Das Delir bei Demenz ist eine häufig übersehene Diagnose in Praxis und Klinik. Dies hat weitreichende Folgen für den Patienten. Je länger das Delir dauert, desto schwerer sind die bleibenden geistigen Beeinträchtigungen.

Der Hausarzt wird zu einer 85-jährigen Patientin gerufen. Die Frau ist extrem unruhig und aggressiv und nicht ansprechbar. Erst nach Gabe von Diazepam und Haloperidol kommt es zur Beruhigung. Mit der Verdachtsdiagnose "akute Psychose" weist der Hausarzt die Patientin in die gerontopsychiatrische Abteilung eines Krankenhauses ein.

Am nächsten Morgen kann sich die Patientin an ihre nächtliche Verwirrtheit und Aggressivität nicht erinnern. Sie fühle sich aber in den letzten Monaten zunehmend unwohl, leide unter Schwindelattacken, könne ihre Versicherungsangelegenheiten nicht mehr erledigen, überschaue oft die Bankauszüge nicht mehr und sei allgemein vergesslich geworden.

Psychisch wirkt sie nun vollkommen unauffällig. Bei der Untersuchung ist sie örtlich und zur Person orientiert, zeitlich zu Datum und Wochentag etwas unscharf. Im neuropsychologischen Screening-Test (Mini-Mental-Status nach Folstein, Tabelle 1) erreicht sie 27 von 30 Punkten und liegt damit im Normalbereich.

Es zeigt sich eine Diarrhoe, die auf Clostridien zurückzuführen ist. Sie wird mit Metronidazol behandelt. Im Laufe des Tages treten optische Halluzinationen und Wahnvorstellungen auf, die mit Wutausbrüchen und Schreien einhergehen.

Erst nach Abheilen der Diarrhoe stabilisieren sich die akuten psychopathologischen Phänomene. Bei der Entlassung nach vier Wochen ergibt sich im Mini-Mental-Status jedoch eine Verminderung auf 22 Punkte. Auffallend ist eine Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses.

Delir bei beginnender Demenz

Dies ist der typische Verlauf eines Delirs, das in Zusammenhang mit einer beginnenden Einschränkung von kognitiven Fähigkeiten steht. Das Delir bei Demenz ist eine der meist übersehenen Diagnosen in Praxis und Klinik [1]. Der von den Angehörigen gerufene Arzt bekommt die Probleme manchmal überhaupt nicht mehr zu sehen, was Diagnose und Management verzögern kann [2, 3].

Die heute immer noch üblichen Begriffe wie „akuter Verwirrtheitszustand“, „Durchgangssyndrom“, „akuter exogener Reaktionstyp“, „postoperative Psychose“, „acute brain syndrome“ verharmlosen das Krankheitsbild, da sie der hohen Komplikationsrate nicht gerecht werden [3, 4].

Die Ursachen sind vielfältig

Bei alten Menschen kann im Prinzip jede Erkrankung zu einem Delir führen (Übersicht 1). Häufig liegen Infektionen oder Störungen des Elektrolythaushaltes zugrunde. Das bei alten Menschen oftmals verminderte Durstempfinden stellt eine Gefahr dar, da eine enge Verbindung zwischen Exsikkose und Delir besteht [1]. Die für eine Exsikkose typischen Symptome wie trockene Haut oder verminderter Hautturgor sind bei einem alten Patienten weitaus schwerer zu erkennen als bei einem jungen. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung eines Delirs können auch Medikamente spielen (Übersicht 2). Insbesondere anticholinerg wirksame Medikamente stellen eine besondere Gefahr dar [5].

Wichtig ist, einen sich anbahnenden deliranten Zustand frühzeitig zu erkennen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Es gilt, Risikopatienten zu erkennen und beispielsweise auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten oder die medikamentöse Therapie zu optimieren [6, 8] (Übersicht 3).

Delir oder Demenz?

Wichtigste Differenzialdiagnose des Delirs ist die Demenz. Die Unterscheidung zwischen Delir und Demenz ist oftmals schwierig, da die Symptome sehr ähnlich sind. Das Delir kann sich einer vorbestehenden Demenz aufpfropfen und deren Symptomatik verstärken [7]. Unterschiedliche Diagnosesysteme (wie zum Beispiel ICD-10 versus DSM-System) erschweren die Diagnose zusätzlich. Oft sind Delir und Demenz zunächst nicht sicher zu unterscheiden und können erst im Krankheitsverlauf voneinander abgegrenzt werden [8].

