Schmerzen im Schulter-Nackenbereich gehören in der allgemeinmedizinischen Praxis zu den alltäglichen Konsultationsgründen. Für den Hausarzt ist es wichtig, im Alltag schnell und effizient nutzbare Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben, die ohne besondere Hilfsmittel eine Differenzierung der Beschwerden nach deren Ursache, unabhängig von den morphologischen Befunden, ermöglichen.

Besondere Sorgen bereiten die Patienten, bei denen mit der bildgebenden Diagnostik zwar mehr oder weniger ausgedehnte degenerative Veränderungen diagnostiziert wurden, die aber den klinischen Befund nicht erklären können. Hinzu kommen Patienten, die von einem operativen Eingriff an der Wirbelsäule nicht wie erwartet profitieren konnten.
Wenn weder Physiotherapie noch der Einsatz von NSAR oder Opioiden eine zufriedenstellende Beschwerdelinderung bringt, wächst die Unzufriedenheit von Arzt und Patient. Es kommt zur Chronifizierung. Schlimmstenfalls fällt der Patient aus seinen persönlichen und beruflich sozialen Netzwerken.

Der Arzt sollte möglichst sicher degenerativ-knöchern ausgelöste Schmerzen, Schmerzen, die durch eine Wurzelkompression zustande kommen, und Beschwerden durch Veränderungen in der Muskulatur differenzieren können. Ein gewisser Algorithmus in der Untersuchung sollte eingehalten werden:

  1. Untersuchung der Gesamtbeweglichkeit des Gelenks/Wirbelsäule (Etagendiagnostik)
  2. Untersuchung der gelenkführenden Muskulatur auf Druckschmerz, Dehnungsschmerz und Abschwächung
  3. Provokationstests für radikuläre Schmerzsymptomatik

Die im Folgenden aufgeführten Untersuchungstechniken können selbstverständlich nicht vollständig, aber richtungsweisend sein.

Das Zervikalsyndrom

Radikuläre Symptome der Halswirbelsäule (HWS) sind durch einen segmental ausstrahlenden Schmerz, Taubheitsgefühl und motorische Schwäche gekennzeichnet. Der Patient gibt u. a. ein Spannungsgefühl und eine Schwellung der Hand an, was aber auch muskulär (Skalenussyndrom) bedingt sein kann. Charakteristisch für ein Wurzelreizsyndrom ist der nächtliche Schmerz mit segmental abgrenzbarer Hypästhesie, Parästhesie und Kältegefühl im Arm sowie eine Schmerzverstärkung beim Husten, Pressen und Niesen. Es kommt zu einer Zunahme der Schmerzen bei Rotation/Retroflexion der HWS zur kranken Seite. Im Gegensatz dazu werden Wirbelgelenkbeschwerden durch Bewegung oder andauernde muskuläre Spannungsstörungen mit insbesondere einseitiger Zwangshaltung ausgelöst. Lokalisierte HWS-Beschwerden können aber auch durch plötzliche Rotationsbewegungen, kyphotische Zwangshaltung (Bildschirmarbeit) und Unterkühlung entstehen. Im Folgenden wird nur ein Teil der insgesamt notwendigen Untersuchungsschritte beim Zervikalsyndrom dargestellt und wiedergegeben.


1. Untersuchung der Gesamtbeweglichkeit der HWS

Die Untersuchung findet in aufrechter Sitzhaltung aktiv (Abb. 1 und 2), passiv (Abb. 3) und in drei Ebenen (Rotation, Seitneige, Dorsal-Ventralflexion) statt. Der Patient wird aufgefordert, Augen und Nasenspitze Richtung Decke zu bewegen. Ggf. kann dabei der Nacken mit der Hand abgestützt werden. Anschließend erfolgt eine maximale Beugung. Die passive Rotation (Abb. 3) wird bei aufrechter Kopfhaltung geprüft. Gemessen wird der erreichte Winkel am Rotationsende.

Bei der Untersuchung der HWS-Beweglichkeit ist die Dorsalflexion hinsichtlich Gelenkstörung und Wurzelirritation am ehesten richtungsweisend. Ein passives Nachfedern in Endstellung ermöglicht eine Differenzierung zwischen einer knöchern bedingten Bewegungseinschränkung (hart elastisch) und einer durch Sehnen oder Muskulatur bedingten Bewegungseinschränkung (weich elastisch).


