Eine HIV-Infektion sollte möglichst frühzeitig erkannt werden, weil es heute gute Behandlungsmöglichkeiten gibt und weil ansonsten die Gefahr besteht, dass das HI-Virus übertragen wird. Eine frühe Diagnose ist aber nicht immer einfach. Die akute HIV-Infektion wird aufgrund ihrer unspezifischen Symptome oft übersehen. Die chronische Infektion kann jahrelang symptomlos bleiben. Im folgenden Artikel sollen anhand von klinischen Beispielen die Schwierigkeiten bei der Diagnostik und die Gefahren einer späten Diagnose aufgezeigt werden.

Nebenstehende Kasuistiken (Kasten 1 und 2) sollen illustrieren, wie schwierig die Diagnose einer HIV-Infektion sein kann. Diese beiden Fälle zeigen: Die Symptome einer HIV-Infektion können sehr unspezifisch sein. In erster Linie kommt es darauf an, daran zu denken.

Fallbeispiel 1
  • Männlicher Patient, 58 Jahre alt
  • Mundsoor, fühlt sich schlecht, Gewichtsabnahme: 20 kg
  • Beruflich erfolgreich, seriöses Auftreten, bürgerlich
  • Hat Kinder, lebt aber nun von der Frau getrennt und mit einem Mann zusammen
  • Im Frühjahr erstmals Arztkonsultation, dann mehrfach stationär durchuntersucht ohne Ergebnis
  • Schließlich nach sechs Monaten HIV-Test beim niedergelassenen Arzt: positiv
  • Bei Erstdiagnose 38 CD4+/µl, Viruslast: 665 000/ml

Fallbeispiel 2
  • Männlich, 71 Jahre
  • Lebt in ländlicher Gegend, ist verheiratet
  • Symptombeginn im Sommer mit Schmerzen in den Armen und Beinen, der Patient führt dies auf eine Vergiftung zurück
  • Intermittierende Fieberschübe, im Verlauf stationäre Abklärung: Diagnose „Fieberhafter Infekt“, DD Nahrungsmittelallergie
  • Im November dann Durchuntersuchung in anderer Klinik: Röntgen Thorax, Sonographie des Abdomens, MRT Schädel, Gastroskopie, Koloskopie und Knochenmarkspunktion
  • In der Knochenmarkspunktion fällt auf: 41 CD4+/µl
  • HIV-Test: positiv

Warum ist es wichtig, eine HIV-Infektion frühzeitig zu erkennen?

Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst hilfreich, sich den natürlichen Verlauf der Infektion anzuschauen (vgl. Abb. 1). Am Anfang und am Ende des Verlaufes ist die Viruslast im Blut des Patienten sehr hoch. Die Höhe der CD4-positiven Leukozyten (Helferzellen) fällt im Laufe der Zeit langsam ab, bis es schließlich zum manifesten Immundefekt kommt (AIDS). Die Früherkennung der Infektion ist aus zweierlei Gründen wichtig:

  1. Eine späte Diagnose verschlechtert die Prognose des Betroffenen.
  2. Eine frühe Diagnose vermindert die Wahrscheinlichkeit weiterer Ansteckungen.

1. Eine späte Diagnose verschlechtert die Prognose des Betroffenen

Die Diagnose „HIV-Infektion“ wird auch heute noch in vielen Fällen sehr spät gestellt. Dann sind die Helferzellen oft schon sehr niedrig. Nach den aktuellen Empfehlungen braucht bereits die Hälfte der Patienten bei Diagnosestellung eine antiretrovirale Therapie. Dies führt initial nicht selten aufgrund von vorliegenden opportunistischen Infektionen zu Krankenhauseinweisungen, was mit erhöhter Morbidität und Mortalität einhergeht.

Zudem bedeuten anfänglich sehr niedrige Helferzellzahlen auch häufig, dass durch eine antiretrovirale Therapie keine Normalisierung der Helferzellzahl erreicht werden kann. Dies trifft besonders oft bei älteren Patienten zu.

Dass es sich hierbei leider um die Realität in Deutschland handelt, belegen Zahlen des Robert Koch-Institutes (vgl. Abb. 2). Folgt man den aktuellen Therapie-Empfehlungen in Europa, dann sind Patienten mit Helferzellzahlen unter 350/µl therapiebedürftig [3]. Zieht man die Empfehlungen in den USA oder neueste Empfehlungen der WHO als Entscheidungsgrundlage heran, sollte bereits unter 500/µl Helferzellen eine Therapie begonnen werden [4]. Der Abfall der Helferzellen korreliert ungefähr mit der Zeitdauer der Erkrankung, wobei hier große individuelle Unterschiede bestehen. Wenn nun bereits 50 % der Patienten bei Diagnosestellung therapiebedürftig sind, lässt dies den Schluss zu, dass die Diagnose oft zu spät gestellt wird.

2. Eine frühe Diagnose vermindert die Wahrscheinlichkeit weiterer Ansteckungen

Da die Betroffenen über viele Jahre ohne einen Test nichts von ihrer Erkrankung wissen, ist die Gefahr der Übertragung auf andere Menschen erhöht. Es kann sein, dass durch Nicht-Wissen um die Infektion keine geeigneten Schutzmaßnahmen bei Sexualkontakten getroffen werden. Andererseits ist durch die hohe Viruslast im Anfangsstadium die Gefahr einer Ansteckung erhöht. Hier kommen also zwei Umstände zusammen: Betroffene wissen nichts von ihrer Infektion und verhalten sich eventuell nicht entsprechend und geben so das Virus sehr „effektiv“ weiter.

