Die Migräne ist ein häufiger Beratungsanlass in der Hausarztpraxis. Eine korrekte Diagnose ist keine „Hexerei“. Für die Therapie wäre „Hexenkunst“ in gewissen Fällen wünschenswert. Der folgende Artikel soll einen Überblick über die aktuelle, evidenzbasierte Therapie der Migräne und ihrer Spezialfälle geben.
Jede Kopfschmerzbehandlung beginnt mit der korrekten Diagnose. Die Diagnose einer Migräne ist aufgrund der Anamnese und einer unauffälligen klinischen Untersuchung nach Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft zu stellen. Typisch sind starke, oft halbseitig betonte Kopfschmerzen mit Überempfindlichkeit auf Reize (Licht, Lärm, Gerüche, Bewegung) und gastrointestinalen Beschwerden (Inappetenz, Übelkeit, Erbrechen). Bei langjähriger gleichbleibender Anamnese sind weiterführende Untersuchungen in der Regel nicht indiziert.
Im Weiteren gilt es, die Migräne bezüglich Häufigkeit und Dauer genauer zu charakterisieren. Am besten hilft hier ein Kopfschmerztagebuch. Dieses wird im Idealfall von den Patienten schon drei bis vier Wochen vor der Konsultation ausgefüllt. Es kann auch Muster hinsichtlich möglicher Triggerfaktoren wie Menstruation, Arbeitsstress oder Entspannung zeigen. Die einzelnen Attacken dauern meist mehrere Stunden bis zu drei Tage und treten in 80 – 90 % episodisch auf. Sind es 15 oder mehr Kopfschmerz- und Migränetage pro Monat, spricht man von chronischer Migräne. Dabei ist es wichtig, einen möglichen Übergebrauch an Akutmitteln als Chronifizierungsfaktor zu erkennen. Auch hierzu kann das Kopfschmerztagebuch dienen. Vorsicht ist ab zehn Tagen mit Einnahme von akut wirksamen Medikamenten geboten.
Etwa ein Fünftel der Betroffenen hat Migräne mit Aura. Hierbei geht den Kopfschmerzattacken eine passagere, sich über Minuten ausbreitende, meist visuelle Störung voraus. Als pathophysiologisches Korrelat wird eine „Cortical Spreading Depression“ angenommen, eine sich langsam ausbreitende Depolarisationswelle, die entsprechend dem betroffenen kortikalen Areal auch eine nichtvisuelle Symptomatik (sensorisch, motorisch etc.) auslösen kann. Bei erstmaligem oder isoliertem (atypischem) Auftreten können die Patienten stark verunsichert sein und eine weiterführende Diagnostik zur Abgrenzung einer ischämischen oder epileptischen Genese kann sich empfehlen.
Die Bausteine der Migränebehandlung
Eine moderne Migränebehandlung ist auf drei Säulen aufgebaut (Abbildung). Am wichtigsten ist die umfangreiche Aufklärung und Information über die Erkrankung und deren Konsequenzen. Viele Patienten haben eigene Vorstellungen über ihre Erkrankung, die nicht immer mit der ärztlichen Sichtweise übereinstimmen. Die Frage nach den Informationsquellen kann entscheidend sein, um unbegründete Ängste oder falsche Vorstellungen zu erkennen [1].
Nicht-medikamentöse Therapieoptionen
Nicht-medikamentöse Optionen haben einen wichtigen Stellenwert in der Migränetherapie, insbesondere weil sie – interaktions- und nebenwirkungsarm – meist gut kombiniert werden können. Neben der Information über die Erkrankung ist es wichtig, die eigene Krankheit besser kennenzulernen. Stress, Auslassen von Mahlzeiten und Veränderungen des Schlafverhaltens werden als wichtigste beeinflussbare Triggerfaktoren genannt [2]. Ein regelmäßiger, ausgeglichener Lebensstil sollte somit zur Verbesserung der Migräne beitragen. Als psychotherapeutischer Ansatz hat die kognitive Verhaltenstherapie in verschiedenen Studien Überlegenheit gegenüber Plazebo und vergleichbare Wirkung mit medikamentöser Prophylaxe gezeigt. Als nicht-medikamentöse Therapie hat die Akupunktur die größte und beste Evidenzlage, wobei es keinen klaren Unterschied zwischen "echter" und Schein-Akupunktur zu geben scheint. Verschiedene Metaanalysen kommen zu dem Schluss, dass ausgewählte Entspannungsverfahren (z. B. progressive Muskelrelaxation), physikalische Therapien, die medizinische Massage eingeschlossen, und aerobes Ausdauertraining als Migränetherapie wirksam sind.
