Kreuzschmerzen im fortgeschrittenen Alter bedürfen immer einer differenzialdiagnostischen Abklärung. Denn im höheren Lebensalter muss man damit rechnen, dass eine spezifische Wirbelsäulenerkrankung vorliegt. Wenn keine querschnittsartigen Symptome oder keine erhebliche Muskelparesen bestehen, ist jedoch vor einer operativen Therapie immer ein konservativer Behandlungsversuch indiziert.

Kreuzschmerzen haben eine hohe jährliche Prävalenz von 15 bis 45 % und irgendwann im Leben leiden 70 bis 85 % der Menschen an einer Kreuzschmerzepisode. Man unterscheidet den nicht-spezifischen vom spezifischen Kreuzschmerz. Ein höheres Lebensalter wird auch als Warnhinweis („red flag“) für eine spezifische Ursache mit möglicherweise dringendem Handlungsbedarf gesehen, der die differenzialdiagnostische Abklärung der Schmerzgenese erforderlich macht [3].

Degeneration – normaler Alterungsprozess oder Krankheit?

Degeneration ist nicht nur als Krankheit aufzufassen, sondern auch als normaler Alterungsprozess. Die Abgrenzung zwischen degenerativer Wirbelsäulenveränderung und degenerativer Wirbelsäulenerkrankung bereitet mitunter Probleme [6]. Dies zeigt sich auch in einer oft feststellbaren Diskrepanz zwischen bildgebender Diagnostik und Klinik [11]. Hinzu kommt, dass bei degenerativen Läsionen der Wirbelsäule häufig gleichzeitig mehrere verschiedene Pathologien (Tabelle 1) vorhanden sind.

Differenzialdiagnostik wichtig

Daher gilt es im Rahmen der Anamnese und Untersuchung sowie der bildgebenden Diagnostik zu analysieren, ob pathomorphologische Veränderungen mit dem Beschwerdebild in Einklang zu bringen sind, und wenn ja, welche. Davon ist abhängig, ob man das Schmerzbild trotz degenerativer Veränderungen als nicht-spezifischen Schmerz einordnet und behandelt oder ob man eine spezifische Erkrankung mit spezifischer Behandlungsoption anstrebt.

Im Vordergrund der therapeutischen Verfahren wird im Rahmen der nicht-operativen Behandlung der Schmerz stehen, der häufig auch Anlass für den Arztbesuch ist. Eine schmerzfreie Lagerung, in der Regel Rückenlage bei gebeugtem Hüft- und Kniegelenk (sogenannte „Stufenbettlagerung"), entlastet die Wirbelsäulenstrukturen.

Medikamentöse Therapie

Eine frühzeitige und adäquate Schmerztherapie trägt auch zur schnellstmöglichen Mobilisierung der Patienten bei, um allen immobilisationsbedingten Problemen entgegenzuwirken. Die medikamentöse Therapie umfasst sowohl die orale Gabe als auch die intravenöse Applikation aller Medikamente nach dem WHO-Stufenschema der Stufen I bis III. Eine Opioid-Anwendung ist zur Steigerung der Schmerzlinderung in vielen Fällen erforderlich. Für starke, BTM-pflichtige Opioide wird entsprechend der S3-Leitlinie LONTS bei nicht-tumorbedingten Schmerzen jedoch keine Indikation für eine Langzeittherapie über 90 Tage hinaus gesehen [8].

Häufig bedarf es des Einsatzes von Analgetika und Antiphlogistika. Gerade ältere Patienten erhalten aufgrund entsprechender internistischer Erkrankungen oder Risikofaktoren häufig ASS. Es gibt deutliche Hinweise, dass die mit ASS angestrebte Thrombozytenaggregationshemmung durch Ibuprofen aufgehoben werden kann. Deshalb muss man sich mit den Besonderheiten der gleichzeitigen Gabe vertraut machen oder darauf verzichten. Für Diclofenac gibt es Hinweise auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Entsprechende Kontraindikationen sind gerade bei älteren Patienten bedeutsam. Naproxen erhöht das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nicht und könnte möglicherweise wie ASS sogar eine protektive Wirkung haben. Es erhöht jedoch wie alle NSAR das Risiko für eine Herzinsuffizienz und erwies sich hinsichtlich gastrointestinaler Komplikationen, darunter die gefürchteten Blutungen, als das riskanteste NSAR [4]. Bei COX-II-Hemmern besteht ein dem Diclofenac vergleichbar erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Sie haben in der Regel keine Zulassung für den Indikationsbereich "degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule" und können allenfalls bei der Facettengelenksarthrose zum Einsatz kommen. Gerade beim älteren Patienten sind damit die Möglichkeiten der medikamentösen systemischen antiphlogistischen Therapie eingeschränkt. Es bedarf der individuellen Beurteilung des Risikos bei der Auswahl und der kürzest möglichen Zeitdauer.

