Mit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming vor nicht einmal 100 Jahren haben wir geglaubt, die Geißel der bakteriell verursachten Infektionen endgültig besiegt zu haben. Doch bei zu häufigem Gebrauch wird selbst die schärfste Waffe stumpf. Nur wenn wir unser Verhalten im Umgang mit den Antibiotika ändern, können wir uns diese wichtigen Medikamente auf längere Sicht erhalten.

Drei Feststellungen sollten uns aufhorchen lassen!

  1. Gegen die "Praxisantibiotika" (Beta-Laktamantibiotika, Cephalosporine, Chinolone, Makrolide, Tetracycline) nehmen die Resistenzen ständig zu.
  2. Für diese Resistenzentwicklung sind auch wir Verordner mit verantwortlich.
  3. Es wird keine neuen Praxisantibiotika geben.

Im Vergleich der europäischen Länder sind wir deutschen Ärzte glücklicherweise zurückhaltend in der Verordnung von Antibiotika (Abb. 1). Und dennoch werden auch bei uns zu viele und oft die falschen Antibiotika verordnet. Es gibt eine Reihe von triftigen Argumenten, die eine Zurückhaltung bei der Verwendung von Antibiotika bei Atemwegsinfektionen oder Infektionen im HNO-Bereich sinnvoll machen.

Jede Antibiotikaverordnung steigert die Resistenzentwicklung

Vor 5 000 Jahren hat es bereits Antibiotika, aber auch Resistenzen gegeben. Diese Information haben Wissenschaftler einem Bohrkern aus dem Permafrost in Alaska entnehmen können. Antibiotika sind also keine "Erfindung" der Neuzeit. Schon damals haben wirksame Waffen gegen Bakterien existiert. Und die Bakterien mussten sich gegen Pilze und andere Bakterien wehren, eben Resistenzen entwickeln. Uns Menschen und der übermäßigen Verwendung von Antibiotika ist jetzt aber eine rasante Resistenzentwicklung zu verdanken.

  • Die Resistenzentwicklung korreliert stark mit dem Verbrauch (Abb. 2).
  • Jeder einzelne Antibiotikaeinsatz erhöht den Selektionsdruck auf die Bakterien und fördert die Resistenzentwicklung. Umgekehrt reduziert auch jede eingesparte Anwendung diesen Druck und verlangsamt die Resistenzentwicklung.

Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Antibiotikaverordnung und Resistenzentwicklung. Ein Beispiel: In Finnland sollten vor Jahren zur Behandlung der eitrigen Angina ausschließlich Makrolide zur Anwendung kommen. Eine rasante Resistenzentwicklung von Streptokokken gegen Makrolide war die traurige Folge dieser unsinnigen Anweisung. Glücklicherweise folgte der Rücknahme ein langsamer Rückgang der Resistenzentwicklung.

Kommentar: Die eitrige Angina wird meistens durch Streptokokken der Gruppe A verursacht. Bei diesen Erregern ist die Therapie mit Penicillin V immer noch das Optimum, das innerhalb weniger Stunden spürbare Linderung garantiert. Diese "Erfolgsgarantie" kann schon als Beweis für die richtige Diagnose gewertet werden. Bleibt die schnelle Besserung wider Erwarten aus, müssen Zweifel an der Diagnose geäußert werden. Zu denken ist an Morbus Pfeiffer oder eine Mischinfektion mit einem Betalaktamase-bildenden Keim.

Resistenzen und Wirkspektrum müssen beachtet werden

In einigen europäischen Ländern sind Pneumokokken gegenüber Penicillin (Abb. 3) oder Makroliden in hohem Prozentsatz resistent. Wer erfolgreich therapieren will, muss auch nach einem Auslandsaufenthalt fragen und bei der Auswahl des Antibiotikums die Resistenzen in anderen Ländern, in Deutschland sowie in seiner Region kennen (beim Einsendelabor zu erfragen).