Die Akutbehandlung
Bei der Migräne ist eine stratifizierte Behandlung empfohlen [3]. Tabelle 1 gibt eine Übersicht der Akutmittel gegen Migräne. Die beste Wirksamkeit ist für die Triptane belegt (Serotonin-Rezeptoragonisten, 5-HT1B/1D), aber auch einfache Schmerzmittel und nichtsteroidale Analgetika (NSAR) sind effizient. Entscheidend ist weiter eine möglichst frühe Behandlung in adäquater Dosis [4]. Dabei gilt es, die Anzahl der Attacken zu beobachten und bei Gefahr eines Medikamentenübergebrauchs rechtzeitig zu intervenieren (cave: Akutmittel an zehn oder mehr Tagen pro Monat).
Spät in der Attacke oder als Notfallbehandlung eignen sich parenterale Applikationsformen, z. B. intranasal oder intravenös. Sind die Substanzen alleine nicht wirksam, empfiehlt sich eine Kombination von Triptan und NSAR [5], gegebenenfalls mit zusätzlich einem Antiemetikum.
Opioide sind wegen der Nebenwirkungen (Übelkeit & Erbrechen) und des Abhängigkeitspotenzials bei Kopfschmerzsyndromen kontrainidiziert.
Medikamentöse Prophylaxe
Es gibt keine evidenzbasierte Empfehlung, wann eine Migräneprophylaxe begonnen werden soll, jedoch konsensusbasierte Vorschläge verschiedener Fachgesellschaften, wann dies sinnvoll sein könnte [4]. Zeitpunkt und Indikation hängen stark vom individuellen Leidensdruck, der Einschränkung im Alltag sowie Häufigkeit und Dauer der Attacken ab.
Während z. B. in gewissen Situationen bereits ein bis zwei Attacken zu einem ungünstigen Zeitpunkt während der Arbeitswoche eine starke Einschränkung darstellen, werden in einem anderen Fall häufige abendliche Migräneattacken aus Angst vor möglichen Medikamentennebenwirkungen toleriert.
Verschiedene Expertengremien empfehlen eine Prophylaxe ab drei Attacken pro Monat, insbesondere bei lang andauernden und starken Migräneattacken. Unentbehrlich wird sie, wenn sich der Bedarf an Akutmitteln der "neuralgischen" Grenze von zehn Tagen pro Monat nähert [6].
Zahlreiche Medikamente wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten untersucht und für viele existiert positive Evidenz (Tabelle 2). In Deutschland haben jedoch nur Propranolol, Metoprolol, Flunarizin und Topiramat eine Zulassung zur Migräneprophylaxe. Dies kann in der Praxis gelegentlich zu Problemen bezüglich der Kostenübernahme führen.
Oberstes Prinzip in der Wahl des Prophylaktikums ist es, eventuelle Nebenwirkungen respektive allfällig vorhandene Komorbiditäten zu beachten.
Bei Patienten mit eher hypertonen Blutdruckwerten bieten sich Betablocker oder AT-II-Antagonisten an. Bei Patienten mit Schlafstörungen z. B. sedierende Antidepressiva. Wenn Patienten zusätzlich über Schwindelsymptome berichten, ist Flunarizin erste Wahl. Wichtig sind gewichts- und stimmungsrelevante Faktoren. Ein günstiges Nebenwirkungsprofil haben natürliche Substanzen wie Magnesium, Riboflavin und Coenzym Q10. In der Regel gilt für alle prophylaktischen Substanzen, langsam aufzudosieren, um eine möglichst gute Verträglichkeit und somit nachhaltige Wirksamkeit zu erzielen. Gelegentlich kann es zwei bis drei Monate bis zum Wirkungseintritt dauern. Als minimale Therapiedauer sind sechs bis zwölf Monate empfohlen, bei schwer betroffenen Patienten ist eine längere Therapiedauer oftmals ratsam.
