In den DMPs werden Sulfonylharnstoffe (SuH) empfohlen (Glibenclamid und Glimepirid in erster Linie), ebenso haben sie Platz in verschiedenen Leitlinien gefunden. Sie senken von allen Antidiabetika in geeigneten Fällen am stärksten den Blutzucker und sind spottbillig. Soll man auf solche Medikamente verzichten? Zur Beantwortung dieser Frage müssen folgende Fakten berücksichtigt werden: SuH haben im Vergleich mit Metformin vermehrt kardiovaskuläre Schäden im Gefolge, sie erhöhen das Körpergewicht und sie verursachen mitunter schwere, ja tödliche Hypoglykämien, nach Nauck und Gallwitz 40 – 80 tödliche Hypoglykämien in Deutschland pro Jahr!

Notaufnahmen wegen Hypoglykämien

Eine ganz neue Studie aus Italien, die die auf Notfallstationen gewonnenen Ergebnisse mit einem Einzugsgebiet von 12 Millionen Einwohnern auswertete, wies 3 500 Notaufnahmen infolge von Unterzuckerungen pro Jahr auf. Für Deutschland hochgerechnet käme man demnach auf mehr als 20 000 Fälle! Die knappe Hälfte der italienischen hypoglykämischen Notfallpatienten erhielt SuH, ebenfalls die Hälfte hatte relevante kardiovaskuläre Vorerkrankungen. Letzteres scheint deswegen wichtig zu sein, weil die Kombination von Hypoglykämien und kardiovaskulären Schäden z. B. in der ACCORD-Studie zur signifikanten Erhöhung der Mortalität geführt hatte.

Hypos als Todesursache

Von allen hypoglykämischen Diabetikern starben in Italien während des stationären Aufenthaltes 9,8 % der Patienten. Wenn man bei 50 % der Diabetiker als Todesursache die direkten oder indirekten Folgen der Hypoglykämie (eher mehr!) annimmt, kommt man für Deutschland hochgerechnet auf ein Vielfaches der sowieso schon erschreckenden Zahlen von Nauck und Gallwitz. Bei dieser Ausgangslage aller vorgelegten Daten verwundert es nicht, dass bei einer Befragung von mehr als 1 000 Ärzten nach der von ihnen gewählten oralen Initialtherapie weniger als 1 % angeben, dass sie sich selbst primär mit SuH behandeln würden (persönliche Mitteilung von Stephan Jacob).

Weniger Probleme bei schlechter Einstellung

Immer wieder hört man aber, dass Ärzte mit SuH keine Probleme haben. Wenn man jedoch bedenkt, dass – leider – sehr viele Patienten (mehr als die Hälfte der Typ-2-Diabetiker) unbefriedigend eingestellt sind und nicht die HbA1C-Zielwerte erreichen (mehr als 8 – 9 % HbA1C), wird klar, dass natürlich in solchen Bereichen keine Hypoglykämien zu beobachten sind. Und warum soll man Bedenken haben bei Patienten, die z. B. mit Glibenclamid optimal, also normnah eingestellt sind? Gerade diese Diabetiker sind aber hochgradig gefährdet, da schon eine verstärkte körperliche Aktivität, das Auslassen einer Mahlzeit oder aber Alkoholabusus in eine schwere Hypoglykämie münden können.

Mögliche Alternativen

Was ist also zu tun? Ideal wäre es, wenn man die Patienten nicht mehr mit SuH, sondern mit Inkretin-basierten Substanzen (DPP4-Hemmer oder GLP1-Agonisten) behandeln würde, da diese Medikamente den Blutzucker nur senken, wenn er erhöht ist, und damit nicht zu Unterzuckerungen führen können. Das Ganze ist natürlich auch eine Kostenfrage, da die Tageskosten für DPP4-Hemmer (z. B. Sitagliptin) ca. 2,00 Euro und für GLP1-Agonisten sogar 4,00 – 6,00 Euro ausmachen. Vielleicht kann man SuH (vorzugsweise Glimepirid und nicht Glibenclamid) am ehesten noch in der oben beschriebenen Gruppe mit (zu) hohen HbA1C-Werten verwenden, wo offenbar keine ausreichende Kooperation mit dem Patienten besteht. Glücklich macht allerdings auch diese Therapieentscheidung nicht, da ja z. B. die durch den Sulfonylharnstoff induzierten kardiovaskulären Probleme und die Zunahme des Körpergewichts als Risikofaktoren bestehen bleiben. Inzwischen werden im Übrigen in Deutschland bereits wesentlich mehr Patienten mit der Kombination DPP4-Hemmer plus Metformin als mit der Kombination SuH/Metformin behandelt.



Autor:
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert
Forschergruppe Diabetes e.V.
82152 Krailling

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (7) Seite 42