Die Epiphyseolysis capitis femoris (ECF) ist der häufigste orthopädische Notfall, bei dem es während eines Wachstumsschubes zur Ablösung im Bereich der Epiphyse kommt. Neben anderen Ursachen tritt dieses Phänomen heute deutlich verstärkt durch die Adipositasepidemie auf und sollte daher bei jedem entsprechenden Jugendlichen mit Knie- oder Hüftsymptomatiken in die diagnostischen Überlegungen einbezogen werden. Neben dem typischen außenrotierten Gangbild gilt als Leitsymptom die deutlich verminderte oder meist aufgehobene Innenrotation. Eine ECF muss notfallmäßig operativ versorgt werden, wobei sich das Ausmaß des Eingriffs nach dem Abrutschwinkel richtet. Nur wenn das Krankheitsbild rechtzeitig erkannt wird, lassen sich schwerwiegende Komplikationen wie Hüftkopfnekrosen vermeiden.

Die Epiphyseolysis capitis femoris (ECF) ist definiert als nichttraumatische Lösung der Schenkelhalsepiphyse, meist während eines pubertären Wachstumsschubes. Dabei rutscht die Kopfepiphyse entweder akut oder chronisch nach mediodorsal ab. Diese Beschreibung ist nicht ganz korrekt, denn der Femurkopf wird durch das Ligamentum capitis femoris im Acetabulum zentriert [10], der Schenkelhals gleitet dagegen nach lateral und ventral ab [8]. Die ECF tritt im Verhältnis 4:1 einseitig zu doppelseitig auf [12], wobei neuere MRT- und CT-Untersuchungen über eine doppelseitige Beteiligung bis zu 50 % berichten [9]. Mit 2 bis 9 pro 100 000 Fälle im Alter von 9 bis 16 Jahren ist die ECF die häufigste Hüfterkrankung im Adoleszentenalter.

Ätiologie

Im Allgemeinen wird von einer multifaktoriellen Genese der ECF ausgegangen. Die sekundäre atypische ECF basiert i. d. R. auf Begleiterkrankungen wie Hypothyreose, FSH-Mangel, Panhypopituitarismus und Hypogonadismus. Eine besondere Gefährdung wird bei Jugendlichen mit einer Dystrophia adiposogenitalis (Morbus Fröhlich) gesehen [6]. Heute wird bei den meisten Kindern aber ein normaler Hormonstatus gefunden, so dass die jetzt zunehmend häufigere Übergewichtigkeit mit einem Gewicht oberhalb der 90iger-Perzentile bei mehr als der Hälfte der erkrankten Kinder gefunden wird [2, 5]. Neben der Hüftkopfepiphysenbelastung durch das Körpergewicht gilt auch die sportliche Aktivität als Risikofaktor.

Diagnostik

Typischerweise werden die Jugendlichen mit Knie- und Hüftschmerzen vorgestellt, oft mit einem humpelnden Gangbild. Dabei werden diese Zeichen häufig fehlinterpretiert, so dass die Diagnose oft erst mit einer Verzögerung von einigen Wochen gestellt wird. Je länger die Epiphyseolyse nicht erkannt wird, desto mehr kippt die Hüftkopfepiphyse ab, was dann größere Korrekturmaßnahmen erfordert mit höheren Komplikationsrisiken [16].

Bei den Leitsymptomen Knie-, Hüftschmerz und Humpeln beim adipösen oder auch aufgeschossenen Jugendlichen sollte immer eine Untersuchung der Hüfte, auch mittels Sonographie und Röntgenbild, erfolgen. Bei ECF zeigt sich eine Einschränkung bis Aufhebung der Innenrotation bei der Hüftbeugung. Beweisend ist dann das Drehmann-Zeichen, indem eine Hüftbeugung nur bei gleichzeitiger Außenrotation überhaupt durchgeführt werden kann (Abb. 1).

Die Sonographie zeigt ein Tiefertreten der Hüftkopfepiphyse zur Metaphyse im schenkelhalsparallelen Schnittbild, wobei 1 mm Absenkung mit ca. 10° Abrutsch veranschlagt werden kann. Beweisend ist die Röntgenaufnahme in zwei Ebenen durch die Beckenübersicht in maximaler Innenrotation und die axiale Aufnahme nach Imhäuser (in 90° Hüftbeugung und 45° Abduktion).

