Juckreiz ist eine alltägliche Sinneswahrnehmung. In vielen Situationen des täglichen Lebens empfinden wir Juckreiz – bei Müdigkeit, bei Stress, wenn wir jemanden beim Kratzen zusehen usw. Meist dauert eine solche Juckepisode nur wenige Sekunden und lässt sich durch kurzes Kratzen beenden. Akuten, ausgeprägten Juckreiz kennen wir von Mückenstichen, Kontakt mit Brennnesseln oder Hagebutten. Auch diese Empfindung klingt meist nach Stunden bzw. wenigen Tagen wieder ab. Chronischer Juckreiz hält über viele Wochen an und hat meist eine dermatologische, internistische oder aber auch neurologisch/psychiatrische Erkrankung zur Ursache.
Juckreiz ist charakterisiert als eine Empfindung, die den Wunsch zum Kratzen auslöst. Von chronischem Juckreiz oder Pruritus sprechen wir, wenn der Juckreiz länger als sechs Wochen anhält [16]. Juckreiz kann lokalisiert oder generalisiert auftreten. Entsprechend der 2007 entwickelten Klassifikation [8] unterscheiden wir die Haut bei chronischem Juckreiz in drei Formen:
- primär entzündliche Haut – meist bei Dermatosen
- normale bzw. unauffällige Haut – bei systemischen, psychischen oder neurologischen Krankheiten
- sekundär veränderte Haut (Kratzläsionen, Prurigo) – in der Folge des Kratzens bei den beiden obengenannten Krankheiten (Abb. 1)
Pruritus bei Hauterkrankungen
Bei fast jeder Dermatose kann Juckreiz als Begleitsymptom auftreten (Tabelle 1). Bei einigen Hauterkrankungen wie dem atopischen Ekzem, der Urtikaria und der Skabies gilt Juckreiz sogar als Kardinalsymptom. Manche Hauterkrankungen jucken stark und führen dennoch nicht zu Kratzläsionen, weil Kratzen den Juckreiz noch verschlimmert [3]. Dies trifft zum Beispiel auf die Urtikaria oder den HES-induzierten Pruritus zu. Chronisches Kratzen führt zu Narben, Pigmentverschiebungen und Lichenifikation. Wichtig: Sekundäre Kratzläsionen wie Erosionen, Exkoriationen, lichenifizierte Knoten und Hämorrhagien können das klinische Bild einer Dermatose verschleiern oder eine Dermatose vortäuschen! Im Folgenden sollen einige wichtige juckende Hauterkrankungen kurz vorgestellt werden.
Sebostase
Eine der häufigsten Ursachen eines Pruritus ohne Entzündungszeichen ist Hauttrockenheit. Typischerweise tritt der Juckreiz an den fettärmeren Körperzonen (Streckseiten von Armen und Beinen) zuerst auf. Häufiges Baden und trockene Heizungsluft im Winter begünstigen diesen Prozess [12]. Bei alten Menschen fördert wahrscheinlich eine Degeneration/Atrophie der Nervenfasern in der Haut den Pruritus [2].
Atopische Dermatitis
Nahezu alle Patienten mit atopischem Ekzem klagen über Pruritus, der oft durch Triggerfaktoren wie Schwitzen oder Wollkontakt ausgelöst wird und die Lebensqualität stark beeinträchtigt [4]. Neben geröteten, schuppigen Ekzemläsionen finden sich häufig auch Exkoriationen, Lichenifikation und nässende superinfizierte Areale (Abb. 2).
Urtikaria
Urtikaria ist ein Reaktionsmuster der Haut, das auf der Degranulation von Mastzellen mit Freisetzung von Histamin und einer Vielzahl anderer Mediatoren beruht. Diese Mediatoren bewirken eine Rötung und Quaddelbildung und verursachen einen quälenden Juckreiz (Abb. 3). Der Pruritus bei Urtikaria wird besonders häufig von einem Hitzegefühl, Brennen und Stechen begleitet [3]. Gekratzt wird, wenn überhaupt, nicht mit den Fingernägeln, sondern eher mit der flachen Hand [13]. Wichtig: Die Hautveränderungen bei Urtikaria sind flüchtig! Hautveränderungen, die länger als 24 Stunden an einer Stelle persistieren, sprechen gegen eine Urtikaria!