Falsche Vorlieben sind gefährlich

Bei vielen Ärzten scheinen Indikation und pharmakologische Eigenschaften kein Auswahlkriterium für ein Antibiotikum zu sein.

Jedes Freiwerden eines Patents lässt die Verordnungszahlen für diese Substanz nach oben schnellen, ungeachtet der Tatsache, ob diese Substanz bei dem speziellen Infekt indiziert ist oder nicht. Seit 2006 haben sich die Verordnungszahlen für Cephalosporine verdoppelt und die für Chinolone haben um 17 % zugenommen. Gleichzeitig sind die Zahlen für Penicilline und Tetrazykline rückläufig. Bei unter 15-jährigen ist jedes zweite verordnete Antibiotikum ein Cephalosporin. Bei den über 70-Jährigen machen diese zwei Antibiotika mehr als die Hälfte aller Verordnungen aus. Cephalosporine haben aber eine schlechte orale Bioverfügbarkeit. Für Cefuroxim liegt sie z. B. bei 40 – 60 %. Daraus resultiert eine höhere Rate von Diarrhoen und Infektionen mit Clostridium difficile.

Von den Chinolonen wird Ciprofloxacin häufig bei Atemwegserkrankungen eingesetzt, obwohl es gegen die häufigsten Erreger im Atemwegsbereich, die Pneumokokken, nicht bzw. nur sehr schwach wirksam ist. Levofloxacin erreicht bei einmaliger Dosierung keine ausreichenden Gewebespiegel über 24 Stunden.

Antibiotikaverordnung oft unbegründet

Wer sich die Mühe macht, die Diagnosen eines Winterhalbjahrs aufzulisten, wird die Feststellung in der Literatur bestätigt sehen, dass 80 % aller Infektionen in der Hausarztpraxis viraler Genese sind. Nur in 20 % der Fälle müssen wir einen bakteriellen Befall annehmen. Von diesen 20 % ist aber wiederum bei nur einigen wenigen Patienten der Einsatz eines Antibiotikums gerechtfertigt, d. h. von Nutzen für den Patienten (Abb. 4).

Wer sich jetzt die Mühe macht, die Häufigkeit seiner Antibiotikaverordnungen zu überprüfen, wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einen zu hohen Verbrauch feststellen müssen.

Eingeschränkte Indikation für Antibiotika

Primär bakterieller Atemwegsinfekt

Eine primäre Besiedlung der Atemwege mit Bakterien ist eher selten. Bei einer primär bakteriellen Infektion der Atemwege ist eine Antibiotikatherapie deshalb problematisch, weil wir nicht wissen, mit welchen Erregern zu rechnen ist. Wir therapieren nicht empirisch, sondern blind.

Sekundär bakterielle Infektion der Atemwege (Superinfektion)

Häufiger sind sekundäre Besiedlungen einer vorgeschädigten Schleimhaut. Die Kenntnis der potenziellen Erreger, d. h. Pneumokokken, H. influenzae und M. catarrhalis, erlaubt eine empirische Auswahl.

Wird als "Komplikation" eine obstruktive Variante festgestellt, vermittelt die Auskultation mehr Gefährlichkeit, als real vorliegt. Die alleinige Verordnung eines Bronchodilatators, am besten in Kombination mit einem Kortikosteroid zur Inhalation, ist sinnvoller als die Gabe eines Antibiotikums. Im Anschluss an den Infekt sollte der Ausschluss einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (Asthma, COPD) oder einer anderen Grundkrankheit (z. B. Karzinom) erfolgen.

Spezielle Infektionen der oberen Atemwege

Während bei der eitrigen Angina die bereits erwähnte Therapie einzuleiten ist, wird die Antibiotikatherapie bei der Otitis media sicher häufiger begonnen als medizinisch notwendig. Die gefürchtete Mastoiditis konnte in Studien bei Patienten unter symptomatischer Therapie nicht häufiger beobachtet werden als unter einer Antibiotikatherapie. Eine sofortige antibiotische Therapie ist nach der Literatur [4] nur bei Patienten mit ausgeprägten Ohrenschmerzen, bei Fieber ≥ 39 °C, bei Kindern unter sechs Monaten, Kindern mit beidseitiger Otitis media oder Kindern mit speziellen Risikofaktoren, z. B. Immundefizit und Down-Syndrom, indiziert.