Klassifikation

Unterschieden wird entsprechend der Anamnesedauer die akute ECF mit einer Dauer von unter zwei Wochen von der chronischen Verlaufsform, wobei jederzeit eine plötzliche Verschlechterung letzterer (akut auf chronisch) entstehen kann. Für die Therapie erfolgt die Einteilung nach dem Abrutschwinkel: Eine geringgradige ECF besteht bei einem Epiphysentorsionswinkel bis 30°, eine mittelgradige bei 30 bis 50° und eine hochgradige bei über 50°. Die akute Epiphyseolyse mit Instabilität und Gehunfähigkeit ist eine Notfallindikation – diese kann bei einer chronischen ECF aber auch nie ausgeschlossen werden [17, 4].

Therapie

Die Behandlung der ECF ist immer operativ. Das Ziel ist, jeweils ein weiteres Abrutschen zu verhindern bzw. darüber hinaus eine Korrektur bei bereits bestehender Fehlstellung zu erreichen.

Bei der akuten und "akut auf chronischen" ECF ist das Therapieziel, im Rahmen der notfallmäßigen Sofortbehandlung eine Reposition oder Teilreposition der abgeglittenen Epiphyse mit anschließender Stabilisierung und Entlastung des unter hohem Druck stehenden Hüftgelenkes vorzunehmen. Die Begründung liegt darin, dass eine schnelle Reposition und Senkung des erhöhten intraartikulären Druckes dem Risiko einer Hüftkopfdurchblutungsstörung mit nachfolgender Nekrose vorbeugen kann (hierdurch verbleibende Hüftkopfnekroserate: 4,5 %), andere unterschiedliche Behandlungsstrategien haben Raten zwischen 10 und 20 % [16].

Bei der akuten ECF erfolgt die geschlossene Reposition in Narkose unter Traktion, in Flexion, Abduktion und Innenrotation, um dann bei jüngeren Patienten (Mädchen unter 10 Jahren und Jungen unter 12 Jahren) mittels der Kirschnerdrahtstabilisierung der Epiphyse ein Schenkelwachstum zu erhalten. Bei älteren Kindern ist das Einbringen einer Epiphysenschraube das Mittel der Wahl, wobei durch Überstand der Schraube, aber auch per se ein Restwachstum über 20 Monate besteht [1].

Bei der chronischen ECF ist das Ziel die Verhinderung des weiteren Abrutschens und der möglichen Spätschäden und Komplikationen. Dazu werden bis zu einem Abrutschwinkel von 30° entsprechend dem Patientenalter Kirschnerdrähte oder auch Epiphysenfixationsschrauben in den Schenkelhals eingebracht. Beträgt der Abrutschwinkel mehr als 30°, ist das Arthroserisiko deutlich höher und die spontane Remodellierung häufig nicht mehr ausreichend. Entsprechend werden zusätzlich zur Fixierung der Epiphyse korrigierende inter- oder subtrochantäre Korrekturosteotomien empfohlen. Da aber bei dieser Methode die Korrektur nicht im Bereich der Fehlstellung erfolgt und Sekundärfolgen (Arthrose) entstehen können, hat heute ein Paradigmenwechsel stattgefunden [11, 17], indem für die mittlere und hochgradige ECF eine Osteotomie subkapital mit Keilresektion und kompletter Korrektur der Abkippung im Rahmen einer chirurgischen Hüftluxation mit Tochanter-Flip-Osteotomie erfolgt (Abb. 2). Hierdurch konnte in Zentren mit größerer Erfahrung überwiegend eine nahezu vollständige Wiederherstellung der Hüftgeometrie mit komplikationsarmem, rezidivfreiem Verlauf erreicht werden [7, 13]. Bei funktionell sehr guten Frühergebnissen sind bisher keine längerfristigen Erfahrungen vorhanden (Abb. 2).