Das Delir äußert sich in verschiedenen Formen. Die häufigste ist die hypoaktive Variante. Bewegungsarmut, Verlangsamung und Lethargie stehen im Vordergrund. Diese Form wird häufiger übersehen als die andere Variante, das hyperaktive Delir. Der Patient ist unruhig, oftmals aggressiv. Charakteristisch sind vegetative Reaktionen wie Tachykardie, Erhöhung der Körpertemperatur und ein wechselnder Blutdruck. Auch Mischformen sind möglich, bei denen sowohl Symptome der hypo- als auch der hyperaktiven Form zu beobachten sind [3].

Kriterien, die für ein Delir und gegen eine Demenz sprechen, sind ein akuter Krankheitsbeginn, eine Trübung des Bewusstseins, ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus und ein fluktuierender Verlauf. Der Wechsel der Symptomatik kann innerhalb von Stunden, manchmal sogar von Minuten erfolgen [3, 7].

Medikamentöse Therapie

Eine S3-Leitlinie, die die Behandlung des Delirs im Hinblick auf die verschiedenartigen Ursachen und Entstehungsmechanismen berücksichtigt, gibt es derzeit noch nicht [8]. Die hochpotenten Neuroleptika stellen beim hyperaktiven Delir die wichtigsten Mittel dar. Beim hypoaktiven Delir gibt es keine gesicherte Wirksamkeit der Neuroleptika. Am besten geeignet sind Haloperidol und Risperidon oral, i.m. oder i.v. [6]. Bei extremer Agitation können diese in Kombination mit Diazepam gegeben werden. Steht Angst im Vordergrund, hat sich Lorazepam in speziell schnell freisetzender Galenik bewährt. Benzodiazepine können auch bei einem Entzugsdelir notwendig sein. Hypersedierung und atemdepressive Nebenwirkung müssen dabei jedoch unbedingt beachtet werden [3].

Eine neuroleptische Delir-Therapie ist grundsätzlich keine Dauertherapie, sie muss mit Abklingen der deliranten Symptomatik ausgeschlichen und beendet werden [3].

Nichtmedikamentöse Therapie

Bei der Therapie des Delirs kommt den nichtpharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten eine große Bedeutung zu [1, 6]. Wichtig ist, die Angehörigen mit einzubeziehen. Der Verlust des Realitätsbezuges im Delir erzeugt Angst. Diese Angst kann durch eine konstante Bezugsperson gemildert werden.

Wiederholt sollte der Angehörige den Patienten an die Situation, die Zeit und den Ort erinnern. Eine Uhr, ein Kalender, ein vertrautes Foto oder ein vertrauter Gegenstand können unterstützend in der Behandlung wirken. Darüber hinaus ist die Reizabschirmung ein wesentliches Hilfsmittel der nichtmedikamentösen Behandlung. Wichtig ist eine ausreichende Beleuchtung, mit der ein Tag-Nacht-Rhythmus ermöglicht wird [6].

Schwerwiegende Folgen

Ein Delir bei Demenz kann lange andauern – bis zu einige Wochen. Dies hat Konsequenzen für den Patienten. Wie die BRAIN-ICU-Studie ergab, stellt die Dauer des Delirs den wichtigsten Risikofaktor für anhaltende kognitive Defizite dar [9].

Dr. med. Claudia Borchard-Tuch


Literatur:
[1] Hürny C et al. Vergesslich, verwirrt und verloren. Demenz und Delirium: was ist relevant für den praktischen Arzt? Schweiz Med Forum 2002;17:393-99
[2] Stanga Z et al. Akute Verwirrtheitszustände. Schweiz Med Forum 2002;43:1021–28
[3] Rahn A. Delir – Management im Krankenhaus: Diagnostik und Therapie. Z Gerontol Geriat 2008;41:440-46
[4] Gogol M. Delir im Alter – immer noch unzureichend erkannt und behandelt. Z Gerontol Geriat 2008;41:429–30
[5] Gogol M. Das Delir im höheren Lebensalter. Z Gerontol Geriat 2008;41:431–39
[6] Kratz T. Delir bei Demenz. Z Gerontol Geriat 2007;40:96–103
[7] Hofmann W. Leitliniengerechte Diagnose des Demenzsyndroms. Z Gerontol Geriat 2012;45:341–51
[8] Lorenzl S et al. Verwirrtheitszustände im Alter: Diagnostik und Therapie. DÄ 2012; 21: 391-401
[9] Pandharipande PP et al. Long-term cognitive impairment after critical illness. N Engl J Med. 2013;369(14):1306-16

Interessenkonflikte: keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (6) Seite 14-15