2. Untersuchung der gelenkführenden Muskulatur auf Druckschmerz, Dehnungsschmerz und Abschwächung

Die gelenkführende Muskulatur sollte immer auf:

  • Druckschmerz
  • Dehnungsschmerz
  • Kraftentwicklung nach Janda (0 – 5)

untersucht werden, da sonst keine gezielte Therapie möglich ist [1]. Im HWS-Bereich sind insbesondere der M. trapezius, die Musculi splenius cervicis et capitis, der M. levator scapulae und der M. sternocleidomastoideus primär oder sekundär für die bestehende Schmerzsymptomatik verantwortlich. In eigenen Untersuchungen fanden wir bei 86 Patienten mit Schmerzen im Schulter-Nackenbereich in 95 % der Fälle einen Druck- und Dehnungsschmerz des M. trapezius und bei 88 % lagen entsprechende Störungen des M. splenius capitis und cervicis vor.

Bei einem Dehnungsschmerz der Nackenstrecker gehört eine Untersuchung des zerviko-thorakalen Übergangs und der BWS grundsätzlich dazu, da es durch die resultierende Hypomobilität zu veränderten Belastungsverhältnissen bis hin zu Kompressionssyndromen mit Neuralgien sowie muskulären Dysbalancen im Schultergelenks- und BWS-Bereich kommen kann [2].

Der M. trapezius besteht aus funktionell unabhängig voneinander arbeitenden Fasern: pars descendens (Abb. 4), pars transversa und pars ascendens. Die Untersuchung kann sowohl am liegenden als auch am sitzenden entspannten Patienten durchgeführt werden.

Der sitzende Patient versucht die Schultern gegen den Widerstand des Untersuchers in Richtung Ohren (pars descendens) zu heben (Abb. 5). Beurteilt werden die Kraftentwicklung und ein Seitenvergleich. Zur differenzierten Untersuchung der pars transversa und ascendens müssen die Ausgangsstellung des Patienten, der Untersuchungsgang und die Instruktion des Patienten entsprechend modifiziert werden.

Muskeldehnungstests kommen bei der posturalen, zur Verkürzung neigenden Muskulatur zur Anwendung und dienen zur Überprüfung der Elastizität. Eine Einschränkung des Bewegungsausmaßes ist in der Regel mit einer Muskelverkürzung gleichzusetzen, wenn keine gelenkbedingte Ursache vorliegt. Bei der Testung auf Dehnungsschmerz (Abb. 6) umfasst der Arzt/Therapeut den Kopf und die HWS von dorsal und stellt die HWS unter leichter Traktion, Flexion und Lateralflexion und Rotation nach links ein. Diese Untersuchung erfasst auch Anteile des M. levator scapulae. Modifiziert kann diese Untersuchung auch mit einer Rotation des Kopfes nach rechts bzw. links (hier bei Untersuchung des linken Anteils des M. trapezius, Abb. 7) durchgeführt werden.

Der M. trapezius wird wahrscheinlich am häufigsten von myofaszialen Triggerpunkten befallen. Sie rufen einen temporalen Schläfenkopfschmerz (Abb. 8), einen posterolateralen Nackenschmerz (Abb. 9) sowie einen Schmerz hinten in der Orbita und in den Kieferwinkel hervor [5]. Bei der Palpation der pars superior des M. trapezius wird der Patient in Bauchlage aufgefordert, den Nacken geringfügig zu extendieren. Die Palpation wird durch ein leichtes Dehnen der Fasern senkrecht zum Faserverlauf durchgeführt [6].


3. Provokationstests für radikuläre Schmerzsymptomatik (Sicherheitstests)

Insbesondere bei akuter, aber auch bei chronischer Schmerzsymptomatik treten Bewegungseinschränkungen, Muskelspannungsstörungen, radikuläre Symptome und vegetative Begleiterscheinungen gleichzeitig auf. Hier sind Untersuchungen hilfreich, die Hinweise auf eine Wurzelreizung oder andere schwerwiegende pathologische Störungen geben, um eine weitere gezielte Diagnostik und Therapie einzuleiten. In der Praxis haben sich folgende Tests bewährt:


a) Armhalteversuch-Hautant-Probe (Romberg-Test im Sitzen) (Abb. 10)

Durchführung:

  • Patient sitzt mit vorgehaltenen, gestreckten Armen
  • Hände sind supiniert
  • Augen geschlossen
  • Kopf wird nach links und rechts rotiert

Hinweis auf Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Kopfgelenke.
Normalbefund: Arme bleiben auf gleicher Höhe.