Gelingt es, die Infektion durch einen HIV-Test frühzeitig zu diagnostizieren, dann können Betroffene Maßnahmen zum Schutz anderer Menschen ergreifen. Durch eine antiretrovirale Therapie kann die Viruslast unter die Nachweisgrenze gesenkt werden und somit die Infektiosität deutlich verringert werden. Hausärzte spielen hierbei eine sehr wichtige Rolle: Sie können Bewusstsein schaffen und den HIV-Test anbieten.

Wann an HIV denken?

Die HIV-Infektion zeigt sich klinisch oft sehr unspezifisch oder gar nicht.

Eine akute HIV-Infektion präsentiert sich als mononukleoseartiges Krankheitsbild. Typische Symptome sind Fieber, Abgeschlagenheit, Arthralgien. In etwa der Hälfte der Fälle kommt ein Exanthem hinzu.

Diese Symptome kommen nun allerdings in der hausärztlichen Praxis überaus häufig vor. Entsprechend schwierig ist es, die Infektion im akuten Stadium zu entdecken. Ein mononukleoseartiges Krankheitsbild, eine einfühlsam erfragte Risiko-Anamnese und häufigeres Testen könnten hier helfen. Bei der akuten HIV-Infektion ist sehr wichtig zu bedenken, dass der Antikörper-Test in vielen Fällen noch negativ sein wird. Ein sicherer Ausschluss kann nur ca. drei Monate nach dem fraglichen Infektionszeitpunkt angenommen werden. In unklaren Fällen kann ein Virusdirektnachweis mittels PCR durchgeführt werden. Diese wird meist innerhalb von zwei bis drei Wochen positiv. Ein HIV-Test nach drei Monaten ist in jedem Fall zu empfehlen.

Im chronischen Stadium ist die Infektion sehr lange weitgehend symptomlos. Man sollte bei bestimmten Markererkrankungen und Symptomen an einen bereits eingetretenen Immundefekt denken. Im Bereich der Hauterkrankungen sind das beispielsweise ein Herpes Zoster, eine schlecht therapierbare seborrhoische Dermatitis oder das Kaposi-Sarkom. Im Bereich der Mundhöhle sind ein anderweitig nicht erklärter Mundsoor (besonders aber eine Soor-Ösophagitis) oder eine orale Haarleukoplakie zu nennen. Aber auch rezidivierende Pneumokokken-Pneumonien oder eine Tuberkulose können auf einen Immundefekt hinweisen. Wie schwierig die Diagnose sein kann, zeigt die Pneumocystis Jirovecii Pneumonie (PjP). Hier führen zunächst nur Anamnese und Klinik (Risikofaktoren, Ruhedyspnoe) weiter. Der Auskultationsbefund ist oft normal und in der konventionellen Röntgen-Thorax-Aufnahme ist wenig bis nichts zu sehen. Erst ein HR-CT des Thorax zeigt dann nicht selten einen ausgeprägten Befund.

Weiterhin sollte bei neu diagnostizierten Virushepatitiden und sexuell übertragbaren Erkrankungen (wie z. B. Chlamydien-Infektionen, Gonorrhoe, Syphilis und Herpes simplex) ein HIV-Test empfohlen werden. Die Schwierigkeit ist wieder, an diese Erkrankungen zu denken, den Patienten nach Risikofaktoren zu fragen und spezifische Tests durchzuführen.

Auch das Vorliegen von sehr unspezifischen Symptomen sollte an HIV denken lassen. Hierzu zählen beispielsweise eine ungeklärte, langanhaltende Diarrhoe, aber auch Erschöpfung und Müdigkeit sowie eine generalisierte Lymphadenopathie. Bei klassischer B-Symptomatik mit Nachtschweiß und Gewichtsabnahme sowie Fieber unklarer Genese sollte eine HIV-Infektion immer in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden. Wie aus den Fallbeispielen ersichtlich, sollte man lieber früher und öfter testen.

Viele Symptome können also auf die HIV-Infektion zurückzuführen sein. Wichtig ist immer wieder: Man sollte an HIV als Differenzialdiagnose denken.

Dem Hausarzt kommt eine besonders wichtige Rolle bei der Früherkennung der HIV-Infektion zu. Er hat den Vorteil, viele seiner Patienten über Jahre hinweg zu kennen. Das heißt jedoch nicht unbedingt, dass er alles über seinen Patienten weiß. Die Frage an den Patienten, ob man einen HIV-Test durchführen darf, erfordert viel Fingerspitzengefühl. Glücklicherweise ist der Hausarzt solche Fragen gewohnt: Schließlich gilt dasselbe für die Fragen nach der Höhe des Alkoholkonsums oder nach Suizidalität. Eine nicht-wertende Haltung wird es dem Patienten ermöglichen, sich dem Arzt gegenüber zu öffnen.



Autor:

Gerd Geiss, Stuttgart

MRCGP Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Allgemeinmedizin
Gemeinschaftspraxis
Schwabstraße 59
70197 Stuttgart

Interessenkonflikte: Vortragshonorar von AbbVie, Kongressbesuche gesponsert durch AbbVie, Gilead Sciences, Janssen, ViiV Healthcare


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (9) Seite 44-48