Bilaterale Therapie

In 25 – 40 % betrifft die ECF beide Hüftgelenke oder es kommt zwischen einem halben bis einem Jahr zum Abrutsch der kontralateralen Seite [3]. Entsprechend besteht in Deutschland die Tendenz, die prophylaktische Verschraubung auch der nicht betroffenen Seite überwiegend zu empfehlen [16]. Nachgewiesen ist, dass es bei noch weitgehend offenen Wachstumsfugen mit einer 100 %igen Wahrscheinlichkeit zu kontralateralem Abrutsch kommt, während sich diese bei zunehmendem Fugenschluss auf 0 reduziert [15]. Entsprechend muss bei nicht erfolgter Operation der kontralateralen Seite mindestens eine dreimonatige Verlaufskontrolle erfolgen.

Fazit

  • ECF ist ein orthopädischer Notfall.
  • Risikofaktoren für eine ECF sind Adipositas und sportliche Aktivität während der Pubertät.
  • ECF ist die häufigste Hüfterkrankung im Adoleszentenalter und weiter zunehmend.
  • Frühdiagnostik ist notwendig.
  • Differenzialtherapie: neben Reposition, Retention, Kirschnerdraht- und Schraubenosteosynthese Prävention und Korrektur des Impingements durch chirurgische Hüftluxation und subkapitale Korrekturosteotomie möglich.


Literatur:
1) Breaud J et al.(2009) Residual hip growth after pinning of slipped capital femoral epiphysis. J Pediatr Orthop B: 18, 7-9
2) Brenkel et al. (1989) Hormone status in patients with slipped capital femoral epihysis. J Bone Joint Surg (Br) 71:33-8
3) Engelhard P, (2002) Epiphyseolysis capitis femoris und die "gesunde" gegenseitige Hüfte. Orthopäde , 31:888-893
4) Glavas P P und Horn B D (2012) Slipped Capital Femoral Epiphysis in Herman H J & Abzig JM, Pediatric Orthopedic Surgical Emergencies. Springer Verlag New York
5) Hell A. K. (2005) Epiphyseolysis capitis femoris und Übergewicht. Orthopäde 34:658-663
6) Hefti F (2009) Kinderorthopädie in der Praxis. 2. Auflage. Springer Verlag Heidelberg, New York
7) Huber H et al. (2011) Adolescent Slipped Capital Femoral Epiphysis Treated by A Modified Dunn Osteotomy With Surgical Hip Dislocation. J Bone Joint Surg :93-B, 833-8
8) Ilchmann T (2005) Komplikationen bei Schraubenentfernung nach Epiphyseolysis capitis femoris. Vortrag auf der 19. Jahrestagung der Deutschsprachigen Vereinigung für Kinderorthopädie, 11.-12. März 2005, Heidelberg
9) Jerre R (1994) The contralateral hip in patients primarily treated for unilateral slipped upper femoral epiphysis. Long-term follow-up of 61 hips. J Bone Jur Surg Br 76:563-567
10) Jingushi S (2004) Slipped capital femoral epiphysis: etiology and treatment. J Orthop Sci 9:214-219
11) Leunig M et al. (2000) Slipped capital femoral epiphysis: early mechanical damage to the acetabular cartilage by a prominent femoral metaphysic. Acta Orthop Scand. ;71:370-5
12) Loder RT (1996) The demographics of slipped capital femoral epiphysis. Clin Orthop 15:349-356
13) Loder RT, Dietz FR: (2012) What is the Best Evidence for the Treatment of Slipped Capital Femoral Epiphysis. J Pediatr Orthop. Suppl. :32, 158-165
14) Niethard,F. (2012) Kinderorthopädie Thieme Verlag Stuttgart
15) Popejoy D et al. (2012) Prediction of contralateral slipped capital femoral epiphysis using the Modified Oxford Bone Age Score. J Pediatr Orthop:32, 290-294
16) Wirth T (2011) Epiphyseolysis capitis femoris. up 2 date 6: 147-170
17) Ziebarth K et al.(2012) Clinical stability of slipped capital femoral epiphysis does not correlate with intraoperative stability. Clin Orthop Relat Res:470, 2274-2279


Autor:

Priv. Doz. Dr. med. Holger Mellerowicz, Berlin

HELIOS Klinikum Emil von Behring
14165 Berlin

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (17) Seite 58-60