Die Vorstellung der großen UKPD-Studie an über 5 000 Typ-2-Diabetikern sorgte im Jahre 1998 in Barcelona für einen Paukenschlag: Von allen geprüften Medikamenten (damals Insulin, Sulfonylharnstoffe und Metformin) konnte lediglich in einer Biguanidgruppe eine signifikante Reduzierung der Herzinfarktrate und der diabetesbezogenen Mortalität ermittelt werden. Für viele wurde Metformin damit vom Stiefkind zum Kronprinzen in der Diabetestherapie. Warum das auch in Zukunft so bleiben dürfte, soll im folgenden Beitrag dargestellt werden.

Was macht Metformin so wertvoll? Zunächst ist anzumerken, dass Metformin sich in seinem Metabolismus grundlegend von den anderen Biguanidpräparaten Phenformin und Buformin unterscheidet, die in den 70er-Jahren wegen gehäuft auftretender Laktazidosen zu Recht aus dem Handel genommen wurden. Vergleichende Langzeitstudien haben inzwischen gezeigt, dass Metforminpatienten nicht häufiger an Laktazidose erkranken als andere zuckerkranke Patienten.

Welche Nebenwirkungen sind zu bedenken?

Dennoch bleibt – um dies vorwegzunehmen – die Forderung bestehen, auch Metformin bei anoxischen Zuständen und insbesondere bei Niereninsuffizienz (GFR < 60 ml/Min.) nicht zu verordnen. Die schwerwiegende Komplikation einer Laktazidose kann nämlich in Extremsituationen, wie etwa bei gastrointestinalen Infekten mit Durchfällen, unter Metformin auftreten, wenn auch relativ selten. In den USA darf Metformin bis zu einer GFR von 30 gegeben werden, was sich aber bei uns verbietet, jedoch erkennen lässt, wie klein das Restrisiko für Metformin ist.

Was übrige mögliche Nebenwirkungen angeht, stehen gastrointestinale Erscheinungen (Völlegefühl, metallischer Mundgeschmack, womöglich Durchfälle) im Vordergrund, die sich aber unter Beachtung von zwei Punkten in aller Regel vermeiden lassen:

Erstens sollte man die Therapie nach dem Motto "start low, go slow" beginnen, also z. B. ein- bis zweimal 500 mg Metformin pro Tag verordnen und langsam auf die optimale tägliche Erhaltungsdosis von zweimal 1 000 mg steigern. Zweitens soll Metformin stets nach dem Essen ("mit dem letzten Bissen") eingenommen werden. Mit diesen Maßnahmen kann man fast immer die gastrointestinalen Probleme vermeiden.
Noch ein Tipp für die Praxis: Manche Metforminpräparate enthalten Laktose, die selbst in kleinen Mengen bei der so häufig auftretenden Laktoseintoleranz Magen-Darm-Beschwerden verursachen kann. Versuchsweise empfiehlt sich dann der Wechsel auf ein laktosefreies Biguanidpräparat, wie z. B. Glucophage®.

Metformin als Kombi-Partner

Metformin wirkt glukoneogenesehemmend und damit nichtinsulinotrop blutzuckersenkend. Hierdurch ist es der ideale Kombinationspartner für andere orale Antidiabetika, z. B. die insulinotrop wirkenden DPP4-Hemmer (Sitagliptin, Saxagliptin) oder die nichtinsulinotrop wirkenden SGLT2-Rezeptorenhemmer, wie z. B. Dapagliflozin, Canagliflozin oder Empagliflozin. Gerade die Kombination von Metformin mit den Gliptinen ist deswegen ideal, weil Metformin auch inkretinstimulierend wirkt, also GLP1 vermehrt zur Verfügung stellt, das dann unter dem Einfluss der DPP4-Hemmer verzögert abgebaut wird und seinen gewünschten Effekt (Anregung der Insulinsekretion ohne Hypoglykämien, Bremsung der bei Diabetikern erhöhten Glukagonsekretion) entfalten kann. Hier liegt der entscheidende Vorteil gegenüber den insulinotropen Sulfonylharnstoffen, die ich als Auslaufmodelle ansehe: Sie führen zu schweren, nicht selten tödlichen Hypoglykämien, erhöhen die Sturzgefahr und das Körpergewicht und haben – womöglich gerade im Vergleich zu Metformin – kardiovaskuläre Schäden im Gefolge (u. a. UGDP-Studie schon in den 60er-Jahren und neuerdings Bannister et al. [1]).

Metformin wirkt außerdem lipidsenkend (vor allem auf die Triglyzeride), hemmt den Appetit, reduziert das Körpergewicht, soll sogar bei chronischer Herzinsuffizienz von Vorteil sein. Zudem hat es ganz offensichtlich einen antikarzinogenen Effekt, was bei der doppelten Krebshäufigkeit von Diabetikern bedeutsam ist.

Metformin für Typ-1-Diabetiker?

Ein Einsatz von Metformin für Typ-1-Diabetiker wäre – leider immer noch – "off label"; es gibt aber auch Ausnahmen. Wenn man bedenkt, dass Typ-1- und Typ-2-Diabetes unterschiedliche Krankheitsbilder sind und dass in der Gesamtbevölkerung in fast 10 % Typ-2-Diabetes auftritt, dann liegt die Wahrscheinlichkeit für Typ-1-Patienten, zusätzlich ebenfalls einen Typ-2-Diabetes zu erleben, also auch bei knapp 10 %. Jeder zehnte Patient hat also dann einen sogenannten "double diabetes", was man allenfalls an der Gewichtszunahme und dem steigenden Insulinbedarf der ursprünglichen Typ-1-Patienten vermuten (aber nicht beweisen) kann. In dieser Situation wäre also die Gabe von Metformin schon nicht mehr strikt "off label"; eine genaue Dokumentation im Krankenblatt sollte allerdings die Situation – um Regresse zu vermeiden – erläutern.

Vom Stiefkind zum Kronprinz

Metformin wird mehr denn je weltweit bevorzugt verordnet und wird auch in Zukunft das orale Antidiabetikum Nummer 1 bleiben. Glücklicherweise wird dies auch in dem ADA/EASD-Positionspapier und in den nationalen Versorgungsleitlinien so gesehen, während ja in anderen Belangen sowie bei der Sulfonylharnstofftherapie auf nationaler Ebene leider keine einheitlichen Empfehlungen abgegeben werden konnten.

Nicht zuletzt sollte man auch bedenken, dass Metformin äußerst kostengünstig ist, was dem von Budgetsorgen geplagten Arzt den Einsatz dieser hervorragenden Substanz zusätzlich erleichtern sollte. Auch Sulfonylharnstoffe sind billig, haben aber zu viele Nachteile (s. o.), als dass man den Kostenfaktor zu ihren Gunsten verwerten sollte.

Übrigens
Bei einer Befragung von inzwischen mehr als 1 000 Kolleginnen und Kollegen konnte Stephan Jacob (persönliche Mitteilung) feststellen, dass im Falle einer eigenen Typ-2-Erkrankung weniger als 1 % (!) als erstes Präparat einen Sulfonylharnstoff einnehmen und dass weniger als 5 % der Befragten als zweites orales Antidiabetikum (nach Metformin) zu einem Sulfonylharnstoff greifen würden!


Literatur:
1) Bannister CA et al., Diabetes Obes Metabol. 2014 Jul 7. doi: 10.1111/dom.12354. (Epub ahead of print)


Autor:

© copyright
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert, Krailling

Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (17) Seite 44-47