Tiefe Venenthrombosen (TVT) lassen sich heute mit Kompressionsultraschall sehr zuverlässig nachweisen. Aber wie lassen sich diejenigen Patienten mit Verdacht auf TVT mit ausreichender Sicherheit herausfiltern, bei denen diese Untersuchung nicht notwendig ist? Hierzu kommen neben dem D-Dimer-Schnelltest zwei diagnostische Kriterienskalen infrage.

Die TVT-Diagnostik basiert heute auf anamnestischen Hinweisen und klinischen Befunden einerseits, auf Zusatzuntersuchungen andererseits. Bei diesen hat der Nachweis von dimeren Plasminfragmenten D (D-Dimer-Test) einen großen Fortschritt für die Alltagspraxis gebracht.

Sehr weite Verbreitung gefunden hat der Wells-Score, der anamnestische und Befundkriterien zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer TVT-Diagnose kombiniert und der durch den D-Dimer-Test ergänzt wird (Tabelle). Eine niedrige klinische Wahrscheinlichkeit und ein negativer D-Dimer-Test schließen eine TVT ohne die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen unter Klinikverhältnissen sicher aus. In allen anderen Fällen muss eine allenfalls auch serielle Kompressionssonographie erfolgen.

Bedenken bestehen aber für den dia-gnostischen Ausschluss in der ambulanten Grundversorgung. Hier sollen Wells-Score und ein qualitativ guter, hochsensitiver D-Dimer-Test immerhin 2,9 % (95 %-Konfidenzintervall [KI] 2,5 – 3,3 %) der TVT verpassen. Dies dürfte mit dem unterschiedlichen Patientengut in der Primär- und Sekundärversorgung zu tun haben. Zudem dürften Allgemeinärzte mit dem Krankheitsbild weniger vertraut sein als Spezialisten, und der Einfluss der Wahrscheinlichkeit einer anderen Diagnose, im Wells-Score ein wichtiges Kriterium, dürfte ebenfalls eine andere Rolle spielen.

Basierend auf diesen Überlegungen wurde anhand der Daten von 1 295 Patienten aus der Allgemeinpraxis ein Allgemeinpraxis-Score entwickelt, der 7 einfache Anamnese- und Befundkriterien und das Ergebnis eines D-Dimer-Tests kombiniert (Tabelle). Diese beiden Scoresysteme wurden in der folgenden Studie unter Praxisbedingungen evaluiert.

Methodik

Über 300 Hausärztinnen und Hausärzte in den Niederlanden sammelten bei 1 086 nicht vorselektionierten Patienten mit Verdacht auf TVT die notwendigen Daten für die beiden Scores, notierten die wahrscheinlichste Diagnose und veranlassten einen D-Dimer-Schnelltest (point of care). Das weitere Vorgehen hing vom Allgemeinpraxis-Score ab. Bei einem Score von 3 oder weniger erfolgte keine Überweisung zum Ultraschall und keine Antikoagulation, ab Score 4 folgte eine Kompressionsultraschalluntersuchung. Drei Monate nach Studienaufnahme wurden alle Patientinnen und Patienten hinsichtlich venöser Thromboembolien befragt.

Ergebnisse

Für die Analyse standen die Daten von 1 002 Patienten (mittleres Alter 58 J., 37 % Männer) mit initialem TVT-Verdacht zur Verfügung. Ohne Berücksichtigung der D-Dimer-Tests hatten 607 von 1002 Patienten (61 %) mit beiden Scores tiefe Werte als Hinweis auf ein geringes TVT-Risiko und 130 (13 %) hatten ein hohes TVT-Risiko. Bei 265 Patienten (26 %) waren die beiden Scores diskordant. Ohne D-Dimer-Test-Resultat musste nach den Wells-Kriterien bei 373 Patienten (37 %) eine hohe TVT-Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Nach den klinischen Kriterien des Allgemeinpraxis-Scores traf dies nur bei 152 Patienten (15 %) zu. Alle diese Patienten mussten – unabhängig vom D-Dimer-Test – zum Ultraschall überwiesen werden. Bei Patienten, bei denen aufgrund der Scores nicht von einem hohen TVT-Risiko auszugehen war, fiel der D-Dimer-Test mit dem Wells-Score bei 71 % und mit dem Allgemeinpraxis-Score bei 58 % negativ aus. Diese Patienten brauchten keinen Ultraschall. Die Differenz war signifikant.

Ein venöses thromboembolisches Ereignis trat während des Follow-ups bei je 7 Patienten mit niedrigem Score und negativem D-Dimer-Test auf. Mit dem Wells-Score wurde die TVT-Diagnose bei 7 von 447 Patienten mit niedrigem Score und negativem D-Dimer-Test, mit dem Allgemeinpraxis-Score bei 7 von 495 Patienten mit niedrigem Score und negativem D-Dimer-Test verpasst. Von diesen 7 Patienten wurde die Diagnose bei 4 mit beiden Scores verpasst, bei den restlichen 3 nur mit jeweils einem der beiden Scores.

Diskussion

Würden nur Patienten mit tiefem Score und negativem D-Dimer-Test nicht zur Ultraschalluntersuchung überwiesen, würde die korrekte Diagnose mit dem Wells-Score bei 1,6 % und mit dem Allgemeinpraxis-Score bei 1,4 % der Patienten verpasst. Diese Anteile verpasster Dia-
gnosen sind vergleichbar mit demjenigen bei alleiniger Ultraschalldiagnostik, was die Sicherheit der Scores im Vergleich zur objektiven Diagnoseerhebung anzeigt, wie die Autoren schreiben.

Die Studie konnte zeigen, dass mit beiden Scores eine tiefe Venenthrombose bei ambulanten Hausarzt-Patienten sicher ausgeschlossen werden kann. Überflüssige Überweisungen zur Kompressionssonographie ließen sich mit beiden Scores um ca. 50 % reduzieren, wobei der Allgemeinpraxis-Score die Nase leicht vorn hatte. Mit dem Allgemeinpraxis-Score lassen sich mindestens 4 Ultraschalluntersuchungen bei jeweils 100 Patienten vermeiden, was jedoch 22 zusätzliche D-Dimer-Tests erfordern würde. Die direkten medizinischen Kosten seien damit ungefähr gleich hoch, jedoch seien weniger Überweisungen erforderlich.

Quelle: Eit Frits van der Velde et al.: Comparing the diagnostic performance of 2 clinical decision rules to rule out deep vein thrombosis in primary care patients. Ann Fam Med 2011; 9: 31–36.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 17/2011



Autor:
Halid Bas

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (10) Seite 60-62