Latente Armparese bedingt

  • Pronation der Hand
  • Flexion im Ellenbogen und
  • geringes Absinken im Schultergelenk
  • Zur Beurteilung eines Haltetremors werden die Hände in Pronationsstellung und mit gespreizten Fingern gehalten.

Weiterhin kann der Versuch mit pronierten, leicht gestreckten Händen und Fingern durchgeführt werden. Hier kommt es im pathologischen Fall zum Absinken von Hand und Fingern. Auf Tremor sowie positive und negative Myoklonien (Asterixis) ist zu achten.


b) Probezug-Distraktionstest (Abb. 11)

Am sitzenden Patienten wird der Kopf am Hinterhaupt und Unterkiefer gefasst und ein axialer Zug nach kranial ausgeführt. Hierdurch kommt es zur segmentweisen Entlastung der Bandscheiben und der Nervenwurzeln. Geprüft wird, ob die Traktion mit oder ohne Schmerzlinderung einhergeht. Schmerzabnahme: Hinweis auf ein bandscheibenbedingtes Wurzelreizsyndrom. Schmerzzunahme: Hinweis auf muskulär/ligamentäre bzw. artikulär/degenerative Funktionsstörung.


c) Flexions-Kompressionstest

Am sitzenden Patienten wird der Kopf bzw. die HWS in Vorbeuge gebracht. Die HWS wird vom Scheitel aus axial, kaudal gestaucht. Hierdurch kann es bei einem posterolateralen Bandscheibenvorfall zu einer zunehmenden Kompression der Nervenwurzel und der Radikulärsymptomatik kommen. Ein Stauchungsschmerz wäre ein Hinweis auf ein Wurzelreizsyndrom [3].


d) Foramen-intervertebrale-Kompressionstest (Abb. 12)

Es findet eine Stauchung/Kompression in axialer/kaudaler Richtung der in Neutral-0-Stellung befindlichen HWS statt.

Es kommt zu einer Kompression der Bandscheiben, der kleinen Wirbelgelenke und Nervenwurzelaustrittsstellen, was eine radikuläre, streng segmentale Symptomatik verstärken kann. Bei eher diffus zunehmender Symptomatik kann von einer ligamentären/artikulären Funktionsstörung ausgegangen werden.


e) Spannungs-Widerstandstest (Abb. 13)

Der Patient übt einen Druck gegen einen Widerstand (Hand des Untersuchers) nach lateral bds., ventral und dorsal aus. Bei Radikulärsymptomatik kommt es zu einem einschießenden streng radikulären Schmerz.


f) Spurling-Test (Abb. 14)

  • Patient sitzt
  • Kopf ist zur Seite geneigt
  • der hinter dem Patienten stehende Untersucher legt eine Hand auf den Kopf des Patienten
  • die andere Hand staucht (Jackson-Test), klopft (Spurling-Test) auf die auf dem Kopf liegende Hand

Eine Schmerzverstärkung gibt einen Hinweis auf ein Facettensyndrom oder auf eine Nervenwurzelkompression.

Selbstverständlich gehört zu einer umfassenden neuroorthopädischen Untersuchung die Prüfung der Sensibilität und der Reflexe dazu.

Mit Hilfe des "Zervikalen Motorik- Schnelltests" lassen sich schnell und in erster Übersicht Hinweise auf segmentale motorische Störungen erfassen (Abb. 15) [4].


Literatur:
1. Günther, O.: Das Myofasziale Schmerzsyndrom. UNI-MED, Bremen, 2013.
2. Lindel, K.: Muskeldehnung. Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2006.
3. Buckup, K.: Klinische Tests an Knochen, Gelenken und Muskeln. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1995.
4. Frisch, H.: Programmierte Untersuchung des Bewegungsapparates. Springer Verlag, Berlin Heidelberg New York, 1993.
5. Travell, J.G. und Simons, D.G.: Handbuch der Muskel-Triggerpunkte: obere Extremität, Kopf und Thorax. Gustav Fischer Verlag, Lübeck Stuttgart Jena Ulm, 1998.
6. Muscolino, J.E.: Handbuch Muskel- und Knochenpalpation. ElsevierGmbH, München, 2010.



Autor:

Dr. med. habil. Olaf Günther, Magdeburg

Regionales Schmerzzentrum DGS Magdeburg
39116 Magdeburg

Interessenkonflikte: keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (4) Seite 54-60