Spezielle Situationen
Chronische Migräne
Die chronische Migräne mit oder ohne Medikamentenübergebrauch wurde bereits eingangs beschrieben. Als Therapieoptionen besteht für Botulinumtoxin A und für Topiramat die beste Evidenz. Für Valproinsäure und Amitriptylin ist die Evidenzlage geringer.
Eine kürzlich publizierte Studie zeigte Wirksamkeit der okzipitalen Neuromodulation [7]. Selektion und Behandlung von Patienten für eine invasive Migränetherapie sollten interdisziplinär und mit begleitender Qualitätskontrolle erfolgen, idealerweise in Zusammenarbeit mit einem universitären Zentrum.
Ein Medikamentenübergebrauch sollte immer gesucht und mit einer Medikamentenpause und Beginn einer adäquaten Prophylaxe behandelt werden. In komplexeren Situationen kann ein stationärer Entzug oder eine Neurorehabilitation notwendig sein.
Migräne mit Aura
Auch die Migräne mit Aura wurde bereits eingangs beschrieben. Die beste Evidenz hat hier Lamotrigin. Interessanterweise war Lamotrigin bei der Migräne ohne Aura nicht wirksam. Kleinere kontrollierte Studien bestehen für Levetiracetam, Flunarizin und Topiramat.
Hormone & Schwangerschaft
Ein Zusammenhang zwischen den Östrogenen und Migräne ist unumstritten und gut belegt. Bei Patientinnen mit Migräne mit und ohne Aura sollten östrogenhaltige Kontrazeptiva mit Vorsicht rezeptiert werden, dem vaskulären Risikoprofil angepasst. Die Patientinnen sollten auch auf mögliche Interaktionen der Migräneprophylaktika (v. a. Antiepileptika) mit Kontrazeptiva hingewiesen werden.
Zur Kurzzeitprophylaxe bei regelmäßigen menstruell-assoziierten Kopfschmerzen können NSAR eingesetzt werden (z. B. 2 x 500 mg Naproxen, zwei Tage vor den erwarteten Kopfschmerzen für fünf bis sieben Tage). Auch für Triptane (z. B. Naratriptan oder Frovatriptan) existieren kleinere kontrollierte Studien. Eine Hormonsubstitution in den Pillenpausen scheint Migräneattacken lediglich zu verschieben, jedoch nicht zu verhindern [8]. Jedoch besteht die Möglichkeit, die Pille kontinuierlich einzunehmen oder allenfalls auf ein ovulationshemmendes Progesteron-Präparat umzustellen [9, 10].
Die erste Wahl für die Akutbehandlung bleibt Paracetamol. Auch Antiemetika sind vertretbar. NSAR sind im 1. und 3. Trimenon zu vermeiden. Triptane sind in der Schwangerschaft nicht zugelassen. Aus den Daten der langjährig geführten Register geht kein erhöhtes Komplikations- oder Missbildungsrisiko hervor.
In der Prophylaxe sind Magnesium und nicht-medikamentöse Maßnahmen (siehe oben) erste Wahl. Nach individueller Abschätzung sind auch Betablocker (z. B. Metoprolol) und Trizyklika (z. B. Amitriptylin) vertretbar, sowohl in der Schwangerschaft wie in der Stillzeit.
- Voraussetzung ist die korrekte Diagnose.
- Aufklärung und Information bilden das Dach.
- Es existieren zahlreiche nicht-medikamentöse Optionen.
- Attackenbehandlung: früh genug, adäquat dosiert, aber nicht zu oft.
- Prophylaxe: mit den Nebenwirkungen rechnen.
- An die Sonderformen denken.
Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 9/2013
Interessenkonflikte: Dr. Gantenbein hatte in den letzten drei Jahren finanzielle Verbindungen (Beratungstätigkeiten, Honorare für Vorträge, Reisekostenübernahmen, Studienunterstützungen) mit folgenden Firmen: Allergan, Almirall, Astra Zeneca, Eli Lilly, MSD, Pfizer, Sandoz; Dr. Sandor mit Allergan, Almirall, Eli Lilly, MSD, Pfizer sowie dem Schweizerischen Nationalfonds und der Selo Foundation.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (11) Seite 66-70