Auf Rote-Hand-Briefe und die eingeschränkten Indikationen bezüglich Tolperison und Flupirtin sowie auf das Ruhen der Zulassung von Tetrazepam sei verwiesen. Beim Vorhandensein von neuropathischen Schmerzen oder Schmerzanteilen sollte die medikamentöse Therapie entsprechend ergänzt werden [2].

Injektions-/Infiltrationsbehandlung

Die Injektions- und Infiltrationsbehandlung dient sowohl der Diagnostik als auch der Therapie. Diesbezüglich stehen verschiedenste Techniken zur Verfügung [12]. Es gibt trotz vielfältiger Verwendung in der täglichen Praxis und zahlreicher Literaturhinweise keine Zulassung von Kortisonpräparaten für die perineurale oder epidurale Applikation. Deshalb sei auf die Problematik des „Off-Label-Use“ für diese Anwendung und die dadurch bedingten Probleme insbesondere bei der Anwendung im kassenärztlichen Versorgungsbereich besonders hingewiesen. Die lokale Injektions- und Infiltrationstherapie ist nach Orientierung an anatomischen Landmarks sicher möglich. Bei Erfolglosigkeit oder schwierigen anatomischen Verhältnissen kann die Injektion bildwandlergestützt erfolgen. Eine CT-gesteuerte schmerztherapeutische Intervention ist im ambulanten Bereich nach Beschluss des G-BA vom 01.04.13 nur auf Überweisung durch einen Schmerztherapeuten möglich. Epidurale und perineurale Injektionen zählen zu Blockaden mit möglichen schwerwiegenden Folgen durch Blutungskomplikationen. Gerade ältere Patienten sind aufgrund internistischer Begleiterkrankungen häufig mit Antikoagulanzien eingestellt. Daher ist bei Einstellung mit DOAKs (direkte orale Antikoagulanzien), Marcumar® und Thrombozytenaggregationshemmern die Indikation sorgfältig zu stellen und entsprechende Zeitfenster sind zu berücksichtigen [10], die gegebenenfalls auch eine Umstellung der Medikation erforderlich machen (Tabelle 2).

Physikalische Medizin und Rehabilitation

Zusätzlich kommen Verfahren der physikalischen Medizin wie Krankengymnastik, klassische Massage, Elektrotherapie und Thermotherapie zum Einsatz, die zunächst die Schmerzreduktion zum Ziel haben müssen. Diese werden ergänzt durch Manuelle Medizin und orthopädietechnische Versorgung. Nach Beseitigung oder Reduktion der Schmerzen gilt es, Körperfunktionen, Aktivitäten und die Teilhabe am sozialen Leben wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang muss die Notwendigkeit von Rehabilitationsmaßnahmen überprüft werden zur Verbesserung und zum Erhalt der Selbstversorgungsfähigkeit ("Reha vor Pflege"). Der Bewegungstherapie, nicht nur in Form verordneter Physiotherapie, scheint wie bei den nicht-spezifischen Kreuzschmerzen eine besondere Bedeutung zuzukommen [6].

Ambulante Therapie

Die ambulante Therapie unterliegt zahlreichen Limitationen, angefangen bei den eingeschränkten Möglichkeiten der medikamentösen Therapie. Der Heilmittelkatalog begrenzt erheblich die Verordnung von Krankengymnastik und physikalisch-medizinischen Maßnahmen. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Vergütung im kassenärztlichen Bereich mit Budgetgrenzen und Regelleistungsvolumen für die Behandlung einen deutlich limitierenden Faktor darstellt. Der erhebliche Mehraufwand bei älteren Patienten mit degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen und zusätzlicher Komorbidität ist dadurch nur unzureichend abgebildet.

Stationäre Behandlung

Nach Ausschöpfung der ambulanten Maßnahmen oder bei Notfällen besteht die Möglichkeit der Einweisung der Patienten zur stationären nicht-operativen Therapie (DRG, z. B. I68C, I68D und I68E). Dabei sind wie bei jeder stationären Krankenhauseinweisung in Deutschland die G-AEP (German appropriate evaluation protocol)-Kriterien verbindlich zu berücksichtigen. Für die Einweisung von Patienten mit Wirbelsäulenerkrankungen zur konservativen Behandlung wird diesbezüglich „Akute Lähmung oder progrediente Lähmung oder andere akute neurologische Symptomatik“ (A6) oder „Akute oder progrediente sensorische, motorische, funktionelle … Störungen sowie Schmerzzustände, die den Patienten nachdrücklich behindern oder gefährden“ (A10) in Frage kommen, die dann auch eine entsprechende Intensität der Behandlung mit kontinuierlicher intravenöser Applikation von Medikamenten erforderlich machen ("kontinuierliche bzw. intermittierende intravenöse Medikation/Infusion"; B1).