Kontaktdermatitis
Kontaktallergische Ekzeme gehen meist mit einem lokalisierten Pruritus einher. Typischerweise treten mit einer Latenz von Stunden bis Tagen an den Kontaktstellen mit dem Allergen juckende, oft auch erythematöse und vesikulöse Hautveränderungen auf. Häufige Allergene sind Nickel in Modeschmuck oder Gürtelschnallen, Duftstoffe oder Konservierungsstoffe in Kosmetika. Möglicherweise kann es auch durch den regelmäßigen Kontakt mit geringen Allergenmengen beziehungsweise durch die orale Aufnahme von Allergenen zu unspezifischen juckenden Hautveränderungen kommen.
Mykosen
Eine Differenzialdiagnose des lokalisierten Pruritus sind oberflächliche Infektionen der Haut mit Dermatophyten oder Hefen. Besonders intensiver Juckreiz kann bei Befall der Intertrigines, der Zehenzwischenräume oder der Vulva entstehen. Diagnostisch wegweisende Symptome sind Rötungen, Mazeration, Papeln, Pusteln und Schuppung, oftmals mit Randbetonung.
Skabies
Der Befall durch die Milbe Sarcoptes scabiei führt nahezu unweigerlich zu Pruritus. Die begleitenden Hautveränderungen sind zumeist äußerst diskret und finden sich oft intertriginös, an der Mamillenregion oder in den Fingerzwischenräumen. Gesucht werden sollte nach kleinen erythematösen Papeln und Milbengängen (2 – 10 mm lange, grau-bräunliche, leicht palpable Linien) (Abb. 4). Die Patienten weisen aufgrund des quälenden Juckreizes oftmals primäre und sekundäre Effloreszenzen auf. Pruritus und Ekzeme sind Folge der Typ-IV-Immunantwort auf die Milbenantigene, daher können auch nach erfolgreicher Behandlung juckende Papeln noch monatelang persistieren [5]!
Bullöses Pemphigoid
Das bullöse Pemphigoid ist die häufigste blasenbildende Autoimmundermatose von älteren Menschen. Es kommt zu stark juckenden, prallen Blasen auf flächigen Erythemen oder Plaques (Abb. 5). Nach Platzen der Blasen verbleiben Erosionen und Krusten auf erythematöser Haut. Wichtig: Einige Patienten leiden lediglich an einem intensiven Pruritus (pruritic non-bullous pemphigoid) [1].
Pruritus bei Nierenerkrankungen
Pruritus ist ein häufiges Symptom im Gefolge einer chronischen Niereninsuffizienz. Die Lokalisation des Pruritus ist unterschiedlich. 25 – 50 % der Patienten klagen über generalisierten Pruritus. Darüber hinaus scheint der Juckreiz besonders am Rücken, an den Armen und im Gesicht aufzutreten [10].
Die Haut von Patienten mit renalem Pruritus ist, abgesehen vom typischen bräunlichen Hautkolorit und einer Xerodermie, meist unauffällig. Allerdings kommt es sekundär zu einer Reihe von Hautveränderungen, die durch Kratzen bedingt sind. Neben Hautexkoriationen und Sugillationen kommt es in einigen Fällen zur Ausbildung einer Prurigo nodularis mit z. T. superinfizierten bräunlichen Knoten (Abb. 6). Die Ursache des urämischen Pruritus ist weiterhin ungeklärt [6].