Eine Sinusitis heilt in der Regel bei geeigneter Unterstützung, Abschwellung der geschwollenen Schleimhaut, Sekretolytika, ggf. Inhalation mit Kochsalz oder ätherischen Ölen aus. Eine Antibiotikatherapie macht nur Sinn bei anhaltender Therapieresistenz oder Komplikationen.

Die oftmals als Entscheidungskriterium für die Notwendigkeit einer Antibiotikatherapie angeführte Verfärbung des Sputums ist leider auch nicht eindeutig. Auswurf kommt alleine schon zustande, wenn die Schleimhautoberfläche im Verlaufe eines akuten Infektes abgestoßen wird. Eine gelbliche Verfärbung ist kein aussagefähiges Kriterium. Viel zu häufig werden Allergiker, die zu ihrer Allergiezeit gelblichen Auswurf produzieren, mit einem Antibiotikum behandelt und nicht wie indiziert mit einer antiinflammatorisch wirksamen Substanz, d. h. einem Kortison zur Inhalation. Selbst eine gelb-grüne Verfärbung des Sputums ist kein 100 %iger Hinweis auf einen bakteriellen Infekt. In einer Untersuchung [1] konnten bei grünem Sputum nur in 83 % bakterielle Erreger nachgewiesen werden.

Individuell entscheiden!

Selbstverständlich muss die Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikatherapie letztendlich immer abhängig gemacht werden vom klinischen Bild und dem Allgemeinzustand des Patienten. Bei einem jungen, gesunden Patienten wird man eher abwarten können als bei einem alten, multimorbiden. Bei fehlender Besserung kann in der Regel ohne Gefahren für den Patienten auch später noch eine Antibiotikatherapie eingeleitet werden.

Mittlerweile existieren zahlreiche Untersuchungen, die eindrucksvoll belegen konnten, dass bei einer bakteriellen Besiedlung der Atemwege eine Antibiotikatherapie einer symptomatischen Therapie nicht überlegen, somit in den allermeisten Fällen überflüssig ist.

Erwarten Patienten ein Antibiotikum?

Nein! In einer Umfrage des Robert Koch-Instituts konnte dieser Irrglaube ausgeräumt werden. 93 % wollten ein Antibiotikum nur einnehmen, wenn dies unbedingt nötig ist. Nur 10,5 % erwarten bei einer Erkältungskrankheit ein Antibiotikum, bei einer Lungenentzündung dagegen 92,7 %. Die Reaktion auf eine "ungewollte" Antibiotikaverordnung kann folgendermaßen sein:

  • Der Patient löst das Rezept nicht oder erst bei Verschlechterung ein.
  • Der Patient löst das Rezept ein, nimmt das Medikament aber nicht.
  • Der Patient nimmt es ein, aber nur halbherzig, d. h. nicht in der erforderlichen Dosis und Frequenz oder verkürzt die Einnahmedauer.

Indikationen für Antibiotika

Was pneumologische Infektionen angeht, so können wir nur bei der akuten Exazerbation der COPD (AECOPD) und bei der Pneumonie durch die Therapie mit einem Antibiotikum einen Nutzen erwarten.

Auch wenn bei der akuten Exazerbation der COPD nicht immer Bakterien nachgewiesen werden können, scheinen die Patienten doch von dieser Therapie zu profitieren. Bei dieser, vielleicht kritisch gesehen, großzügigen Indikation sollte bedacht werden, dass nachweislich jede Exazerbation zu einem unterschiedlich intensiven und irreversiblen Lungenfunktionsverlust führt. Durch geeignete Maßnahmen, Intensivierung der antiobstruktiven Therapie und Therapie mit dem richtigen Antibiotikum und einer kurzzeitigen Gabe eines systemischen Kortikosteroids kann der Schaden begrenzt werden.