Zusätzlich besteht die Möglichkeit der interdisziplinären Diagnostik und Behandlung von komplexen (multifaktoriellen) Erkrankungen des Bewegungssystems unter fachärztlicher Behandlungsleitung (OPS 8-977). Die OPS ist an die Erfüllung zahlreicher Kriterien gebunden. Sie setzt neben einer Mindestaufenthaltsdauer von zwölf Tagen den Einsatz von fünf diagnostischen Verfahren und sechs therapeutischen Verfahren mit einer Leistungsdichte von 30 aktiven und passiven Einzelleistungen voraus.

Operation versus konservative Behandlung

Aktuell existiert weder für den Einsatz konservativer Verfahren noch operativer Methoden eine sehr gute Evidenzlage [1, 5, 7, 9]. Mittel- und langfristige Ergebnisse differieren häufig wenig. Es geht aber auch weniger um ein „Entweder-oder“, sondern vielmehr um einen sinnvollen Algorithmus der Behandlung mit Einbeziehung der Patienten.

Die konservative Therapie wird mit Ausnahme von Notfallsituationen (i. d. R. gravierende neurologische Ausfälle mit querschnittsartigen Symptomen und erheblichen Paresen) immer am Anfang der Behandlung degenerativer Erkrankungen an der Wirbelsäule stehen. Man erreicht damit gute Ergebnisse. Dennoch muss man auch Möglichkeiten und Grenzen nicht-operativer Verfahren erkennen und respektieren. Inzwischen ist die Verunsicherung von Patienten im Hinblick auf operative Verfahren aufgrund der allgemeinen Diskussion in den Medien hinsichtlich der Operationshäufigkeit so groß, dass auch sinnvolle und indizierte Operationen verweigert werden.


Literatur:
1. Ammendolia C, Stuber KJ, Rok E, Rampersaud R, Kennedy CA, Pennick V, Steenstra IA, de Bruin LK, Furlan AD (2013) Nonoperative treatment for lumbar spinal stenosis with neurogenic claudication. Cochrane Database of Systematic Reviews Issue 8. Art. No.: CD010712. DOI: 10.1002/14651858.CD010712
2. Baron (2006) Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen. Dtsch Ärztebl 103: A2720-A2728
3. Bundesärztekammer (BÄK) et al. (2010) Nationale VersorgungsLeitli¬nie Kreuzschmerz. http://www.kreuz¬schmerz.versorgungsleitlinien.de
4. Coxib and traditional NSAID Trialists‘ (CNT) Collaboration (2013) Vascular and upper gastrointestinal effects of non-steroidal anti-inflammatory drugs: meta-analyses of individual participant data from randomised trials. Lancet 382: 769-779
5. Gibson JNA,Waddell G (2005) Surgery for degenerative lumbar spondylosis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2005, Issue 4. Art. No.: CD001352. DOI: 0.1002/14651858.CD001352.pub3
6. Goode AP, Carey TS, Jordan JM (2013) Low back pain and lumbar spine osteoarthritis: how are they related ? Curr Rheumatol Rep 15: 305
7. Kalff R, Ewald C, Waschke A, Gobisch L, Hopf C (2013) Degenerative lumbale Spinalkanalstenose im höheren Lebensalter. Dtsch Ärztebl Int 110: 613-624
8. Koppert W, Pogatzki-Zahn E, Arnold B et al. (2011) Wie man Opioide richtig anwendet. Dtsch Ärztebl 108: A1541-A1542
9. Kovacs FM, Urrutia G, Alarcon JD (2011) Surgery versus conservative treatment for symptomatic lumbal spinal stenosis. Spine 36: E1335-E1351
10. Kozek-Langenecker A, Fries D, Gütl M, et al. (2005) Lokoregionalanästhesien unter gerinnungshemmender Medikation. Anästhesist 54: 476-484
11. Pennekamp W (2013) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule. Internist 54: 818-826
12. Theodoridis T (2012) Stellenwert der Injektionstherapie bei degenerativen Erkrankungen der Lendenwirbelsäule. Orthopäde 41: 94-99


Autor:

Prof. Dr. med. Bernd Kladny, Herzogenaurach

Abteilung Orthopädie/Unfallchirurgie
Fachklinik Herzogenaurach

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (20) Seite 66-70