Pruritus bei Lebererkrankungen
Nahezu jede Lebererkrankung kann mit Pruritus einhergehen. Am häufigsten wird Pruritus bei cholestatischen Erkrankungen angegeben, wie z. B. der primär biliären Zirrhose (PBC), der primär sklerosierenden Cholangitis (PSC), mechanischer Gallengangsobstruktion jedweder Genese, aber auch im Rahmen viraler Hepatitiden, vor allem der chronischen Hepatitis C. Pruritus im Rahmen von Lebererkrankungen tritt bei etwa 80 % der Patienten mit PBC und bei bis zu 15 % der Patienten mit Hepatitis C im Laufe der Erkrankung auf. Ca. 80 % aller ikterischen Patienten leiden an Juckreiz. Der Cholestase-assoziierte Pruritus wird initial typischerweise an Handinnenflächen und Fußsohlen sowie an Auflagestellen von Kleidung angegeben und zeigt tageszeitliche Schwankungen mit maximal empfundener Intensität in den frühen Nachtstunden. Der Pruritus kann im Verlauf generalisiert wahrgenommen werden und kann durch Kratzen nicht bzw. kaum gelindert werden. Spezifische Hauterscheinungen werden nicht beobachtet.
Pruritus und maligne Erkrankungen
Jeder maligne Tumor kann Pruritus als paraneoplastisches Phänomen hervorrufen, wobei der genaue Zusammenhang zwischen malignen Tumoren und Pruritus bis heute unklar ist. Pruritus der Nasenlöcher wurde z. B. gehäuft bei Hirntumoren beobachtet.
Medikamenteninduzierter Pruritus
Prinzipiell kann jedes Medikament Pruritus verursachen und sollte differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Auch ohne primäre Hauterscheinungen können manche Medikamente über verschiedene Mechanismen mit einer Latenzzeit Juckreiz auslösen.
Neuropathischer und neurogener Pruritus
Hierbei handelt es sich meist um lokalisierte Juckreizformen, denen eine Schädigung kutaner oder extrakutaner Nerven bzw. des ZNS zugrunde liegt.
Die wichtigsten sind:
- Postzoster-Neuralgie – Juckreiz im Bereich des betroffenen Dermatoms
- Small-fiber-Neuropathie – Juckreiz meist in Begleitung anderer neurologischer Symptome
- Notalgia paraesthetica – gemischte Empfindungsstörung mit Juckreiz am Rücken
- Brachioradialer Pruritus – meist im Versorgungsgebiet C5/C6 an den Armen symmetrisch.
Diagnostik
Neben einer ausführlichen Anamnese (Tabelle 2) sollte eine gründliche Inspektion des Patienten erfolgen. Diese sollte die gesamte Haut inklusive der Schleimhäute, Kopfhaut, Haare, Nägel und Genitoanalregion umfassen. Typisch ist das „Schmetterlingszeichen“, bei dem sich Kratzläsionen am gesamten Rücken finden bis auf eine Aussparung in der Mitte zwischen den Schulterblättern, weil der Betroffene dort nicht mit den Händen hingelangt (Abb. 7).
Im Rahmen der allgemeinen körperlichen Untersuchung erfolgen die Palpation von Leber, Nieren, Milz und Lymphknoten und eine grob orientierende neurologische Einschätzung. Den psychischen Auswirkungen des Pruritus sollte besonderes Augenmerk gelten. Gegebenenfalls kann eine psychosomatische Mitbetreuung sinnvoll sein.
Bei Pruritus auf primär entzündlich-veränderter Haut kann die Entnahme einer Hautbiopsie bzw. je nach Verdachtsdiagnose die Durchführung von bakteriologischen, mykologischen, allergologischen und autoimmunserologischen Untersuchungen sinnvoll sein.
Bei Pruritus auf primär nicht veränderter, unauffälliger Haut empfiehlt sich eine Stufendiagnostik, bestehend aus Basislaboruntersuchungen und nachfolgender Abklärung eventueller Auffälligkeiten (Tabelle 3). Leider bleibt trotzdem bei 13 – 50 % der Patienten die Ursache des Pruritus ungeklärt [7, 11].
Interessenkonflikte: keine deklariert
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (11) Seite 42-48