Das menschliche Mikrobiom des Darms und die damit zusammenhängenden Regulationsvorgänge sind äußerst komplex. Seine Erforschung scheint ein gewaltiges Potenzial an neuem Wissen und therapeutischen Möglichkeiten zu bieten. Darauf lassen u. a. erste verblüffende Erfolge einer Stuhltransplantation, z. B. bei Clostridienkolitis, schließen. Allerdings sind noch viele offene Fragen zu klären.

Neben komplexen Verdauungsvorgängen spielt das Darm-Mikrobiom eine wichtige Rolle bei der Immunregulation, der Ausbildung eines Immunphänotyps nach der Geburt und der Abwehr von Infektionen. Weiterhin werden Veränderungen des Mikrobioms bei einer Reihe von Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen (Multiple Sklerose, chronisch entzündliche Darmerkrankungen) oder Stoffwechselerkrankungen (metabolisches Syndrom, Adipositas, Fettleberhepatitis/NASH) beobachtet. Es ist aber noch weitgehend unklar, ob diese Veränderungen des Darm-Mikrobioms an der Pathophysiologie beteiligt sind oder ob diese Unterschiede reaktiv als Folge der Erkrankungen zu bewerten sind.

Mikrobiom als "Fingerabdruck"

Durch moderne molekulare Methoden wie "Deep Sequencing" ist es heute im Rahmen von wissenschaftlichen Studien möglich, von jedem Individuum einen hochkomplexen Abdruck des Darm-Mikrobioms und der relativen Vielfalt einer fast unüberschaubaren Menge verschiedener Bakterienstämme zu generieren [1]. Variationen in der Zusammensetzung der Darmflora führen zu deutlich unterschiedlichen funktionellen Ergebnissen z. B. bei der Verstoffwechselung von Substraten aus der Nahrung.

Darm-Mikrobiom gestört

Therapien mit Antibiotika oder gastrointestinale Infekte führen zu einer vorübergehenden, ausgeprägten Veränderung des Mikrobioms. Wie die erneute Wiederherstellung (Rekonstitution) des individuellen Mikrobioms eines Menschen z. B. nach einer Antibiotikatherapie reguliert wird, ist noch weitgehend unbekannt. Auch die Kommunikationswege und die Interaktion des Mikrobioms mit anderen Zellen des Darms (Epithelzellen, Immunzellen, Nervenzellen) sind nur sehr unvollständig bekannt.

Die Clostridienkolitis ist eine Modellerkrankung, bei der durch die Gabe von Antibiotika die Darmflora so verändert wird, dass Clostridien sich rasant vermehren und durch Toxinbildung die Pathophysiologie der Erkrankung (Diarrhoe, Fieber, Krankheitsgefühl) auslösen können.

Durch eine orale Therapie mit Metronidazol oder Vancomycin ist die Clostridieninfektion bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten gut behandelbar. Es gibt jedoch wenige Patienten, bei denen die weitgehende "Eradikation" der Clostridien nicht gelingt und vor allem eine Rekonstitution der gesunden Darmflora mit Verdrängung der pathogenen Erreger durch die "gesunde" Flora nicht ausreichend stattfindet. Diese Patienten leiden an rezidivierenden Schüben einer Clostridienkolitis.

Stuhltransplantation bei Kolitis

In dieser Situation wurde der Versuch einer Stuhltransplantation mit verblüffend positiven Ergebnissen durchgeführt. Eine einmalige Gabe einer Lösung mit Stuhl von gesunden Spendern über eine Jejunalsonde oder eine endoskopische Applikation der Spender-Stuhllösung in den Darm führte bei über 90 % der Patienten zu einer schnellen und andauernden Heilung der rezidivierenden Clostridienkolitis [2, 3]. Diese Daten wurden inzwischen an mehreren Tausend Patienten weltweit bestätigt.

Bei Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zeigen sich in Studien deutliche Veränderungen im Darm-Mikrobiom im Vergleich zu gesunden Kontrollen. Zuerst fällt eine deutlich reduzierte Diversität (Vielfalt) an Bakterienstämmen auf und eine Reihe von Verschiebungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms wurden mehrfach reproduziert [4].

Bei den ersten Versuchen von Stuhltransplantation bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind die Ergebnisse kontrollierter Studien jedoch weitgehend enttäuschend. Eine belgische Studie bei Morbus Crohn und zwei österreichische Studien bei Colitis ulcerosa haben weitgehend negative Ergebnisse erbracht [5]. Eine Studie mit Kindern bei Colitis ulcerosa zeigte nach fünf Stuhltransplantationen jedoch bei der Mehrzahl der Kinder ein deutliches und anhaltendes klinisches Ansprechen [6].

Offene Fragen

In der jetzigen Situation machen daher weitere ungezielte individuelle Heilversuche keinen Sinn. Es ist notwendig, mehr Grundlagenwissenschaft zu betreiben, um sinnvolle Therapie- und Studienkonzepte zu entwickeln. Es stellen sich eine Reihe von Fragen, die in diesem Zusammenhang wissenschaftlich beantwortet werden müssen:

  • Sind alle Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen für diese Therapie geeignet oder sind es spezielle Subgruppen, die auf diese Therapie ansprechen?
  • Ist eine Übertragung von Spenderstuhl sinnvoll oder ist eine Übertragung eines Gemisches von verschiedenen Stuhlbakterien in einer optimalen Zusammensetzung und Menge (= komplexes Probiotikum/"artifizieller" Stuhl) effektiver?
  • Sollten Patienten im akuten Schub und/oder nach langer Krankheitsdauer behandelt werden oder macht es mehr Sinn, zunächst Patienten mit kurzer Krankheitsdauer und/oder in Remission der Erkrankung zur Remissionserhaltung zu behandeln?

Diese und andere Themen werden nun von vielen wissenschaftlichen Arbeitsgruppen in Europa und den USA aufgegriffen und zum Beispiel vom amerikanischen National Institute of Health (NIH) (http://www.hmpdacc.org) im Rahmen des "human microbiome project" gefördert. Diese Arbeiten werden unabhängig von einer möglichen zukünftigen Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen mit einer Stuhltransplantation oder "Stuhlmodulation" einen Schub an neuen Erkenntnissen der Pathophysiologie für die Behandlung der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bewirken.


Literatur:
1) Arumugam et al. Enterotypes of the human gut microbiome Nature 473, 174-80, 2013
2) van Nood et al. Duodenal infusion of feces for recurrent Clostridium difficile New. Engl. J. Med. 368, 2145, 2013
3) Borody et al. Fecal microbiota transplantation and emerging applications, Nat. Rev. Gastroenterol. Hepatol. 9, 88–96, 2012
4) Gevers et al. The treatment-naive microbiome in new-onset Crohn´s disease. Cell Host Microbe 15, 382-392, 2014.
5) Rubin et al. Curbing our Enthusiasm for Fecal Transplantation in Ulcerative Colitis. Am. J. Gastroenterol. 108, 1631 – 1633, 2013.
6) Kunde et al. Safety, tolerability, and clinical response after fecal transplantation in children and young adults with ulcerative colitis. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 56, 597-601, 2013.


Autor:

© Fotolia
Prof. Dr. med. Max Reinshagen,Braunschweig

Medizinische Klinik I
Klinikum Braunschweig
38126 Braunschweig

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (18) Seite 22-25