Bei der Pneumonie konnten in fast allen Studien Pneumokokken als häufigste bakterielle Erreger nachgewiesen werden. Wesentlich seltener sind H. influenzae und Staphylokokkus aureus und noch seltener andere Erreger.

Antibiotika können auch schaden

Obwohl Antibiotika zu den gut verträglichen Medikamenten zählen, besitzen auch sie Nebenwirkungen. Neben eher harmlosen Bauchbeschwerden müssen auch eine Reihe von zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen bedacht werden. Dazu zählen allergische Reaktion bis zum anaphylaktischen Schock, Leber-/ Blutschädigung und Diarrhoe.

Clostridium-diffcile-Infektionen

Meistens ist die Störung der Magen-Darm-Flora harmlos. Aber die Zahl der Infektionen mit Clostridium difficile nimmt zu. Lag die Zahl im ambulanten Bereich 2012 noch bei 10 %, müssen wir mittlerweile mit einem solchen Infekt bei 40 % der Antibiotikatherapien im ambulanten Bereich rechnen.

Meistens ist der Infekt nur leichteren Grades und heilt ohne Therapie aus. Leider aber existieren auch eine Reihe von Beispielen mit zum Teil tödlichem Ausgang. Das folgende Szenario ist durchaus denkbar:

Anlässlich eines Infektes der Atemwege mit leicht gelbem Auswurf, aber sonst relativem Wohlbefinden verordnet der Hausarzt seinem Patienten ein Antibiotikum. Der Patient ist glücklich, eine gute Therapie bekommen zu haben, und nimmt das Medikament gerne ein. Es folgt eine schnelle Besserung, bis der Patient Durchfall entwickelt, der ihn arg belästigt. Eine dramatische Verschlechterung seines Befindens zwingt zur stationären Einweisung. Im Krankenhaus wird die Diagnose einer Infektion mit Clostridium difficile gestellt. Der Keim spricht leider auf keine der gewählten Antibiotika an. Ultima Ratio ist die totale Resektion des Kolons.

Bisher ist ein solcher Verlauf Gott sei Dank ein äußerst seltenes Ereignis. Aber wie beurteilen Sie die fiktive Fortsetzung dieser Geschichte?

Der Patient ist mittlerweile zwangsläufig zu einem kleinen Experten geworden und ihm ist bekannt, dass der Auslöser seiner Leidensgeschichte eine Antibiotikatherapie sein kann. Mittlerweile ist er davon überzeugt, dass die Antibiotikaverordnung seines Hausarztes vorschnell und leichtfertig und wahrscheinlich überflüssig gewesen ist, und verklagt seinen Hausarzt auf Schadensersatz.

Fazit

Jeder Arzt, der die Indikation zu einer Antibiotikatherapie äußerst streng stellt, hilft sowohl seinem Patienten als auch dem Erhalt der Antibiotika als Waffe gegen bakterielle Infektionen.


Literatur:
1. Gompertz et al (2001) Eur Respir J 17 (6): 112 119
2. Goosens H., Ferech M., Vander Stichele R., Elseviers M.; Lancet 2/2005, 12 – 18: 365 (9459): 579 – 587
3. Granizo J. J. et al., J Antimicrob Chemother 2000, 46: 767 – 773
4. Thomas J. P., Berner R., Zahnert T., Dazert. S.: Strukturiertes Vorgehen beo akuter Otitis medi, a Dt. Ärzteblatt Jg 111/Heft 9 vom 28.2.2014
5. www.ecdc.europa.eu/en/publications


Autor:

© copyright
Dr. med. Thomas Hausen, Essen

Facharzt für Allgemeinmedizin
45239 Essen

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (17) Seite 18-24