erwachsenenalter hin; unter Ausnutzung der sich rasch entwickelnden technischen Ressourcen gilt es, Therapieanpassungen vorzunehmen. Neue Lebensabschnitte mit veränderten Tagesabläufen erfordern eine Flexibilisierung der Therapiekonzepte. Bei den jungen Erwachsenen tauchen Fragen zu Themen wie Alkohol, Sexualität, Genetik und Führerschein auf. Daneben beeinflussen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz, die alle Jugendlichen durchlaufen, das Diabetesmanagement. Als Beispiel sei das Streben nach Unabhängigkeit mit hoher Risikobereitschaft genannt.
Transition: theoretisch klar – praktisch defizitär
Transitionsprobleme werden nicht nur bei Diabetes, sondern generell bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen festgestellt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen schätzte 2009 in einem Sondergutachten "Spezielle Versorgungsanforderungen im Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter (transitional care)" die Situation als defizitär ein und forderte qualitätsgesicherte Übergangsprogramme [16]. Zu den Eckpunkten von Transitionsprogrammen in der Diabetologie gehören:
1. Information des Patienten und seiner Familie ein Jahr vor dem anstehenden Wechsel
2. Training des Selbstmanagements der Jugendlichen
3. Aufklärung über Zugang und Abläufe in der Erwachsenenmedizin
4. Erstellen eines Übergabeprotokolls
5. Begleitung, z. B. durch Fallmanager [14]
Derzeit laufen eine Reihe von Initiativen und Projekten sowie Koordinierungsbemühungen, wie z. B. die 2013 gegründete Deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin e. V., doch Transition ist in Deutschland noch nicht flächendeckend etabliert. Bis sich eine gesundheitspolitisch begleitete, erfolgreich arbeitende Transitionsstruktur etabliert hat, ist es Aufgabe aller involvierten Ärzte, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes während der Transition auf dem Weg in die diabetologische Schwerpunktpraxis zu begleiten.
Woran erkennt der Hausarzt Transitionsprobleme?
Erfahrungsgemäß treten Probleme häufiger bei Jugendlichen auf, die bereits durch einen erhöhten Betreuungsaufwand in der Kinderdiabetologie auffielen. Aber auch bis dahin "unauffällige Jugendliche" können im Transitionsprozess verloren gehen. Dem aufmerksamen Hausarzt fällt auf, dass der Jugendliche viel häufiger Rezepte für Insulin und Hilfsmittel anfordert. In der Akte fehlen die ärztlichen Ambulanzberichte aus der Diabetologie. Bei nächster Gelegenheit sollte der Hausarzt aktiv das Gespräch mit dem Jugendlichen, entwicklungsabhängig auch mit einem Elternteil, suchen und sich nach dem aktuellen Betreuungsstand erkundigen. Die Bitte an den Patienten, seinen Gesundheits-Pass Diabetes in die Praxis mitzubringen, signalisiert dem Jugendlichen echtes Interesse, andererseits lassen sich mit den Eintragungen die Angaben des Patienten objektivieren. Offenbart sich im Gespräch eine noch nicht abgeschlossene Transition, gilt es die Ursachen aufzudecken. Neben strukturellen Problemen (kein Programm, keine Zeit, kein Geld für Transitionsprogramme) und neben Hindernissen bei den unmittelbar beteiligten Ärzten (Übersicht 1 und 2) spielen oft Probleme beim Jugendlichen sowie seiner Familie eine limitierende Rolle. Hier liegen die Ressourcen des Hausarztes. Der Hausarzt kennt die psychosoziale Situation der Familie und die individuellen Persönlichkeitsstrukturen. Seine ganzheitliche Sicht auf den Patienten und auf das medizinische Versorgungsumfeld ermöglicht ihm, Transitionshindernisse zu erkennen (Übersicht 3 u. 4) und entsprechend gegenzusteuern.
Möglichkeiten der Einflussnahme
Unterstützungsmöglichkeiten sind neben dem ärztlichen Beratungsgespräch der Hinweis auf Selbsthilfevereine oder professionelle psychologische Beratung. Ein gutes niederschwelliges Angebot ist die Internetseite www.between-kompas.de des Kompetenznetzes Patientenschulung im Kindes- und Jugendalter e.V. (KomPaS). Hier finden Jugendliche und junge Erwachsene mit chronischer Erkrankung Informationen zu Arztwechsel, Ausbildung & Beruf, Sexualität & Partnerschaft sowie Links zu weiterführenden Angeboten. Für Eltern gibt es einen separaten Informationsbereich. Bei Fragen können sich Betroffene Expertenrat in einer anonymen E-Mail-Beratung holen. Im Forum bietet sich die Chance, sich mit anderen auszutauschen. Bei schwerwiegenden Problemen im Krankheitsmanagement und bei Entwicklungsgefährdung eines Jugendlichen oder jungen Erwachsenen können Angebote der medizinisch-beruflichen Rehabilitation indiziert sein. So bietet z. B. das Diabeteszentrum des CJD Berchtesgaden spezielle Betreuungskonzepte für Jugendliche und junge Erwachsene an, bei denen die Transition nicht gelingt und ein mangelndes Krankheitsmanagement zur Eigengefährdung führt. Durch Vernetzung von diabetologischer Versorgung, vorberuflicher Bildungsmaßnahme oder kompletter Berufsausbildung sowie pädagogisch-psychologischer Betreuung werden chronisch kranke Jugendliche auf ihrem Entwicklungsweg in die Erwachsenenwelt unterstützt.
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (1) Seite 22-26